Die graphische Satire

Wenn es je einen Zweifel darüber geben sollte, dass die satirische Verhöhnung des jüdischen Wesens und Treibens durch die Karikatur der Judensau eine dauernde gewesen sei, d. h., wenn die Meinung auftauchen sollte, dass dies eine satirische Symbolik sei, deren Bedeutung und Wirkung sich auf die Zeit ihrer Entstehung beschränke, so ist dieser Zweifel durch die einfache Tatsache widerlegt, dass diese Form der Judenverspottung auch in der Graphik jahrhundertelang sich wiederholt, nämlich bis ins 19. Jahrhundert hinein. Die graphischen Darstellungen der Judensau sind kulturgeschichtlich gewiss nicht so bedeutsam, wie ihre steingemeißelten Vorbilder an den Wänden der Kirchen und Rathäuser, und zwar deshalb nicht, weil ihnen der gewollt offizielle Charakter und auch die machtvolle Demonstrationsform fehlte. Dessenungeachtet nehmen auch sie einen ganz besonders hervorragenden Rang in der langen Reihe der antijüdischen Karikaturen ein. Dies gilt vor allem von der zuerst erschienenen graphischen Wiedergabe der Judensau.

Im selben Augenblick, in dem die Entwicklung dem satirischen Volksgeist den Holztafeldruck als Waffe in die Hand gab — das war in der zweiten Halfte des 15. Jahrhunderts — in demselben Augenblick nützte er sie nämlich sofort in ganz derselben Weise gegen die Juden aus. So sehr entsprach dieses Motiv der damaligen Stimmung gegen die Juden. Die Wiedergabe der Judensau in der Form eines foliogroßen Einblattdruckes war die erste auf dem Wege des Holzschnittes vervielfältigte Karikatur auf die Juden. Dieses Blatt gehört, wie sich stiltechnisch nachweisen lässt, zu den allerersten Erzeugnissen des deutschen Holzschnittes. Durch einen glücklichen Zufall hat sich ein Druck dieses Blattes erhalten. Ich gebe es hier etwa in zwei Drittel der Originalgröße (siehe Beilage neben S. 8). Der Urheber dieses Blattes ist, wie bei allen Holztafeldrucken dieser Frühzeit nicht bekannt. Was einem an diesem Blatt zuerst in die Augen fällt, ist sein durchaus monumentaler Charakter. Die Bedeutung gerade dieses Blattes ist aber eine mehrfache und nicht auf den monumental-künstlerischen Eindruck beschränkt, so groß dieser auch ist; sie ist auch nicht mit der naturgemäß großen Wichtigkeit im Rahmen der anti-jüdischen Karikatur erschöpft. Dieses Spottblatt repräsentiert uns außerdem unter den erhaltenen frühen Holzschnitt-Einblattdrucken des 15. Jahrhunderts eine der ganz seltenen Profandarstellungen. Fast alle anderen bekannten Holztafeldrucke dieser Frühzeit zeigen rein religiöse Motive. Da ist es denn doppelt interessant, dass eine der wenigen Profandarstellungen aus jener Kulturperiode eine Karikatur ist, dass es eine Karikatur auf die Juden ist, und zugleich die rücksichtsloseste, die wohl überhaupt je in der graphischen Satire gegen die Juden gemacht worden ist. Weil es vor dem Flachholzschnitt, in dem dieses Blatt hergestellt ist, nur noch den sogenannten Schrotdruck als allererste graphische Reproduktionsform gab, und weil in dieser ersten graphischen Technik meines Wissens keinerlei karikaturistische, sondern nur religiöse Darstellungen, Heiligen- und Christusbilder bekannt sind, so ist also die Holzschnittwiedergabe der Judensau zugleich die älteste bekannte graphische Karikatur überhaupt. Das aber bedeutet nichts Geringeres als: Mit diesem Blatt beginnt die lange und in manchen Zeiten so ruhmreiche Geschichte der graphischen Karikatur. Es ist, wie man wohl sagen kann, der würdige Anfang dieses wichtigen Mittels der öffentlichen Kritik, denn dieses Blatt enthüllt in sich alle die Elemente, und alles dies, wie ich schon oben sagte, in monumentaler Große. Auf den für populare Darstellungen damals üblichen Spruchbändern, die sich von den einzelnen Figuren durch das Bild hinziehen, erhalten wir die satirische Moral des Bildes erläutert und bekräftigt. Der links in der Ecke stehende jüdische Weise, anscheinend ein Rabbiner, erklärt: „Wir Juden sollen all ansehen, wie uns mit der Sau ist geschehen.“ Damit wollte der Künstler wohl sagen: Den Juden möge es offenbar werden, wie sie durch diese Darstellung verhöhnt sind. Sehr derb ist der Rat, den der unter dem Schwanz der Riesensau stehende Jude seinem über ihm sitzenden Glaubens- und Volksgenossen gibt. Er soll tüchtig am Schwanz der Sau saugen, dafür will er sich am Hintern vergnügen. Nicht viel feiner ist der Vers, der sich unter dem ganzen Bild hinzieht. Er lautet: „Und dass wir nicht essen Schweinebraten, darum sind wir geil und stinkt uns der Atem.“


Diese graphische Darstellung der Judensau ist nun, wie gesagt, nicht die einzige geblieben, sie ist nur die erste einer langen Reihe. Die nächsten Wiederholungen sind im 16. Jahrhundert erschienen und zwar ebenfalls in der Form von Holzschnitten. Eine dieser Wiederholungen, einen kleinen Wittenberger Holzschnitt, der angeblich das Valkenauersche Marmorrelief am Salzburger Rathausturm wiedergeben soll, was ich aber ernstlich bezweifle, zeigt Bild 16. In der Bilderfolge „Der Juden Badstub“ aus dem Ende des 16. Jahrhunderts begegnet man ebenfalls der Judensau (Bild 40). Ein drittes Mal findet man sie als quartgroßen Holzschnitt auf einem fliegenden Blatt. In der ersten Hälfte des 17. Jahrhunderts erschien die Judensau als foliogroßer Kupferstich. Dieses Blatt, dessen Gesamtcharakter man am treffendsten mit rustikal bezeichnet, ist in der bildlichen Darstellung noch obszöner als die große Holzschnittdarstellung aus dem 15. Jahrhundert, indem die Muttersau ihre Exkremente in den Mund eines hinter ihr knieenden Juden entleert. Auch der Text ist noch obszöner als bei dem großen Holztafeldruck. Er lautet kurz und knapp: „Saug du die Milch, Friss du den Dreck, Das ist doch euer best Geschleck.“ Diesen Rat gibt der im Hintergrund stehende Judenteufel, um dessen Figur diese Darstellung erweitert worden ist. Aus dem 18. Jahrhundert sind mir drei Variationen der Judensau bekannt geworden; alle in der Form von foliogroßen Kupferstichen. Sie sind technisch fortgeschrittener, aber auch im Inhalt „abgerundeter,“ nämlich durch die Hinzufügung einer weiteren Obszönität.

Wie der hinter der Sau knieende Rabbiner den Kot der Sau verschlingt, so ist andererseits die Sau im Begriff einen Haufen Menschenkot zu verschlingen, der vor ihr aufgehäuft ist. Das Interessanteste und Wichtigste an einer dieser Darstellungen der Judensau ist jedoch ein Teil der Inschrift in der oberen Hälfte des Bildes, welche lautet: „Diese Abbildung stehet zu Frankfurt am Mayn am Brückenturm abgemahlt.“ Darnach hätte man also in diesem Kupferstich eine Wiedergabe der oben genannten Frankfurter Judensau aus dem Ende des 15. oder dem Anfang des 16. Jahrhunderts, die im Original seit dem Ausgange des 18. Jahrhunderts ausgetilgt ist. Da dieser Kupferstich gemäß seiner Unterschrift in Frankfurt selbst herausgekommen ist, und weil es in dem Text heißt, diese Abbildung der Judensau befinde sich noch immer am Frankfurter Brückenturm, so ist wohl kaum anzunehmen, dass sich der Kupferstecher prinzipielle Abweichungen von seinem Vorbild angemaßt hat, und die verstärkte Obszönität z. B. auf sein Konto käme. Das wurde also bedeuten, dass die ursprüngliche Frankfurter Darstellung der Judensau die derbste von allen ist, die aus der Zeit des 13. bis 16. Jahrhunderts bekannt sind. (Bild 30.) Die späteste Wiederholung der Judensau, die ich gefunden habe, ist ein Kalenderbild aus den ersten Jahren des 19. Jahrhunderts. Die Verhöhnung beschränkt sich hier darauf, dass die Juden die Milch der Sau trinken (Bild 82).

Ob mit diesen von mir hier aufgeführten und beschriebenen Darstellungen der Judensau sämtliche genannt sind, die als fliegende Blätter oder als Textillustrationen herauskamen, bezweifle ich sehr. Ich bin in der Literatur hin und wieder auf Bemerkungen gestoßen, die auch noch auf andere Variationen hindeuten. Aber ich habe mich bei der Anführung auf jene Darstellungen beschränkt, von denen es mir gelungen ist, die betreffenden Blätter auch im Original aufzufinden. (Vgl. auch Bild 58).

Da ich alle diese hier beschriebenen graphischen Darstellungen der Judensau nicht nur mehrfach in der Literatur erwähnt fand, sondern obendrein von den Stichen aus dem 18. Jahrhundert im Laufe der Jahre mehrere Exemplare zu sehen bekam, so ist auch dadurch ausreichend bewiesen, dass die Darstellung der Judensau dauernd das Allgemeininteresse in Anspruch nahm, d. h. dass dieses Motiv mindestens vier Jahrhunderte hindurch als wichtigstes satirisches Kampfmittel gegen die Juden diente.

Wenn man dies alles im ganzen überblickt, was ich über die Judenhsau als offizielle, öffentlichste und weitestverbreitete aller Judenkarikaturen hier vorgebracht habe, so muss man schließlich dahin kommen, als zusammenfassende Schlussfolgerung zu sagen: Wie mit einem grellen Schlaglicht ist durch diese satirische Symbolisierung des Judentums die ganze trostlose gesellschaftliche Stellung der Juden innerhalb Europas beleuchtet. Wenn es die satirische Kritik wagen durfte, nicht etwa bloß einzelne missratene und darum missliebige Individuen einer bestimmten Bevölkerungsschicht derart zu infamieren, sondern deren uneingeschränkte Gesamtheit in immer erneuten Wiederholungen auf diese zynische Weise dem öffentlichen Spott auszuliefern, so beweist dies drastischer und unwiderleglicher als alles andere, dass diese ganze Volksschicht für jedermann bis zu einem weiten Grad als Freiwild galt. Der Begriff, dass der Jude eigentlich auch ein Mensch sei, war damit für jene Zeiten fast ausgelöscht. Aber auch noch ein anderer Gesichtspunkt muss bei der Bewertung der Judensau erwähnt werden. Und dieser ist: Wenn die Gestaltung dieses Motives auch zu den obszönsten Motiven der ganzen Geschichte der Karikatur zählt, so muss man andererseits doch mit derselben Deutlichkeit hervorheben, dass es sich in diesem Motiv außerdem um eine Karikatur ganz großen Stiles handelt. Es ist wahrhaft weltgeschichtlicher Hohn in monumentalster Gestaltung, der uns aus diesem Motiv entgegentritt.

132. Der Republikaner. Leuchtkugeln, München. 1848
133. Berliner Wahlflugblatt von Emil Cohnfeld. 1848
T016. Wiener Karikatur auf die Emanzipation der Juden. 1848
134. Humoristisch-satirischer Antrag auf Aufhebung des Verbotes vom Schweinefleischgenuss durch die Juden. Frankfurter Karikatur 1848
135. Friedrich Happel. Düsseldorfer Monatshefte. 1851
Dieses Kapitel ist Teil des Buches Die Juden in der Karikatur