Sittlichkeitsverbrechen, Kuppelei

Mit besonderer Vorliebe werden von den Antisemiten die Sittlichkeitsverbrechen der Juden in den Vordergrund gestellt, die angeblich aus der Lüstlingsnatur der jüdischen Rasse fließend, ganz besonders deutlich den korrumpierenden Einfluss des Judentums charakterisieren. Das ist zunächst gar nicht einmal wahr, denn wenn wir sämtliche Sittlichkeitsverbrechen betrachten, so sehen wir, dass 1882 bis 1889 bestraft wurden:(siehe Tabelle 01)

Im allgemeinen also halten sich Juden und Christen ungefähr die Stange, nur bei der Kuppelei und dem Ärgernis durch unzüchtige Handlungen prävalieren die Juden; die Kriminalität der Juden ist hier bzw. 1,22 und 1,31 mal größer als die der Christen; Zahlen, die nicht sehr von 1 verschieden sind und die in Anbetracht des kurzen Zeitraumes, über die sich die Betrachtungen erstrecken, für einen Unbefangenen wenig genug Anlass zu moralischer Entrüstung gegen die Juden gegeben hatten. — Sieht man sich dann die absoluten Zahlen an und erfährt man, dass in den betrachteten 8 Jahren 13.376 Christen, aber nur 200 Juden wegen Kuppelei bestraft worden sind, so gehört schon ein gut Stück Borniertheit dazu, die Juden als die Verführer, die Christen als die Verführten hinzustellen. Und weiter: Wer erscheint achtbarer, der, welcher ein Mädchen verschachert, oder der es erschachert? Sei der Mädchenhändler auch wirklich ein Jude, der Säufer gehört in den meisten Fällen sicher der Blüte der christlichen Germanen an; derjenige der zur Kuppelei Anlass gab, wäre also vorwiegend der „Germane“, aber nur der Kuppler wird bestraft. Betrachtet man aber die Zahlen der Kriminalstatistik unter dem Gesichtspunkte der Strafrechtspflege und sieht man sich die von der Kriminalstatistik gebotenen Details etwas näher an, so wird man niemals aus den unzuverlässigen Daten beweiskräftige Schlüsse auf die „Moralität“ der einen oder der anderen Bevölkerungsklasse ziehen können. Auf 100.000 der betreffenden Kategorie wurden verurteilt (1882—1889)*) im jährlichen Durchschnitt:


II. in der Industrie, Bergbau, Bauwesen
a. Selbstständige............................................................ 7,64
b. Gehilfen, Arbeiter...................................................... 5,74
c. Angehörige................................................................16,64
III. Handel und Verkehr
a. Selbstständige........................................................... 48,11
b. Gehilfen, Arbeiter...................................................... 6,00
c. Angehörige..................................................................7,71
IV. Arbeiter und Taglöhner ohne bestimmten Beruf
a. Erwerbstätige............................................................ 43,76
b. Angehörige.................................................................24,61

Die anderen Kategorien stehen weit unter dem jährlichen Durchschnitt von 5,14, der für ganz Deutschland gilt.

*) cfr. Archiv f. soz. Gesetzgebung und Statistik Bd. V. pag. 270.

Es sind also an der Kuppelei zwei Berufskategorien vornehmlich beteiligt. Einmal die Selbstständigen im Handel und Verkehr und dann die Arbeiter ohne besondere Berufsangabe. Die letzteren sind sicher in ihrer überwiegenden Zahl Christen, bei den ersteren ist mindestens ein Zehntel Juden. Bei den Arbeitern ohne Berufsangabe sind also auch die Kuppler in erster Linie Christen und zwar, wie ohne weiteres nach der Praxis der Strafrechtspflege vorauszusehen, in ihrer Eigenschaft als Louis. Bei den Handeltreibenden, bei den im Verkehrsgewerbe Tätigen — mit dem starken jüdischen Prozentanteil der Berufszugehörigen finden sich dagegen die eigentlichen gewerbsmäßigen Kuppler. Was aber ist nach unserer Rechtsprechung alles Kuppelei! — Das Bordellhalten, das Vermieten an illegitime Pärchen, das Vermieten von Zimmern an Prostituierte etc. schwere und leichte Fälle bunt durcheinander, die leichten oder in der Überzahl. Wären nun in dieser Berufskategorie die Christen und Juden auch nur in gleichem Prozentsatz an der harmlosesten Form der Kuppelei beteiligt, so fiele natürlich wieder auf die Gesamtzahl der Juden, weil die Vergleichszahl hier 85mal so klein ist, der Schein der größeren Verlotterung. In Wahrheit aber stehen sich schlimmsten Falls ein annähernd gleicher Prozentsatz jüdischer Hotelbesitzer, Hausbesitzer etc. und christlich-germanischer Louis gegenüber. — Oder mit anderen Worten die Juden kommen in kriminalstatistischer Beleuchtung noch besser weg als die Christen, man müsste sich denn für die Louis besonders erwärmen wollen. Damit ist natürlich nicht behauptet, dass die Juden überhaupt kein Kontingent zu den schwersten Fällen der Kuppelei stellten, die Zeitungen melden ja oft genug von jüdischen Mädchenschacherern, aber sie melden ebenso oft von ehrsamen deutschen Hausfrauen, die ihre Töchter reichen Wüstlingen verkuppeln. — Wir wollten eben nur den detaillierten Beweis führen, dass die Kriminalstatistik diejenigen Schlüsse nicht zulässt, welche Herr Giese aus ihr zieht.

Noch weniger als die Kuppelei sind die Delikte aus § 183 und § 184 (Rr. 10g des Verzeichnisses) geeignet, sozial-ethische Folgerungen zu gestatten. Ich kann hier nur das wiederholen, was ich an anderer Stelle bereits ausgeführt habe.*) „Unzüchtige Handlungen werden aller Orten tagtäglich öffentlich begangen, aber doch nur relativ selten so unter Vernachlässigung aller Vorsichtsmaßregeln, dass Jemand Ärgernis daran nehmen kann, resp. dass die Staatsanwaltschaft Kenntnis davon erhält; denn wenn auch nach den Entscheidungen des Reichsgerichts örtliche Anschauungen den Tatbestand des öffentlichen Ärgernisses nicht hinwegschaffen, so werden diese doch nicht selten die Häufigkeit der Strafanzeige wesentlich beeinflussen. Die Zahl der aus § 183 Verurteilten wird also keineswegs irgendwelche hervorragende Beweiskraft für den Sittlichkeitsgrad irgend eines Gesellschaftskreises haben. Genau das Gleiche gilt von den Handlungen aus § 184, die in der Kriminalstatistik in durchaus unkritischer Weise mit den Handlungen aus § 183 zusammengeschweißt sind, obwohl doch zum Beispiel der Abdruck des sittlich ernsten Romanes „Albertine“ von Krogh oder des literar-historisch und künstlerisch so bedeutenden Dekamerone von Boccaccio mit einer zynischen Handlung auf dem Tanzboden, oder der Ausübung des geschlechtlichen Aktes auf einem öffentlichen Platze nicht die geringste Gleichartigkeit der Motive aufweist. Gerade bei den Straftaten aus § 184 spielt überdies auch die persönliche Auffassung des Richters eine so bedeutende Rolle, dass die Vergehen dieser Kategorie vollständig ihren einheitlichen Charakter verlieren.“ — — Und trotzdem subsummiert Herr W. Giese alle diese Delikte unter die Delikte aus Gewinnsucht! Trotzdem nennt er die hier aufgeführten Delikte kurzer Hand „Verbreitung von Schmutzschriften.“ — Das dürfte bei diesem Punkt genügen, um den Wert der kritischen Untersuchungen Herrn Gieses in das gebührende Sicht zu stellen. —

Einfach lächerlich aber ist die Behauptung Herrn Gieses: „Der wirtschaftliche Halt unseres Volkes wird untergraben durch Spielsucht und Schuldenmachen. Wir finden die Juden emsig an der Arbeit, diesen deutschen Erbfehlern Vorschub zu leisten und sie auszubeuten.“

Denn unsere Statistik führt auf:

22a Vergehen in Bezug auf Glücksspiel; Q = 2,75.
22f Wucher. Q = 18,9.

[i]*) Archiv für soc. Gesetzgebung und Statistik Bd. V, pag. 273.[/b]