Die eine Weltwirtschaft aufbauende Rolle der Juden

Die eine Weltwirtschaft aufbauende Rolle der Juden konnte in ihrem früheren Verlauf weder von der Masse, noch von dem Einzelnen wirklich erkannt werden, aber die täglichen Rippenstöße auf den Magen, durch das Volk Israel ausgeteilt, musste der dickfelligste Christ empfinden, und damit ist die Permanenz des Judenhasses in Europa seit mehr als einem halben Jahrtausend vollauf erklärt. Es ist erklärt, dass man die Juden verachtete, es ist erklärt, dass man die Juden schikanierte, und es ist schließlich auch erklärt, dass man den Juden nach dem Leben trachtete, dass man sie plünderte, folterte und mordete. Zu umfangreicheren Judenverfolgungen musste es kommen, d. h. zu solchen kam es stets in der Geschichte, wenn im Verlaufe der kapitalistischen Entwicklung besonders schwere Kreditkrisen über eine ganze Bevölkerung hereinbrachen. In Zeiten, wo die Einnahmen noch bescheiden waren, weil man noch wenig verkaufte, und die Einnahmen deshalb mit den durch erhöhte Steuern und Zinsen gesteigerten Ausgaben nicht Schritt zu halten vermochten, in solchen Zeiten, wo also alle Welt dauernd Bargeld brauchte, da kam es vor, dass nicht nur ganze Ortschaften, sondern ganze Landschaften den Juden verschuldet waren.

Wenn dann die Note berghoch stiegen und die Einzelerscheinung des wirtschaftlichen Zusammenbruches zur Massenerscheinung wurde, dann rebellierten die dem Untergang geweihten Schichten. Rebellieren konnten sie natürlich nicht gegen die Sache, gegen das wirtschaftliche Gesetz, dem sie unterlagen, denn von diesem ahnten sie ja nichts. Rebellieren konnten sie nur gegen die Juden, die ihnen bei ihrem beschränkten Horizont als die einzigen Urheber ihres Elends erschienen, und so schlugen sie die Juden tot und plünderten deren Truhen. Auf diese Weise glaubte man die Sache obendrein am gründlichsten erledigt. Denn dabei konnte man ja auch die den Juden ausgestellten Schuldbriefe vernichten — was sehr oft der gar nicht verheimlichte Hauptsinn und Zweck der blutigen Judenverfolgungen war. Diese Aussichten erschienen so verlockend, dass man mitunter auch ganz willkürliche Anschuldigungen gegen die jüdische Bevölkerung einer Stadt oder eines Landes erhob, nur um einen Scheingrund für ihre Ausplünderung zu haben. Alle die bekannten Anschuldigungen wegen Hostienschändung, wegen jüdischen Kirchenfrevels und ohne Ausnahme die jahrhundertelang so üppig wuchernden Ritualmordmärchen sind in letzter Instanz hierauf zurückzuführen. Das Auftauchen von Nachrichten über einen irgendwo stattgefundenen Ritualmord ist geradezu einer der sichersten Beweise dafür, dass wieder eins mal irgendwo eine Unterschicht besonders derb in den Malstrom der geldwirtschaftlichen Entwicklung gerissen worden ist.


Die städtischen und staatlichen Behörden drückten selbst zu den grausamsten Judenverfolgungen stets beide Augen zu. Ja, noch mehr: nicht selten sind es gerade ihre Organe gewesen, von denen zuerst der schreckhafte Ruf ins Land gegangen war: ,,Der Jud ist schuld.“ Diese Methode hat ihre guten Gründe: der im Judenhass sich schrankenlos austobende Volkszorn vergisst auf diese Weise am leichtesten die Hauptschuldigen, nämlich die Regierung, die Steuer auf Steuer häufte usw. Für diese Tatsache gibt es zahlreiche historische Beweise; angefangen von den in verschiedenen Ratsprotokollen der mittelalterlichen Stadtobrigkeiten vermerkten Empfehlungen zum Judenschlagen bis herauf zu den direkten Progrom-Anweisungen des letzten zaristischen Polizeiministers.

Wenn ich oben sagte: mit den schweren wirtschaftlichen Noten, die im Verlauf der geldwirtschaftlichen Entwicklung unerbittlich immer von neuem über die Massen hereinbrachen, sind die im Verlauf der Geschichte ebenfalls ständig wiederkehrenden und niemals ganz abbrechenden Judenverfolgungen erklärt, so habe ich damit selbstverständlich nicht gesagt: diese Gräuel sind dadurch auch entschuldigt. Die Schmach der Judenverfolgungen kann nur entschuldigen, wer sie dauernd erhalten wissen will.

101. Ein alter Jude. Französische Karikatur
102. Dorbeck. Berliner Karikatur. Um 1850
103. J. Voltz. Jakobs Kriegstaten. Um 1830
— Harr Kerperol, Harr Aftezier, Harr Generol! Habbe Se de
Gnod, hebbe Se de grauße Gnod und lasse Se mich nit
schießen. Ich halt es nit aus, ich kinns nit vertrogen, ich
känn nit riechen dä Pulver, ich fall in dä Ohnmacht!
Dieses Kapitel ist Teil des Buches Die Juden in der Karikatur