Juden im Ausland.

Italien, Frankreich, England sind judenarm. Italien hat nur 40.000, Frankreich 120.000, England nicht ganz 300.000, also alle drei Länder zusammen nicht viel mehr als Preußen. In der englischen Regierung saß vor 35 Jahren ein bedeutender Jude, Lord Beaconsfield, der mit Bismarck eine Verständigung der beiden Länder herbeiführte. Heute hat im britischen Ministerium nur Lord Samuel ein Portefeuille, das des Postministers, der nur in seinen Angelegenheiten eine Stimme hat.

In Italien ist der bekannte Sonnino der Sohn eines getauften italienischen Juden und einer englischen Christin. Außerdem ist in Italien der Finanzminister Luzzatti Jude, der sich ursprünglich gegen den Krieg aussprach.*) Das judenreinste Kabinett Russlands trägt die Hauptverantwortung für diesen Krieg. Das Land, in welchem die Juden am wenigsten zu sagen haben, hat am stärksten zum Kampf gedrängt.


In England lag die Entscheidung ausschließlich bei wenigen Nichtjuden. Bedeutende englische Juden hatten sich gerade in den letzten Jahren für eine gegenseitige Annäherung Deutschlands und Englands bemüht, weil sie instinktiv die Entfremdung der Länder bemerkten**) Als der Krieg begann, legten Sir Cassel und Sir Speyer ihre Würden nieder.

*) Die Abkunft Barzilais' ist übrigens nicht sicher auf Juden zurückzuführen.
**) Dafür hat Ernst Cassel Millionen gespendet, die er dem Kaiser übermittelte; der einzige Engländer, der sich die Freundschaft der beiden Länder etwas kosten ließ und sich ernsthaft darum bemühte.

In Frankreich war das Kabinett wie in Russland und Serbien „judenrein". Die Juden an der Pariser Börse haben wahrlich keinen Krieg inszeniert. Als der Krieg aber ein fait accompli geworden war, haben einzelne frühere Deutsche resp. Elsässer in Frankreich und England aus der Angst für ihre Existenz unsympathische Kundgebungen erlassen. Ob sich darunter viele Juden befanden, weiß ich nicht. Ich konnte es nicht erfahren. Der berüchtigte Obermacher der Bethlehem Steel Company, Schwab in Amerika, welcher wohl der anrüchigste Typ des Renegaten ist, stammt von württembergischen Eltern, ist nicht, wie deutsche antisemitische Blätter verleumderisch behaupten, ein Jude. Er ist vielmehr der Nachkomme eines Pfarrers.

Wenn in einem Staate eine ziffernmäßig einflussreiche jüdische Volkschaft war, die sich für den Frieden hätte einsetzen können, so wäre es die Russlands gewesen. An sieben Millionen Menschen, die aber in der Duma nur durch einen Abgeordneten vertreten sind. (Auf diese Juden werden wir noch später zu sprechen kommen.) Sie waren vollkommen machtlos.

Der Jude ist nicht, wie das alte, aber abgeschmackte Märlein der Antisemiten es will, der Brandzünder des Weltkrieges gewesen. Er war ein Freund des Friedens. Er würde als Kriegshetzer auch am allermeisten gegen sein Interesse handeln. Der Beamte wird im Krieg durch den Staat hinreichend ökonomisch geschützt, der Bauer findet nach dem Kriege immer seinen Grund und Boden wieder. Der Jude aber als Kaufmann hat durch die Unterbindung des Außenhandels enorm verloren. Bei einer großen Zahl der jüdischen Firmen ist mit einem Schlage der Lohn arbeitsvoller Jahre dahin gewesen. Und nach dem Kriege wird es auch für sie des größten Fleißes bedürfen, um nur an nähernd das wieder zu erreichen, was man vorher an Wirtschaftsbeziehungen besaß.

Am meisten unter allen Völkern haben die Juden in Österreich gelitten. Die Besetzung Galiziens und der Bukowina stürzte 800.000 Juden ins Unglück. Der ruthenische oder polnische Bauer wurde von der russischen Regierung mit aller Schonung behandelt. Gegen den Juden ist man jedoch mit aller Niedertracht verfahren, die man sich denken kann. Der Bauer hat sein Heim, seine Ernte, seinen Verdienst behalten. Der galizische Jude ist — , wenn er nicht gar nach Sibirien transportiert wurde, — zum armseligen Bettler geworden. Sein Haus, seine Ware, sein Geld vernichtet, er selbst brotlos und heimatlos. Man lese darüber das Buch Segels „Der Weltkrieg und das Schicksal des jüdischen Volkes"*) — und man wird das Gruseln dabei lernen.

*) Verlag Stilke, Berlin 1915.

Eines der auch amtlich nachgewiesenen Ereignisse möchte ich hier zur Probe nach der Schilderung Benjamin Segels wiedergeben:

„Im 16. Jahrhundert pflegten sich die Kosaken im Kampfe gegen Polen eines von den Tataren entlehnten Kriegsmittels zu bedienen: wenn sie eine Festung stürmten, trieben sie mit Lanzenstichen und Gewehrfeuer Gefangene vor, die Säcke voll Erde auf den Schultern trugen und unter dem Kugelregen ihrer eigenen belagerten Landsleute die Laufgräben um die Festung ausfüllen mussten, wobei sie unter der Last begraben wurden. Diese unmenschliche Sitte ist aus dem Kriege zwischen zivilisierten Völkern verschwunden. Die Japaner haben nur oftmals gegen die russische Feldarmee Viehherden vorgetrieben, die das heftigste Feuer auffingen. Die Russen aber haben in Galizien aufs neue den Brauch eingeführt, Menschen, wehrlose Menschen zu diesem Zwecke zu gebrauchen. Nicht etwa Gefangene, sondern Nichtkämpfer, Greise, Frauen und Kinder. Vor Nadworna im Südosten Galiziens geschah das Furchtbare. Die Russen brachten eintausendfünfhundert jüdische Familien zusammen und trieben sie vor die österreichische Front, während sie selber hinterdrein vorrückten.

Die menschliche Sprache hat keine Worte, um das Grausame dieser Untat auch nur annähernd zu kennzeichnen." —

Bekannt sind die Befehle russischer Kommandanten, von denen ich z. B. den des Etappenkommandeurs von Krosna, vom 10. März, wiedergebe:

„Für jeden Fall, in dem die deutsche oder österreichische Regierung jemanden aus der nichtjüdischen Bevölkerung bestraft, sind die Juden verantwortlich. Zu diesem Zweck werden jüdische Geiseln mitgenommen und für jeden Nichtjuden wird man zwei Juden umbringen."

Das Stockholmer Blatt „Sozialdemokraten" konstatierte: Jeder russische General, der eine Niederlage erleidet, schiebt die Schuld einfach auf — die Juden in dem Gebiete, wo er ist. Die Juden wurden zu Zehntausenden ausgewiesen: auf lose Angebereien wurden sie erschossen und erhängt.

Und in Russland? Die russischen Juden dürfen, das ist in Deutschland kaum bekannt, nur in den westlichen polnischen, litauischen und bessarabischen Provinzen Russlands wohnen und auch hier nicht auf dem Lande, sondern nur in den Städten. Sie sind vom Ackerbau abgeschlossen, Bodenerwerb ist ihnen streng untersagt. Künstlich hat die russische Regierung alle modernen Bildungsbestrebungen verboten, alle freiheitlichen Regungen unterdrückt, die idealistische Jugend, die ihre Glaubensgenossen organisieren wollten, die für irgend einen Fortschritt kämpften, gefangen gesetzt. Tausende gerade der Fähigsten sind ausgewandert. Amerika nahm allein 2 Millionen dieser unfreiwilligen Emigranten auf. Was blieb, ist ein Torso. Die ständigen Judengesetze und Verordnungen treiben willkürlich die Juden in gewissen Städten zusammen. So hat das Jahr 1882 eine maßlose Überfüllung des Ansiedlungsrayons hervorgerufen. Das polnisch-jüdische Ghetto ist ein modernes Kunstprodukt, wofür die russische Regierung verantwortlich zeichnet. Mit Gewalt hält die Obrigkeit die jüdische Bevölkerung in Armut, hindert jede hygienische Regung und verbietet alle geistigen Bestrebungen. Es ist unmöglich, dass die Verhältnisse anders sind, als wir sie antreffen, und das antisemitisch absprechende Urteil berücksichtigt nicht, dass es sich um ein Volk handelt, das in allem geknebelt und entrechtet ist. Der Krieg, der sich im Westen Russlands abspielt, hat naturgemäß die Juden am stärksten betroffen.

Hunderte jüdischer Gemeinden sind zertreten. Ich habe selbst viele in Polen sowie nördlich der Weichsel und besonders im Gouvernement Kowno, sowie in Kurland gesehen.

Über die Lage der Juden in Russland informiert das Büchlein von Kurt Aram: Der Zar und seine Juden*) („Das jüdische Elend in Warschau ist doch noch viel grässlicher als alles andere, was ich sah.") Und Dr. Claus schreibt im Russenheft der Süddeutschen Monatshefte: „Schon in Friedenszeiten war das Elend unter den Juden groß; wer einmal einen Einblick in die Ghetti Warschaus oder einer litauischen Stadt getan hat, wird das Bild des Grauens so leicht nicht los."

*) Verlag Ullstein, Berlin.

Ich will nicht eingehend über all das Grauenhafte schreiben, was selbst die russische Zensur in ihren Blättern bringen ließ. Einwandfreie nichtjüdische Abgeordnete haben in den denkwürdigen Dumatagen des August das tragische Geschick des jüdischen Volkes, das von der Regierung zu allen Zeiten als Blitzableiter dienen musste, gekennzeichnet. Geben wir der „Guerre Sociale", dem bundesgenössischen Blatt, darüber das Wort:

„Das österreichische wie das russische Polen ist von Polen und Juden bewohnt. Was hat man getan, um z. B. die Juden für die Sache der Verbündeten zu gewinnen? Hat man nicht vielmehr alles getan, sie en bloc in das Lager unserer Feinde zu treiben? Wenn alles das, was amerikanische Blätter über die den Juden seit Kriegsbeginn zuteil gewordene schmachvolle Behandlung mitteilen, wahr ist, wie kann Russland dann für sie etwas anderes sein, als ein Land des Schreckens und der Schande, wo ihre verfolgte Rasse den Becher bis zur Neige geleert hat."

Und nochmals die „Guerre Sociale" (Gustav Herve): „Mir kommt nicht zu, in diesem Augenblick, wo das befreundete und verbündete Russland schmerzliche Stunden durchlebt, davon zu erzählen, wie es viel zu lange die Juden behandelt hat. Es hat sie aber behandelt, wie unsere Vorfahren sie im Mittelalter behandelt haben."

Und schließen wir mit den mutigen Worten des jüdischen Dumadeputierten Friedmann, den keine Angst vor Einkerkerung oder vor Sibirien abhalten konnte, nach allen vorliegenden Zeitungen u. a. folgendes festzustellen: „Die Zeitungen registrierten eine ungeheure Menge jüdischer Kriegsfreiwilliger. Diese Freiwilligen sollten ihrem Bildungsgrad nach Anspruch auf Offiziersrang haben, aber sie wussten ganz gut, dass sie als Juden den Offiziersrang nicht bekamen. Trotzdem zogen sie in den Krieg.

Zahlreiche jüdische Studenten kamen aus dem Ausland und gingen an die Front. Die Juden zuhause bauten Lazarette, spendeten viel Geld und brachten verhältnismäßig weit größere Opfer als andere Nationen.

Viele jüdische Soldaten bekamen auch das Georgskreuz. (Ich habe selbst verschiedene gesehen. Der Verf.) So war die Stimmung der Juden bei Kriegsausbruch. Aber wir dürfen nicht vergessen, dass im Polenland jüdisches Blut in starken Strömen fließt, und zum Unglück nicht nur von Feindeshand. Militärbehörden und Regierung brauchten Sündenböcke für ihre Misserfolge. Man benutzt zu diesem Zweck die alte Firma, das ist der Jude. Kaum überschritt der Feind die Grenze, so verbreiteten sich Gerüchte, dass jüdisches Gold auf Aeroplanen, in Särgen und Eingeweiden von Gänsen zu den Deutschen floss. Die Legende wuchs, sie verbreitete sich dank der Agitation der Regierungsagenten und nahm schließlich ungeheure Dimensionen an. Den Juden gegenüber wurden unerhörte Maßnahmen angewendet und diese Maßnahmen, die vor den Augen der ganzen Bevölkerung vollzogen wurden, flößten derselben und der Armee das Gefühl ein, dass die Juden als schlimmste Feinde außerhalb des Gesetzes stehen. Zuerst wurden alle Juden aus Polen und Litauen ausgewiesen. Über eine Million Menschen musste den Bettelstab ergreifen. Verwundete jüdische Soldaten mit dem Georgskreuz wurden in Viehwagen und wirklich wie Vieh mit einem Frachtschein abtransportiert. Jüdinnen, deren Männer. Kinder und Brüder ihr Blut fürs Vaterland vergossen haben, wurden überall verfolgt. Eine andere harte Maßnahme war das Geiselnehmen. Es handelt sich hier um einen unerhörten Fall in der Weltgeschichte. Man nahm als Geiseln Staatsangehörige des eigenen Landes. Anders als eine Schmach kann man das nicht nennen."

Trotzdem Millionen nur Jiddisch verstehen, wurden in ganz Russland die Korrespondenzen, Telefongespräche, Unterhaltungen auf der Straße in Jiddisch verboten und die Unglücklichen eingekerkert, die dagegen verstoßen mussten.

Russland erklärt, dass des Zaren „liebe" Juden Freunde der Deutschen sind, dass sie denen zu Liebe spionieren, ja sogar auf die russischen Truppen schießen. Gewiss bestehen vielfach Sympathien für die Deutschen auf Seiten der russischen Juden, weil viele Deutsche zwar auch Antisemiten, aber doch nicht so grausame Feinde der Juden sind wie die Russen. Aber zwischen einigen Sentiments und zwischen der Äußerung irgendwelcher staatsfeindlicher Gefühle ist doch noch ein sehr weiter Sprung. Selbst die, welche sich darüber klar sind, dass ihnen die deutsche Regierung wegen des geringeren antisemitischen Druckes lieber wäre, wagen sicherlich nicht die geringste Tat. Sie wissen, dass sie als Juden schon ohne allen Grund als Vaterlandsverräter gebrandmarkt sind, dass man ihnen über Schritt und Tritt nachforscht. Und sie hüten sich ängstlich vor jedem Verstoß. Wer die Psyche der Ostjuden kennt, weiß, dass es, abgesehen vom Hindu, keine friedlichere Bevölkerung gibt. In der strenggläubigen Bevölkerung sprechen dabei auch religiöse Auffassungen mit.

Was die russischen Juden den Deutschen so nahebringt, ist ihre Sprache und ihre Kultur. Wohin der deutsche Soldat in Russland kommt, er nimmt sich immer den Juden vor, von dem er weiß, dass er Deutsch versteht, und dass er überhaupt nicht schwer von Begriff ist.

Die deutsche Regierung, die Militärverwaltung hat überall gerne jüdische Mitarbeit gesucht und gefunden. Andererseits haben gerade die jüdischen Gemeinden in weitgehendster Weise die Not unter den Juden gelindert, sogar im armen Osten haben die jüdischen Religionsverbände ihre Angehörigen gestützt, und dem Staate damit seine Aufgabe erleichtert.
Dieses Kapitel ist Teil des Buches Die Juden im Weltkriege (1914-1918)