Die Juden im Kriege.

Obwohl nachweislich viele jüdische Burschenschafter für das schwarz-rot-goldene Band gekämpft und gelitten hatten, obwohl in der Mitte des 19. Jahrhunderts einzelne jüdische Burschenschafter an der Spitze der Verbindungen standen, erklärte 50 Jahre später der Weidhofener Verband der deutsch-österreichischen Burschenschaften alle Juden insgesamt für jeder Ehre bar und verweigerte jedem Juden die Satisfaktion, also auch denen, die bis kurz vorher als alte Herren dem Verband angehört hatten. Dieselbe Überhebung, die ein anderer großer studentischer Verband zeigte, als er Naumann und andere höchst ehrenwerte deutsche Politiker wegen ,sozialistischer' Tendenzen ausstieß, veranlasste geistesverwandte junge Leute, die Juden in Bausch und Bogen zu verdammen. Semper aliquid haeret. Noch hinkt die Verleumdung, die Beschmutzung, die Verdächtigung uns nach. Auch dem jüdischen Soldaten.

Der Jude hat sich als Soldat bewährt. In allen Kämpfen der letzten Jahre haben sich Juden bewährt. Die Bulgaren und Türken haben sie im vorletzten Krieg vielfach gerühmt. Selbst im antisemitischen Rumänien ist ein jüdischer Oberst (Brociner), der sich im Krieg 1878 auszeichnete, der Kommandeur der Leibgarde und des Königl. Schlosses. In Österreich sind Juden kommandierende Generale, in Italien war der frühere Kriegsminister Ottolenghi Jude und schon Napoleon hatte jüdische Heerführer.


In den deutschen Freiheitskämpfen gab es viele freiwillige jüdische Vaterlandsverteidiger, einige erhielten auch den Offiziersrang. Auch später konnten Juden, hauptsächlich anno 1870, Offiziere werden; aktive Offiziere standen nur in Bayern, ungetaufte Juden waren hier hauptsächlich Reserveoffiziere und aktive Militärärzte, ein Jude brachte es einige Jahre vor dem Kriege bis zum Major.*)

*) In Bayern gibt es jetzt aktive jüdische Majore und Oberstabsärzte, erstere etwa fünf, von letzteren, soviel bekannt wurde, sieben. In Österreich haben sich Juden als Generale ausgezeichnet; aktive Offiziere gibt es einige Hundert. Nach Blochs „Österreichische Israel. Wochenschrift" haben sehr viele während des jetzigen Krieges ein glänzendes Avancement erfahren. Eine soeben erschienene Broschüre Ludwig Geigers „Deutsche Juden und der Krieg", die mir bei der Korrektur vorliegt, bringt genauere Zahlen über die Beteiligung der deutschen Juden an den Kriegen des XIX. Jahrhunderts. Hardenberg anerkannte danach schon am 4. 1. 1815: „Die jungen Männer jüdischen Glaubens sind die Waffengefährten ihrer Mitbürger gewesen, und wir haben unter ihnen Beispiele des wahren Heldenmutes und der rühmlichen Verachtung der Todesgefahr aufzuweisen, sowie die Einwohner Berlins, namentlich auch die Frauen, in Opfern jeder Art sich den Christen angeschlossen haben."

Eine Denkschrift der Regierung Preußens vom Jahre 1847 ermittelte das Verhalten der Juden als Soldaten und stellte fest, dass die Juden in den Freiheitskriegen wie im Frieden den übrigen Truppen nicht nachstanden.

Im Kriege stellten sich nun erfreulicherweise viele Kommandeure auf den Standpunkt, den einmal der leider auf dem Felde gefallene Hauptmann von Treskow also präzisierte: „Wenn wir die Juden prinzipiell nicht befördern, dürften wir ihre Dienste auch nicht in Anspruch nehmen". Nach Schätzungen werden jetzt über 900 Juden als Offiziere, ungerechnet die Militärärzte, im Felde stehen. Viele sind wegen besonderer Tüchtigkeit befördert worden, das „Hamburger Israel. Familienblatt" stellte schon über 20 Träger des Eisernen Kreuzes I. Klasse fest (z. B. der Flieger Frankl, der Reichstagsabgeordnete Haas), darunter waren alle Waffengattungen vertreten. Auch bei der Marine und in den Schutztruppen haben sie sich ausgezeichnet. Nach dem Kriege werden die Ziffern insgesamt zur Verfügung stehen. Das in Breslau erscheinende „Jüdische Volksblatt" hat die Namen veröffentlicht, die bestimmt dem Judentum angehören. Darnach haben bis zum Herbst 1915 knapp 5.000 Juden (also fast 1% der gesamten deutschen Judenheit!) das Eiserne Kreuz erhalten, von über 3.000 Juden konnte namentlich festgestellt werden, dass sie den Heldentod fürs Vaterland gefunden. Leider kann diese wöchentliche Zusammenstellung nicht den Anspruch auf Vollständigkeit erheben. Da die Jüdische Jugend, soweit sie nicht gedient hatte, gleich zu Beginn des Feldzuges freiwillig in großer Zahl (— es wäre sehr interessant, wenn die Heeresverwaltung diese Ziffer veröffentlichen würde — ) sich stellte, sind die Verluste sehr stark.*) In allen jüdischen Jugendvereinen wird diese Tatsache festgestellt. So ist z. B. in der jüdischen Turnerschaft eine Kriegssterblichkeit, die sich in den einzelnen Untervereinen bis 33% der Mannschaften (wie z. B. bei dem Ruderklub ,Ivria') stellt. Die meisten Turn- und Sportvereine der jüdischen Turnerschaft mussten zu Beginn des Krieges ihren Betrieb aufgeben, da alle Mitglieder zu den Fahnen eilten.

Die Mitglieder der jüdischen studentischen Verbindungen stellten gleichfalls viele Freiwillige. Von den 2000 Mitgliedern des K. C. (Kartellkonvent) und des K. J. V. (Kartell jüdischer Verbindungen) rückten fast alle aus; ein Drittel davon als Kriegsfreiwillige. Sehr zahlreich war auch die Beteiligung freiwilliger jüdischer Ärzte. Nach einer Statistik beträgt die Verlustliste bei den jüdischen Ärzten schon über Hundert. Auch der jüdische Arzt hat an der Front und im Seuchenlazarett seinen Posten ausgefüllt.

*) Die „Leipziger Neuesten Nachrichten" konstatierten, dass die in Deutschland lebenden Juden, gleichviel welcher Staatsangehörigkeit, in großer Zahl freiwillig zu den Fahnen eilten.

Der tapfere jüdische Soldat und Offizier verschwindet oft in der Menge. So glaubte man z. B. allgemein nicht, dass der einzige Soldat, der bei meinem Regiment das Eiserne Kreuz I. Klasse im Jahre 1914 besaß, ein Jude war (der später als Leutnant gefallene Gottfried Sender, Lehrer an einer jüdischen Mittelschule, welcher es im Frieden knapp bis zum Gefreiten bringen konnte). Vielfach ist aber die Tüchtigkeit des jüdischen Vorgesetzten und Soldaten von hohen Offizieren anerkannt worden. Exempla docent. Die überaus große Zahl von Beförderungen, Dekorationen etc., über die sich jeder, namentlich z. B. im „Hamburger Israelitischen Familienblatt" informieren kann, gibt die beste Gewähr. Der österreichische Thronfolger hat oftmals Gelegenheit genommen, sich dahin auszusprechen, dass der persönliche Mut und die Zuverlässigkeit des jüdischen Soldaten durch diesen Krieg aufs neue bewiesen wurden.*)

*) überall ist die Tapferkeit der Juden anerkannt worden.
Prinz Fuad, der Flügeladjutant des türkischen Sultans, hat dem offiziellen ungarischen Pressevertreter folgende Erklärung abgegeben (in der deutschen Presse im Jüd. Echo, München, Nr. 27, 1915, wiedergegeben):
„Die jüdische Legion, welche auf den Dardanellen operiert, verrichtet wahre Wunder. Der Kommandant der Legion, ein türkischer Jude, bekam den Hauptmannstitel und eine Auszeichnung. In den übrigen Militärteilen kämpfen die Juden mit andern zusammen ausgezeichnet. Die türkischen Militärbehörden machen daher keinen Unterschied zwischen jüdischen und nichtjüdischen Soldaten. Das Gleiche kann hinsichtlich der jüdischen Zivilbevölkerung gesagt werden, welche im jetzigen schweren Moment opferwillig dem Lande hilft, soviel sie nur vermag. Die jüdischen Bestrebungen in Palästina sind gut bekannt; niemand zweifelt an dem Patriotismus der türkischen Juden".
Und Gustav Herve sagt über die viel geschmähten russischen Juden — welche ein eignes Regiment gebildet hatten und in den erbitterten Prühjahrskämpfen bei Arras fielen — bei Gelegenheit der Veröffentlichung von Briefen gefallener Juden der jüdischen Fremdenlegion:
„Held Litwak — du, dessen herrlicher Brief, geschrieben am Tag deines ruhmvollen Todes bei Carency an der Seite von 2.000 Mitjuden, ich unlängst abgedruckt habe, vergib diesen armen Sergeanten, die euch monatelang als schmutzige Judenbuben und ähnlich beschimpft haben — euch, die ohne dazu verpflichtet zu sein, in einem Augenblick edler Begeisterung euer Blut großmütig an Frankreich dahingegeben habt, das in euren Augen das Sinnbild aller Freiheit und sittlichen Größe war." . . . Und das beste Zeichen, wie sehr die Juden freiwillig für die Freiheit zu kämpfen wissen, dass gerade die Anführer der polnischen Legionisten fast durchwegs Juden sind: Nach dem Jüd. Echo (Nr. 31, 1914, München) ist der Vorsitzende des Polnischen Nationalen Hauptkomités und der Legionen ein Jude namens Mosche Scherer und ebenso eine ganze Anzahl von Führern der Legion.

Ebenso wie der sozialdemokratische wurde auch der jüdische Soldat endlich einmal von den Meisten vorurteilsfrei betrachtet und bewertet. Natürlich gibt es auch Fälle, wo sich Vorgesetzte noch nicht in den Gedanken der Gleichwertigkeit „solcher Elemente" hineinleben konnten.

Die ungeheure sozialdemokratische Begeisterung ist nicht zuletzt das Produkt der so oft geschmähten „internationalen Denkweise jüdischer Führer, mit der man früher alles Unrecht gegen Juden deckte und erklärte. Die Führer haben ihren Patriotismus nicht nur durch billige Phrasen dokumentiert, sie sind nicht wie andere Sozialistenführer à la Vandervelde als Wanderredner durch die Lande gefahren, um die Menschen aufzuwiegeln, haben à la Hervé billige blutrünstige Artikel geschrieben oder sich als Leutnants, wie D'Annunzio, zu Hause wichtig gemacht. Der Jude Ludwig Frank*), vielleicht der fähigste Kopf in der sozialdemokratischen Partei, trat als einfacher Soldat in Reih und Glied und fiel — wie er es wünschte — als ein einfaches, aber schönes Beispiel treuer Vaterlandsliebe.

*) Der bekannte Genosse Davidsohn „nur" zweimal verwundet, nunmehr Offiziersstellvertreter.

Aber nun kam, was nicht kommen durfte. Man hat in vielen Zeitungen über den Mannheimer, über den Rechtsanwalt, über den Sozialdemokraten Frank geschrieben. Man hat bewiesen, dass ein Sozialdemokrat patriotisch sein könne. Dass er aber ein Jude war, diese Tatsache wurde nach Möglichkeit verschwiegen. — Nicht zum Beweis der Tapferkeit und der Vaterlandsliebe wollen wir Frank als Juden registrieren. Es liegt eigentlich eine unglaubliche Verworfenheit des Charakters vor, wenn jemand von einer kulturell so hochstehenden Rasse wie der jüdischen, von der Tausende im öffentlichen Leben wirken, welche alle Kulturstätten deutscher und anderer Bildung genossen haben, annehmen könnte, dass Mannesehre und Würde bei ihnen nicht zu finden wäre.

Dass man bei allen Nachrufen aber sichtlich vergessen wollte, zu erwähnen, dass der erste deutsche Volksführer, welcher mit seinem Tode die Treue zur Heimat und zum Staate besiegelte, ein Jude war, ist keine erfreuliche Erscheinung.*) Ebensowenig wie die Tatsache, dass die Dichter des großen Krieges, die zuerst verwendet wurden und starben, Juden waren. Wir nennen nur Zuckermann, der das wundersame österreichische Reiterlied empfand, und Heymann , den jungen Königsberger Lyriker, sowie den Schlesier Georg Hecht. Man hat so oft über die billige Poesie, wie sie Literaten hinterm Schreibtisch gewinnsüchtig betreiben, gespottet. Zuckermann, Heymann, Georg Hecht. Ich kannte die glühende Begeisterung, die sie mit dem Leben zahlten.

*) Dagegen unterstreichen z. B. die deutsch-völkischen Blätter hämisch, dass Haase, welcher den verunglückten Aufruf veranlasste, Jude sei, was man zu Kriegsbeginn, als er noch in minder unsympathischem Fahrwasser segelte, sorgsam unterließ, bei ihm zu erwähnen.

Eine typische Todesanzeige für einen aktiven jüdischen Offizier mag hier folgen:

Gestern Abend um 1/2 9 Uhr verschied in der Medizinischen Klinik des Bürgerspitals zu Straßburg

                        Herr Hajor Max Hollerbaum

Kommandeur des B. Landsturm-Infanterie-Bataillons Passau II Ritter d. Eisernen Kreuzes, d. K.B. Militär-Verdienstordens usw.

Das Bataillon steht in tiefer Trauer an der Bahre seines ersten Kommandeurs.

Durch und durch Soldat, ein vornehmer, ritterlicher, zuverlässiger Charakter, durch Willenskraft und warmherziges Wohlwollen gleichmäßig ausgezeichnet, war er uns allen vorbildlich auch durch den Heroismus, den er im Kampfe gegen ein langwieriges, schweres Leiden bis zuletzt bewahrt hat. Es war ihm nicht vergönnt, wie an dem Kriege um die Gründung des Reichs so an dem um seine Behauptung bis zum ehrenvollen Abschluss teilzunehmen. Aber er hat Treue bis zum Tode gehalten, und sein Gedächtnis wird in hohen Ehren bleiben.

Am 27. September 1915.
Für das landsturm-lnfanteriß-Batainon Piissau II
I.V.: Hauptmann Freiherr voti Pechmann.

Anschließend mag noch bemerkt werden, dass Major Hollerbaum nicht der einzige aktive jüdische Offizier in der bayerischen Armee war.
Es gab und gibt noch eine Anzahl solcher. Nachstehend seien nur einige namentlich genannt: Der alte bayerische Kürassiergeneral Carl Ritter V. Obermayer, Major Isidor Marx (Vater) und Major Maximilian Marx (Sohn),. die Majore Orfenau, Friedmann, Henle u. a. Außerdem gab und gibt es viele jüdische aktive Sanitätsoffiziere, Militärbeamte und auch untere Chargen.

Wie aber war die Haltung der jüdischen Bevölkerung vor dem Ausbruch des Krieges? Die Juden haben sich in allem überaus würdig benommen. Dass sie als Kaufleute und Bankiers usw. nicht wie die Militärs beständig sich um die Militärangelegenheiten bekümmerten, ist selbstverständlich. Das berühmte „jüdische internationale Großkapital", von dem soviel gefabelt wird, ist nie in Aktion getreten. Die jüdischen Bankiers und die jüdischen Kaufleute benahmen sich nicht anders wie die andern Schichten der Bevölkerung. Ruhig und ernst, wie es der Situation entsprach, als ihre Söhne entweder freiwillig oder als Militärpflichtige hinauszogen. Reiche Gaben und Spenden flossen allen Instituten von ihnen zu. Und was in der Heimat geleistet werden konnte, wurde getan. Männer wie Ballin, Rathenau, Riesser ruhten im Kriege nicht. Es ist noch nicht die Zeit, ihrer Verdienste für die Volksernährung, für die Munitionsergänzung und anderer Dinge zu gedenken*)

*) Otto V. Gottberg, die offiziöse Feder unseres Kriegsministeriums, schreibt in einem Artikel „D. K. R. A." über Rathenau: „Er kam ohne Ruf und Amt, ein Deutscher in Sorge um das Vaterland. Wie wenige ein Kenner unserer Wirtschaft, fühlte Dr. Walter Rathenau, dass Deutschland einen längeren Krieg siegreich nur dann überstehen könne, wenn der Staat ohne Säumen zu organisiertem Sammeln, Sparen und Mehren der für die Kriegführung nötigen Stoffe schritt. Der Kriegsminister sah den Mann, den er gesucht hatte. Sankt Bureaukratius schlug wohl unter Protest die Hände über dem Kopf zusammen, als der General den Zivilisten, Doktor und Ingenieur mit höflicher Geste beim Kragen nahm und im Allerheiligsten der Heeresverwaltung in einen Stuhl setzte mit dem Auftrag, die Kriegs-Rohstoff-Abteilung ins Leben zu rufen.
Die Art, wie Rathenau die Aufgabe in achtmonatlichem Wirken löste, sichert ihm einen Ehrenplatz in der Geschichte des Wirtschaftskrieges.

Die deutschen Juden hatten schon in Friedenszeiten eine zu geringe Vermehrung. Zu viele blieben aus wirtschaftlichen Gründen oder aus Laune Junggesellen; die vielen Spätehen der akademischen Kreise und der Kaufleute bedingten einen hohen Prozentsatz kinderloser Ehen. Die, die Kinder haben, begnügen sich mit zweien. Auf die deutsche Judenheit, welche eine geringere Geburtenziffer als die Franzosen hat, wird der Krieg eine unheilvolle Bedeutung haben. Er rächt die Beschränkung der Kinderzahl.

Die durch Taufe und Mischehe und Kinderlosigkeit geschwächte deutsche Judenheit weiß, dass dieses elementare Ereignis ihre Reihen noch mehr lichten wird. Alte Familien werden durch den Krieg erlöschen, die deutsche Judenheit wird unendlich geschwächt und in ihrer Existenz erschüttert aus dem Kriege hervorgehen.

Die jüdische Jugend zahlte gern die Teilnahme an der deutschen Kulturgemeinschaft mit dem Tode.
Dieses Kapitel ist Teil des Buches Die Juden im Weltkriege (1914-1918)