Die Judenfrage vor dem englischen Parlament.

Aus der Geschichte des Judentums in England
Autor: Redaktion: Kölner Zeitung, Erscheinungsjahr: 1848

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Themenbereiche
Enthaltene Themen: Juden, Judentum, England, Emanzipation, Sklaverei, Edelmut, Vorurteile, Parlament, Fanatismus, Turm von Babel, Gerechtigkeit, Geburtsrecht, Musik, Dichtkunst, Medizin, Astronomie, Fahne der Vernunft, Nationen
Wir entnehmen folgenden schönen Artikel der Kölner Zeitung. Außer dem Inhalte veranlasst uns hierzu die Freude, ein so geachtetes und einflussreiches Organ in Deutschland sich so unumwunden aussprechen zu sehen. Man wird sich erinnern, wie vor wenigen Jahren dies nicht der Fall war, und wir uns genötigt sahen, die leitenden Artikel der Kölner Zeitung, von Hermes verfasst, zu bestreiten. Um so erfreulicher ist dieser Umschwung.
        Die Red. d. A. Z. d. Jud.

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Unter den Staatsmännern Englands bekleidet Lord John Russel seit längerer Zeit einen hohen Rang. Seine ausgezeichneten Talente, seine vielseitigen Fähigkeiten haben ihm zu einer Stellung verholfen, zu welcher Geburt, Reichtum, Einfluss des Geschlechtes allein, selbst in England, nicht mehr genügen. Er war sogar berufen, der Nachfolger eines Sir Robert Peel zu sein, und – was mehr ist – das Volk hat mit vollem Zutrauen die Peel'sche Erbschaft seinen Händen übertragen sehen, so dass man bei dem Eintritte Russels in das Kabinett hätte glauben mögen, dieser Staatsmann habe den Gipfel seines Ruhmes erreicht.

Und doch sollte Russel jetzt nicht bloß, was er bis dahin selber geleistet, überbieten, sondern in gewissem Sinne den Ruhm der Meisten seiner Vorgänger, vieler jener Träger großer Ideen, mächtiger Volksgefühle, welche am Sternenhimmel der englischen Geschichte glänzen, überstrahlen. Er sollte jetzt auftreten als Vorkämpfer einer Idee, um ihrer selbst willen, eines Prinzips, um der Gerechtigkeit willen, gleichviel, ob der Sieg Millionen oder nur einem einzigen Mitglied der Gesellschaft zu seinen Rechten verhelfen werde.

Die Emanzipation der Katholiken, die Aufhebung der Sklaverei, die Abschaffung der Korngesetze waren sämtlich große Zwecke, würdig, mächtige Talente, erhabene Gemüter zu Helden der Freiheit und des Fortschrittes zu machen. Allein die Wilberforce, die O’Connell, die Peel traten im Namen von Millionen auf, ganze Volksklassen türmten himmelhoch den Sockel empor, von welchem diese Männer zu der Nation und ihren Vertretern sprachen.

Nicht so Lord John Russel – er erscheint auf dem Kampfplatze, um einer kleinen, hilflosen Schar, deren Druck Viele sogar als einen naturgemäßen Zustand betrachten, zu ihren Rechten zu verhelfen. „Die Zahl derjenigen meiner Mitbürger, als deren Advokat ich auf trete“, sagte Russel, indem er dem Parlamente seine Bill vortrug, „ist gering; einige dreißig- bis vierzigtausend, welche da eine Gemeinschaft bilden, die durchaus nicht geneigt und, wäre sie das, nicht fähig ist, Lärm zu machen, Aufruhr zu stiften oder für den Fall, dass man ihre Bitte abschlagen sollte, das Land mit Erschütterungen zu bedrohen.“

Um aber Lord John Russels Edelmut in seiner ganzen Größe ermessen zu können, muss man die eingewurzelten Vorurteile erwägen, welche in England zäher als irgend, der Vernunft, dem gesunden Menschenverstande trotzen. Man muss die mächtigen Kasten mustern, denen Russel im Namen des Fortschritts den Handschuh hinwirft, den Riesenbau des Fanatismus kennen, an welchem Jahrhunderte gebaut, dass er zu einem Turm von Babel heranwuchs, bis nun endlich die Zeit der Verwirrung der Sprachen über denselben hereingebrochen ist.

Vergebens trat Lord John Russel zu Gunsten seiner - Schützlinge in einer Rede auf, wie ihres Gleichen vielleicht noch nie in den Sälen des Parlaments erschallte. Vergebens erinnerte er an die bedeutungsvollen Worte eines großen Staatsmannes: „dass die englischen Gesetze ein Geburtsrecht jedes in England geborenen Untertan’s seien!“ – Vergebens mahnte er an Recht und Billigkeit; vergebens erschütterte er mit Riesenkraft das ganze Gebäude der Spitzfindigkeiten, welche der Fanatismus wie eben so viele Velten um die Eidesformel der Parlamente errichtet; vergebens bekämpfte er die Vorurteile seiner Gegner durch Argumente, in denen er bewies, dass der Druck und nicht eigene Schuld die untergeordnete Stellung der Israeliten bedingt hatte.

Vergebens! – Sir Robert Inglis und die sonstigen Helden der Church of England zitterten schon während seiner Rede vor lauter Eifer auf ihren Bänken; sie konnten den Augenblick nicht abwarten, wo sie Lord John Russel verketzern sollten, und wie sie zum Worte kamen, erscholl es im Saale, als ob England nicht in seinem Schoße die schönsten, die edelsten, die vernünftigsten Geister aller Zeiten und Völker erzeugt, als ob eine chinesische Mauer diese Menschen seit ihrer Geburt von der Aufklärung des Jahrhunderts abgeschlossen hätte!

Aber wie? Auch der biedere Lord Ashley ist unter ihnen? Auch der Menschenfreund tritt gegen seine Brüder auf? Et tu quoque, Brute? Und doch – welchen rührenden Anteil nimmt er an den Unterdrückten! Er errötet nicht, zu gestehen, dass er für den ärmsten Juden Gefühle empfindet, welche an Ehrfurcht grenzen. Er geht weiter und legt von ihren ausgezeichneten Fähigkeiten das glänzendste Zeugnis ab: „Die Juden“, spricht er, „sind Leute von mächtigem Geiste, von gebildetem Verstande und einer Ausdauer bei geistigen Arbeiten, dass sie mit dem unermüdlichsten Deutschen darin wetteifern können. Sie besitzen gegenwärtig im Verhältnisse zu ihrer Zahl eine größere Namenrolle von gelehrten und genialen Männern, als irgend ein heidnisches (sic!!) Volk aufweisen kann. Musik, Dichtkunst, Medizin, Astronomie nehmen ihre Aufmerksamkeit in Anspruch, und sie sind in allen diesen Fächern ihren Nebenbuhlern mehr als gewachsen.“

Jedoch trotz aller dieser Vorzüge können sie vor Lord Ashley keine Gnade finden; derselbe Mann, welchem es Anfangs darum zu tun scheint, zu beweisen, dass sie der verlangten Rechte, der Befreiung von mittelalterlichen Fesseln aller würdigt sind, schließt feine Rede mit einem Votum gegen die Emanzipationsbill!

Und warum? aus welchen Gründen? Ungefähr aus denselben, welche sehr gescheidte Menschen bewegen, am Freitag keine Reise anzutreten, an die böse Sieben zu glauben, die Zahl Dreizehn bei Tische zu scheuen – aus Vorurteil . . . . . . weil des guten Lord Ashley Urgroßvater so gedacht und er diese Ansicht mitsamt seinen Titeln, Gütern und Schlössern von seinen Vätern geerbt.

Nicht, dass Lord John Russel den Kampf allein bestanden hätte. Edle, schöne Worte find neben den Seinigen ertönt. Und wenn wir bei den Reden der Inglis, der Ashley, der Law uns außerhalb Englands versetzt glaubten, so führten uns die Gladstone, die Morpeth, die Arundel, sogar Bentinck dorthin zurück.

„Mit welchem Rechte“ – spricht Lord Morpeth – „empfehlet Ihr dem Sultan die Duldung gegen alle seine Untertanen, gegen Christen wie Muselmänner? Kann er sich nicht zu Euch mit der Antwort wenden: „Ich habe in meinem Reiche rebellische Untertanen, Albanesen, Griechen, Maroniten, immer zum Aufstand bereit, und Ihr verlangt, dass ich sie dulde. – Ihr, Ihr habt unter Euch eine kleine Gemeinde von ordentlichen, ruhigen Bürgern, welche zum Frieden und zur Wohlfahrt des Staates beitragen, und Ihr schließt sie von Eurer Gemeinschaft aus!“

Gladstone, Mitglied für die Oxforder Universität, hat es vorgezogen, während Sir R. Inglis, gleichfalls Mitglied für Oxford, den starren Vorurteilen derselben diente, sie als Sitz der Aufklärung zu vertreten. „Wer macht die Gesetze?“ – ruft Gladstone aus. – „Sind es nicht jene, aus welchen die Gesetzgeber hervorgehen? Ist es nicht in seiner periodischen Wiederkehr zu der Erde, seiner Mutter, dass dieses Haus neue Kräfte, neues Leben schöpft? Die Kammer ist nicht die Quelle der Gewalt, obschon sie das Organ derselben ist. In dem Wahlkörper allein ist diese Quelle zu suchen.“ Mit anderen Worten: Haben die Juden das Recht, zu wählen, so kommt ihnen auch das Recht zu, gewählt zu werden. Trotz der 186 Proteste, welche gegen den Antrag Lord John Russels in Betreff der Emanzipation der Juden eingelegt worden, ist derselbe mit 253 oder einer Mehrheit von 67 Stimmen durchgegangen, und das Los dieser Maßregel ist im Unterhause nicht mehr zweifelhaft. Ob die Bill vom Oberhause gleich günstig behandelt werden wird, steht noch in Frage. Wir hoffen es, wir hoffen es umso eifriger, als ein solcher Erfolg unseren deutschen Mitbürgern israelitischer Konfession zu Gute kommen würde – denn es ist jetzt in der geistigen wie in der materiellen Welt kein isolierter Fortschritt mehr denkbar. Wo Einer fortschreitet, darf. Keiner zurückbleiben, weil die Bewegung der Welt täglich allgemeiner wird, täglich mehr die Gesamtheit umfasst. Oder könnte Deutschland, welches jeden Tag mehr den ihm gebührenden Rang unter den Nationen erringt, wenn England, Frankreich und Belgien die Fahne der Vernunft aufstecken, unter der Fahne des Vorurteils stehen bleiben? Das wäre, als ob man behaupten wollte, wir müssten England und Amerika das Privilegium der Eisenbahnen überlassen, um den Überlieferungen des gepriesenen Mittelalters gemäß mit einem Postkarren die Zwecke der Menschheit zu verfolgen.“

Russel, John (1792-1878) Britischer liberaler Reform-Politiker (2)

Russel, John (1792-1878) Britischer liberaler Reform-Politiker (2)

London, the Tower Bridge

London, the Tower Bridge

London, the Tower

London, the Tower

London, the Pool of London

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London, the Pavilion at Lords

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London, The Garden of Marlborough House

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London, the Dutch Garden, Kensington Palace

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London, The Custom House and Billingsgate

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London, Henry VII. Chapel, Westminster Abbey

London, Henry VII. Chapel, Westminster Abbey

London, Fountain Court and Middle Temple

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