Granitz-Ort

Vom langen Dünenstrand zurückgekehrt,
Erhebt das Aug' dem Wald sich naher wieder;
Das Herz in frischer Freudigkeit begehrt
Zu hören neu der Vögel sanfte Lieder;
Im grünen Licht der laub'gen Blätterhülle
Fühlt sich mit voll'rem Geist des Lebens Fülle.

Und wie der schattig heitre Weg sich schlingt
Durch sanfte Windung hoher Waldeshügel,
Erhebt ein Rauschen sich, das fernher dringt
Wie Geisterstimmen Ruf auf leisem Flügel;
Und naher führt der Weg dem Klang entgegen. —
Kann so die Luft das Laub der Zweige regen?


Es ist das Meer! — Rasch tut der Wald sich auf;
Am hochbewachs'nen steilen Uferrande
Hemmt, wie bestürzt, sich selbst des Weges Lauf,
Gefesselt durch des Anblicks schnelle Bande.
So fern das Auge still hinaus sich wendet
Glänzt hohes, tiefes Meer, das nirgends endet.

So blau wie hier, wo Wald es rings umfasst,
Strahlt mild das Meer an keinem andren Orte;
Weit trennet, links und rechts, sich Ast von Ast,
Dem Auge öffnend eine Wunderpforte.
Am Himmelsrand, mit duftig leisem Schweben,
Sieht man sich Jasmund dunkelblau erheben.

Wenn still zurück der Kuß des Wandrers weicht,
Scheint ihm die Flut auf Gipfeln hoch zu liegen,
Im reinen Glanz des Äthers, duftig leicht,
Sich Luft auf See, See auf dem Wald zu wiegen,
Und wie sich Himmel, Sonn' und Wind bewegen,
Sieht man das Meer ein Farbenspiel erregen.

Am frühen Morgen, wenn die Welt noch schweigt,
Liegt, wie von blassem Flor, die Flut umzogen
Und wie das Licht der Sonne wächst und steigt,
Höh't sich und dunkelt sich das Blau der Wogen;
Der Wolke Zug, des Abendrotes Helle
Erfüllt mit Schatten und mit Glut die Welle.

Noch regt die Luft des Waldes Gipfel kaum
Und schon erbebt die Flut von flücht'gem Hauchen,
Bald strebt der Wogen Spiel, durchglänzt von Schaum,
Eich starken Schwungs zu heben und zu tauchen.
So steht mit raschem Wechsel jeder Stunde
Und Himmelslicht das ew'ge Meer im Bunde.
Es ist der leicht bewegten Seele gleich,
Die, was des Himmels heil'ge Fügung waltet,
Und was der Stunde wandelbares Reich
Bald freundlich mild, bald stürmisch streng gestaltet,
Nicht nur in schneller Regung tief empfindet,
Nein, mit dem eignen Lebensgeist verbindet.

Und ruhig kehrt stets in sich selbst zurück
Das tiefe Meer, von keinem Sturm bezwungen:
So ruht in sich der Seele Kraft und Glück;
Was rasch und hell in ihr emporgedrungen,
Es sind die Bilder, die in ihren Tiefen
Leicht aufgeregt und leicht beruhigt schliefen.


Dieses Kapitel ist Teil des Buches Die Insel Rügen