Hiddensee

Welch' ein dämmernd, bergigt Bild erscheint
Wo sich Meer und Himmels säum vereint?
Ist es Nebel, ist es Fels zu nennen?
Zweifelnd kann das Auge nicht erkennen.
Ob auf weiter Flur ein Berg sich hebt,
Ob ein Eiland auf den Wogen schwebt?

Fern' steht jetzt es drohend düsterblau,
Näher jetzt, behaucht von leichtem Grau
Und im Wolkenzug nach kurzen Stunden
Ist es ganz dem scharfen Blick entschwunden;
Bald erscheint es wieder niedrig schwer,
Ragt dann hoch in blassem Glänze her.


Ist es einer Riesenwelle Kamm,
Die herbei in Wut des Sturmes schwamm,
Die, von schnellem Zauberwort gebunden,
Als der Zorn der wilden Flut entschwunden,
Nicht zurück den Weg zum Ursprung fand,
Drohend hoch seitdem im Meere stand?

Ist es einer Wolke langer Zug,
Die sich einst gesenkt mit tiefem Flug,
Die im langen Winterfrost erstarret,
Jetzt auf fernen Fluchen träge harret,
Seit Jahrhunderten gefesselt liegt,
Bis sie einst zu Wolken wieder fliegt?

Wie ein Traum, der still die Seele füllt,
Schwimmt das Eiland duftig bunt umhüllt. —
Störe nicht des Schlummers leise Bilder;
Ach nicht immer ist das Leben milder,
Freundlicher der Wirklichkeit Gewalt,
Als des Traumes dämmernde Gestalt.

Wie des Rätsels tief verhüllter Sinn
Zieht die Insel sich durch Nebel hin. —
Löse nicht, was noch die Ahndung bindet;
Was der rasche, kühne Forscher findet
Ist nicht immer das ersehnte Glück,
Bringt nicht immer Hoffnungslicht zurück.

Hin zu jenem Flutumwogten Land
Sei der Blick, doch nicht der Weg gewandt;
Wie die sanften Pfade weiter leiten,
Mag zur Ferne still das Auge gleiten,
Das zum duft'gen Eiland gerne blickt,
Wie der Ahndung Traum das Herz erquickt.

Doch ist Dir Gefahr ein lockend Ziel,
Liebst Du mit dem Wagnis kühnes Spiel,
So verweile harrend an dem Strande,
Bis der Sturm zerreißt der Wolken Bande;
Schwing' Dich in den schmalen Nachen dann,
Steure gegen Sturm und Brandung an.

Wenn der Schaum auf schwarzen Wogen stiegt,
Tief der Nachen durch die Flut sich schmiegt,
Jede Welle mit geschäft'gen Händen
Will den schrägen Bord zum Abgrund wenden,
O wie ruhig schäu't sich's dann hinab
In das schnell vorüberflieh'nde Grab.

Zu des Eilands nackter Höh' empor
Sprüht der Schaum, der Sturm betäubt das Ohr;
Fühlst Du, wie die alten Felsen beben?
Möwen schreien, die vorüber schweben,
Und es deckt der Wolken düstre Nacht
Tiefen Frieden, der im Herzen wacht.


Dieses Kapitel ist Teil des Buches Die Insel Rügen