Der Zusammenhang der Kischinewer Ereignisse mit der russischen Judenfrage

In fast allen Beurteilungen der Vorfälle von Kischinew kann man wesentliche Unzulänglichkeiten oder Unrichtigkeiten konstatieren. Ganz einerlei, ob diese Beurteilungen die gefühlsmäßigen edler Menschenfreunde oder die verstandesmäßigen von Politikern oder Parteimenschen sind.

Die Einen wälzen alle Schuld auf Kruschewan und Genossen.


Die Anderen verlegen die ganze Verantwortung auf die russische Regierung und ihre Organe.

Die Dritten betrachten als den Untergrund solcher Ereignisse die Rechtlosigkeit der russischen Juden.

Die Vierten endlich (wie z. B. Maxim Gorki) klagen als den Schuldigen die russische Gesellschaft an.

Wenn überhaupt Schlüsse auf die Zukunft aus dem Kischinewer Ereignis gezogen werden, so geschieht es natürlich wieder im Sinne einer oder der anderen dieser Auffassungen.

Und doch könnte nur eine Beurteilung des Kischinewer Falles, die, über das Spezielle hinausgehend, einen Zusammenhang mit den gesamtrussischen und den russisch-jüdischen Verhältnissen suchen und bei den Konsequenzen die allgemeine

Judenfrage heranziehen würde, einzig und allein die entscheidende Antwort geben.
Dieses Kapitel ist Teil des Buches Die Judenmassacres in Kischinew (1903)