Die erste Organisation

Der Boden für einen furchtbaren Ausbruch des Judenhasses war nach der Meinung Kruschewans und seiner Leute soweit vorbereitet, dass man die Organisation von gewaltsamen Ausschreitungen gegen die Juden in Angriff nehmen konnte.

Es ist kein Zweifel, dass die Organisatoren unter „gewaltsam“ nicht nur Plünderung verstanden, sondern schon damals die Ermordung von Juden in Kischinew planten. Die Organisatoren versammelten sich während zwei Wochen vor den christlichen Osterfeiern im Hotel „Rossia“. Wir haben bereits erwähnt, dass die Antisemiten aus der Intelligenz und Beamtenschaft in dem rein christlichen „Wohltätigkeitsverein“ eine Zentrale für ihre Propaganda und für ihre Geldsammlungen hatten. Jetzt war der Zeitpunkt gekommen, wo man die gesammelten Gelder verwendete. Es wurden Waffen angekauft und man lies Flugblätter und Plakate drucken. Diese Flugblätter, die massenhaft im Volke verbreitet wurden, begannen mit folgendem Satze: „Auf Grund eines Ukas (Befehls) des Zaren ist es den Christen während der drei heiligen Ostertage erlaubt, mit den Juden ein blutiges Gericht („Krowawaja rasprawa“) zu halten.


Ein anderer Aufruf zeigt einen Christuskopf mit der Dornenkrone, und trägt die Aufschrift: „Gottes Strafe gegen die Bilderfrevler!“ Unter dem Christuskopfe ist eine in biblischem Stile geschriebene kleine Erzählung zu lesen, die etwa so lautet: „Nächst dem Judenviertel wohnte einst in einem Häuschen ein Christ, der, als er auszog, an der Wand seines Zimmers ein geschnitztes Bild des Erlösers aus Vergesslichkeit hängen lies. Nach dem Christen zog ein Jude in das Haus, und als dieser von Glaubensgenossen Besuch erhielt, wurde das Bild bemerkt. Die Juden erinnerten sich, dass ihre Vorfahren einst den Heiland ans Kreuz gebracht hatten, und sie glaubten, mit dem Bildnisse ebenso verfahren zu müssen, wie mit dem Sohne des Menschen vor zwei Jahrtausenden auf Golgatha. Sie bespieen also das Bild, stachen es mit Nägeln und Dornen, und hielten ihm ein in Essig getauchtes Tuch an die Lippen.

Und siehe da, mit einem Male begann das Bild, ganz wie einst der Leib Jesu, zu bluten und das Blut troff stundenlang, so dass tropfenweise ein ganzes großes Gefäß damit voll wurde. Nun erschraken die Peiniger, und um Gott zu versöhnen, gingen sie hin und bestrichen mit dem Blut die Wunden ihrer Kinder und die Schwären ihrer Kranken. Und alle wurden geheilt. Darauf gingen viele Juden zum Bischof, der sie taufte.“ Soweit die Erzählung. Das Bemerkenswerteste aber an dem Plakate ist, dass es folgende Unterschrift trägt: „Moskau, im Hause des Klosters zum heil. Macarius, Große Lubianka-Strasse. Gedruckt durch das Beichtkomitee des Heiligen Synods zu Petersburg, am 4. Februar 1903. Der Zensor: Alexander Jeremonach.“
Dieses Kapitel ist Teil des Buches Die Judenmassacres in Kischinew (1903)