Die Nordsee

Zu demselben Ziele, wenn auch auf ganz anderen Wegen führte die Entwicklung im Gebiete der Nordsee. Seit den ältesten Zeiten hatten hier deutsche Schiffe die Wogen durchfurcht. Uralt ist die Fahrt von den Mündungen des Rheines hinüber nach England; seitdem Angeln und Sachsen von der Weser, Elbe und Eider aus sich Britannien unterwarfen, kann mau auch diese Verbindung als eine bekannte und häufig benutzte Israeliten. An der Küste entlang schiffte man nach den Märkten Flanderns, auch das entlegene Norwegen wurde von deutschen Seefahrern fleißig besucht. Trotzdem erlangte dieser Handel für die Einigung der deutschen Städte nicht die Wichtigkeit des baltischen. Auf viel entwickeltere Verhältnisse traf man hier als dort im rauen, zum Teil noch heidnischen Nordosten. Verhältnismäßig leicht war es, den gewöhnlichsten Rechtsschutz, Sicherheit für Person und Eigentum, zu erlangen. Auch dem nur vorübergehend Anwesenden wurde bald Teilnahme am Landesrecht gewahrt, andererseits aber ungern (oder nie) fremdes Recht im Bereich der eigenen Herrschaft geduldet. So war von dieser Seite her die Aufforderung zum Zusammenschluss nicht so dringend als im Gebiete der Ostsee. Dass derselbe trotzdem erfolgt ist, dass sich auch in England, dann in Flandern schon früh in sich abgeschlossene deutsche Niederlassungen bildeten, kann nicht Wunder nehmen. Aber nicht so rasch und allseitig haben sich dieselben entwickelt wie auf Gotland, konnte doch der deutsche Handel hier überhaupt nicht so schnell emporblühen wie gegenüber den unentwickelteren Völkern des Nordens und Ostens, denen die Deutschen in der Kultur überlegen, als Träger derselben erschienen. Erst die allmählich erwachsende Handelsherrschaft auf der Ostsee hat auch dem Verkehr nach Westen neues lieben zugeführt. In beschränkterem Wirkungskreis haben sich die Niederlassungen dort dann immer gehalten. Aber auch so konnten sie nicht verfehlen, zurückzuwirken auf die heimischen Städte, deren Angehörige sie in sich vereinigten; auch hier wiederholt sich in wesentlichen Zügen der Hergang, den wir auf der Ostsee beobachten konnten.

Schon früh haben die Deutschen im Verkehr mit England sich gesetzlichen Schutzes erfreut, ohne Zweifel durch die Vermittlung ihres Kaisers, unter der Form der Teilnahme am englischen Rechte. Bereits unter Aethelred II. (978 — 1016) werden in einem Dokumente über die Einrichtungen der Stadt London „die Leute des Kaisers guter Gesetze würdig erachtet wie wir selbst." Auch später ist es den deutschen Kaufleuten zu Gute gekommen, dass sie Untertanen des Kaisers waren. König Heinrich II. sagte ihnen 1157 in einem Briefe an Kaiser Friedrich I. Sicherheit des Verkehrs zu Die Unterstützung, welche deutsche Städte, besonders Köln, dem Richard Löwenherz, dann seinem und König Johanns Neffen, Otto IV. von Braunschweig und später König Richard angedeihen ließen, brachte ihnen neue Handelsbegünstigungen. Auch haben wohl Reichsfürsten, wie Herzog Otto von Braunschweig für seine Stadt Braunschweig, Privilegien von den englischen Königen erwirkt. Bis ins 13. Jahrhundert hinein werden als Vermittler dieses Verkehrs fast nur Städte genannt, die in der Nähe der Nordsee liegen, am frühesten das schon von Alters her handelsberühmte Thiel an der Waal, Lüttich, Bremen und Köln, später noch Utrecht, Stavoren, Gröningen, Emden, Braunschweig und Hamburg. Bei weitem am meisten tritt Köln hervor. Schon kurz nach der Mitte des 12. Jahrhunderts besitzen seine Kaufleute ein eigenes Haus in London Gildhalle genannt; sie allein von allen Deutschen haben das Recht, eine eigene Genossenschaft, eine „Hanse", zu bilden: es ist das erste Mal, dass dieser Ausdruck im Ausland als Bezeichnung für eine Gesellschaft von deutschen Kaufleuten auftritt. Doch ist der Zutritt zu dieser Hanse auch den Bürgern anderer Städte gegen ein Eintrittsgeld gestattet; die Westfalen scheinen sämtlich zur kölnischen Hanse hört zu haben. Lange Zeit aber behauptete Köln auf dem englischen Markte einen entschiedenen Vorrang vor allen übrigen deutschen Städten.


Da ist es besonders Lübeck gewesen, welches diesen Vorrang gebrochen, die Sonderstellung Kölns untergraben hat. Unter allen Städten im Gebiete der Ostsee ist Lübeck die erste, die im englischen Handel erwähnt wird. In der Urkunde, durch welche Friedrich II. Lübeck 1226 die Reichsfreiheit erteilte, ist von lübischen Bürgern die Rede, welche nach England zu reisen pflegen. Sie werden befreit von „jenem schlechten Missbrauche und der Belastung mit Abgalten“, welche die Kölner, Thieler und ihre Bundesgenossen gegen sie erfunden haben; sie sollen gleiches Recht und gleiche Bedingungen genießen, wie diese. Der Gegensatz zwischen West- und Ostsee ist ein scharfer gewesen und tritt wiederholt hervor. Offenbar hat Köln an der Spitze der Nordseestädte den Ostseeischen den Eintritt in seine Hanse, die einzige deutsche, welche bestand, erschwert, sie dadurch vom englischen Handel auszuschließen versucht. Lübeck tritt durch Erlangung jener kaiserlichen Zusage der Politik Kölns entgegen und bricht die Exklusivität der Nordseestädte.

Es könnte gegen diese Auffassung sprechen, dass auch noch andere Vertreter des Ostseegebiets schon um diese Zeit in Verkehr mit England stehen. Schon 1236 werden gotländische Kaufleute in England erwähnt. König Heinrich IIl. gibt im Jahre 1237 den „Kaufleuten von Gotland" Handels- und Zollfreiheit in seinem Reiche. Weist schon der Aufbewahrungsort der Urkunde, Lübeck, darauf hin, dass es sich hier um die Deutschen auf Gotland handelt, so zerstreut ein anderes Zeugnis jeden Zweifel darüber. Die Städte Kampen und Zwolle danken den Lübeckern für ihre Bemühungen, das alte Recht wiederherzustellen, nach welchem die Friesen und Flamländer nicht in die Ostsee nach Gotland, die Gotländer nicht an die Nordsee fahren dürfen, und bitten zugleich, auch den Engländern die Ostsee gänzlich zu verschließen, ein neuer Beweis für den Gegensatz zwischen beiden Meeren. Aber zugleich auch ein Beweis, dass es ein verknüpfendes Band gab: den Goten war es nicht erlaubt, die Westsee zu befahren, England zu besuchen, die Deutschen aber auf Gotland, die gotländische Genossenschaft, an der westfälische, also dem Nordseegebiete angehörige Städte einen so wesentlichen, in der älteren Zeit den wesentlichsten Anteil hatten, durften Nord- und Ostsee befahren, handeln von England bis Nowgorod, wie ja auch die westfälischen Städte selbst es taten. Köln mit seinen Genossen im Westen, Wisby und seine deutsche Genossenschaft im Osten hatten größere Rechte als sie die Osteestadt Lübeck und aller Wahrscheinlichkeit nach auch ihre Nachbarn besaßen. Diese mussten sich, Lübeck voran*), in England ihren Boden erst erobern.

*) Im Jahr 1238 erwirbt Lübeck für sich und andere Städte Deutschlands von Heinrich III. von England Privilegien, Lüb. Urkdb. I , n. 80

Lübeck ist nicht stehen geblieben bei jenen allgemeinen Bestimmungen der kaiserlichen Urkunde. Es hat sich zusammen mit Hamburg eine vollkommen gleiche Stellung neben zu erringen gewusst. Unter Vermittlung des Herzogs Albrecht von Braunschweig (des Schirmvogts von Lübeck) gelang es im November 1266 den Hamburgern, zu Anfang des folgenden Jahres den Lübeckern, das Recht zur Gründung einer eigenen Hanse in London („in derselben Weise, wie die Kölner sie haben und gehabt haben", heißt es in der Lübecker Urkunde) zu erlangen. Auch ihnen stand jetzt gleich den Kölnern das Recht zu, Angehörige anderer Städte gegen einen Beitrag von 5 Schillingen in ihre Hanse aufzunehmen, eine Berechtigung, die wenigstens für Lübeck bei dem Einfluss, den es schon damals in vielen Städten besonders durch die Verbreitung seines Rechts hatte, von weitreichender Bedeutung war und Kölns Ansehen entschieden verringern musste. Gerade um jene Zeit tritt nun Köln auch mehr und mehr zurück in den englischen Verhältnissen. Die Gesamtheit der deutschen Kaufleute, deren Vertretung Lübeck neben der gotländischen Genossenschaft anfing zu übernehmen, tritt an seine Stelle. Vom Jahre 1235 ab ist von einer Gildhalle der Kölner nur noch die Rede auf Anlass von Streitigkeiten zwischen ihnen und den übrigen Hansen, dagegen erscheint 1260 zum ersten Male in zwei Urkunden eine „Gildhalle der Deutschen" und „der nach England kommenden Kaufleute Alemanniens"*) Die erste Bestätigung der Privilegien „der Kaufleute des Reiches Alemannien, welche das Haus in der Stadt London haben, das gewöhnlich die Gildhalle der Deutschen genannt wird," ist von 1281. Von da an treten die deutschen Kaufleute als eine Gesellschaft auf. Streitigkeiten mit den Engländern über den Umfang der verliehenen Freiheiten mögen dazu beigetragen haben, das Zusammenschließen der einzelnen Hansen zu beschleunigen. Bei den Verhandlungen mit der Stadt London über die Unterhaltung des Bischofstores im Jahre 1282 erscheinen die deutschen Kaufleute als „Hanse Alemanniens“. Auch aus zwei andern englischen Städten, Boston und Lynn Regis, wird uns um dieselbe Zeit von dem Bestehen deutscher Hansen berichtet. — Wie sich in London das Aufgehen der Einzelhansen in die allgemeine Hanse aller deutschen Kaufleute vollzog, darüber haben wir keine Nachrichten. So viel aber ist klar zu erkennen, das Vorgehen Lübecks und mit ihm Hamburgs hat zur Vertretung der Sache des gesamten deutschen Kaufmannes, nicht neuer Sonderinteressen geführt. Geeinigt stand gegen Ende des 13. Jahrhunderts auch in England der deutsche Kaufmann den Einheimischen gegenüber.

*) Lüb. Urkdb. I , n. 250 und Lappenberg , Stahlh., II , n. 28. — Im Jahre 1290 lassen sich noch die Kölner eine alte Freiheit bestätigen, nach dem Anfange der Urkunde zu urteilen die Abgabenfreiheit der Gildhalle, wenn man den Anfang vergleicht mit Stahlhof II, n. 5 u. 15. S Urkdl. Gesch. II. S. 162.

Zu demselben Resultate gelangte man auf anderem Wege in Flandern. Der Handel zwischen diesem Lande und den Rheingegenden war früh entwickelt; Köln spielte in demselben, seiner Lage entsprechend, die Hauptrolle *). Zur Zeit aber, als es nach langen Streitigkeiten endlich auf der Grundlage gegenseitigen Rechtsschutzes zu einem geordneten Verkehr mit Flandern kam (1249), bahnten sich auch die norddeutschen Seestädte unter dem Vorgange von Hamburg und Lübeck durch Erlangung sicheren Geleits und Regelung der Zollverhältnisse im Gebiete der Grafen von Holland und der Bischöfe von Utrecht den Zugang zu den wichtigen flandrischen Märkten. Im Jahre 1252 erlangten dann die deutschen Kaufleute die ersten gemeinschaftlichen Privilegien.

*) Vgl Hardung. Die Entstehung des hans. Comptoirs zu Brügge in Sybels hist. Ztschr. 28, 310 ff. Die Einleitung zu diesem Aufsatz ist so voll von Unrichtigkeiten, dass, soweit vom deutschen Kaufmann die Rede ist, kaum eine Zeile als richtig bezeichnet werden kann. Alle dort aufgestellten falschen Behauptungen so widerlegen, würde eine Besprechung erfordern, die dem Aufsatz selbst an Umfang gleich käme, lohnt auch bei der gänzlichen Grundlosigkeit der meisten Behauptungen nicht die Mühe. Der Verfasser hat das vorhandene Quellenmaterial offenbar eingesehen, das zeigen verschiedene Einzelheiten, aber es in der Darstellung zu berücksichtigen, hat er nicht für nötig gehalten, sondern hat seine Phantasie frei spielen lassen. Man vergleiche nur die Bemerkung über das „gotländische Stadtrecht" (S. 303) mit Visby-Stadslag I (Schlyter 8, 23). Hier möge nur die Hypothese von dem Erwachsen der hansischen Kontore aus den Genossenschaften (Hansen, Bänken) der einzelnen Städte zurückgewiesen werden. In Brügge, Nowgorod und Bergen sind derartige Genossenschaften überhaupt nicht nachweisbar. In England geht allerdings die Hanse der Deutschen aus den Hansen einzelner Städte hervor Aber auch hier geht eine Zeit voraus, da die Kaufleute eine Einheit bildeten: ho mines imperatoris. In Wisby kennen wir ursprünglich nur die Deutschen als solche, den gesamten deutschen Kaufmann, erst später erfahren wir von Älterleuten einzelner Städte, von einer „Bank“ Lübecks. Hier wie in London können Angehörige kleinerer Städte in die Bank resp. Hanse einer größeren aufgenommen werden. Was berechtigt aber gegen die Quellen anzunehmen, dass dies das Ursprüngliche gewesen sei? Dass in England der deutsche Kaufmann zuerst vom Kaiser, auf der Ostsee vom Herzog von Sachsen (resp auch von Kaiser Lothar) vertreten wird, bestätigt doch nur die Überlieferung, welche die Deutschen zuerst geschlossen auftreten lässt. Und konnten sich denn Hansen und Ränke der einzelnen Städte im Auslande bilden, bevor diese Städte selbst bestanden resp. zu einer Stadtverfassung oder wenigstens an einer Kaufmannsinnung gelangt waren? Und wann ist denn Letzteres geschehen, wann Lübeck gegründet?

Aber ganz anders traten sie hier auf, als wir es bisher haben beobachten können beim Fußfassen in fremden Gebieten: nicht als Schützlinge ihres Landesherrn , wie in Gotland unter Heinrich dem Löwen, nicht als Bürger einer einzelnen Stadt, die selbst oder unter Vermittlung eines Fürsten um Privilegien wirbt, sondern als im großen Ganzen schon vollendete Einheit, als die Gesamtheit der „Kaufleute des römischen Reichs". Die beiden Unterhändler, Hermann Höver, Ratmann von Lübeck, und Jordan von Boizenburg, Ratsnotar von Hamburg, werden in allen Urkunden als Abgesandte dieser Kaufleute bezeichnet. Aber neben dieser Allgemeinheit vertreten sie noch drei besondere Gruppen: die Kaufleute, welche Gotland besuchen, die Bürger von Lübeck und die Kaufleute der rheinischen und westfälischen Städte: Köln, Dortmund, Soest, Münster, Aachen; für diese werden die Urkunden ausgestellt. Es umfasst also ein gemeinsames Band die gesamten Kaufleute des Reiches; aber von ihm umschlossen sind deutlich drei Abteilungen zu unterscheiden, die sich um Wisby, um Lübeck und Köln scharen. Die leitende Stellung, die, wie wir gesehen haben, Köln in England, Wisby als Sitz der gotländischen Genossenschaft in der Ostsee einnahm und Lübeck wegen seines außerordentlichen Aufschwungs auf letzterem Gebiete einzunehmen im Begriff stand, wird auch bei diesem gemeinsamen Vorgehen der deutschen Städte auf einem neuen Felde deutlich erkennbar. Es ist das erste Mal, dass wir sie alle zu gemeinsamer Vertretung ihres Kaufmanns geeinigt sehen.

Den errungenen Privilegien und Zollermäßigungen folgte wahrscheinlich bald eine dauernde Niederlassung des deutschen Kaufmanns in Brügge, dem wichtigsten Markte Flanderns. Im Jahre 1280 und wieder 1307 wurde der Stapel der deutschen Kaufleute, die „nederlaghe" , auf kurze Zeit von Brügge nach Ardenburg verlegt. Das Bestehen einer solchen Niederlage, ihre Verlegung in eine andere Stadt und Rückkehr nach Brügge setzt eine Niederlassung deutscher Kaufleute voraus, die allerdings nicht wie in London und Nowgorod ein eigenes gemeinschaftliches Haus besaßen, sondern gegen Mietzins für sich und ihre Waren bei den Bürgern Unterkommen fanden. Sie erlangten jedoch im Jahre 1307 als Preis für die Rückkehr nach Brügge, in die allemal nur gegen Erweiterung der früheren Privilegien gewilligt wurde, eigene Gerichtsbarkeit nach heimischem Brauche; nur Todes- und schwere Körperstrafen blieben den flandrischen Gerichten vorbehalten. Damit stand auch diese Niederlassung als eine in sich geschlossene, selbständige Gemeinschaft den Eingebornen des Landes gegenüber.
Dieses Kapitel ist Teil des Buches Die Hansestädte und König Waldemar von Dänemark.