Der Jude als Soldat

Von den Tugenden, die man dem Juden immer absprach, steht an erster Stelle der persönliche Mut gegenüber körperlichen Gefahren. Man beschimpfte ihn ebenso oft als feig und behauptete: jeder Jude huldige mehr oder weniger dem in seiner Richtigkeit gewiss nicht zu bestreitenden Satz: „Möglichst weit vom Schuss ist der Vorsicht bester Teil“. Und weiter sagte und witzelte man: ,,der Jude könne überhaupt das Schießen nicht ertragen“. Wie weit diese Charakteristik zutrifft, ist eine noch unentschiedene Frage. Dass es eine Form des Mutes gibt, die viel bewundernswerter ist als der höchste physische Mut, brauche ich hier nicht erst zu beweisen.

Was dagegen nicht unangebracht ist, hier hervorzuheben, ist die Tatsache, dass physischer Mut bis zu einem gewissen Grad ein Gefühl des individuellen Selbstbewusstseins voraussetzt. Wer sich absolut recht- und schutzlos weiß, ist an sich ganz naturgemäß mutlos. Er ist jedenfalls eher frech als mutig. Auf diese Weise erklärt sich auch die sogenannte jüdische ,,Chuzbe“, die alles in sich birgt, was Mut sein könnte, aber doch eine ins Niedrige sich senkende Abart des Mutes ist. Weil der wirkliche, der stolze Mut, als Massenerscheinung ein Gefühl des individuellen Selbstbewusstseins voraussetzt, darum ließe sich wahrscheinlich zum mindesten das eine erweisen, dass nämlich heute der physische Mut der Juden ein ungleich größerer sein dürfte als zu Zeiten ihrer völligen bürgerlichen Rechtlosigkeit. Oder was ein allgemeiner und nicht nur hinsichtlich der Juden sehr beachtlicher Gesichtspunkt ist, dass nicht nur der physische Mut, sondern jede Art Mut stets im selben Verhältnis positiv oder negativ ist, in dem das Einzelindividuum, eine Klasse, oder eine ganze Volksschicht über das Recht auf Selbstbewusstsein im Rahmen der Allgemeinheit verfügt.


An sich entspricht dem Überwiegen des Intellektualismus bei einem Individuum ganz von selbst ein natürlicher Abscheu gegen alle physischen Formen der Beweisführung und darum auch ein Ausweichen, wenn es zu solchen zu kommen droht. Da die Juden, wie ich weiter oben nachgewiesen habe, in ihrer Gesamtheit unbedingt intellektualistischer sind als z. B. wir Nordländer, so würde dem auch ein allgemeiner Abscheu gegenüber allen gewalttätigen Handlungen entsprechen. Dieser Schlussfolgerung stehen jedoch zahlreiche verbürgte Beobachtungen des Weltkrieges und der Revolution entgegen. Diese beweisen, dass Tausende von Juden dieselbe Summe persönlichen Mutes gegenüber physischen Gefahren aufbrachten wie ihre nichtjüdischen Kameraden. Von hervorstechenden Einzelbeispielen seien nur die folgenden genannt. Die russischen Rotarmisten behaupten, dass es in der ganzen Sowjetarmee keinen mutigeren Soldaten gäbe als ihren jüdischen Oberbefehlshaber Trotzki. Auch von dem ungarischen Juden Bela Khun steht es fest, dass er ein überaus kühner Heerführer ist. Der sowjetische Generalstab hat ihn während des Bürgerkrieges mehrfach an solche Stellen kommandiert, wo vom persönlichen Mute des Führers und seiner Kühnheit die Rettung aus der größten Gefahr abhing. Unter diesen Umständen wäre also der stärkere Intellektualismus jedenfalls nicht ohne weiteres mit physischer Feigheit zu übersetzen. Denn bei einem Mann wie Trotzki würde sich mit höchstem physischen Mut der höchste Intellektualismus paaren; selten hat sich ein Staatsmann geistig beherrschender erwiesen als Trotzki in Brest-Litowsk. Wenn es außerdem wahr sein sollte, was die Antisemiten so fest behaupten: dass der kühne napoleonische General Massena ein Jude gewesen ist, und ursprünglich Manasse hieß, so wäre schon durch diese wenigen Beispiele hinreichend erwiesen, dass kühnes, zur Selbstaufopferung bereites Heldentum nicht unbedingt die christliche Geburt voraussetzt.

Aber es gibt sicher auch sehr viel Fälle, wo in diesem Punkte der Schein unbedingt gegen die Juden spricht. Und da die Karikatur, wenn sie im Dienst einer Tendenz steht, gar nicht gerecht sein will, so nimmt sie stets den Schein für die Wirklichkeit, wenn dieser Schein in ihr Programm passt. Das erklärt die zahlreichen Karikaturen auf die angeblich typische Feigheit der Juden und vor allem auf die angeblich besonders typische Scheu der Juden vor dem Soldatwerden. Zu solchen Karikaturen kam es zuerst im 18. Jahrhundert und anscheinend am frühesten in Österreich, weil dort die Juden zuerst zum Militärdienst gezwungen wurden und das sich Loskaufen vom Militärdienst aufgehoben worden war. Die besten dieser österreichischen Karikaturen auf die Juden als Soldaten stammen von dem damals populärsten Wiener Karikaturisten, dem Kupferstecher Johann Löschenkohl. Sie sind sehr amüsant, vor allem der große Stich, den ich als Beilage gebe. Zum besseren Verständnis sind diese Stiche stets mit Versen versehen. Bei Bild 57 sind diese sogar die Hauptsache. Da die große französische Revolution unter der Gleichberechtigung, die sie den Juden verlieh, selbstverständlich auch die Pflicht zum Militärdienst verstand und da manche französische Juden auf diese Beigabe lieber verzichtet hätten, so entstanden in der französischen Revolution einige Karikaturen auf den Jud als Soldat contre coeur. Auf der einen sieht man einen Juden, wie er mit der einen Hand begehrlich nach dem Bürgerbrief greift, den ihm die Republik überreicht, mit der anderen Hand aber weist er gleichzeitig ganz ängstlich eine Muskete von sich, die ihm zugleich mit dem Bürgerbrief übergeben werden soll. In Deutschland kam es in den zwanziger und dreißiger Jahren des verflossenen Jahrhunderts zu einer ganzen Legion von Karikaturen auf den Widerwillen der Juden gegen den Militärdienst. Einige der besten gebe ich in den Bildern 103—106. Da ich im weiteren Verlauf dieses Buches nicht mehr in einem gesonderten Abschnitt auf den Juden als Soldaten zu sprechen komme, so möchte ich schon an dieser Stelle bemerken, dass unter den zahllosen Witzblattillustrationen der internationalen Witzblattpresse des 19. und 20. Jahrhunderts ebenfalls sehr häufig das Motiv vom Juden im Militärdienst in allen möglichen Variationen wiederkehrt.

160. Karikatur auf die Mitleidslosigkeit der jüdischen Wucherer
Vorgethan und nachbedacht hat manchen um Geld und Gut gebracht
161. Berliner Börse. Bremse, München
162. An die Frankfurter Bankiers. Punsch, München. 1868
Dieses Kapitel ist Teil des Buches Die Juden in der Karikatur