Die dritte Lösung

Den Sozialisten, die der Religion, wenn nicht alles, so doch viel von der allgemeinen Not der Menschheit zuschreiben, ist die Judenfrage nur ein Teil des großen Weltschmerzes, nur eins der Übel, die das jetzige soziale System mit sich bringt, und die Menschen in zwei Klassen und Schichten einteilt, religiöse Unterschiede und Vorurteile künstlich großzieht und die Menschen gegeneinander aufhetzt, anstatt sie im Kampfe gegen die gemeinsamen Unterdrücker zu vereinen.

In ihrem Bestreben, eine allgemeine Verbrüderung unter den Menschen herbeizuführen, tun die Sozialisten alles, was in ihrer Macht steht, um den Glauben an Gott als an unsern Vater zu zerstören.


Ob nun eine alle Völker umspannende Verbrüderung, wie sie die Sozialisten erträumen, viel mit der Judenfrage zu tun haben wird, können wir vorderhand nicht sagen; bis jetzt hat uns der Sozialismus der Lösung der Judenfrage noch um nichts näher gebracht.

Die letzten Ereignisse in Russland und anderswo haben gezeigt, dass die Liebe zwischen dem jüdischen Sozialisten und seinem christlichen Kameraden nicht sehr groß ist; und doch kann weder der eine noch der andre irgend eines religiösen Hangs oder Vorurteils beschuldigt werden.

Die russischen Revolutionäre sehen mit Genugtuung zu, wenn ihre jüdischen Kameraden blindlings den ungleichen Kampf mit der Beamtenherrschaft aufnehmen. Und wenn die wütenden Agenten der Beamtenherrschaft ihre furchtbare Rache auf die wehrlosen Familien der jungen Stürmer ausgießen, die sich zu übereilten Handlungen haben fortreißen lassen, so halten sich die christlichen Kameraden viel lieber im Hintergrunde, als dass sie ihre Pflicht gegen ihre jüdischen Gefährten bedächten und deren bedrängten Frauen und Kindern zu Hilfe kämen.

Seit dem Ausbruch der russischen Revolution, die von zeitweiligen Judenmetzeleien begleitet war, sind Tausende der jüdischen Sozialisten in die Reihen der Zionisten eingetreten. Diese Sozialisten hatten früher auf ihres eignen Volkes Sache zum Besten eines Weltproletariats verzichtet; aber die nicht endenwollenden Judenhetzen machten sie schließlich verzagt und die freudige Hoffnung, einst unter der roten Fahne des Sozialismus Erleichterung für ihr Elend als Juden zu bekommen, sank ins Grab. Die jüdischen Sozialisten lernen es nach und nach, dass antisemitische Gefühle ebensowohl in den Herzen der Völker schlummern können, die sich bewusst Christen nennen, als auch in denen, die ihren christlichen Glauben über Bord geworfen haben und sich des Namens „Sozialisten" oder „Freidenker" rühmen.

Das rationalistische und sozialistische Deutschland ist die Wiege des modernen Antisemitismus; und da, wo die Bibel am wenigsten gekannt ist und gelesen wird, finden die meisten Judenhetzen statt. Wo das heilige Buch der Juden besser gekannt und geschätzt wird, wie in England und Amerika, da werden auch die Juden gerechter behandelt.

Der Jude kann in der Tat wenig Hufe von seinen sozialistischen Brüdern erwarten wenn es sich darum handelt, das Beste zu zerstören, was die Welt von den Juden empfangen hat.
Dieses Kapitel ist Teil des Buches Die Judenfrage und der Schlüssel zu ihrer Lösung