Der jüdische Wucherer

Die sämtlichen anti-jüdischen Karikaturen des 15. und 16. Jahrhunderts bleiben sowohl an Kühnheit der Idee, an Brutalität des Spottes als auch an Kraft der künstlerischen Gestaltung ziemlich weit hinter dem großen Holztafeldruck „Die Judensau“ zurück, mit dem die Judenkarikatur ihren Einzug in die graphische Karikatur und die graphische Karikatur ihren würdigen Einzug in die Geschichte hielt. Aber damit ist nur ein Verhältnis ausgedruckt. Sofern man die späteren, die nachfolgenden Judenkarikaturen des 15. und 16. Jahrhunderts am Durchschnitt der volkstümlichen Holzschnittkarikaturen ihrer Epoche misst, muss man ebenso unumwunden anerkennen, dass sie in jeder Weise auf derselben allgemeinen hohen Stufe stehen, die die populäre Kunst damals einnahm, und die in ihrem neuen Ausdrucksmittel, dem Holzschnitt, einen Teil des Herrlichsten schuf, was jemals als Volkskunst den breiten Massen diente. Selbstverständlich fehlt den sämtlichen Judenkarikaturen der Renaissance jede Kompliziertheit der Idee, weil diese eben der ganzen Zeit fehlte. Mit den einfachsten Mitteln wird der einfachste satirische Gedanke ausgedrückt. Nur etwas umständlich sind die meisten dieser Karikaturen; denn die Umständlichkeit im Vortrag einer jeden Sache ist ebenfalls ein Hauptwesenszug jener Zeit. Weil jedermann Zeit hatte, eine lange Predigt anzuhören, so verknüpfte man mit allem eine lange Predigt. Und darum sind zahlreiche dieser Karikaturen mit langen erläuternden Texten, in Reimen oder in Prosa, oder in beiden Formen zugleich, versehen. Der knappe pointierte Witz, der eine ganze Situation durch ein einziges Wort oder durch eine bestimmte konzentrierte Geste jäh und bis in den letzten Winkel aufhellend beleuchtet, diese Form, der wir heute in der Satire den Vorzug geben, ist erst eine Errungenschaft viel späterer Zeiten.

Der augenfälligste Wesensunterschied zwischen der Karikatur „Die Judensau“ und den nach ihr kommenden Judenkarikaturen ist im 15. bis 18. Jahrhundert zuerst ein stofflicher. Während sich die Judensau sozusagen gegen die Juden als Gesamtbegriff wendet, ist die übergroße Mehrzahl aller anderen Karikaturen dieser Jahrhunderte nur gegen irgendeine der Tätigkeiten gerichtet, durch die die Juden ihren christlichen Zeitgenossen mehr oder minder unsymphatisch waren. Unter diesen Tätigkeiten steht selbstverständlich der jüdische Wucher obenan.


Die Mehrzahl dieser gegen den Wucher der Juden gerichteten Karikaturen bedarf im Einzelnen keiner besonderen Erklärung. Man findet diese in ausreichender Weise auf den Bildern selbst, die, wie gesagt, in jenen Zeiten fast immer mit einem erläuternden Text versehen wurden. Sehr oft beschränkt sich die satirische Absicht dieser Bilder überhaupt auf diesen erläuternden Text. An dem kleinen Nürnberger Holzschnitt vom Jahre 1491 (Bild 14) erkennt man gewiss sofort, dass hier ein Bauer und hinter ihm ein Städter zum wuchernden Juden ,,zinsen kommen“. Aber zur Satire wird diese Darstellung erst durch den beigefügten langen Text, der darin pointiert, dass es die Christen den Juden ermöglichen, „ohne alle Arbeit mit ganzer Faulheit sich zu nähren“. Das Bild „Der Jüd“, das der Bilderfolge „Die Stände“ von Jost Amman entstammt, ist an sich nur in sofern karikaturistisch, als der jüdische Typ bei der hier versammelten Judengemeinschaft deutlich hervorgehoben ist. Aber vom gewollten Sinn erkennt man aus der Zeichnung nichts; es konnte sich um irgendeine beliebige Disputation zwischen Juden untereinander handeln. Erst durch den Text erfährt man, dass damit die mitleidslos wuchernden Juden satirisiert werden sollen (Bild 19). Im Zusammenhang mit dieser Darstellung sei auch auf den Geldnarren aus derselben Bilderfolge „Die Stände“ verwiesen. Hier handelt es sich nicht direkt um eine Karikatur auf die Juden, sondern vielmehr um eine Karikatur auf jene Christen, die es den Juden im Wuchern gleichtun. Das nannte man damals „mit dem Judenspieß laufen“ (Bild 22). Da den Christen, wie ich im 3. Kapitel anführte, das Wuchern, d. h. das Zinsnehmen, verboten war, übten sie dieses verlockende Geschäft meist heimlich. Dieses heimliche Wuchern der Christen satirisiert sehr derb eine Broschüre „Der Judenspieß bin ich genannt“ aus Straßburg vom Jahre 1541. Auf dem Titel heißt es über das vom Verfasser verfolgte Ziel:

„Von großen Juden ich sagen will,
Die Schad dem Land tun in der Still“.

Diese großen Juden sind zumeist Christen, die noch höhere Prozente nehmen als die Juden (Bild 13).

Ein klassisches Beispiel für die Umständlichkeit, mit der man im 15. Jahrhundert eine satirische Moral vortrug, ist ein großer Holztafeldruck gegen den jüdischen Wucher, der als Fliegendes Blatt verbreitet wurde und wohl nur wenige Jahre später als der Holztafeldruck „Die Judensau“ erschienen sein durfte. Auf diesem Fliegenden Blatt kommt die beigefügte Illustration erst in zweiter Linie. Das Wichtigste ist der (ebenfalls in Holz geschnittene) Text, in dem umständlich nachgewiesen wird, wie viel der christliche Borger dem jüdischen Darleiher im Laufe der Jahre für einen einzigen entlehnten Gulden entrichten muss. Die satirische Moral des Ganzen lautet: „Der Jud stellt seine Sinne Nacht und Tag, Wie er den Christen verderben mag“. Aber nicht nur einen deutschen Text, sondern zugleich auch noch einen langen lateinischen Text ähnlichen Inhalts bietet dieses einzigartige Flugblatt gegen den Judenwucher. An diesem lateinischen Text erkennt man, dass es in erster Linie an die Gebildeten gerichtet war. (Siehe Beilage neben S. 16.)

Im 16. Jahrhundert entstand eine Form des Satirisierens einer Sache, die schließlich noch deutlicher die damalige Umständlichkeit im Vortrage einer satirischen Moral demonstriert. Es ist das Motiv „von der Juden Badstub“. Dieses Motiv knüpft an den damaligen allgemeinen Gebrauch der Badestuben. In den Badestuben, die jedermann von Zeit zu Zeit aufsuchte, wird man gewaschen, gestriegelt, gezwackt, geknetet, geschröpft usw., damit die sämtlichen schädlichen Stoffe aus dem Körper durch die Künste des Baders ausgeschieden werden. An diese gewiss sehr hygienische Tugend knüpfte die Satire mehrfach an, um in der verschiedenfachen Tätigkeit des Baders irgendeinen umständlichen Vorgang aus dem öffentlichen Leben zu symbolisieren. Und so wurde auf diese Weise auch das gesamte Tun und Treiben der Juden, vornehmlich der jüdische Wucher, satirisch symbolisiert. Diese Symboliken nannte man „der Juden Badstub.“ Bald war bei diesen Darstellungen der Text (Bild 12), bald die bildliche Illustration des Vorganges die Hauptsache. Jedenfalls verzichtete man niemals auf das Bild. Mit gutem Grund, denn das Bild ist immer die Sprache der Analphabeten gewesen. Wo die große Mehrheit der Bevölkerung zu den Analphabeten zählt, haben nicht illustrierte Flugschriften immer nur auf sehr eng begrenzte Kreise gewirkt, und bis tief ins 17. Jahrhundert gehörte die große Masse der Bevölkerung zu den Analphabeten. Wer deshalb z. B. den Text an der großen Bilderfolge „Der Juden Badstub“ (Bild 24—41), die wohl eine der populärsten der damaligen Flugschriften gegen die Juden darstellte, nicht lesen konnte, der konnte sich den satirischen Gedanken auch aus den Bildern herausbuchstabieren. Denn deren Symbolik war eine den meisten geläufige Sprache. Die Vorgänge in der Badstube kannte jeder aus persönlichem Erleben; und dass es Juden sind, die hier in der Rolle des Baders tätig sind, das sah man auf den ersten Blick an dem sogenannten Judenring, den damals jeder Jude an seiner Kleidung tragen musste.

Dass die Briefmaler des 16. Jahrhunderts — so nannte man damals auch die Karikaturisten ; denn einen Brief, eine Zeitung wollten sie mit ihren Bildwerken in die Welt hinaussenden — mit ihren satirischen Einblattdrucken oder Fliegenden Blättern zumeist an alle Schichten der Bevolkerung sich wandten, also nicht nur an begrenzte Kreise, das unterliegt schon deshalb keinem Zweifel, weil sie es sehr oft direkt an die Spitze einer Flugschrift schrieben, dass sie ,,An Alle“ gerichtet ist. Ein Flugblatt, das sich gegen „Die Schalkheit“ der Juden, also gegen ihre Unredlichkeit und Durchtriebenheit in allen Geldsachen richtete, und in dem der Jude Josel von Rosheim so zuzagen zum Wortführer dieser jüdischen Schalkheit gemacht wird, beginnt mit den Worten: „Hört ihr Herren allgemein, Arm, reich, groß und klein“ (Bild 11). Bezüglich dieses Juden Josel, genannt Gosel, der auf diesem Flugblatt in eigener Person dargestellt wird, und zwar wie er mit dem Talmud und einem vollen Geldbeutel in den Händen vor einer Säule mit dem goldenen Kalb steht, mag erwähnt sein, dass er in Wirklichkeit wahrscheinlich eine sehr achtbare Persönlichkeit war. Er galt während der ersten Hälfte des 16. Jahrhunderts gewissermaßen als das Oberhaupt der deutschen Judenschaft und hat unter seinen Volksgenossen energisch gegen deren Missbrauche beim Wucher usw. gepredigt. Weil er aber gleichzeitig für seine Volksgenossen eintrat, so wurden die Angriffe, die den Juden als Typus galten, eben auch auf ihn ausgedehnt.

Im Zeitalter des entwickelten fürstlichen Absolutismus, also von der Mitte des 17. Jahrhunderts an, wurden die Dinge wesentlich anders. In dieser Zeit hatte das niedere Volk bekanntlich rein gar nichts mehr zu sagen. Ganz von selbst wandte sich deshalb die Karikatur von nun ab auch ausschließlich an die besitzenden, d. h. an die regierenden Klassen. Diese Tatsache wird schon ganz deutlich durch die veränderte Technik belegt, die jetzt bei den meisten Karikaturen zur Anwendung kam. Der Kupferstich, der in dieser Zeit zumeist an die Stelle des immer mehr verschwindenden und darum auch sichtlich verkommenden Holzschnittes trat, ist ein erheblich teureres Verfahren und lässt auch nur wesentlich kleinere Auflagen zu. Aber auch die Verschiebung im Stofflichen belegt die veränderte Situation, dass der Karikaturist mit seinen Wirkungen jetzt vorwiegend auf die oberen Kreise der damaligen Gesellschaft rechnet. Dass der Bauer und der kleine Handwerker sein Hab und Gut durch den Judenwucher verlor, war zwar nach wie vor in gleicher Weise der Fall, aber es interessierte die sogenannte öffentliche Meinung nicht mehr in dem Maße wie früher. Umso mehr interessiert jetzt, wie der Jude gegenüber dem ihm Geld schuldigen Adligen am Verfallstag auf seinem Schein beharrt; oder wie er diesem selbst das Hemd vom Leibe zieht, weil er die schuldigen Zinsen nicht bezahlen kann. Solche Situationen zeigen mit Vorliebe die Karikaturen, die im 18. Jahrhundert auf den Wucher der Juden gezeichnet werden. Belege hierfür sind das Kartenblatt „Der Jude“ (Bild 55) und die künstlerisch ausgezeichnete Radierung von Reinhard aus dem Jahre 1785: „Die kritische Viertelstunde des Rabelais“, die uns zwei typische Hebräer zeigt, von denen der eine einem ihnen begegnenden Adligen den vermutlich längst verfallenen Schuldschein vorweist (Bild 59). Da übrigens der leichtlebige Hofadel des Ancien Regime immer in Geldnöten sich befand, so war er freilich auch jetzt ein sehr häufiger Kunde des Geldjuden. Andererseits machte der jüdische Wucherer besonders gern mit dem Adel Geschäfte. Hier ließen sich die höchsten Zinsen nehmen. Der junge Adelsspross, der in Saus und Braus lebte, wollte doch in Allem Gentleman sein, also handelte er gar nicht lange, wenn der Jude eine hohe Zinsforderung stellte. Die Hauptsache war ihm, das gewünschte Geld zu bekommen. Für den geldleihenden Juden boten sich beim Adel außerdem mannigfache Sicherheiten für das zu leihende Kapital, wie sie nirgends sonstwo so groß und so vorteilhaft waren: Grundbesitz, Verwandtschaft, alter Adel, der verpflichtet ist, unter allen Umständen einen Skandal zu vermeiden, usw. Je mehr aber die Umwandlung des Landadels zum Hofadel vor sich ging, und je häufiger der Adel vom Land nach der Stadt zog — und das war der vom Ausgang des 17. Jahrhunderts an sich vollziehende wirtschaftliche Prozess, — um so nötiger und in um so größerem Umfange brauchte er bar Geld. Der geldbedürftige Hofadel war im 18. Jahrhundert überall eine typische Erscheinung, vor allem aber in Frankreich und in England. Den klaren Spiegel dieser wirtschaftlichen Umwandlung sehen wir in der Judenkarikatur der beiden Länder dieser Zeit, vornehmlich in der Englands, wo infolge er großeren bürgerlichen Freiheiten die Karikatur damals eine Rolle spielte, wie nirgends sonstwo und wie kaum früher einmal in der Welt. Derjenige englische Karikaturist, der die meisten derartigen Karikaturen zeichnete, war der geniale Thomas Rowlandson, der besser als alle anderen, weil aus eigenster Erfahrung, diese Zustände kannte. Rowlandson lebte und verkehrte selbst in den Kreisen des lebenslustigen englischen Adels, der kein höheres Lebensziel kannte, als seinen Besitz und seine Kräfte mit Sport, Spiel und Weibern zu vergeuden. In diesen Kreisen war der geldleihende Jude ein oft erbetener Gast, und so schrieb Rowlandson in seinen Bildern nur die von ihm erlebte Wirklichkeit ab (Bild 66). Rowlandson kannte die Juden in allen ihren besonderen Typen aufs Genaueste. Er kannte den Kleiderjuden, der um eine zerrissene Hose schachert (Bild 63), so genau wie den jüdischen Elegant, der zu geizig ist, sich mehr als zwei Hemden zu kaufen, und der deshalb das eine Hemd immer sofort zur Wäsche tragen muss, sowie er es mit dem anderen vertauscht hatte (Bild 68). Er kannte die jüdischen Börsenbesucher, die ununterbrochen ihre Kombinationen über die Konjunktur diskutierten (Bild 65), und er kannte ebensogut den charakteristischen Typ des Börsenmaklers, dem auch mancher seiner adligen Kneipkumpane heimlich einen Börsenauftrag gab, sei es, um eine günstige Situation zu nützen, oder um sich durch ein erfolgreiches Differenzgeschäft aus dem ,,Schlamassel“ zu retten. (Siehe Beilage neben S. VIII). Er kannte aber auch das intime Leben Salomons; das war der Name eines großen Londoner Bankhauses und zugleich der Sammelname für den geldleihenden Juden in jenen Kreisen. Rowlandson wusste — zum mindesten behauptete er es — , dass sich Salomon und seine Kollegen von der Wucherzunft hin und wieder im stillen Hinterzimmer seines Geschäftslokals am Dukes Place an dem Genuss eines gebratenen und bekanntlich gar nicht koscheren Spanferkels gütlich taten (Bild 67), und er wusste weiter, dass Salomon alles andere, nur kein Verächter von prallem und frischem Christenfleisch war, wenn es ihm in Gestalt von liebesbereiten Christenmädchen gegen honette Bezahlung zur Verfügung stand. (Bild 69). Mit der satirischen Offenbarung dieser Intimitäten quittierte Rowlandson die hohen Zinsen, die er selbst so manches Mal an den Salomon zahlen musste, wenn er beim Spiel mehr verloren, als ihm seine Kunst eingetragen hatte.

Weil die Geldleihe und damit die Rolle der Juden in der damaligen englischen Gesellschaft eine so hervorstechende ist, so begegnen wir dem Juden in jener Zeit natürlich bei allen englischen Karikaturisten, wenn auch nicht so häufig wie bei Rowlandson. Hogarth satirisiert den als Wucherer bekannten Bankier Salomon in dem zweiten Blatt seiner berühmten Serie ,,Der Weg der Buhlerin“ — Salomon ist bei Hogarth der durch einen jüngeren Hausfreund düpierte zahlende Liebhaber. Isaac Cruicshanc, Bobins, Newton, Woodward und alle, die sich damals in der englischen Karikatur der gesellschaftlichen Satire widmeten, zeichneten den jüdischen Wucherer, den jüdischen Geizhals, den Borsianer, den jüdischen Mädchenhändler usw. (Bild 61, 62, 70, 72 und die Beilagen ,,Die Londoner Börse beim Eintreffen schlechter Nachrichten“. Neben S. 56 u. 64.) —

Die Geldleihe ist immer die direkteste Form des jüdischen Wuchers gewesen. Aber es ist diejenige Form des Wuchers, unter der immer nur vereinzelte Personen oder Familien zu leiden haben. Ein freilich nur sehr bedingt richtiges Sprichwort lautet: „Wer spart, hält sich den Juden vom Hals“, das soll heißen: der Sparer braucht sich kein Geld beim jüdischen Wucherer zu leihen, und kommt darum nicht in des Teufels Küche, wie ein anderes Sprichwort sagt. Aber es gab früher noch eine andere Form des jüdischen Wuchers, der sich niemand entziehen konnte, der jeden Einzelnen in die Krallen der Juden brachte, und das war der Wucher mit Lebensmitteln, vorwiegend der mit Getreide. Zum Handel mit Korn wurde der Jude durch die äußeren Umstände seines Lebens gelenkt. Die gerade um jene Zeit von den städtischen Obrigkeiten gegen die Juden erlassenen Wohnungsbeschränkungen und Verbote vertrieben die Juden in immer häufigeren Fällen von der Stadt auf das Land. Tausende von Juden mussten in die Dörfer ziehen, weil sie in der Stadt nicht mehr wohnen durften. So entstanden die bekannten zahlreichen Judendörfer. Damit aber kam das flache Land ganz automatisch in immer größerem Umfang in die Hände der Juden. Indem aber der Jude das flache Land materiell beherrschte, beherrschte er durch seine Preisfestsetzungen auch die Stadt. Als Träger des mobilen Kapitals auf das flache Land geschleudert, wurde er sofort und dauernd zum selbstverständlichen und unausschaltbaren Vermittler der Handelsbeziehungen zwischen Dorf und Stadt, und umgekehrt. Diese Rolle wurde von um so größerer Bedeutung, als sich damals auch die immer schroffere Scheidung der Stadt vom Dorf vollzog. In der Stadt nahm die Zahl der Ackerbürger ab; die Stadt wurde in immer bescheidenerem Maße Selbstversorger, und ihre Lebensmittelbedürfnisse wurden immer mehr auf dem Wege des Handels gedeckt. Da dieser aber ganz in den Händen der Juden lag, so war damit die gesamte städtische Bevölkerung in den Händen der Juden. Die Städter wurden mit ihren eigenen Waffen verprügelt. Der Jude als alles aufkaufender Händler konnte die ländlichen Produkte zu den Terminen an die Stadt weiter verkaufen und liefern, die seinen Interessen entsprachen, und er konnte bis zu einem gewissen Grade auch solche Preise fordern, die ihm passten. Diese Situation machte den Kornhandel ohne weiteres zum Kornwucher. Der Jude hielt, soweit es irgend ging, mit dem Verkauf des Getreides immer so lange zurück, bis ein starkes Bedürfnis in den Städten vorhanden war, denn dann konnte er stets die höchsten Preise erzielen. Dem Bauern dagegen kaufte er sehr oft das Getreide schon ab, wenn es noch auf dem Halme stand, und dann eben billiger, weil der Bauer in den meisten Fällen Geld brauchte und damit nicht bis zur Ernte warten konnte.

In jenen Zeiten, wo es im Kornhandel noch keinen über ganze Länder, geschweige denn über die ganze Welt ausgedehnten Handel gab, und wo man infolgedessen nicht ohne weiteres den Ausfall des einen Gebietes durch den Überfluss des andern ausgleichen konnte, musste eine solche Situation bei dem natürlichen Wechsel in dem jeweiligen Ernteertrag schon in normalen Zeiten zu häufigen Störungen in der Ernährung führen, und vor allem zu manigfachen Preisschwankungen. In den Jahren einer Missernte musste es geradezu zu schweren Hungersnöten kommen. Wenn nun ein solcher Fall eintrat, so erblickte die Bevölkerung in den Kornhandel treibenden Juden stets die Hauptschuldigen, wenn nicht gar die Alleinschuldigen ihrer Nöte. Die Gründe, womit die gegen die Juden erhobenen Anklagen gestützt wurden, lagen auf der Hand. Man sah, dass die Kornhandel treibenden Juden die Schwierigkeiten der Ernährung so viel als sie konnten zu ihrem Vorteil nutzten, dass sie mit ihren Vorräten so lang als möglich zurückhielten, dass sie ihre Getreidespeicher nicht selten erst im letzten Augenblick öffneten, und dass hierdurch die Preise immer mehr in die Höhe gingen. Das nach Brot schreiende Volk erkannte in dieser Methode selbstverständlich nicht das Gesetz des Kapitalismus, der immer in dieser Weise verfährt, und um kein Haarbreit anders, wenn er in den Händen von Christen sich auswirkt.

Weil es dieses Gesetz nicht erkannte, so stempelte es den Kornjuden zum individuellen Verbrecher an der Gesamtheit. Und dementsprechend formulierte es seine Anklagen gegen ihn. Da das Volk unter dem Kornwucher tatsächlich in seiner Gesamtheit und am schwersten zu leiden hatte, so zählten die satirischen Anklagen gegen den Kornwucher der Juden zu den heftigsten und zugleich zu den häufigsten, die gegen die Juden erhoben wurden. Immer und immer wieder und in allen Ländern begegnet man ihnen. Der wuchernde Kornjude, der dem Volk das Korn wegschleppt, oder der wie ein Teufel auf den Kornsacken sitzt, ist eine stereotype Figur in der Judenkarikatur. Der Teufel als Symbol alles Schlechten ist auch in diesem Fall des Juden steter Bundesgenosse: der Teufel lenkt die Gäule an den mit Kornsäcken beladenen Wagen, auf denen der Jude das Getreide von den Bauern abholt; der Teufel schaufelt das gehamsterte Getreide in die Speicher der Juden; der Teufel leitet aber auch das Fuhrwerk, mit dem der wuchernde Jude in rasendem Tempo direkt in des Teufels Rachen kutschiert. Auf diese Weise charakterisiert und geißelt die Karikatur den jüdischen Kornwucher. Da der Jude aber nicht nur mit Korn, mit Weizen, Roggen, Hafer und Gerste wuchert, sondern auch mit Wein und Branntwein, „aller Wein des Landes muss in der Juden Fass und durch der Juden Fass“, so wird er zumeist als Korn- und Weinjud zugleich angegriffen. In dieser Gestalt zeigt ihn das Blatt „Der Geiz- und Wucherspiegel“ (Bild 44) und die große Beilage „Der Korn- und Weinjud“, von der im Laufe des 17. Jahrhunderts mehrere Variationen erschienen sind (neben S. 32). Was das durch Klarheit, Einfachheit und Prägnanz sich auszeichnende 16. Jahrhundert in einem halben Dutzend verschiedener Karikaturen den Massen demonstriert hatte, das vereinigt das 17. Jahrhundert, wie man an diesen Proben sieht, in einem einzigen Blatt. Es ist nicht mehr alles in einem einzigen Symbol gefasst, sondern in Dutzende verteilt, sodass ein Fliegendes Blatt, wie das vom Korn- und Weinjuden, zu einem ausführlichen Kommentar alles jüdischen Handelns und Treibens wird. Was dem Karikaturisten über die Juden irgendwie einfällt, wird in Form einer zeichnerischen Glosse in solch ein Bild hineingepackt: Der jüdische Geiz, die jüdische Hartherzigkeit, die jüdische Unehrlichkeit, der jüdische Wucher in allen Formen usw. Da die künstlerische Potenz in Deutschland um jene Zeit fast ganz erloschen und die Kraft zu großstiliger Prägung erlahmt war, so verdrängte das bildlich-literarische vollkommen alles plastisch Anschauliche. Freilich wird man wohl auch sagen müssen, dass diese Form des Vortrags die propagandistische Wirkung der Karikatur wahrscheinlich sehr eindringlich machte. An solchen Blättern, in denen wir die erste Form der späteren volkstümlichen Bilderbögen vor uns haben, konnte der einfältige Sinn des Volkes immer wieder von neuem herumspintisieren; sie boten ihm stets irgendeine neue Anregung, und darum wurde die Zeit nicht müde, dieselben Blätter immer wieder von neuem herauszugeben.

136. Düsseldorfer Monatshefte. 1848
„Wai geschrieen, Joel, was hast de gemacht mit dein Bart?!“
„As mer doch soll wern emancipiert am ganzen Laib, hob' derweil emancipiert mei Gesicht!“ —
137. F. Schröder. Düsseldorfer Monatshefte. 1850
138. Ersparnis. Karl Ritter. Düsseldorfer Monatshefte. 1850
139. Unter Glaubensgenossen. L. Knaus Dusseldorfer Monatshefte
— „Herschl wenn ich dich seh, is mer als wenn ich seh ne ganze Jagd. Hersch heißte, in der Jagerstraße wohnste, wie'n Fuchs siehste aus und e Hund bist de.“
— Wai mir! Bin ich e Hund, bin ich doch nicht dein Hund, sonst war ich ja en Schweinehünd.“
140. Beck. Düsseldorfer Monatshefte
— Ätte, ich hab dich eingekauft in de Begräbniskasse für 2 Thaler, nu kannst de nausfahre, wenn de gestorbe bist.
— Au wai, seind se doch weggeworfen de 2 Thaler, de waißt ja, dass ich's Fahren nit vertragen kann.
141. Auf dem Dampfboot. Fliegende Blätter. 1846
142. Was ist eitel? Fliegende Blätter. 1850
143. Der Unterricht. Fliegende Blätter
144. Börsenspekulanten. Fliegende Blätter. 1851
— Herr Baron, der Bub stiehlt Ihnen Ihr Sacktuch!
— Lassen sen geihn, mer hab'n aach klein angefangen.
145. Düsseldorfer Monatshefte. 1851
146. H. Ritter. Düsseldorfer Monatshefte
— Salomon, Salomon! muss nicht dein Schandwucher, 9 Prozent zu nehmen, selbst den lieben Gott ärgerlich machen?
— Was wird er werden ärgerlich, sieht doch die 9 von oben oben gesehen grad aus wie a 6. —
147. Heyden. Geschäftsfreunde. 1859
148. Bürgerlich und romantisch. Fliegende Blätter
146. H. Ritter. Düsseldorfer Monatshefte
— Salomon, Salomon! muss nicht dein Schandwucher, 9 Prozent zu nehmen, selbst den lieben Gott ärgerlich machen?
— Was wird er werden ärgerlich, sieht doch die 9 von oben oben gesehen grad aus wie a 6. —
147. Heyden. Geschäftsfreunde. 1859
148. Bürgerlich und romantisch. Fliegende Blätter
149. Sehr warscheinlich. Fliegende Blätter
150. Schnadahüpfeln. Fliegende Blatter. 1851
Vivat Ordnung und Freiheit!
Und März-Errungenschaft, —
So sing i allewei, seit
I bin in der Gesellschaft!
T017. Der wandernde Ewige Jude. Farbiger Holzschnitt von Gustave Doré. 1852
Dieses Kapitel ist Teil des Buches Die Juden in der Karikatur