Die Willkür der Administration

Alle diese Beschränkungen aber scheinen noch nicht hart und eindeutig genug zu sein, um nicht der russischen Administration die Möglichkeit einer schrankenlosen Willkür zu lassen, abgesehen von jenen Gewaltakten, zu denen die Korruption und die Käuflichkeit die Beamten treibt. Oft und oft kann man unter anderen davon lesen, dass Ausweisungen von Juden, die durch die Lokalbehörden vollzogen werden, vom Senate als unrechtmäßig kassiert werden, freilich nachdem die ausgewiesenen Juden längst schon den Schaden davon getragen haben.

Über die Durchführung der Wohnrechtsbestimmungen auch nur beiläufig zu sprechen und dabei nicht des schamlosen und unmenschlichen Polizeibütteltums zu gedenken ist unmöglich. In Städten-, wo nur einzelne Kategorien wohnen dürfen wie z. B. in Kiew, veranstaltet die Polizei gewöhnlich mitten in der Nacht Streifungen, um vielleicht einen oder den anderen Juden zu fangen, der ohne Berechtigung sich bei einem seiner Glaubensgenossen aufhalten könnte. Rücksichtslos dringen die Polizisten in die Wohnungen, unbekümmert darum, ob Frauen oder Mädchen dort schlafen. Hat einer zufällig seinen Pass nicht bei sich, so wird er, sei es Kind, Mann oder Frau die ganze Nacht hindurch indem er zunächst den Streifzug begleiten muss, in der Polizeistube festgehalten. Manchmal werden einige Hundert Menschen zur Nacht so herumgeschleppt und zusammengepfercht, die dann größtenteils am Morgen ausgewiesen oder, da sie tatsächlich das Recht besitzen, einfach nach Hause geschickt werden.


In dieser schimpflichen Demütigung ist vielleicht die ganze Rechtlosigkeit und Deklassiertheit der russischen Juden am schärfsten kondensiert.
Dieses Kapitel ist Teil des Buches Die Judenmassacres in Kischinew (1903)