Reformationszeit und Luther

Im Anfang des 16. Jahrhunderts sollten die Juden aus Worms, Mainz und Frankfurt vertrieben werden. Der Erzbischof von Mainz berief eine Versammlung von Delegierten aus den genannten Städten nach Frankfurt zum 7. Januar 1516. Die Juden wandten sich an den Kaiser Maximilian um Hilfe, und er verhinderte, dass die Geistlichkeit irgend welche Schritte gegen die Bedrohten einleitete.

Kurz darauf hatte die Geistlichkeit mit ihren eigenen Angelegenheiten sich zu beschäftigen. Martin Luther kam nach Worms und hatte sich dort im April 1521 vor dem Reichstage zu verantworten.


Die Reformation hatte ihren Anfang genommen, die Geistlichen wie die Bürger, die Katholiken und die Anhänger der neuen Lehre hatten keine Zeit, mit den Juden sich abzugeben. Martin Luther, der sich in seinem Alter sehr feindlich den Juden entgegen stellte, nahm sich zuerst ihrer an, und schrieb damals unter anderem im Jahre 1523:

„Unsere Narren, die Papisten, Bischöfe, Sophisten und Mönche, die groben Esels, haben bisher also mit den Juden verfahren, dass, wer ein guter Christ gewesen, hätte wohl mögen ein Jude werden. Und wenn ich ein Jude gewesen wäre und hätte solche Tölpel und Knebel den Christenglauben regieren und lehren gesehen, so wäre ich eher eine Sau worden, als ein Christ. Denn sie haben mit den Juden gehandelt, als wären es Hunde und nicht Menschen, haben nichts mehr gekonnt tun, denn sie schelten und ihr Gut nehmen, wenn man sie getauft hat. Drum wäre meine Bitt' und mein Rat, dass man säuberlich mit ihnen umgehe und aus der Schrift sie unterrichtet. Will man ihnen helfen, so muss man christlicher Liebe Gesetz an ihnen üben, sie freundlich annehmen, mit lassen werben und arbeiten, damit sie Ursache und Raum gewinnen, bei uns und um uns zu sein.“

Aber nicht Luther allein verwandte sich um die damalige Zeit für die Juden, sondern noch ein anderer lutherischer Geistlicher trat für sie ein in einer Schrift betitelt „Ein Judenbüchlein“, in welcher die Juden zum ersten mal gegen die lügenhafte Beschuldigung, dass sie Kinder schlachteten, um Blut für ihren Ritus zu haben, verteidigt wurden.

Auch der Rat der Stadt Worms war seit der Reformation den Juden freundlich gesinnt. Er sicherte ihnen Schutz und Schirm zu und schloss mit ihnen im Jahre 1557 einen Vertrag auf 4 Jahre. Die hierüber vorhandene Urkunde ist recht interessant.

In den einzelnen Artikeln heißt es:

„Zwei Privathäuser, welche bis dahin von Juden in Worms erbaut worden sind, dürfen Ihnen verbleiben. Andere Häuser dürfen die Juden nicht bauen, sondern sie müssen in gemieteten Räumen wohnen. Diese ihre Wohnungen werden alljährlich revidiert, und was der Bürgermeister und 2 Baumeister als der Renovierung bedürftig bezeichnen, muss sofort von den Juden auf ihre Kosten gemacht werden.

Das Gärtlein hinter der Schul (Synagoge), darf zum Spaziergang benutzt werden. Die Schul, Schulhof, Tanzhaus und Bad müssen rein und sauber gehalten werden und nicht wie bisher unlustig und unsauber aussehen.“

(Außer diesen Häusern besaßen die Juden auch das Backhaus, hinter der St. Martinskirche gelegen. In demselben wurden die Osterbrote hergestellt. Am 28. Mai 1354 verkauften die Bürger von Worms das Backhaus an Reinhold von Sonsheim für 80 Pfund Heller.)

In der Urkunde heißt es ferner:

„Die Juden dürfen einen Hochmeister, das ist einen Rabbiner, einen Sänger und einen Stecher (Schächter) halten, doch darf der Hochmeister bei Strafe von 20 Gulden keine Geldstrafen verhängen.

Die Juden verpflichten sich, nirgends anders hinzuziehen und dem Bürgermeister, dem Rat und der Gemeinde treu zu bleiben, dem Rate der Stadt und der Polizei gehorsam zu sein und getreulich die Steuern zu bezahlen.

Die Juden dürfen kein Geld auf Kirchengeräte und Waffen leihen, auch sollen sie keine solche annehmen und kaufen. Sie dürfen keinen Minderjährigen und keiner Frau ohne Wissen und Willen des Mannes Geld borgen, auch nichts auf liegende Güter ohne Anzeige bei Gericht borgen, sonst verlieren sie das ganze ausgeliehene Geld. Zinsen dürfen sie vom Gulden nur einen Pfennig wöchentlich nehmen.

Fremde Juden dürfen in Worms nur dann aufgenommen werden, wenn sie 10 Gulden jährlich Steuern bezahlen. Als Gast darf ein fremder Jude nur dann beherbergt werden, wenn dem Bürgermeister hiervon Anzeige gemacht und 4 Pfennig für jede Nacht bezahlt wird.

Alle Juden und Jüdinnen sollen ihr gewöhnliches Zeichen tragen, nämlich einen Mantel mit einem gelben Ring, eine Hand breit, und einen spitzen Hut, und ohne Genehmigung des Bürgermeisters dürfen sie gegen einen Goldgulden Strafe in der Karwoche, Ostern, Pfingsten, Weihnachten und an allen Sonntagen nicht ausgehen. An solchen heiligen Festen, Sonn- und Feiertagen sollen sie beide Tore des Ghettos samt ihren Läden geschlossen halten. Doch soll ihnen das Verkaufen der alten Kleider in den Häusern an diesen Tagen erlaubt sein.

Es sollen weder Juden noch Jüdinnen Handel oder Gewerbe treiben mit Kaufen oder Verkaufen, gar nichts ausgenommen, und dadurch unsern Bürgern, Gewerken, Kaufleuten und Handwerkern in ihrem Geschäft oder Handwerk hinderlich sein, schaden, Abbruch oder Nachteil zufügen, gegen eine Strafe von 10 Gulden. Besonders soll es ihnen verboten sein, Tuch, Wolle und Seide nach der Elle auszumessen und auszuschneiden, auch keine neuen Kleider und Schuhwerk dürfen sie anfertigen oder anfertigen lassen oder feil halten, damit den Handwerkern und Zünften kein Schaden entsteht. Die Juden und Jüdinnen dürfen nicht vor ihren Häusern herumstehen und diejenigen, die etwas zu versetzen oder zu verpfänden haben, hereinrufen, sondern müssen jeden, der etwas versetzen will, frei gehen lassen, wohin er will. Aber auch vor der Münze und auf dem Markt dürfen sie nicht spazieren gehen, dürfen auch dort nicht herumsitzen oder herumstehen, sondern wenn einer dort etwas zu tun hat, soll er es schnell ausrichten und wieder heimgehen, und den Mantel darf er nicht zu weit überschlagen, damit das gelbe Zeichen nicht bedeckt wird. Sonst hat er einen Gulden Strafe zu zahlen.

Ein lediger fremder Jude darf in die jüdische Gemeinde aufgenommen werden, wenn er sich mit einer Jüdin aus Worms verheiratet, ein Witwer darf nicht aufgenommen werden.“

Das ist im großen Ganzen der Inhalt des Vertrages.

Als die 4 Jahre, auf welche Zeit der Vertrag abgeschlossen war, abgelaufen waren, genügten den Bürgern von Worms alle diese Zwangsmaßregeln gegen die Juden nicht mehr. Die Juden sollten aus der Stadt vertrieben werden, aber Bischof Dietrich stellte sich auf die Seite der Bedrückten, und die Bürger wandten sich mit einer Beschwerde an den Kaiser Ferdinand. Dieser forderte die Bürger auf, die Juden unbelästigt zu lassen und ernannte eine Kommission, bestehend aus Philipp, Landgraf zu Hessen, Daniel, Erzbischof zu Mainz, Grafen zu Katzenellenbogen und den Meister und Rat zu Strassburg, sie sollten entscheiden, ob die Bürger oder die Juden im Recht wären.

Die Angelegenheit blieb aber trotzdem in der Schwebe, bis Kaiser Ferdinand starb. Erst sein Nachfolger, Kaiser Maximilian II, wies den Rat der Stadt Worms im Jahre 1570 in einem energischen Schreiben an, dass die dort wohnenden Juden nicht gekränkt und bedrückt werden dürfen, da sie kaiserliche Privilegien besitzen.
Dieses Kapitel ist Teil des Buches Die Juden in Worms