Erste Fortsetzung

Ehe die Tschuwaschen sich an den Gebrauch der Flinte gewöhnten, machten sie auch bisweilen mit ihren Spießen, Beilen und Knütteln auf die Bären und Wölfe Jagd, wobei sie in folgender Weise verfuhren. Man versammelte sich vierzig bis fünfzig Mann stark und ging in den Wald, den Bären aufzusuchen. Vor seinem Lager angekommen, bemühte man sich, ihn hervorzulocken und durch Neckereien zum Angriff zu reizen. In der Regel verließ dann der erzürnte Bär sein warmes und weiches Lager, stürzte mit Gebrüll heraus und näherte sich auf den Hinterfüßen stehend, seinen Gegnern, die sich einer hinter dem anderen verbargen und Schritt für Schritt zurückwichen. Durch den Rückzug des Feindes ermutigt, dringt der Bär furchtbar brüllend mit Lebhaftigkeit vor. Es ist bekannt, dass die Flucht des Gegners dem Bären eben so sehr aufregt, wie der Angriff; in letzterem Fall fühlt er sich gleichsam zum Kampf herausgefordert, im ersteren wird er, wenn er auch nicht streitlustig sein sollte, durch die an dem Gegner bemerkte Feigheit bewogen, ihm nachzusetzen. Dagegen hat die Erfahrung gezeigt, dass wenn man, durch den Wald gehend, auf einen Bären stößt und plötzlich still steht, ohne einen Schritt vor- oder rückwärts zu tun, der Bär gleichfalls innehält, den Fremden eine Zeitlang ansieht, ihn aus der Ferne beriecht und, wenn er weder ein Zeichen des Angriffs noch des Rückzuges bemerkt, mit Gebrüll von dannen eilt und sich im Walde verbirgt. In dem oben erwähnten Fall nun greift der Bär, den Kleinmut seiner Gegner wahrnehmend, immer kühner an. Diese strecken ihm einen Spieß nach dem anderen entgegen, auf die Brust oder den Bauch des Tieres gerichtet; der Bär schlägt mit der Tatze nach dem Spieß, der Spieß zerbricht und der Bär dringt wieder vor. Endlich steckt man ihm einen Spieß mit einer eine Viertel-Arschin breiten Spitze auf einem langen Schaft von jungem, trockenem, hartem Eichenholz unter den Bauch. Der Bär wird zum Stehen gebracht, er kann mit aller Anstrengung den Spieß nicht zerbrechen, und je mehr er auf den Schaft schlägt, desto tiefer dringt die Spitze ein und desto mehr erweitert sich die Wunde. Wenn er endlich findet, dass er in eine Klemme geraten ist, erhebt der zottige Unhold ein fruchtbares Gebrüll, fährt zurück und läuft, von Blutverlust erschöpft, mit herausfallenden Eingeweiden in das nächste Gebüsch, um sich dort niederzulegen. In diesem Augenblick müssten sich die Tschuwaschen mit ihren Beilen, Spießen oder Knütteln auf den halbtoten Bären stürzen und ihm den Garaus machen; statt dessen pflegten sie nach den herausfallenden Eingeweiden des Tieres zu greifen, sie an sich zu ziehen und ohne die geringste Vorsichtsmaßregel sich dem Schlupfwinkel zu nähern, in welchem der Bär sich verkrochen hatte. Dieser, von unerträglichem Schmerz gefoltert, raffte seine letzten Kräfte zusammen, warf sich auf seine fahrlässigen Gegner und richtete unter ihnen eine heillose Verwirrung an: der Eine verlor die Nase, der Andere das Ohr, diesem wurde die Hand, jenem der Fuß abgerissen, noch anderen wurde das Genick zerkratzt oder der Mund aufgeschlitzt. Endlich gingen jedoch dem Bären die Kralle aus und er fiel tot zur Erde: was taten alsdann die Tschuwaschen? Sich von ihrem ersten Schreck erholend und nach Rache dürstend, fallen sie über den toten Bären her, durchbohren ihn mit ihren Spießen, zerhacken ihn mit ihren Beilen und zerschlagen ihn mit ihren Knütteln. Nachdem sie sich versichert haben, dass der gefürchtete Feind nicht wieder aufsteht, schreiten die Jäger nunmehr zur Teilung, die meistens mit einer Prügelei endet, und zwar wegen der Haut des Bären, die jeder auf seinen Anteil haben will, obgleich sie so zerstochen und zerhauen ist, dass sie fast allen Wert verloren hat. zum Schluss wird ein Pferd herbeigeholt, der Bär aufgeladen und nach Hause gebracht, wo man die Haut abzieht, das Fell herausnimmt und, während die Beschädigten von ihren Wunden kuriert werden, das Ganze auf dem nächsten Markt verkauft. Das gelöste Geld wird zum Ankauf von Branntwein verwendet, der von der gesamten löblichen Gesellschaft, Kranken sowohl als Gesunden, zu einem Souper von gekochtem Bärenfleisch getrunken wird.

In solcher Weise ging bei den Tschuwaschen die Bärenjagd ursprünglich von statten. Ihre Spuren sind noch heutigen Tages an den verunstalteten Gesichtern der Einwohner wahrzunehmen; wenigstens bemerkte ich 1837, im letzten Jahre meines Aufenthalts im Gouvernement Simbirsk, noch viele Tschuwaschen, die von den Tatzen wütender Bären gezeichnet worden.


In der Folgezeit, als bei den Tschuwaschen das Schießgewehr in Gebrauch kam, fingen sie an, die Bären und Wölfe weniger zu fürchten, weil die Bären und Wölfe ihrerseits eine heilsame Furcht vor dem Pulver an den Tag legten; oder wenn die Tschuwaschen auch nicht viel mutiger wurden, so lockte doch der Reiz der Beute sie schon einzeln heraus, um die Bären mit der Flinte in der Hand anzugreifen. Folgende beide Anekdoten beweisen, wie geschickt sie anfangs diese Waffe zu führen verstanden.

In einem am Walde liegenden Dorfe würgte einst ein Bär auf einer nahen Wiese eine Kuh, die einem Tschuwaschen, Namens Obyk, gehörte. Obyk holte sein Gewehr, lud es mit einer Kugel, ging in den Wald und nahm seine Stellung am Saum der Wiese hinter einem Eichenstamm. Der Bär hat, dem Wolfe unähnlich, die Gewohnheit, nachdem er ein Tier getötet, dem Körper so oft wieder zuzusprechen, bis er den letzten Bissen von den Knochen desselben abgenagt hat. Der Tschuwasche hatte daher, als er sich auf die Lauer legte, ganz richtig berechnet, dass der Mörder seine Beute wieder aufsuchen und dann mit Haut, Fell und Fleisch für den von ihm angerichteten Schaden bezahlen werde. Gegen Abend erschien auch wirklich der Bär, näherte sich der toten Kuh und fing an, sich an ihr gütlich zu tun. Der Tschuwasche zielt und will eben abdrücken, als plötzlich aus dem Walde ein zweiter Bär, weit größer als der erste, hervorschreitet, so dass dieser dem neuen Ankömmling ehrfurchtsvoll Platz macht. Bei diesem Anblick fühlt sich Obyk von Zweifel ergriffen: soll er schießen oder nicht schießen? Wenn er aber schießt, nach welchem von beiden? Der große hatte eine Stellung gewählt, wo ihm nicht leicht anzukommen war, und um den kleinen lohnte es sich kaum noch der Mühe. Während der Tchuwasche sich die Sache überlegt und zu keinem Entschluss gelangen kann, siehe! da wälzt sich aus dem Walde ein dritter, vierter, fünfter Bär herbei. Dem Tschuwaschen läuft es kalt über. Endlich tritt noch ein sechster, riesenhafter Bär mit teilweise grauem Haar hervor. Der Tschuwasche reifst die Augen auf und fällt fast um vor Schrecken. Allmählich kommt er jedoch zu sich und beschließt, wenn doch geschossen werden soll, den größten zu erlegen. Die Tschuwaschen hatten damals die Gewohnheit, wenn sie anlegten und im Begriff waren, loszudrücken, die Augen fest zuzuschließen und in diesem Zustande Feuer zu geben; so machte es nun auch unser Obyk: zielte auf den grauen Baren, schloss die Augen und drückte ab. Die Kugel pfiff durch die Luft und der Knall erweckte ein donnerndes Echo in dem von den Schallen des Abends umdüsterten Wald. Als der Tschuwasche die Augen auftat, sah er einen kleinen Bären tot neben der Kuh liegend, während der große graue, schnüffelnd und um sich blickend, mit furchtbarem Gebrüll auf den Hinterfüßen dem Orte zuschritt, von woher der Schuss gekommen war. Dem Obyk flimmert es vor den Augen; er wirft seine Flinte von sich, stürzt über Hals und Kopf in die nächste Schlucht und lauft in atemloser Hast nach seinem Dorfe, das zu seinem Glück nicht weit davon gelegen ist. Nachdem er sich während der Nacht von seinem Schreck erholt hat, spannt er am anderen Morgen ein Pferd vor seine Telega, ladet zwei oder drei von seinen Nachbarn ein, ihn zu begleiten, und fährt nach der Wiese, um sich den erlegten Bären zu holen. Der Bär wurde auch wirklich tot auf dem Platze gefunden; dafür war aber die Flinte auch nicht wiederzuerkennen: der graue Bär hatte sie in seiner Wut wie ein Reisig an dem Baumstamm zersplittert.


Dieses Kapitel ist Teil des Buches Die Jagd bei den Simbirsker Tschuwaschen.