Zweite Fortsetzung

Ein andermal fiel es einem Bären ein, etwas Honig zu naschen; er näherte sich einem Bienenstock, klopfte darauf mit der Tatze, und da er fand, dass er sich in seiner Wahl nicht geirrt habe, so begann er ihn nach Herzenslust zu plündern. Das Bellen des Hofhundes erweckte den Eigentümer, der mit seiner ganzen Familie am nordöstlichen Ende des Bienengartens wohnte. Die Flinte in der Hand, eilt der Tschuwasche nach der Tür, übersieht den Bienengarten und erblickt den an einem entfernten Stock beschäftigten Bären. Auf dem Grase, in gerader Linie zwischen dem Bären und der Hütte des Eigentümers, weidet zufällig ein Pferd. Der Tschuwasche lässt es sich auch im Traume nicht einfallen, dass die Kugel statt des Räubers dieses unschuldige Haustier treffen könnte; ohne daher die Richtung zu verändern, spannt er den Hahn, legt an, macht die Augen zu und drückt ab. Ein Knall — der Bär entflieht, und das Pferd liegt tot auf dem Rasen: der Tschuwasche hatte ihm den Schädel zerschmettert.

Eine lange Zeit hindurch beharrten die Tschuwaschen bei ihrer Gewohnheit, die Augen zuzudrücken, wenn sie ihr Gewehr losschossen, und wurden erst durch traurige Erfahrungen dahin gebracht, in verständigerer Weise mit dieser Waffe umzugehen. Übrigens kann man sie auch jetzt nicht geschickte Schützen nennen. Wenn sie auf ihren Streifereien durch den Wald eine Flinte mitnehmen, so ist dies meistenteils nur, um die Wölfe fernzuhalten; denn sobald der Wolf Pulver riecht, wagt er es nie einen Menschen anzufallen. Beispiele hiervon gibt es zu Tausenden: wir wollen hier nur eines anführen. Ein reicher alter Tschuwasche war einst in einem benachbarten Dorfe zu Gaste und musste durch den Wald nach seiner etwa zehn Werst entfernten Heimat zurückkehren. Es war dies Abends, gegen Ende Februars. Der Alte verließ sich auf sein Gewehr, und da er die Wirkung des Pulvers kannte, so reiste er immer allein mit seinem schönen, wohlgenährten Pferde. Mitten im Walde begegnete er einem Rudel von fünfzehn Wölfen; so schien es ihm wenigstens, aber es ist möglich, dass er sich um einige verrechnete. Sie lagen alle auf dem Schnee, etwas seitwärts vom Wege. Zum Unglück hatte der Tschuwasche kein Glöckchen an seinem Schlitten; nun spielen aber diese Glöckchen eine wichtige Rolle bei Reisen durch den Wald oder durch menschenleere Gegenden, namentlich Abends: ihr Ton jagt den Wölfen einen panischen Schrecken ein und sie laufen blitzschnell aus einander. Kaum halten daher jetzt die Wölfe unsern Alten wahrgenommen, als sie nicht fort von ihm, sondern auf ihn zu stürzten. Er treibt sein Pferd an, welches in vollem Galopp mit ihm davoneilt, ohne sich an Baumstämme oder Gruben zu kehren: allein die Wölfe setzen ihm nach, erreichen ihn und erheben ein furchtbares Geheul. Das Pferd, die drohende Gefahr erkennend, strengt seine ganze Kraft an, schüttelt den halbtoten Tschuwaschen ab, der in eine Grube fliegt, und verschwindet mit dem Schlitten und der in demselben befindlichen Flinte des Alten. Der allein gelassene Tschuwasche glaubt sein letztes Stündlein sei gekommen, als er das ganze Rudel Wölfe um sich sieht, die in gräulichem Einklang ihren wilden Gesang anstimmen. Indessen rücken ihm die Wölfe nicht näher, sondern setzen sich in achtungsvoller Entfernung nieder, indem sie mit den Zähnen fletschen. Die Ursache war das Pulverhorn, das bei dem Alten geblieben war(!!); der Geruch des Pulvers wurde von den Wölfen gemerkt und benahm ihnen den Mut. Nachdem er sich gesammelt hatte, stand der Unglückliche endlich auf, entblößte das Messer, welches die Tschuwaschen immer am Gürtel tragen, und begann, in der Richtung nach seinem Dorfe zuzuschreiten. Die Wölfe stäuben auseinander, um ihm Platz zu machen, sammeln sich aber gleich wieder und folgen ihm mit grässlichem Geheul. Der Tschuwasche geht wie im Triumph einher, von der Schaar begleitet, die teils ihm zur Seile, teils hinter ihm laufen. Endlich erblickt er seine Flinte, die aus dem Schlitten gefallen war; er ergreift sie fast mit Tränen, wendet sich um und dankt seinen Begleitern mit einer Kugel für ihre Mühe. In einem Augenblick verbirgt sich die wilde Rotte im Dickicht des Waldes und der Alte erreicht mit heiler Haut seine Wohnung, wo langst sein geängstigtes Pferd mit dem an den Baumstämmen zerschlagenen Schlitten seiner wartet.


Es verdient hier bemerkt zu werden, dass auch die Bären, wenn sie Pulver riechen, es nicht wagen, sich dem Punkte zu nähern, von wo der Geruch ausgeht. In Folge dessen gebrauchen die Surischen Tschuwaschen das Pulver als das sicherste Mittel, die raublustigen Bären von ihren Bienengärten abzuhalten. Sie stecken ringsum kleine Pfähle in die Erde, etwa zwei Arschin hoch und in Abständen von drei Sajen; von einem Pfahl zum anderen wird ein Bastseil (motschalo) gezogen und in die Mitte desselben eine in einen Lappen gewickelte Handvoll Pulver gelegt. Eine solche Schutzwehr ist sicherer als der stärkste und höchste Zaun. Über einen Zaun kann der Bär ohne große Mühe steigen oder klettern, aber einen für ihn so furchtbaren Schlagbaum wagt er nicht zu überschreiten; der Geruch des Pulvers ist ihm die Vorbedeutung des unvermeidlichen Todes.

Um auf die Wölfe und Hasen Jagd zu machen, bedienen sich die Tschuwaschen der Schneeschlittschuh (lyji). Sie befestigen diese mit Stricken an ihre Füße, nehmen einen Knüttel in die Hand, der ihnen unterwegs als Stütze dient, wenn sie einen Berg besteigen, stecken sich ein Beil in den Gürtel, hängen die Flinte über die Schulter und begeben sich also bewaffnet in den Wald, namentlich an den Ort, wo sie ihre Fallen ausgestellt haben. Diese sind zweierlei Art: Kljapzy, womit man die Wölfe und Bären, und Kapkany, womit man die Hasen fängt.

Die Kljapzy werden folgendermaßen angefertigt. Man nimmt ein Stück Ulmen- oder Rüsterholz von einem Viertelarschin im Diameter und etwa eine? Arschin in der Länge, bohrt ein Loch darin und zieht einen Strick durch, an welchem ein viereckiger Balken mit drei eisernen Spitzen nach außen befestigt wird. Diese Falle wird alsdann auf eine Wolfsfährte gestellt, mit Schnee überdeckt und dabei die Spur einer Tatze gemacht. Die Wölfe folgen einmal der alten Fährte, indem einer dicht hinter dem anderen geht. Sobald nun der Wolf auf die falsche Spur tritt, dringen ihm die eisernen Zacken in den Leib und er kann nicht weiter, da die an sich schon schwere Falle noch dazu durch eine eiserne Kette an den nächsten Baum befestigt ist. Wenn hinter dem gefangenen Wolfe noch andere folgen, so kehren sie nicht um, sondern springen der Reihe nach über ihren unglücklichen Kameraden und verschwinden im Walde; sind aber auf derselben Fährte noch andere Fällen aufgestellt, so (heilt der nächstfolgende das Schicksal seines Vorgängers und wird gleichfalls ein Opfer der List des Tschuwaschen. Hat die künstliche Spur die richtigen Verhältnisse einer Wolfspfote, so wird jede der aufgestellten Kljapzy ihren Wolf fangen; im entgegengesetzten Fall können sie den ganzen Winter stehen, ohne ein einziges von diesen Tieren hineinzulocken*).

*) Über Kljapzy welche ohne diese sehr paradoxe Anwendung der Skulptur gebraucht werden, vergl. Erman Reise usw. Histor. Ber. Bd. 3. 8. 411.

Wenn der gefangene Wolf den auf Schneeschuhen herbeieilenden Tschuwaschen wahrnimmt, erhebt er ein furchtbares Geheul, das in seltsam dämonischer Weise von den höchsten bis zu den tiefsten Noten übergeht; ist der Feind näher gekommen, so schweigt er, grinst ihn an und fletscht die Zähne, wagt aber nicht sich zu rühren, da ihm die in das Fleisch eindringenden Eisenspitzen zu großen Schmerz verursachen. Der Tschuwasche geht auf ihn zu, schlägt ihm zwei oder drei Mal mit dem Knüttel über den Kopf und setzt dann seinen Weg fort, wenn er noch mehrere Fallen aufgestellt hat. Oft zerschmettert er dem Gefangenen erst mit dem Beile den Schädel, da man Beispiele hat, dass nachdem der durch die Knüttelschläge betäubte, aber nicht getötete Wolf von dem Jäger nach Hause gebracht und bis auf weiteres in die Karda (die Hürde, in der sich die Haustiere befinden) geworfen worden, er des Nachts wieder aufwachte und sich zur Heilung seiner Wunden über die Schafe hermachte, die er eines nach dem anderen erwürgte und sich dann in den Wald flüchtete, wenn ihn der Hausherr nicht noch bei seinem Schmause überraschte.

Dieses Kapitel ist Teil des Buches Die Jagd bei den Simbirsker Tschuwaschen.