Der leidende Messias

„Die rabbinische Literatur nimmt häufig Bezug auf die Leiden ja selbst auf den Tod des Messias, und bringt dies in Verbindung mit unseren Sünden — wie sollte dem auch anders sein, wenn man an Jesaja 53 und andere Stellen denkt?" (s. S. 97 D).

In Jalkut über Jesaja 60 finden wir folgende Stelle: „Die Väter der Welt werden im Monat Nisan aufstehen und zu ihm sagen: „Messias, unsre Gerechtigkeit, obwohl wir sind deine Väter, bist du doch besser als wir, weil du gelitten hast für die Sünde unsrer Kinder (Jes. 53, 11) und es sind über dich dahingegangen harte und schlechte Trübsale, wie sie weder die, die vor uns waren, betroffen haben, noch die betreffen werden, die nach uns kommen werden . . . und du hast in Finsternis und Dunkel gesessen und deine Augen haben das Licht nicht gesehen und du bist nur gewesen wie Haut und Knochen und dein Körper ist vertrocknet wie dürres Holz . . . und deine Kraft ist vertrocknet gleich wie ein Scherbe (Ps. 22, 15); und alles wegen der Sünde unsrer Kinder. Ist es dein Wille, dass unsre Kinder auch den Segen genießen sollen, den du auf Israel gelegt hast? Oder bist du vielleicht wegen der Angst, die du durch sie erlitten hast, nicht mehr mit ihnen zufrieden?" Und der Messias antwortet ihnen: „Väter der Welt, alles was ich getan habe, habe ich nur um eurer und eurer Kinder willen getan, dass sie den Segen genießen möchten, den Gott auf Israel gelegt hat".


Dieselbe Stelle in Jalkut sagt noch weiter: „Gott macht einen Vertrag mit dem Messias und sagt zu ihm, die Sünden derer, die mit dir verborgen sind, werden dich unter ein eisernes Joch bringen . . . . und wegen ihrer Sünde wird deine Zunge an deinem Gaumen kleben; willigst du ein?" Und der Messias fragt den Heiligen: „Herr der Welt, wird diese Trübsal viele Jahre währen?" Der Heilige sagt: „Bei deinem Leben und bei deinem Haupte, ich habe eine Woche für dich festgesetzt. (Dan. 9, 27). Wenn aber deine Seele betrübt ist, so will ich diese Leiden gleich von dir nehmen." Darauf sagt der Messias: „Herr der Welt, mit großer Freude nehme ich alles auf mich, unter der Bedingung, dass nicht einer von Israel verloren gehe. Und dass nicht nur die, welche während meiner Lebenszeit leben, gerettet werden . . . . sondern alle, die von den Tagen Adams bis jetzt gestorben sind. Und nicht nur die . . . . sondern alle, die du dir vorgenommen hast zu schaffen, die aber noch nicht geschaffen sind. In diesem Falle bin ich einverstanden und nehme es auf mich."

R. Jose der Galiläer sagt: „Gehe und lerne das Verdienst des Königs Messias . . . vom ersten Adam an, dem nur ein Verbot gegeben war und es übertreten hat. Bedenke wie viele Todesstrafen auf ihn und seine Geschlechter gelegt wurden . . . . bis zum Ende aller Geschlechter auf Erden. Aber welches Attribut ist größer, das Attribut der Güte oder das der Strafe? Das Attribut der Güte ist gewiss das größere, und das Attribut der Strafe das geringere. Und der König Messias, der gestraft war und um unserer Sünden willen litt, wie geschrieben steht: „Er ist um unsrer Missetat willen verwundet", (Jesaia 53, 5) wie vielmehr wird er alle Geschlechter rechtfertigen. Wie geschrieben steht: „Der Herr warf unser aller Sünde auf ihn". (Jes. 53, 6.) (Siphre)*.

*) Angeführt von Raymund Martini in seinem „Pugio Fidei". In den jetzigen Ausgaben des Siphre ist diese Stelle nicht zu finden. (Vergl. die berühmte Stelle Rom. 5, 12, 15, 18). In einer veränderten oder gereinigten Form ist diese Stelle in Siphra zu finden (Wien, 1862, f. 27). Anstatt des „Verdienstes des Königs Messias" steht die Belohnung der Gerechten in der Zukunft. Anstatt des ,,König Messias, der für unsre Sünden litt . . . . wie viel mehr wird er alle Geschlechter rechtfertigen", sagt diese Ausgabe: „Der, welcher am Versöhnungstage fastet, wie viel mehr wird er sich und alle Geschlechter rechtfertigen". Diese plumpe Berichtigung ist wahrscheinlich auf das Wort „mithaneh" (gelitten) zurückzuschreiben, das auch fasten bedeutet. Im Midrasch Hagadol (Cambridge 1902, 16, 1) ist noch eine andre Übersetzung dieser Stelle.
Dieses Kapitel ist Teil des Buches Die Judenfrage und der Schlüssel zu ihrer Lösung