Die Insel Rügen 1833

Aus: Frankfurter Ober-Postamts-Zeitung. Frankfurter Konversationsblatt. Oktober 1833
Autor: Beurmann, Dr. (?), Erscheinungsjahr: 1833
Themenbereiche
Enthaltene Themen: Mecklenburg-Vorpommern, Rügen, Ostsee, Putbus, Stralsund, Stubbenkammer, Jasmund, Vitte, Svantevit, Badekur, Rügenrundreise, Wanderung, Meeresufer
Der äußerste Norden des deutschen Festlandes bietet, allenfalls mit Ausnahme der pittoresken Gegenden Holsteins, größtenteils, wenn auch nicht einförmige, doch in keinem Falle erhabene Naturgemälde. Üppige Kornfelder, hie und da von grünem Wiesenteppich unterbrochen, von Tannen- und Eichenwäldern umkränzt, sind die Licht-, Torfmoore und langweilige Heiden die Schattenpunkte des deutschen Nordens. Ein buntes Mancherlei bietet sich hier und da den Augen dar, aber ohne den romantischen Glanz des Südens, ohne seine klassische Natur-Erhabenheit. Das hier Gesagte gilt insonderheit von den Seegegenden. Dessen ungeachtet fühlt sich der dort Geborne mehr oder weniger in seine Heimat gezogen, er liebt sie wie der Lappe seine Eissteppen, der Grönländer seinen Tran. Man verzeihe mir den Vergleich, er ist nicht in jeder Hinsicht passend; denn nicht bloße Gewohnheit, sondern tiefere Motive lenken die Blicke des Norddeutschen von den Schweizeralpen, wie von dem weinumrankten Rheingau, von den Bergen Tirols, wie von dem Gestade der Donau hinüber in sein geliebtes Heimatland.
Inhaltsverzeichnis
Der Norden ist öde und rau und die Natur bietet höchstens Miniatur-Schönheiten, aber es waltet dort ein treuer, fester, biederer Sinn, und die Gastfreundlichkeit der alten Deutschen hat sich nicht leicht kräftiger und unversehrter erhalten, als an den Gestaden der Nord- und Ostsee. Das Gemüt der Menschen ist um so mehr edeln und erhabenen Eindrücken erschlossen, je weniger die Natur Süßeren poetischen Schmuck aufzuweisen hat. Es waltet ein eigentümlicher Freiheitssinn — der freilich in den sogenannten freien Hansestädten am wenigsten anzutreffen ist — in den Heiden und Mooren, und frei und hehr, wie das Meer, das weitflutende, unbegrenzte, welches ein Hauptattraktionspunkt für den Norddeutschen ist, erglänzt das Herz in Mitten äußerer Rauheit. In der Tat wie das physische Auge keine Beschränkungen erleidet, so schaut auch das geistige Auge nicht selten schärfer und freier, als in den Bergen. Sprach ich indes von Miniatur-Schönheiten der Natur, so muss ich auch der erhabensten Schönheit, des Meeres, die großartig, wie keine, sich dem erstaunten Auge bietet, gedenken. Wie eine mächtige Silberborde umsäumt es die weiten Flächen, und bietet, wenn sein Spiegel ungetrübt erglänzt, ein Bild einfacher Größe und Majestät; wenn seine Wogen, vom Orkane gepeitscht, zum Himmel anstürmen, ein Bild weltvernichtender, allgewaltiger Macht. Das Meer, mit seinen kräftigen muskelfesten Flussarmen, ist der Zenith des nördlichen Deutschlands, es zieht den Seeländer an, wie den Schweizer seine Berge, und wenn auch der Süden mir sanftpoetischen Klängen zu seinem Herzen spricht, so vermisst er doch ungern den stürmisch-poetischen Klang des brausenden Ozeans. Das Meer ist ein Teil seiner Heimat, er sieht in dem mächtigen, grenzlosen Elemente ein Bild menschlicher Freiheit, und fühlt die geistige Größe des Menschen um so mehr, wenn er bedenkt, wie die wildbrandenden Fluten sich seinem Willen unterordnen und seinen Schiffen Bahn machen, wenn er zu fernen Polen steuert. Der Anblick des Meeres erweitert die Brust und kräftigt den Vorsatz; unabsehbar, wie die Gewässer des Ozeans, ist der menschliche Wille. Die verschiedenen Eindrücke, welche sie hervorbringen und befestigen, können schwerlich durch andere Natur-Anschauungen auf gleiche Weise erregt und befestigt werden.

Was man aber im Allgemeinen von den Gegenden unseres nördlichen Deutschlands behaupten kann, findet auf die Insel Rügen im preußischen Pommern keine Anwendung. Ein funkelnder Smaragd erglänzt sie, unweit Stralsund, von diesem nur durch die schmale, eine Viertelstunde breite Meerenge Gallen getrennt, in den Gewässern der Ostsee, oder des baltischen Meeres. Wer hörte nicht von ihr, der Krone des nördlichen Deutschlands, der gespenstigen Rugia, mit ihren mächtigen Hünengräbern und Opfersteinen, mit ihren, Herthasee und den geheiligten Hainen, wie sie aus der Flut emporschaut, ein Denkmal uralter Tage, eine in Poesie strahlende Stätte grauer Nordlandsagen und gewaltiger Taten. Die üppigste Vegetation, einige Heideplätze ausgenommen, umhüllt dieses Eiland; lachende Fluren, goldne Kornfelder, schaurig düstere Eichenhaine und vom Meere bespülte gigantische Felsmassen bieten eine stete Abwechselung eines wahrhaft romantischen Gemäldes, das eine eben so liebliche, wie großartige Anschauung gewährt. Mit allen Reizen des Südens versehen liegt Rügen, wie eine festgeschmückte Braut in den Armen der Ostsee, die sie innig umschlungen hält, in unauflöslicher Umarmung.

Es war im Juli des Jahres 1829, als ich von der alten freien Hansestadt Lübeck über Wismar, Rostock und das freundliche Ostseebad Doberan der Stadt Stralsund zueilte. Die Reise dorthin bietet wenig Anziehendes, und nur die Erwartung des ersehnten Rügen konnte mich während derselben für die mancherlei Unannehmlichkeiten entschädigen, die mir auf der Poststraße durch Haide und Sand geböten wurden. Das Meer zu meiner Linken war die einzige Variation der stereotypen Gegend, die der Postwagen, den man wegen seiner Unbequemlichkeit mit dem ersten besten Karren vertauschen konnte, langsam durchzog. Kunststraßen gibt es in diesen Gegenden nicht; kaum eine Viertelstunde von Lübeck fängt der Sand an, und endet erst, hie und da von Lehmboden unterbrochen, vor den Thoren der Städte. Durchgerüttelt, halb lahm, langte ich am vierten Tage Morgens (in diesem Zeiträume hatte ich die unverhältnismäßige Strecke von 33 deutschen Meilen zurückgelegt) in Stralsund an.

Es knüpfen sich mancherlei Erinnerungen an diese Veste, jedoch eine erregt vor allen andern die Teilnahme der Besuchenden. Stralsund ist die Stadt, die Wallenstein erobern wollte, und wäre sie mit Ketten an den Himmel gefesselt; den Admiralshut des baltischen Meeres wollte er sich aus den Mauern der alten Hansestadt holen; aber wie die Meeresflut an ihren Ufern, brach sich der Wille des Mächtigen an der Kraft ihrer Bewohner. Es galt die Glaubensfreiheit, und Gottes Wort sollte nicht zu Schanden werden vor der Ruhmsucht und dem Ehrgeiz eines Mächtigen der Erde in der Stadt, an deren Strande sich Gustav Adolph durch ein herzinniges Gebet zu dem großen Befreiungswerke rüstete, das er glorreich vollbrachte und ans Lützens Ebenen mit seinem Herzblut betaute. Zwei Jahrhunderte zogen seitdem über die Zinnen der alten Veste. Statt der Fahne mit der dreifachen Krone über den Toren sieht man jetzt dort den gekrönten Adler Borussias seine Fittiche ausbreiten. Wenig erinnert mehr an die alte Macht und Herrlichkeit Stralsunds; aber das Andenken an eine ruhmumflossne, tatenreiche Vergangenheit erhebt sich über die Schranken der Erde, und das schwache Greisenalter macht die kräftige Jugend den Ruhm des Mannes nicht vergessen.

Stralsund, Jacobi-Kirche

Stralsund, Jacobi-Kirche

Ostseebad Binz auf Rügen

Ostseebad Binz auf Rügen

Ostseefischer

Ostseefischer

Kreidefelsen auf der Insel Rügen

Kreidefelsen auf der Insel Rügen

Insel Rügen - Königsstuhl

Insel Rügen - Königsstuhl

Stralsunder Hafen

Stralsunder Hafen

Ausfahrt der Ostseefischer

Ausfahrt der Ostseefischer

Hiddensee, Fischer 1963

Hiddensee, Fischer 1963