Die Verbindungen deutscher Kaufleute im Ausland.

Handel und Gewerbe waren mit wenigen Ausnahmen im Mittelalter die Lebenselemente der Städte; fast mehr noch als heutzutage bildeten gerade sie die Grundlage städtischer Entwicklung. Mit Recht hat man für das frühere Mittelalter die Ausdrücke Kaufmann (mercator, negotiator) und Stadtbewohner als gleichbedeutend gesetzt. Stellt man sich daher die Aufgabe, diese Entwicklung zu verfolgen, so wird man in erster Linie das Verkehrsleben beachten müssen. Und besonders drängt sich gerade diese Seite des Bildes in den Vordergrund, wenn man den Anfängen des hansischen Bundes nachspürt. Denn er war eine Vereinigung, die sich vor allen Dingen durch die Gemeinsamkeit merkantiler Interessen bildete und durch diese besonders zusammengehalten wurde.

Den Vorstellungen unserer Vorfahren erschien das Handwerk, von dem Betrieb weniger Künste abgesehen, als nur des unfreien Mannes würdig; den Handel aber verschmähte auch der freie Germane nicht. Auf langen, schmalen, schnellen Ruderschiffen befuhr er Ost- und Nordsee als Räuber oder Kaufmann, wie es die Gelegenheit brachte, führte die Waren des Nordens, vor Allem den kostbaren Bernstein, an die Grenzen des Römerreichs *). Die Ausbreitung der fränkischen Herrschaft begünstigte diese Tätigkeit und gab ihr zugleich einen friedlicheren Charakter. Denn war auch der Kaufmann der Bringer des Neuen, eine verhältnismäßig gern gesehene Persönlichkeit, so musste doch auch er mit der Anschauung rechnen, die fremd und feind als gleichbedeutend betrachtete. Im Frankenreiche aber wurde ihm überall das Recht gewährt, das ihm durch Geburt und Abstammung eigen war. Sicher wie in der Heimat konnte der friesische Kaufmann, er tritt besonders als Handeltreibender hervor, die weiten Gaue merovingischer und karolingischer Herrschaft durchwandern; er war nicht mehr rechtlos, nicht mehr war sein Gut und Leben auf fremde Gnade oder die Schärfe des eigenen Schwerts gestellt.


*) Vgl. W. Wackernagel, Gewerbe, Handel und Schifffahrt der Germanen bei Haupt, Ztschr. f. dtsch. Altertum IX , S. 530 ff. Auffallend ist die Ähnlichkeit zwischen dem im Nydammer Moore im Sundewitt 1868 gefundenen 80 Fuß langen Boote, das aus dem 2. oder 3. Jahrhundert n. Chr. stammt (s. d. Abbildung bei Montelius, Sveriges hednatid S. 201) und den noch jetzt an Norwegens Westküste und in Dalarne gebräuchlichen Booten. Ich sah am Silja ein solches „Kirchboot", das nicht weniger als 52 Ruder führte.

Allerdings überschritt er die Grenzen des Reichs, und dem Norddeutschen lagen die Fahrten nach England, dem Norden und Osten am nächsten, so war seine Stellung wieder die alte. Hier galt es Wandel zu schaffen, zu rechtlicher Geltung zu kommen. Fürstlicher Einfluss, im Nordwesten des Kaisers, im Nordosten des Herzogs von Sachsen, ist es gewesen, der hier die ersten Wege gebahnt hat Es gelingt wenigstens an einzelnen Orten, dem heimischen Recht eine gewisse Geltung zu verschaffen, in der Gestalt nämlich, dass die Deutschen auch im Auslande ihre Streitigkeiten unter sich nach angestammtem Rechte richten konnten. Bei Konflikten mit den Fremden aber, und sie waren ja bei Weitem die häufigeren, galten entweder vertragsmäßig vereinbarte neue Rechtssätze, oder der Deutsche wurde geradezu in das fremde Recht aufgenommen, es wurde ihm gestattet, die ihm im fremden Lande wiederfahrene Unbill vor fremdem Gerichte und nach fremdem Rechte zu verfolgen, gleich als wäre er ein Eingeborner des Landes selbst. „Die Leute des Kaisers wurden guter Gesetze würdig erachtet wie wir selbst", heißt es im Londoner Stadtrechte des Königs Aethelred. — Und das entsprach auch der inzwischen geänderten Auffassung des Rechts. Die Personalität war der Territorialität gewichen, nicht mehr an die Person und an ihre Nationalität, an das Territorium dachte man sich das Recht geknüpft. Für das 12. Jahrhundert kann man die letztere Anschauung als die herrschende bezeichnen, die Aufzeichnung der Rechtsbücher zeigt sie in vollständiger Geltung *).

*) Vgl. O. Stubbe, Personalität und Territorialität des Rechts im Jahrbuch des gemeinen deutschen Rechts VI. 34 ff.; K. Schult, das Urteil des Königsgerichts unter Friedrich Barbarossa in d. Ztschr. d. Vereins f. Thüring. Gesch. a. V. I, 156 ff. Darnach ist zu berichtigen Sartorius-Lappenberg , Urkundl. Gesch. d. dtsch. Hanse I, p. XIII.

Die Gleichheit der rechtlichen Stellung gegenüber den Fremden, die Gemeinschaft im Genuss der Freiheiten und Rechte, die etwa für die Untertanen eines Herrn in einem fremden Lande erworben waren, bildeten für diese im Auslande mächtige Bindemittel. Nur durch festes Zusammenhalten konnte man die Wahrung der erlangten Rechte überwachen, nur einem Vereine Mehrerer war es möglich, interne Streitigkeiten auszugleichen. Eine Reihe anderer Umstände kam hinzu, die nicht minder zu engem Zusammenschluss drängten. Gefahrvoller, als wir uns heut zu Tage vorzustellen vermögen, waren die Reisen ohne Kompass und Chronometer, fast ohne Schifffahrtszeichen, in zum Teil überaus kleinen Fahrzeugen, einem grausamen Strandrechte preisgegeben, bedroht von Seeräubern jeder Art. Langwieriger waren sie bei der zum großen Teil unbeholfenen Bauart der Schiffe, bei der Schwierigkeit, die Hindernisse zu überwinden, welche die Dunkelheit der Nacht, Nebel und Unwetter der Schifffahrt entgegenstellen. Am Bestimmungsorte angelangt musste dann der Kaufmann oft lange warten, ehe seine Waren einen Käufer fanden. Da man in der stürmischen Winterzeit sich nicht hinauswagte in die See, wurde bei der Kürze des nordischen Sommers nicht selten Überwinterung notwendig. Da fühlte man denn das Bedürfnis, sich an Landsleute anzuschließen, doppelt stark. Schon die Lust an der Geselligkeit, lebhaft empfunden von den Menschen des Mittelalters und ganz doch nur zu befriedigen unter Genossen von gleicher Sprache und Sitte, drängte mächtig dazu. Und kaum minder das Bedürfnis religiöser Stärkung, das der so mancher Gefahr glücklich Entronnene fühlte. Wie manches Gelübde mag Sturmes und Wogennot den geängsteten Seelen der Schiffenden ausgepresst haben. Natürlich war der Wunsch, solche Gelübde auch auswärts in eigener Kirche erfüllen, auch in der Fremde den Gottesdienst nach heimischer Weise halten, den verstorbenen Landsmann und Freund auch fern von der Heimat auf eigenem Grunde, gleichsam in heimischem Boden, beerdigen zu können, durch einen heimischen Priester für sein Seelenheil beten zu lassen. Ist es doch noch in unsern Tagen, wo diese Motive zum größten Teil wegfallen, die Regel, dass sich die Deutschen im Auslande, wenn auch nur lose, zusammenschließen, wie viel mehr in einer Zeit, in der sich fast das ganze Leben in der Form von Gilden, Brüderschaften und Vereinen der verschiedensten Art abspielte, wie viel mehr bei dem deutschen Kaufmann des 12. und 13. Jahrhunderts, dem schon in seinen heimischen Gilden und „Hansen" die Form gegeben war, in der er auch im Auslande auftreten musste. Die Verbindungen der deutschen Kaufleute an den Haupthandelsplätzen des Auslandes können kaum etwas Befremdendes für uns haben. Auffallen kann nur, dass diese Verbindungen so große Selbständigkeit erlangen und dass sie, darin ganz abweichend von den Niederlassungen der italienischen Handelsrepubliken, die Angehörigen so weiter Gebiete umfassen und dadurch dann einigend auf so zahlreiche und so weit zerstreut liegende Städte wirken.

Beide Züge treten am frühesten und klarsten an den Ostseeniederlassungen hervor; sie sind die wichtigsten für die Entstehung der Hanse.
Dieses Kapitel ist Teil des Buches Die Hansestädte und König Waldemar von Dänemark.