Die Juden in Deutschland während des Mittelalters in politischer, sozialer und rechtlicher Beziehung. (Besprechung)

Aus: Allgemeine Zeitung des Judentums. Ein unparteiisches Organ für alles jüdische Interesse. Besprochen von Dr. Ludwig Philippson.
Autor: Stobbe, Otto Dr. (1831-1887) Professor für Privatrecht und Kirchenrecht. Rektor oder Dekan der Universitäten Breslau und Leipzig., Erscheinungsjahr: 1867

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Themenbereiche
Enthaltene Themen: Juden, Judentum, jüdische Geschichte, Juden in Deutschland, Schutzjuden, Judenverfolgung, Mittelalter
Es ist dieses Werk eine höchst erfreuliche Bereicherung unserer historischen Literatur, sowohl durch die sichere Beherrschung des betreffenden Stoffes als auch durch die geschickte und richtige Gruppierung und Ausnutzung desselben; und um so erfreulicher, da sie von einem Nichtjuden ausgeht und somit den beweis liefert, dass das Interesse an dem Judentum und seine Geschichte, welches seit einiger Zeit innerhalb der christlichen wissenschaftlichen Kreise gänzlich erloschen schien, wieder erwacht ist. Allerdings hätte der Titel etwas verengt werden müssen, da der Verfasser nicht das ganze Mittelalter, sondern genauer nur die letzten drei Jahrhunderte desselben bei seinen Auseinandersetzungen berücksichtigt. Aber sieht man von diesem formalen Fehler ab, so hat Herr Stobbe seine Aufgabe gut gelöst. Er kann natürlich innerhalb seiner Grenzen viel ausführlicher sein, als Grätz in seiner Geschichte, und so hat er den Stoff gegen das bisher Gegebene sehr erweitert; es mögen wohl wenige unter den neueren so zahlreich erschienenen Urkundenwerken über die von ihm behandelte Zeit vorhanden sein, die er nicht eingesehen und benutzt hat. Dabei geht er auch mit kritischer Vorsicht und Sorgfalt zu Wege, und so hat er manche Irrtümer, die sich in Gratz’ umfangreichen Werk finden, korrigiert.

Nachdem der Verfasser kurz die Geschichte der Juden im römischen*) und im fränkischen Reich berührt hat, betrachtet er ausführlich das Verhältnis der Kammerknechtschaft, in welchem die Juden zu dem heil. Römischen Reich standen. Er widerlegt die Ansicht von Wertheimer, Grätz und Anderen, die diese besondere Untertänigkeit der Juden unter dem Kaiser sich schon im 11. Oder 12. Jahrhundert ausbilden lassen, und weißt nach, dass die ersten deutlichen Spureneiner solchen rechtlichen Gliederung erst im 13. Jahrhundert vorkommen. In einer Urkunde Friedrichs II. werden die Juden zum ersten Male ausdrücklich als „die besonderen Knechte unserer Kammer“ bezeichnet. Übrigens wurden sie dadurch noch nicht zu Leibeigenen, sondern nur zu Unfreien gemacht. Ja, der Kaiser dehnte als Nachfolger des Vespasian und des Titus dieses Recht auf die Juden sogar auch über die anderen Länder des Abendlandes aus, und es gelang ihm in der Tat bisweilen, die Anerkennung dieses Schirmrechtes von den ausländischen Monarchen zu erlangen.

Hatte schon im Beginn die kaiserliche Knechtschaft den Juden mehr die Bedrückung als Schutz eingetragen, so verschlimmerte sich ihre rechtliche Lage in der Folge immer mehr. Kaiser Ludwig der Baier, der als außerordentlicher Begünstiger der Juden von seinen Zeitgenossen getadelt wurde (Graertz VII. S. 377), erließ im Jahre 1313 dem Burggrafen Johann von Nürnberg alle Schulden, die er den Juden gegenüber habe, denn die Juden gehörten dem Reich mit Gut und Blut an, und der Kaiser möge mit ihnen tun, wie es ihm gut dünke. Kein Privileg gab ihnen auf die Dauer Schutz, denn einmal gilt es nur für die Lebensdauer des Ausstellers, und dann wurde es ihnen oft mit Güte oder mit Gewalt abgenommen. Jeder neuerwählte König, hieß es, habe das Recht, sämtliche Juden im Reich bis auf einen kleinen Rest zu töten, und um dieses Unheil von sich abzuwenden, mussten sie bei der Königs- und noch einmal bei der Kaiserkrönung den dritten Teil ihres Vermögens oder doch ein beträchtliches Pauschquantum dafür bezahlen.

*) Die Arbeit des Herrn Redakteurs dieser Blätter scheint Herr Stobbe nicht zu kennen.

Wie aber die deutschen Könige allmählich alle ihre Regalien für irgend welchen Entgelt an die Fürsten und Städte übertrugen, so auch ihr Schutzrecht über die Juden. Dies geschah auf zwei Weisen: entweder trat der König den Schutz über die an einem bestimmten Orte oder in einem gewissen Bezirke wohnende Judenschaft an einen Andern ab; oder er gestattete einem Landesherrn oder einer Obrigkeit, unter eigenem Schutze Juden in einem Teil ihres Gebietes, wo bisher keine Juden waren, anzusiedeln, wie man sich damals ausdrückte, Juden zu halten. Der erstere Modus wurde zuerst nur immer auf kurze Zeit geübt, oft wurden die Juden auch von den Berechtigten wieder an Andere abgetreten; nach und nach aber konsolidierte sich das Recht des Judenschutzes in der Hand des Landesherrn. Die zweite Art, einem Landesherrn oder einer Stadt das Schutzrecht über die Juden zu verleihen, kommt nicht, wie man bisher irrtümlich annahm, schon in der Mitte des zwölften Jahrhunderts vor, sondern erst unter Kaiser Friedrich II. – Der Judenschutz war zu nichts anderem geworden, als zu einer Einnahmequelle. Einmal gebrauchte man die Juden als Bankiers, andrerseits aber und hauptsächlich presste man sie auf jede nur mögliche Weise aus. In der goldenen Bulle räumte Kaiser Karl IV. den Kurfürsten im Jahre 1356 ganz generell das Judenregal ein: die Kurfürsten sollten in ihren Territorien alle Bergwerksnutzungen an Metallen und Salz, die Juden und die Einkünfte von den Zöllen haben! „Die Juden“, bemerkt Herr Stobbe, „erscheinen wie Bergwerke, aus denen sich nicht durch Arbeit, sondern durch Druck edle Metalle gewinnen lassen!“ Wegen dieser finanziellen Bedeutung der Juden für Kaiser und Landesherren war es ihnen – mit geringen Ausnahmen – verboten, ohne Genehmigung ihrer Herren ihr Domizil zu verlassen. Auf der andern Seite rief aber auch an manchen Orten der nationale Widerwille, die Wut des Pöbels, die Not der Schuldner oder die Intoleranz des Klerus zu Zeiten entgegengesetzte Privilegien hervor, dass niemals mehr ein Jude dort Aufnahme finden solle.

Philippson, Ludwig (1811-1889) deutsch-jüdischer Schriftsteller und Rabbiner

Philippson, Ludwig (1811-1889) deutsch-jüdischer Schriftsteller und Rabbiner

Der greise Jude

Der greise Jude

Alter Jude

Alter Jude

Lesender Jude

Lesender Jude

Meditierender Ostjude

Meditierender Ostjude

Jude beim Lesen eines Buches

Jude beim Lesen eines Buches

Jude bei der Arbeit

Jude bei der Arbeit