Die Juden im römischen Reich

Schon lange vor der Zerstörung Jerusalems durch Titus (39-89 n. Chr.) begann die Zerstreuung des jüdischen Volks. Die Juden waren über den ganzen Orient, aber auch in Kleinasien, in Griechenland und auf den jonischen Inseln verbreitet und lebten hier unter römischer Herrschaft, in der Ausübung ihrer religiösen Vorschriften geschützt. Zu vielen Tausenden wurden sie von Pompejus nach Italien und Rom geführt und als Sklaven verkauft. Sie erreichten bald eine leidliche Existenz und wurden nach ihrer Freilassung römische Bürger. Aber wesentlich verschlimmerte sich ihre Lage, als die Juden der Heimat sich gegen die römische Herrschaft empörten, und es begannen seit Tiber die Judenverfolgungen und Vertreibungen aus Rom. Bei der Zerstörung Jerusalems durch Titus (im Jahre 70 nach Christus) wurden viele Tausende niedergemacht, die meisten aber in die Sklaverei geführt. Jetzt verbreiteten sie sich in größerer Zahl nicht bloß über Italien, sondern auch in den westlichen Ländern Europas, in Gallien, auf der pyrenäischen Halbinsel und in den westlichen und südlichen Gegenden Deutschlands, ohne dass sich genauer bestimmen ließe, wann sie hierher kamen und was sie hierher führte.

Ihre Stellung im römischen Reich war verschieden, je nach dem Sinn der einzelnen Kaiser und den äußeren Verhältnissen; harte Behandlung und strenge Gesetze wechseln mit milderen Grundsätzen ab. In den ersten Jahrhunderten der christlichen Zeitrechnung konnten sie das römische Bürgerrecht erwerben, wie sich auch der Apostel Paulus darauf berufen durfte, und nahmen, seitdem Caracalla (188-217 n. Chr.) allen Einwohnern des Reichs die Bürgerechte erteilt hatte, an sämtlichen staatsbürgerlichen Rechten Teil. Denn der römische Staat fand keinen Grund, die Rechtsfähigkeit seiner Bürger mit Rücksicht auf ihr religiöses Bekenntnis zu regeln, und wenn auch mancher alle Dichter und Historiker gelegentlich spöttisch und verächtlich von den Juden redete, wenn auch in der Zeit des heidnischen Rom die Juden und die mit ihnen bisweilen verwechselten Christen viele Belästigungen und Verfolgungen zu erdulden hatten, so bestand doch keine Rechtsverschiedenheit. Sie konnten Testamente errichten, gültige Ehen mit Römern abschließen und waren befähigt, Vormundschaften und Ämter, insbesondere auch Gemeindeämter zu übernehmen. Das letztere war freilich ein privilegium odiosum; denn die mit den Kommunalämtern verbundenen Pflichten wurden zu den beschwerlichsten Lasten gerechnet; woher die Juden das Sprichwort hatten: „Wenn man dich zum Mitglied des Rats vorschlägt, so suche lieber die wilde Gegend am Jordan auf.“


Sobald das Christentum unter Konstantin (zwischen 270 u. 288-337 n. Chr.) zur Staatsreligion wurde, hörte diese bürgerliche Gleichberechtigung auf. Die Kirche und der christliche Staat, Konzilienbeschlüsse und Kaisergesetze arbeiteten jetzt Hand in Hand, um das Judentum zu verfolgen, seine Ausbreitung zu verhindern und die Bekenner der mosaischen Religion in ihrer Rechtsfähigkeit zu beschränken. Denn „wo der Staat aufgehört hat, das schirmende Prinzip für jede religiöse Überzeugung zu sein, wo er selbst eine individuelle religiöse Ansicht gefasst, statt alle in seinem höheren Schutze zu vereinigen, da ist auch zugleich mit aufgestellt das Prinzip der Unterdrückung von Andersdenkenden, die als Dumme oder Wahnsinnige schon einen natürlich untergeordneten Standpunkt einnehmen.“ Es darf aber nicht übersehen werden, dass der neuere römische Staat nicht bloß gegen die Juden, sondern ebenso sehr, ja zum Teil in noch viel schärferer Weise, gegen andere nicht christliche oder nicht orthodoxe Religionsgemeinschaften mit seinen Gesetzen vorging.

Bereits im Jahre 315, noch bevor er selbst Christ geworden war, erklärte Konstantin den Übertritt vom Christentum zum Judentum für strafbar und verbot den Juden bei Todesstrafe, ihre christlichen Sklaven zu beschneiden; ein trotzdem dem Judentum zugeführter Sklave solle die Freiheit erlangen. Konstantins wiederholte dies Gesetz und verschärfte es noch dahin, dass Juden überhaupt keine neuen christlichen Sklaven erwerben sollten; er bedrohte die zum Judentum übertretenden Christen mit Vermögenskonfiskation und setzte Todesstrafe auf Ehen zwischen Juden und Christen.

Theodosius I. (347-395 n. Chr.) und Flavius Honorius ( 384-423 n. Chr.) nahmen sich der Juden insofern an, als sie die Zerstörung der Synagogen bei schwerer Strafe verboten und bestimmten, dass ein Jude am Sabbat nicht vor Gericht zu zitieren sei. Aber Honorius beraubte sie der Fähigkeit zu Ämtern und zum Kriegsdienst, und gestattete ihnen nur die Advocatur und den Eintritt in die Curie. Streitigkeiten unter ihnen sollten, außer im Falle des Kompromisses oder dass es sich um religiöse Fragen drehte, nicht dem jüdischen Gericht unterworfen sein und ebenso sollten die zwischen ihnen und Christen schwebenden Prozesse nur vom christlichen Richter entschieden werden. Die Beschneidung von Christen wird mit schweren Strafen geahndet, mit Konfiskation des Vermögens und ewigem Exil. Theodosius II. (401-450 n. Chr.) verbot den Juden, neue Synagogen zu bauen und schärfte es wiederum ein, dass sie von allen Staatsämtern ausgeschlossen seien.

Das war der Rechtszustand der Juden im römischen Reich, als das selbe den deutschen Eroberern zur Beute fiel: — beschränkt in der Ausbreitung ihrer Religion, ausgeschlossen von allen Ämtern, verhindert christliche Arbeiter und Sklaven zu besitzen, des Rechts zur Eheschließung mit den Christen beraubt. Es war dies ihr goldenes Zeitalter im Verhältnis zu dem Schicksal, welches ihrer wartete, als die Kirche nach ihrer Befestigung in den neuen Staaten sich mit aller Macht gegen sie wendete, als Kaiser und Landesherren zu der Erkenntnis gekommen waren, welche Hilfsquellen sie ihren erschöpften Finanzen durch Beraubung und unausgesetzte Besteuerung der Juden zuführen könnten, und als diese selbst, vom Ackerbau und dem Handwerk ausgeschlossen, sich dem Wucher und Schacher als einzigem Gewerbe zugewandt hatten.