Stubbenkammer

Schon aus weichendem Nachtgewölk erhebt sich der Morgen,
Säuselnd im Frühhauch rufen die Hauenden Buchen der Stubnitz
Hin zum Rand der Stubbenkammer am schwindelnden Abhang.
Dom der Natur! Wie wölbt sich hinab zum dämmernden Meere
Deiner erhab'nen Bildung Größe; wie steigen die Säulen,
— Nie hat Kühnheit der Menschen getürmt so schlankes Gemäuer —
Aus der rauschenden Tiefe; wie schmücken mit blühendem Laube
— Fernher scheinen niedres Gebüsch die riesigen Stämme —
Frisch sich die Wände des ringsum steil aufstrebenden Tempels.
Hoch steht unbeweglich offen die Pforte des Eingangs;
Riesenstufen führen zur tiefen Schwelle des Meeres,
Dass des Betenden Stirn auf die reine Woge sich neige.
Sich, da bebt aus blühenden Rosen des Aufgangs die Sonne,
Leuchtend strahlt ein Licht schnell auf an den blendenden Pfeilern;
Wie im Gesang getrennte Töne sich tragen und binden,
So harmonisch strahlen, glänzende Kreide der Felswand,
Schimmerndes Grün der Buchen, Bläue des Himmels und Meeres
In dem reichen Einklang voll sich verschmelzender Farben
Und in der Brust erwacht das Jubellied staunenden Anschaun's. —
Wo von glänzender Halle des Meerumspülten Gebirges
Seitwärts durch dichte Buchen die Enge des Pfades sich windet,
Rieselnd der frische Quell durch schattige Tiefe hinab tönt,
Geht zum Meer der leichtere Weg der gehauenen Stufen
Und vom Steingestade erhebt das Auge sich furchtsam
Zu den drohend gen Himmel empor sich drängenden Wänden,
Die, wie Festen der Schöpfung, Wellen und Wolken berühren.
Schichten des Feuersteines, leis unauslöschlich gezeichnet
Hoch an der Kreide Felswand mit heil'gem Griffel des Ursprungs,
Zeigen die Spur geheimen Scheidens und Mischens der Schöpfung,
Als sich Feuer und Meer umarmt in den Kämpfen des Werdens.
Kiesel dämmen den Weg, in Jahrtausenden langsam geründet
Von der Wogen Rollen. Steinerne, zierliche Bilder
Liegen zerstreut am Strand mit wechselnder Zeichnung Gepräge;
Einst frischatmendes Leben, in längst entschwund'ner Gestaltung
Nicht mehr gekannten Tierreichs, ward zum Leben des Steines
Und die Stimme des Meer's, das Alles Geheime gesehen,
Tönend in's Ohr, dem Geist unverständlich, vernehmbar der Ahndung,
Schwellt im Herzen die mächtige Fluch der tiefen Empfindung. —
Groß ist Natur am wogenden Felsmeer und Alles verkündet
Hier, wie klein der Mensch, kaum sichtbar vom Ufer zur Brandung.
Wie verhallt im Wellengetöne die Stimme des Rufes,
Selbst dem Tritt des Wandrers verweigert des Augenblicks Spuren
Starr das steinbesäte Gestade. — Und dennoch zerbröckeln
Werden die Felsen, veralten wie ein Gewand und verwehen
Wie der Lufthauch der Stimme, zerstieben werden die Kiesel
Wie der Schaum im Sturme, zerrinnen die wogenden Wasser.
Nur was vom Geist erkannt, was gewirkt mit dem Geiste, ist ewig;
Nicht das Wort, das wahrste, das schönste auf tönenden Lippen,
Nicht die Schrift, und sey sie in Erz und in Marmor gegraben,
Nicht die Tat und baue sie Reiche der Macht und der Hoheit;
Doch was Wort und Schrift und Tat in unsterblichen Geistern
Rein gezeugt, in Wahrheit und Liebe zum Glauben, ist ewig;
Ewig des Schöpfers Gebot, erkannt in den Tiefen der Seele.

Dieses Kapitel ist Teil des Buches Die Insel Rügen
Kreidefelsen auf der Insel Rügen

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