Der Hofjude

Die Institution des Hofjuden, des persönlichen Finanzvertrauensmannes des regierenden Fürsten, die ihre höchste Blüte im 18. Jahrhundert erlangte, so dass es um jene Zeit nur sehr wenige europäische Höfe ohne einen oder mehrere Hofjuden gab, hat bei dem Volke immer Hass und Feindschaft ausgelöst. Diese Feindschaft war an sich schon in dem Widerwillen der Völker gegen das absolute Regiment begründet, dessen wichtigster Handlanger der Hofjude war. Dazu gesellte sich, dass — wie immer — auch in diesem Fall der Vollstrecker mehr gehasst wird als der Urheber. Was im Wesen des fürstlichen Absolutismus von vornherein begründet ist: willkürliche Steuererhebung, Münzverschlechterung, Ämterverkauf, Dienstwucher und ähnliche finanzpolitische Gaunereien, alles das wurde zumeist den jeweiligen Hofjuden von der Öffentlichkeit als persönliche Schuld angerechnet, während sie doch immer nur die Erfüller der Wünsche ihrer Brotherren waren. Womit natürlich nicht bestritten ist, dass die Hofjuden bei der Erfüllung der ihnen überwiesenen Aufgabe, die fürstliche Hofkasse tagtäglich aufzufüllen, in fast allen Fällen auch der Füllung der eigenen Kasse nicht vergaßen, sondern dieses mit größtem Eifer und mit immer glänzendem Erfolg taten.

Freilich: gerade das letztere sahen die Massen. Denn das war ja das Augenfälligste für sie, dass der Hofjude von Tag zu Tag hielt, dass er sich die schönsten Paläste kaufte, prunkvolle Feste gab, und dass niemand zu einem Posten und zu seinem Recht kam, der nicht den Beistand des Hofjuden zu erringen vermochte. Oder in einem Vergleich: das Volk in seiner Masse, das damals sehr wenig oder meistens überhaupt nicht an die dem System entspringenden Zusammenhänge dachte, sah in erster Linie den, der das Metzgerhandwerk an ihm auszuüben hatte, und das war in der Finanzwirtschaft der Hofjude. Und deshalb fluchten sie ihm und machten ihn zum mindesten für die jeweiligen Methoden ihrer Auswucherung verantwortlich.


Diese überall gleiche Stimmung der Bevölkerung gegenüber den Hofjuden zeitigte zahlreiche Karikaturen und literarische Satiren auf sie. Da aber die Hofjuden in jedem Lande allmächtig waren, und vor allem in der Justiz ihr gefügigstes Werkzeug besaßen — denn Richterstellen konnte man gemäß des Amterverkaufs damals häufig nur durch sie erlangen — , so war ein öffentlicher Angriff ihrer Person oder ihrer Tätigkeit ebenso gefährlich und deshalb auch ebenso selten, wie ein solcher Angriff auf den regierenden Fürsten. Was darum an gezeichneten oder literarischen Pamphleten gegen die Hofjuden gemacht wurde, konnte nur heimlich erscheinen, und das meiste kursierte sogar nur handschriftlich. Aus diesem Grunde sind auch die meisten dieser Produkte fast restlos verlorengegangen, so dass man von ihrer ehemaligen Existenz nur aus vereinzelten zeitgenössischen Berichten in Briefen und Tagebüchern etwas erfährt. Öffentlich und durch den Druck konnten solche Angriffe im günstigsten Falle nur nach dem etwaigen Sturz eines Hofjuden herauskommen. Dieser Fall lag bei dem berühmtesten aller Hofjuden vor, bei dem Juden Süß-Oppenheimer, dem vielverlästerten Hofjuden des Herzogs Karl Alexander von Württemberg. Süß-Oppenheimer war sicher kein Musterbild der Ehrlichkeit und der selbstlosen Aufopferung im Dienste seines schwäbischen Herrn. Er hat als geheimer Finanzrat die eigenen Taschen reichlich gefüllt, und er hat die ihm verliehene Macht weidlich missbraucht zu Gunsten seiner eigenen Interessen. Auch sein sittlicher Lebenswandel war nicht gerade vorbildlich. Er liebte die schwelgerischen Freuden der Tafel, er liebte die Genüsse der Venus, auch wenn die Spenderinnen nicht koscher waren; er liebte den Luxus in jeder Gestalt und ganz besonders in allen Formen des öffentlichen Auftretens. Wenn er ausfuhr, so geschah dies stets im kostbaren Galawagen und begleitet von Vorreitern und zahlreicher Dienerschaft. Sein Machtgefühl veranlasste ihn, von alledem der Öffentlichkeit nichts zu verheimlichen. Also alles in allem: der Jud Süß war kein Mustermensch und kein Musterjud. Sein endliches Schicksal, dass er nach dem plötzlichen Tod Karl Alexanders verhaftet, nach „peinlicher“ Untersuchung zum Tod verurteilt, und aller Welt zum Spott in einem eisernen Käfig an einem eisernen Galgen auf einer Anhöhe vor Stuttgart aufgehenkt wurde, braucht als solches die Nachwelt nicht mehr aufzuregen. Und trotzdem gibt es kein gemeineres Zeugnis für die Engstirnigkeit und politische Charakterlosigkeit der damaligen Bürgerkanaille, als die Flut von Schmähungen, die über den Juden Süß bei seinem Sturz im Jahre 1737 und noch lange nachher ausgegossen wurde. Alles was der Jude Süß „verbrochen“ hat, die Gaunerei bei der Münzprägung, den Ämterschacher, die willkürliche und brutale Steuererhebung, die schweren Missbräuche der Justiz usw. — alles war in letzter Instanz herzoglicher „Wunsch“. Wenn der Jude Süß durch diese Methoden auch in schamloser Weise die eigenen Taschen füllte, so floss der Hauptteil des Raubes doch in die Kasse des mehr als skrupellosen herzoglichen Landesvaters, des Duodezs-Despötchens Karl Alexander, der in seiner schwäbischen Tölpelhaftigkeit den französischen Sonnenkönig kopieren wollte, und der für seine aberwitzigen Soldatenspielereien nie genug Geld von Süß herbeigeschafft bekommen konnte. Und gegen diesen Musterdespoten sagte der sogenannte „ehrliche Volkszorn“ kein Wort. Er galt nach wie vor als der würdige, brave Landesvater, der einzig von dem schlechten Judenkerl umgarnt und missbraucht worden war. Freilich, um selbst einen toten Landesvater anzugreifen, hatte es ,,Bürgerstolz vor Konigsthronen“ bedurft; denn die fürstliche Verwandtschaft hat dem Volke gegenüber immer Solidaritätsgefühl bewiesen, auch wenn ihr, wie in diesem Falle, der Verstorbene tot sympathischer als lebendig war. Zum maßlosesten Angriff gegen den aufgehenkten Judenhund bedurfte es aber keines Mutes, also betätigte ihn der Bürger um so stolzer. Die schwäbische Regierung, vertreten durch die verwitwete Herzogin, wusste andererseits sehr wohl, was sie tat, wenn sie, wie es hieß, „gerechterweise“ zuließ, dass sich der Volkszorn nicht nur bildlich und literarisch an dem toten Juden Süß austobte, sondern dass er sich außerdem an allen seinen Stuttgarter Glaubensgenossen mit den Fäusten gütlich tun durfte. Auf diese Weise hatte man die sichere Gewähr, dass die aufgespeicherte Volkswut restlos verrauchte, und dass die herzogliche Mitverantwortlichkeit an dem jahrelangen Erpresserregiment in Württemberg gänzlich aus dem Spiel blieb. Es war die alte Methode, weshalb man die Juden für die Sünden der Regierenden extra hatte erfinden müssen, wenn sie das historische Schicksal uns nicht sowieso auf unsern Weg geführt hätte. Von den verschiedenen satirischen Darstellungen, die sich an den Sturz des Hofjuden Süß knüpften, erfuhr die typographische Anordnung eines Spottgedichtes in der Figur des Galgens mit dem Käfig, in dem Süß zur Schau aufgehenkt wurde, die stärkste Verbreitung (Bild 53). Des weiteren sind neben seinem karikierten Porträt auch mehrere Spottmünzen geprägt worden, von denen die eine ebenfalls den eigenartigen eisernen Galgen zeigt (Bild 51). Auf diese Spottmünzen komme ich in einem späteren Kapitel, das speziell den Spottmünzen auf die Juden gewidmet ist, näher zu sprechen.

156. Gedichte und Scherze in jüdischer Mundart. Nr. 2. Titelblatt einer Berliner Anekdotensammlung
157. Gedichte und Scherze in jüdischer Mundart. Nr. 3. Titelblatt einer Berliner Anekdotensammlung
158. Salomon und Rebekka im Grünen. Berliner Karikatur
T018. Das Jüngste Gericht endet seine Qualen. Der Ewige Jude. Französischer Holzschnitt von Gustave Doré. 1856
159. Der teure Schmuck. Stauber. Fliegende Blätter
Dieses Kapitel ist Teil des Buches Die Juden in der Karikatur