Warum sind die Juden von aller Welt gehasst?

Ich habe mich bei meinen seitherigen Ausführungen mit Absicht auf die rein wirtschaftliche Rolle der Juden im Werdeprozess unserer modernen Wirtschaftsweise beschränkt. Um diese Rolle möglichst klar zur Erscheinung zu bringen, habe ich von allen anderen sich aufdrängenden Schlussfolgerungen abgesehen und solche nur erwähnt, wenn das wirtschaftliche Problem dadurch erklärt wurde. Ich wollte mir diese anderen Schlussfolgerungen, diese zweite Seite der Sache, für diesen besonderen Abschnitt aufsparen, um sie hier zusammenfassend zu behandeln.

Die ganz besondere Stellung der Juden innerhalb der Gesellschaft ist die andere Seite des Problems. Oder mit klaren Worten: Der Jude trug durch die Geschichte nicht nur den größeren Geldsack, sondern er trug auf seinem Rücken außerdem, wie allbekannt, fast die ganze Zeit eine Welt von Hass. Er trug eine Welt von Hass mit sich herum, wie sie außer ihm niemals einem anderen Volk der Welt zuteil wurde. Diesem Hass begegneten die Juden seit ihrem Auftreten in Europa, und er ist bis auf den heutigen Tag niemals und nirgends ganz erloschen. Seine Formen waren immer ähnliche oder die gleichen: gesellschaftliche Ächtung, Verspottung, Verfolgung, Vertreibung, systematische Ausplünderung, Einzelmord, gesteigert bis zur Abschlachtung ganzer jüdischer Bevölkerungen. Die grauenhaftesten Formen des Judenhasses gehören leider nicht nur der Vergangenheit an, sondern im Gegenteil der Gegenwart. An die Qualen, denen die Ostjuden während des Weltkrieges überantwortet waren, an die Scheusaligkeiten der konterrevolutionären russischen Horden unter Koltschak und Wrangel, an die Bestialitäten der ungarischen Horthy-Offiziere, — an diese modernsten Judenverfolgungen reicht nichts von dem heran, was die Vergangenheit an Judenverfolgungen aufzuweisen hat. So schrecklich die Judenvertreibungen, die Judenverbrennungen des Mittelalters mitunter auch waren, sie verblassen gegenüber den Massenfolterungen und Massenschlachtungen unter den Juden während der letzten Jahre. Und die hierfür Verantwortlichen sitzen in allen Ländern. Nur Sowjetrussland ist von dieser Schmach frei.


Diesen durch die Jahrhunderte währenden Judenhass, der selbstverständlich der üppige Nährboden für die Mehrzahl aller jemals erschienenen Judenkarikaturen ist, in seinen Wurzeln und in seinen Zusammenhängen zu erklären, ist die Aufgabe, die mir für dieses Kapitel gestellt ist. Das heißt, es ist gleichzeitig auch die freilich nur scheinbar seltsame Tatsache zu erklären, dass man in den Juden z. B. niemals die Befreier sah, niemals die zu bewundernden Bahnbrecher usw., sondern fast ausnahmslos die Schmarotzer und Schädlinge der europäischen Gesellschaft.

Dass, wie ich oben hervorhob, zu gewissen Zeiten eine Reihe Stadtverwaltungen die wuchernden (d. h. geldleihenden) Juden in ihre Mauern baten, und dass zu fast allen Zeiten immer einige Juden großes Ansehen genossen und über Macht und Einfluss verfügten, widerspricht der Permanenz dieses Welthasses keineswegs; denn die Masse der Juden war zur gleichen Zeit doch zumeist verfehmt.

Man kann wohl dreist sagen, und zwar ohne sich dem Vorwurf der Übertreibung auszusetzen, dass, wenn in früheren Zeiten eine Stadt, ein Land oder die Menschheit im ganzen von irgendeinem Unglück heimgesucht wurde, alsbald der Ruf erscholl: „Der Jud ist schuld!“ „Die Juden haben es angestiftet!“ Wenn eine Feuersbrunst ausbrach, nannte man in den meisten Fallen irgendein harmloses Jüdchen als den Brandstifter. Bei einem Mord wurde zuerst gefragt, ob nicht ein Jude des Wegs gegangen sei; war gar ein Knabenmord vorgekommen, so war der gemordete Knabe sicher von den Juden zu Ritualzwecken geschlachtet worden. Bei Missernten und Teuerung hatten unbedingt die Juden das Unheil verschuldet. Und als im 13., 14. und 15. Jahrhundert die europäische Menschheit von der Pest heimgesucht wurde, hieß es jedesmal, das große Sterben komme daher, weil die Juden die Brunnen vergiftet hätten. In der unsinnigen Angst, die die Pest stets auslöste, wo sie auftrat, tobte dann die Wut gegen die Juden durch zahlreiche Städte des Abendlandes, und Hunderte von unschuldigen Juden mussten diesen Wahnsinn nicht nur mit dem Verlust ihres Hab und Gutes bezahlen, sondern obendrein mit dem Leben. Unsere Gegenwart kennt dieselben geistigen Epidemien. Als Deutschland im Herbst 1918 endlich vor dem von Anfang an unvermeidlichen Zusammenbruch stand, da wurden wiederum die Juden als die Hauptschuldigen ausgeschrien, sie hatten angeblich den Dolchstoß in den Rücken des Heeres geleitet. Und heute noch, nachdem die welt- und wirtschaftspolitischen Ursachen der deutschen Niederlage selbst dem beschränktesten Hirn klar sein müssten, kann man noch täglich aus dem Munde Unzähliger hören, dass ohne die Juden Deutschland als Sieger aus dem Weltkrieg hervorgegangen wäre.

Die Abwälzung eines Unglückes auf eine bestimmte Person oder eine bestimmte Bevölkerungsschicht ist an sich ganz natürlich. Diese Methode entspricht durchaus der christlichen Lehre von der individuellen Schuld, der Lehre von der Sünde; nach der christlichen Lehre steht hinter allen Dingen ein persönlich Verantwortlicher. Daher das Suchen der Menschen nach dem jeweiligen Sündenbock, dessen sie bedürfen, um ihn in die Wüste zu schicken. Es ist selbst für die Gebildeten eine sehr späte Errungenschaft, die Ereignisse und Zustände als unvermeidliche Folgen von Allgemeinzuständen der Gesellschaft und der Gesamtentwicklung zu erkennen. Die große Masse hat sich zu dieser Erkenntnis bis heute noch nicht durchgerungen. Wenn deshalb die Menschen ein Unglück überkommt, muss immer ein besonders schlechter Kerl die Hand im Spiele gehabt haben; von dessen persönlicher Bosheit muss das betreffende Unheil ausgeheckt worden sein. Und als dieser spezifisch schlechte Kerl, aus dessen schwarzer Seele immer und immer wieder neues unverdientes Leid über die in ihrem Gemüt ach so braven und ach so ehrbaren Christenmenschen sich ergießt, gilt, wie gesagt, zu allen Zeiten vor allem der Jude.

Das ist die landesübliche Meinung. Nun ist aber die Frage aufzuwerfen und zu beantworten: warum ist es gerade immer der Jude gewesen, dem jahrhundertelang und allerorten die meiste Schuld für das jeweils über die Menschen gekommene Unheil in die Schuhe geschoben worden ist? Die Antwort auf diese Frage kann in einigen wenigen Sätzen gegeben werden. Diese lauten: Die Massen erlebten die Entwicklung des Kapitalismus, die in der Form einer nie rastenden Umwälzung der Geldwirtschaft vor sich ging, niemals als Erlösung und Befreiung, sondern sie setzte sich für sie unter ständigen Nöten und Qualen durch, als da sind: immer wiederkehrende Krisen, Teuerung, Hungersnöte, wirtschaftlicher Bankrott der Kleinen und Kleinsten. Weil man nun infolge des engen geistigen Horizontes das wirkende Gesetz nicht erkannte, so sah man den Feind, gemäß den vorhin gemachten Ausführungen, im menschlichen Instrument der Geldwirtschaft. Dieses aber war, wie ich in den vorhergegangenen Abschnitten gezeigt habe, durch alle Jahrhunderte hindurch in stets hervorragender Weise der Jude. Der Jude ist das Instrument der Geschichte. Also empfing man auch anscheinend am häufigsten aus seiner Hand die fürchterlichen Nackenschläge, unter denen Tausende jahraus, jahrein seufzten, und unter denen Hunderte zusammenbrachen. Deshalb ist der Jude immer gehasst. Alle Laster der Geldwirtschaft wurden auf sein persönliches Konto gebucht.

In diesem Zusammenhang muss mit aller Deutlichkeit darauf hingewiesen werden, dass es absolut nicht der Rassenunterschied zwischen Orientale und Europäer ist, der den Hass gegen die Juden in seinem Kern begründet, sondern dass es einzig der Jude als Kapitalist ist, der den Hass auslöst. Jede geschichtliche Nachprüfung dieser Materie (des Rassenhasses) erweist, dass die andere Rasse immer nur dann und erst dann gehasst wird, wenn sie als gefährlicher wirtschaftlicher Konkurrent auftritt. Der amerikanische Arbeiter hasst z. B. den Japaner, weil dieser als Lohndrücker auftritt und die Errungenschaften seiner jahrzehntelangen Gewerkschaftskämpfe gefährdet. Dass es so ist und nicht anders, ergibt sich aus der einfachen und leicht festzustellenden Tatsache, dass der Rassenhass sofort verstummt, so wie die wirtschaftlichen Gegensätze verschwinden. Weiter daraus, dass man, solange es in einem Land oder einer Zeit überhaupt zu keinem solchen wirtschaftlichen Gegensatz kommt, auch niemals den sogenannten Rassenkämpfen begegnet. Wo aber andererseits starke wirtschaftliche Gegensätze entstehen und die Träger der verschiedenen Interessen sich nach verschiedenen Rassen scheiden, da wandelt sich der Klassenhass stets zuerst in Rassenhass, — es ist dies die niederste Stufe der Klassenkampfe; der alte Wilhelm Liebknecht hat ein sehr treffendes Wort geprägt, als er sagte: ,,Der Antisemitismus ist der Sozialismus der dummen Kerle“ — und der Hass der in ihrer Existenz sich bedroht fühlenden Klasse knüpft an die sogenannten Rassenunterschiede an, er wandelt den wirtschaftlichen Gegensatz zu einem moralischen und stempelt den Gegner als moralisch geringerwertig. Alles das, was den anderen von ihm unterscheidet, gilt als das spezifisch minderwertige. Da diese Methode in Europa seit Jahrhunderten gegenüber den Juden geübt wird, so rührt daher die Überheblichkeit aller Ganz- und Halbspießbürger über die Juden.

Es ist der fleischgewordene Hass gegenüber dem stärksten wirtschaftlichen Gegner, gegen den man sich in ohnmächtiger Wut verzehrte, weil man obendrein immer von neuem auf ihn angewiesen war: denn der Jude war der Besitzer des Geldes, dessen man als Darlehen in steigendem Maß bedurfte. Man musste es zu den höchsten Zinsen nehmen, zu 10, zu 20, zu 30 und noch mehr Prozent. Eine solche Verzinsung aufzubringen, war schlechterdings unmöglich, weil dies an der nicht so hohen Produktivität der Arbeit scheiterte. Aber wenn man dies auch vorausahnte, so nahm der kleine Handwerker, der Bauer, der Kaufmann trotzdem das Judengeld, weil in den Zeiten der allgemeinen Geldknappheit die Umstände jeden einzelnen dazu zwangen. Und jeder hoffte eben für den Verfallstag, an dem Kapital und Zins zurückgezahlt werden sollten, auf irgendein Wunder: vielleicht regnet es einmal Dukaten, und ich bin gerade zur Stelle. Nun, es regnete eben nie Dukaten. Der Teufel, dem man sich verschrieben hatte, hielt immer nur in den Volkssagen sein Wort, im wirklichen Leben niemals. Er ließ weder einen verborgenen Schatz finden, noch holte er den wucherischen Juden. An dem Verfallstage erschien nicht der Teufel mit einem Sack Gold, wohl aber prompt der jüdische Gläubiger mit seinem Schein, auf dessen Einlösung er wie Shylock bestand. Nun konnte man aber sehr oft nicht bezahlen, das Pfand war in diesen Fällen verfallen, oder man konnte sich nur unter den schwersten Opfern weiterhelfen. Ist es da ein Wunder, dass man den Juden hasste? Der Jude war doch offenkundig der schlechte Kerl, der einem den Hals zuzog. Wer denn sonst? Diese Wahrheit war doch handgreiflich. Gewiss waren die christlichen Wucherer nicht selten viel hartherziger als die jüdischen. Diese Anklage kehrt häufig bei den alten Schriftstellern wieder. Aber die Zahl der jüdischen Wucherer war ungleich größer, so dass sich der Begriff Wucherer und Jude in der Vorstellung der Masse deckte. Man sagte: Nicht jeder Wucherer ist ein Jude, aber jeder Jude ist ein Wucherer. Dazu kam überdies noch ein anderer Umstand. Der Christ verbarg sein wucherisches Gewerbe stets hinter der Maske der Scheinheiligkeit, der Jude dagegen trieb es ganz offen vor aller Welt, und er machte gar kein Hehl daraus, dass das Geldinteresse bei ihm das oberste Interesse ist. Geiler von Kaisersberg sagt in einer Predigt über diesen Unterschied zwischen den jüdischen und christlichen Wucherern derb und deutlich: „Dann ein Jud setzt sein Seel öffentlich darauff, und schembt sich solches nicht, aber diese Wucherhels richten solches alles auss unter dem Schein des Christlichen namens.“ Weil man also das geliehene Geld wieder zurückzahlen musste, und weil dieses in den allermeisten Fällen besonders schwer fiel, so erschien der Geldleiher seinen Geldnehmern stets viel mehr als der Bedränger denn als der Helfer. Er war aller Welt Feind und galt als Niemandes Freund. Als Helfer lebte er immer nur einige wenige Tage im Gedächtnis der Leute, die von ihm Geld geborgt hatten, als Bedränger dagegen oft jahrelang, nicht selten sogar ein ganzes Leben. In dieselbe Situation des naturgemäß von allen Seiten Gehassten kam der Jude in seiner Tätigkeit als Händler. Er war, weil alle Art Waren bei ihm verpfändet wurden, und weil er mit allem Geschäfte machte, nicht nur der Konkurrent eines Einzigen, sondern der aller Handwerker und Kaufleute des Ortes, an dem er sein Handwerk trieb. Und weil er andere Geschäftsprinzipien als die ehrbaren christlichen Kaufleute hatte, Prinzipien, die ihm größeren Absatz garantierten, so war er zugleich für alle ein sehr gefährlicher Konkurrent. Jeder Handwerker und Kaufmann fühlte sich in seinem Gewerbe und darum mitunter in seiner ganzen Existenz durch den Juden geschädigt und bedroht.

Und dieser Zustand dauerte viele Jahrhunderte ununterbrochen. Man darf weiter nicht unterschätzen, was es bedeutet, dass alle modernen Selbstverständlichkeiten des kapitalistischen Geschäftsbetriebes der früheren Wirtschaftsgesinnung ohne Ausnahme widersprachen. Was heute für jeden Geschäftsmann, ob Christ oder Jude, das selbstverständliche Gesetz seines Handelns ist, was heute als durchaus geschäftsmännisch korrekt angesehen wird, das wurde ursprünglich, im 15.— 18. Jahrhundert, vom zünftigen Handwerker und Kaufmann als feindseliger Akt empfunden. Mit anderen Worten: alles das, was die Juden für die Entwicklung leisteten, mussten die Zeitgenossen als gegen sich gerichtet empfinden. Und jeder neue als feindselig empfundene Akt dieser Art wurde, wie wir gesehen haben, zuerst von den Juden ausgeübt. Von ihnen wurde der betreffende Trick zum mindesten stets mit dem größeren Geschick gehandhabt. Und dieser Zustand, dass die jüdischen Geschäftsmethoden als skrupellos und jedem ehrlichen Gewerbe als nachteilig empfunden wurden, währte ebenfalls viele Jahrhunderte. Wer ist also schuld, wenn ein strebsamer Handwerker trotz allem Fleiße nicht hochkam? Der Jude. Wer hat es auf dem Gewissen, wenn ein ehrlicher Kaufmann in seinem Handel zurückging? Der Jude. Wer bietet Waren feil, durch die das sauer verdiente Geld des Landes nur außer Lands kommt? Der Jude. Wer hat dem Bauer den ganzen Ertrag seiner Felder schon vor der Ernte abgekauft und bestimmt allein den Preis? Der Jude. Usw. Der Jude ist der Allerweltskonkurrent von Jedem und Jedermann. Es gibt keinen Winkel des Landes, wohin er nicht kommt, keinen Kreuzweg, an dem der Wanderer vorbei muss, wo der Jude nicht sein Krämchen aufschlägt. Wenn der Fremde, der Pilger oder der Geschäftsmann, vor das Gewölbe des zünftigen Gewerbes kommt, hat er den Reisesack schon voll Judenware, und seine Groschen und Taler hat bereits der Jude in der Tasche, der ihm auf der Landstraße entgegen gegangen war.

Als Allerweltsgläubiger, dem, außer der Kirche, vom kleinen Bäuerlein angefangen bis hinauf zum Kaiser alle verschuldet sind, und als Allesverderber, der jeden redlichen Handel und Wandel stört und erstickt, — in diesen beiden Gestalten allein steht der Jude durch die Jahrhunderte hindurch vor dem leiblichen und geistigen Auge der Mitwelt.

Und die Zeitgenossen konnten in den früheren Jahrhunderten auch gar keine andere Vorstellung von dem Juden bekommen, am allerwenigsten die eines Wegbereiters und Führers zu der kühnsten und gewaltigsten Wirtschaftsweise der gesamten Menschheitsgeschichte. Diese musste doch erst geworden sein, um sie feststellen zu können; die historische Rolle der Juden konnte erst retrospektiv erkannt werden. Um so mehr, als diese Entwicklung ja niemals ein bewusstes Ideal der Menschen gewesen ist. ,,Die Menschheit“ wollte sich früher doch überhaupt nicht entwickeln, sie wollte ihr geruhsames Dasein haben. Das war ihr höchstes Lebensziel, und wer diese Ruhe gefährdete, verstieß gegen das oberste Menschenrecht. Und auch die Juden waren selbstverständlich immer nur unbewusste Instrumente der Geschichte. Sie dachten sich bei ihren Geschäften wirklich nichts Erhebendes, sie dachten außer an Jahve nur noch an ihren Rebbach!

Es ist ganz müßig, die Juden als Einzelindividuen besser darzustellen, als sie in Wirklichkeit sind. Der Jude war und ist in tausend Fällen der Ausbeuter fremden Elends. Gewiss. Aber — lautet die andere Frage — war dies vielleicht der christliche Kapitalismus irgend eines Landes, der besonders in den Anfängen der großkapitalistischen Entwicklung förmlich in Kinder- und Frauenfleisch schwelgte, etwa weniger? Nein, er war dies in ganz der gleichen Gestalt. Die Bauern sind unter der Wucht des Judenzinses nicht hochgekommen. Gewiss. Und wieder lautet die Gegenfrage: Aber wie hoch sind denn die Kossathen, die Käthner und Büdner unter der väterlichen Fürsorge der Junker gekommen? Ein Unterschied ist freilich vorhanden: Die christlichen Fabrikanten der großkapitalistischen Frühzeit und auch die Mehrzahl der Junker sind als individuelle Erscheinungen nicht so anstößig wie der einzelne wuchernde Jude. Nur ist damit nichts gegen das Judentum erwiesen, sondern nur sehr viel gegen seine tausendfachen Unterdrücker. Oder glaubt man vielleicht, dass aus dem Sumpf, in den man den Juden allerorten niederzwang, Lichtgestalten hatten hervorgehen können? Glaubt man, es hätte möglich sein können, dass aus einer solchen erniedrigenden, Jahrhunderte währenden historischen Situation Musterbeispiele an Uneigennützigkeit hervorgegangen wären? Nein, das war schlechterdings unmöglich. Alle Dinge haben ihre unvermeidlichen Konsequenzen. Man muss im Leben immer das eine mit dem andern bezahlen. Davon gibt's keine Errettung. Die Geschichte kennt nie ein Drumherumdrücken um das peinliche Resultat. So auch in diesem Fall nicht. Die Juden sind, wie ich schon oben sagte, in ihrer großen Mehrzahl jahrhundertelang die Parias der menschlichen Gesellschaft gewesen, also schleppen sie auch die Laster des Paria mit sich herum. Das ist ganz unvermeidlich. Der allseitige Hass und die stete Verfolgung haben nicht nur ihre Tatkraft gefördert, sondern sie auch zu vielen Teilen demoralisiert.

Alles das muss man zugeben. Aber man muss ebenso kategorisch erklären: die Christen sind das in anderer Weise nicht weniger. Und deshalb sind die Juden im ethischen Sinne nicht schlechter als die Christen. Sie sind nur auch in diesem Falle anders als wir. Weil dieses andere aber, dieses orientalisch-nomadenhafte, in seinem Zusammenprall mit unserer nordischen, aus der Sesshaftigkeit erwachsenen Psyche zu Hunderten von Konflikten führte und immer von neuem führt, darum erscheint uns das jüdische Tun als unmoralisch. Der psychische und ökonomische Gegensatz wandelt sich zum moralischen Gegensatz. Dass wir, das Herrenvolk, uns von vornherein als die Moralischen dabei einschätzen, ist selbstverständlich. Die herrschende Klasse, und das sind die Christen im Vergleich zu den Juden, glaubt immer die größere Moral auf ihrer Seite.

Die Fragen der Moral entscheiden in letzter Instanz immer die wirtschaftlichen Interessen; an diesen scheitern auch alle angeblichen gemeinsamen Rasseninteressen. Das gilt auch innerhalb der Juden. Man stellt jüdischerseits den gegen die Juden erhobenen moralischen Anklagen stets den Einwand von dem besonderen jüdischen Solidaritätsgefühl gegenüber, dass niemals ein Jude den ändern völlig im Stich lasse. Gemeinsame Not führt gewiss die gemeinsam Leidenden zusammen, und unter diesen entsteht dann eine mitunter erhebende Solidarität; das gilt auch von den Juden. Aber die Juden leiden eben nicht immer gemeinsam Not. Und die nicht leidenden Juden vergessen stets und sehr rasch ihr Rasseninteresse, wenn ihr Geldbeutel bei diesem Gedächtnisschwund heftig anschwillt. Wer hat so oft den die Juden ihrer Länder und Ländchen unterdrückenden Fürsten das Thrönchen mit seinen Goldstangen versteift? Die jüdischen Geldkönige. Wer hat den in Judenblut watenden russischen Zarismus 1905 vor dem Untergang errettet und ihm ermöglicht, weiterhin im Judenblut zu waten? Das jüdische Finanzkapital Frankreichs. Niemals ist es dem internationalen jüdischen Finanzkapital eingefallen, unter Risiko seiner Profite seine ungeheure Macht in die Waagschale zu werfen und durch ein kategorisches „Entweder— Oder“ die trostlose Lage der jüdischen Bevölkerung in irgendeinem Lande radikal zu ändern. Klassenunterschiede trennen, Klasseninteressen binden, beides über Meere hinweg. Das gilt für Christen und für Juden. Man schweige also von der sogenannten besonderen Rassensolidarität der Juden. Diese geht jedenfalls stets dann in die Brüche, wenn die Profitrate dadurch ernstlich gefährdet würde. Denn es ist nicht Ausfluss der Rassensolidarität, wenn der reiche Jude häufiger und in großerem Maße als der Christ gegenüber seinen Stammesgenossen Mildtätigkeit übt. Das ist im Gegenteil Ausfluss der Klassensolidarität; denn bis zu einem gewissen Grade repräsentiert eben, wie ich oben sagte, jeder Jude, auch der reiche, gegenüber dem Christen die unterdrückte Klasse. Das Gefühl des gemeinsam Unterdrückten manifestiert sich hierin.

095. Der Alte zum Sohn: Ehrlich währt's am längsten. Deutsche Karikatur. Um 1825
096. Frankfurter Karikatur. Um 1820
— Da liegt der Jude! Lacht ihn aus!
— Do ist nicks zum lachen! Hab ich können in der Luft hangen bleiben?
097. Empfindsame Betrachtung des Mondes. Deutsche Karikatur. Um 1820
Nicht weiß gesotten, nicht plettiert,
Und doch welch magnifiquer Schein?
Ach, mein Gemüt ist ganz gerührt;
Er muss messiv von Silber sein!
098. Jüdische Typen. Nürnberger Karikaturen. Um 1825.
099. Der Börsianer. An Achtel. Wiener Karikatur von Zampis. Um 1830
100. Deutsche Karikatur. Um 1835
T012 Schwärmerischer Blick in die Sonne. Anonyme deutsche Karikatur. 1820
Gotts Wunder, welcher Glanz und Schein;
Das muss ep's rores von Vergilding seyn!
Dieses Kapitel ist Teil des Buches Die Juden in der Karikatur