Die Bedeutung der auswärtigen Niederlassungen deutscher Kaufleute für die Verbindung der Städte

Überblicken wir kurz den Gang der Entwicklung und das Ziel, zu dem sie führte. Im fernen Osten, auf Gotland und in Nowgorod, wie im Westen, in London und in Brügge, waren Niederlassungen des deutschen Kaufmanns entstanden, die Angehörige der verschiedensten deutschen Städte in sich vereinigten. Am frühesten und umfassendsten umschlangen die gotländische Genossenschaft und ihre Tochterkolonie, der Hof zu Nowgorod, Bürger der rheinischen und westfälischen, der Nord- und Ostseestädte mit einem gemeinsamen Bande. In London schlossen sich unter Kölns Leitung Angehörige der westlichen Städte zu einer Vereinigung zusammen, in die auch allmählich die östlichen Städte Eingang zu finden wussten, und die diese zu einer Gesamtorganisation aller deutschen Kaufleute erweiterten. In Flandern erscheinen die Kaufleute des römischen Reichs von vornherein als geschlossene Einheit. Überall aber waren sie stets in nahem Zusammenhange mit der Heimat geblieben. Sie waren zuerst aufgetreten gestützt auf die Verträge, die der Kaiser, der Herzog von Sachsen für sie mit auswärtigen Mächten schlossen. Als dann die Kaiser anfingen, sich um diese Dinge nicht mehr zu kümmern, als die sächsische Herzogsmacht zerschlagen war, zeigte sich teils die Stellung der Kaufleute im Auslande fest genug begründet, um aus eigener Kraft auf der betretenen Bahn weiter gehen zu können, wie auf Gotland, wo man allerdings sich auf ein fast germanisiertes Gemeinwesen stützen konnte, teils waren die deutschen Städte so weit entwickelt, dass sie direkt in die verlassene Stelle eintreten konnten, wie Köln in England, oder dass sie doch auf dem besten Wege dazu waren , wie Lübeck auf der Ostsee. Da die auswärtigen Niederlassungen sich nicht zusammensetzten aus Leuten, die im Auslande ansässig waren, sondern aus solchen, die nur vorübergehend ihres Geschäftes wegen sich dort aufhielten, ihren eigentlichen Wohnsitz in den Städten hatten, Bürger der Städte blieben, so konnte der Zusammenhang mit der Heimat nie unterbrochen werden, konnte diese nie das Interesse verlieren an der Lage ihrer Angehörigen. Sie konnte das um so weniger, als in der früheren Zeit der Stand der Kaufleute sich so ziemlich deckte mit dem Begriffe der Stadtbewohner überhaupt, als der Rat der Städte noch lange ausschließlich aus Kaufleuten bestand. Je mehr nun dieser Rat seine Gewalt erweiterte, und wie rasch geschah das in dem Jahrhundert, das mit den Staufern die Kaisermacht zu Grunde gehen sah, je mehr er auch nach außen hin wirksam auftreten, wohl gar mit den Waffen eingreifen konnte, desto mehr musste natürlich sein Einfluss auf seine in ausländischen Verbindungen stehenden Bürger wachsen, desto mehr mussten diese einen solchen Einfluss auch wünschen, da er ihnen ersetzen konnte, was sie verloren hatten, da er doch dem Auslande gegenüber eine festere Stütze bot als eine noch so entwickelte Genossenschaft ohne eigentliche politische Macht. So erklärt sich der rasch wachsende Einfluss Lübecks. Dass dieser Einfluss dann nicht in die Bahnen einlenkte, die nach dem Zerfall der Kaisermacht im Reich die gewöhnlichen wurden, in die des Partikularismus, dafür sorgte die feste Einheit, zu der sich die „Kaufleute des römischen Reiches" auf einer Insel mitten in der Ostsee zusammengeschlossen hatten, aus den Tagen der Kaiserzeit her trotz mancher Unterschiede in Sprache und Recht dem Auslande gegenüber als Genossen sich fühlend. Die vielgeschmähte römische Kaiseridee, der wir trotz alledem doch wesentlich mit den Gedanken nationaler Einheit verdanken, zeitigte hier, als ihr Glanz schon im Erbleichen war, noch eine ihrer schönsten Früchte. Denn wer auf diese Gesellschaft der deutschen Kaufleute Einfluss üben, ihren Einfluss zu dem seinigen machen wollte, der durfte an dem Gedanken der Einheit nicht rütteln, der musste, wie Lübeck es tat, sich mit den andern beteiligten Städten in Verbindung setzen, musste, wie es in England geschah, partikulare Bildungen zu durchbrechen suchen, musste die Sache des geeinigten Kaufmanns in die Hand der geeinigten Städte übertragen. So führte in Deutschland zu festem Zusammenschluss, was die italienischen Handelsrepubliken zum Kampfe auf Tod und Leben gegen einander rief. Offenbar liegt gegen Ende des 13. Jahrhunderts die Sache so: die im Auslande gegründeten Niederlassungen deutscher Kaufleute, die Angehörige zahlreicher norddeutscher Städte aus dem Osten und Westen umfassen, sind Institutionen, die von der Gesamtheit dieser Städte mehr oder weniger abhängen, zugleich aber auch ein Band bilden, das diese Städte zu einer Einheit zusammenfasst , indem es ihnen in dem gleichartigen Interesse ihrer Kaufleute im Auslande einen Mittelpunkt gemeinsamer Politik gibt.

Betrachtet man die einzelnen Niederlassungen in Bezug auf ihr Verhältnis zu den Mutterstädten genauer, so stellt sich diese Sachlage klar genug dar. Es lassen sich eine Reihe von Beispielen aus dem 13. Jahrhundert aufzählen, in denen die Städte, zum Teil in weit umfassender Vereinigung, auftreten, um die Verhältnisse der auswärtigen Niederlassungen zu ordnen, im Interesse des nach dem Auslande handelnden deutschen Kaufmanns Beschlüsse fassen, Anordnungen treffen, Verträge schließen, in denen allein diese auswärtigen Niederlassungen als einigende Mittelpunkte erscheinen.


Der deutsche Hof zu Nowgorod erscheint von vornherein durchaus abhängig von der Heimat, anfangs von seiner Mutter, der gotländischen Genossenschaft, als diese und Wisby mehr und mehr zurücktreten vor der wachsenden Bedeutung Lübecks, besonders von dieser Stadt. Zahlreiche Bestimmungen des lübischen Rechts, welche in die nowgoroder Schra übergegangen sind, zeugen von ihrem Einfluss. Aber wenn Lübeck denselben auch, wie früher Wisby und in späteren Jahrhunderten Riga, Dorpat und Reval, zur Verfolgung partikularer Interessen verwertete,*) so war es doch auf die Zustimmung und Unterstützung aller übrigen Städte angewiesen, und hier zeigt es sich deutlich, wie die gemeinsamen Handelsinteressen zahlreiche deutsche Städte unter der Führung der in diesem Handel hervorragendsten vereinigte. Jener Beschluss von 1277 über Abbruch des Verkehrs mit Nowgorod wird gefasst „nach gemeinsamer Beratung und Zustimmung der Städte und der Nowgorod besuchenden Kaufleute", setzt also eine Versammlung der Städte voraus. Den Beschluss von 1293 über Appellation von Nowgorod nach Lübeck fassen die sächsischen und slawischen Städte auf einer Versammlung zu Rostock. Die Zahl der Städte, welche ihre Erklärung in dieser Sache abgeben, beweist, wie umfassende Interessen diese Frage berührte.

*) Besonders in Betreff der Wahlen zu Ältermännern, indem nach der ältesten Schra (Urkdl. Gesch. II, S. 18) anfangs Bürger aus allen Städten von den auf dem Hofe ankommenden „Sommer- und Winterfahrern" gewählt werden konnten, später diese Freiheit beschränkt, ja das Wahlrecht ganz aufgehoben wurde, s. Urkdl. Gesch. II, 8. 221. Dass Wisby auch im 14. Jahrhundert noch nicht ganz zurücktrat, beweist die damals geltende Bestimmung, dass der Ältermann des Hofes abwechselnd aus Lübeck und Gotland gewählt werden musste. Urkdl. Gesch. II, S. 275. Um die Mitte des 14. Jahrhunderts bemüht sich dann Riga, an der Einsetzung der Ältermänner Anteil zu bekommen, bewahrt um diese Zeit auch einen Schlüssel zur Kiste in Nowgorod, vgl. Liv. Urkdb. II, d. 906 und 907 (von Bunge um 1360 gesetzt).

Weniger hat die gotländische Genossenschaft den Städten zu gemeinsamem Handeln direkten Anlass gegeben. So lange sie noch in voller Blüte stand, ordnete der Kaufmann in ihr seine Angelegenheiten selbst. Als 6tatt der Vereinigung der Kaufleute die Gemeinschaft der Städte auftrat, verschwand jene alsbald ganz hinter der Stadt Wisby, die ein Glied des neuen Bundes wurde. Gerade dieser Übergang aber hat einen gemeinsamen Beschluss der Städte hervorgerufen, nämlich den schon erwähnten, dass auf Gotland kein Siegel des gemeinen Kaufmanns mehr gehalten werden solle.

Häufiger ist die flandrische Niederlassung Gegenstand gemeinsamer Beratung und Beschließung unter den Städten gewesen. Als man 1280 den Stapel vorübergehend von Brügge nach Ardenburg verlegte, wurden eine Reihe von Verhandlungen nötig. Dass uns nur von 11 Städten Schreiben in dieser Angelegenheit erhalten sind, ist wohl nur ein ungünstiger Zufall. Ums Jahr 1300 ladet Lübeck zu gemeinschaftlicher Beratung über die aufs Neue verwickelten flandrischen Verhältnisse Städte von Westfalen, Sachsen, Slawien, der Mark, Polen, Gotland, dann Riga und andere Örter ein, und es galt doch nur Städten, welche am flandrischen Handel beteiligt waren >). Wieder im Jahre 1305 kommen auf einer Versammlung der Städte zu Lübeck auch flandrische Verhältnisse zur Sprache-)In einer durch noch zu besprechende Ereignisse allerdings gelockerten Einheit stehen wenige Jahre darauf die Städte wieder in Unterhandlung mit dem Grafen von Flandern und den Städten Ardenburg und Brügge. Eifrig sehen wir sie die Interessen ihrer Angehörigen vertreten; auch kostspielige Gesandtschaften scheuen sie nicht.

Auffällig ist, dass bis gegen Ende des 14. Jahrhunderts hin nie eine größere Vereinigung deutscher Städte in Unterhandlung mit England erscheint oder sich mit den Angelegenheiten des Kaufmanns in England beschäftigt So lange die Hansen der einzelnen Städte bestanden, war das nur natürlich. Als aber diese in die „Hanse Alemanniens" , die „Gildhalle der Deutschen in England" aufgingen, hätte man häutigeres Eingreifen der heimischen Städte erwarten sollen. Vielleicht hat das seinen Grund darin, dass der deutsche Kaufmann einerseits in England im 14. Jahrhundert eine sehr sichere und einflussreiche Stellung einnahm, andererseits aber auch dem fremden Gemeinwesen näher stand, als das irgendwo sonst der Fall war.*) Doch hat er den Zusammenhang mit der Heimat nicht verloren. Er hält an ihrer Gerichtsbarkeit fest. Dass er ihre Unterstützung nicht entbehren konnte, zeigt deutlich genug das Schreiben „des Ältermanns und der Brüder der Hanse Alemanniens" an die Stadt Rostock vom Jahre 1303, in welchem um Hilfe gebeten wird zur Durchführung des vom deutschen Kaufmann in England gefassten Beschlusses, den Hafen Lynn, wo dem Kaufmann Unrecht geschehen sei, bis zur Sühnung dieses Unrechts zu meiden. Sie berufen sich auf ein früheres Schreiben an Rostock und an den „gemeinen Kaufmann von Westfalen"; die westfälischen Städte hätten den Beschluss der deutschen Hanse in England unterstützt und bäten jetzt mit dieser vereint, dass auch Rostock für die Bestrafung der wegen Nichtachtung jenes Beschlusses aus der Hanse ausgestoßenen Schiffer und Kaufleute aus verschiedenen Städten sorgen möge. Höchst wahrscheinlich sind ähnliche Schreiben an die andern Städte abgegangen. Wie sich dieselben diesem Wunsche gegenüber verhalten haben, wissen wir nicht, aber schwerlich werden sie es versäumt haben, durch eine möglichst allgemein durchgeführte Maßregel das Ansehen des deutschen Kaufmanns in England den Einheimischen gegenüber aufrecht zu erhalten.

*) Der von den Deutschen in London gewählte Ältermann musste Londoner Bürger sein; die Deutschen mussten ein Tor von London (Bighopsgate) mit erhalten und verteidigen; nicht vertragsmäßig nur nach gegenseitiger Übereinkunft konnten sie ihre Streitigkeiten unter einander nach heimischem Recht schlichten. Vgl. Lappenberg, Stahlhof 8. 18 ff. und Hamb. Urkdb. n. 715

Es kann nach diesen Darlegungen wohl keinem Zweifel mehr unterworfen bleiben, dass die Interessen der deutschen Kaufleute im Auslande zu vertreten ums Jahr 1300 eine Gesamtaufgabe der deutschen Städte geworden war. Die „Freiheiten des gemeinen Kaufmanns im Auslande" war das Panier, um das sich die norddeutschen Städte scharten, sie waren das zwar lose, aber doch dauerhafte Band, das alle umfasste. Innerhalb dieses Bandes aber hatten sich durch die Macht gegebener Verhältnisse drei Sondergruppen entwickelt, die sich um die drei Leiter des deutschen Handels, Wisby, Köln und Lübeck zu kleineren Einheiten zusammentaten. Die Grundlage des Bundes, wie sie durch Jahrhunderte bestehen sollte, war damit gegeben. Will man aber sein Wesen und seine Entwicklung ganz verstehen, so muss man noch andere Punkte ins Auge fassen.
Dieses Kapitel ist Teil des Buches Die Hansestädte und König Waldemar von Dänemark.