Wisbys dominierende Stellung im Ostseehandel

Ein Blick auf die Karte zeigt, dass Gotland den Mittelpunkt des damals dem Verkehr erschlossenen Teiles der Ostsee bildet. Mittwegs gelegen zwischen der Trave und der Newa, zwischen der Weichselmündung und der Einfahrt in den Mälar, zwischen dem Sund und dem Rigaischen Meerbusen, diesem gegenüber der schwedischen Küste vorgelagert konnte es am wenigsten zu einer Zeit umgangen werden, die den Schiffer noch ängstlich dem Lauf der Gestade folgen, bei der Fahrt übers offene Meer die kürzesten Entfernungen von Land zu Land suchen sah. So kamen Gotland und seine Hauptstadt Wisby früh zu dominierender Stellung im Ostseehandel. Die kirchlichen und fortifikatorischen Überreste des mittelalterlichen Wisby, einzig in ihrer Art im gesamten Norden, zeigen deutlicher als die spärlich überlieferten historischen Nachrichten, welche Bedeutung die Stadt hatte. Und gerade hier sehen nur die Deutschen, seitdem sie mit eigenen Schiffen die Ostsee befuhren, sehr bald eine bevorzugte Stellung einnehmen. Neben der gotischen erwächst eine deutsche Bürgerschaft; Goten und Deutsche sitzen im Rat; die gotische und die deutsche Sprache stehen in dem nordischen Gemeinwesen in gleicher Geltung neben einander die vornehmste Kirche Wisbys war und ist die von Deutschen im ersten Viertel des 13. Jahrhunderts erbaute Kirche „Maria Teutonicorum“

Neben diesen ansässigen Deutschen bildet sich in Wisby eine Genossenschaft deutscher Gotland besuchender Kaufleute, der Ursprung und erste Anfang des ,,gemeinen Kaufmanns“, der aus der Hanse nie verschwunden ist, auch nicht zu den Zeiten, wo dieselbe schon längst aufgefasst wurde als ein reiner Bund von Städten. Und diese Genossenschaft deutscher Kaufleute ist es, welche zuerst den Handel verschiedener deutscher Städte und Länder als einen einheitlichen vertritt. Der erste Vertrag, den sie und die Stadt Riga gemeinsam mit dem Fürsten von Smolensk vereinbaren, wird geschlossen durch Bürger von Wisby, Lübeck, Soest, Münster, Groningen, Dortmund, Bremen und Riga. Man folgt hier einem alten skandinavischen Handelswege. Und dasselbe geschieht in dem Vordringen durch Newa, Ladoga-See und Wolchow nach Groß-Nowgorod unweit des Ilmen-Sees; hier erhebt sich der Petershof, die Deutschen treten an die Stelle der Goten. Die Genossenschaft aber beschränkt ihre Tätigkeit nicht auf die Ostsee, auch in England und Flandern schließt sie Verträge. Eine Gesellschaft von Privatleuten spielt eine wichtige Rolle in der ersten Begründung der handelspolitischen Stellung der Deutschen im Auslande.


Doch sehr bald geht die Leitung über in die Hand der heimischen Städte, deren Interessen ja zumeist in Frage standen. Von Beherrschern Sachsens, von Kaiser Lothar und Herzog Heinrich dem Löwen, wissen wir, dass sie ihre schützende Hand über die Angehörigen des sächsischen Herzogtums hielten, die im nordöstlichen Verkehr ihrem Erwerbe nachgingen. Auch die Städte stützen sich bis über die Mitte des 13. Jahrhunderts hinaus in ihren Beziehungen zum Ausland noch vielfach auf heimische landesfürstliche Gewalten, deren Fürsprache und Vermittelung man natürlich nicht umsonst erwarb. Dann aber werden sie mehr und mehr selbständig, nehmen die Angelegenheiten ihrer Angehörigen in die eigene Hand, bilden sich heraus zu den eigentlichen Leitern der hansischen (deutschen) Handelspolitik. Die gotländische Genossenschaft ist nach dem Ablaufe des 13. Jahrhunderts nicht mehr nachweisbar; jene Städte aber, deren Bürger in ihr vereinigt waren, werden um die Interessen des ,,gemeinen Kaufmanns“ geschart zu dem Bunde, der ungefähr seit der Mitte des 14. Jahrhunderts den Namen ,,Hanse der Deutschen“ führt. Nicht ohne dass der umfassenderen Vereinigung mehr oder weniger enge Verbindungen in territorialen Grenzen vorangegangen wären, kam jene zustande; aber das eigentlich Einigende und Zusammenführende bildete und blieb für die Gesamtheit der Städte das gemeinsame Auftreten ihrer Bürger, des deutschen Kaufmanns, im Auslande.
Dieses Kapitel ist Teil des Buches Die Hanse und ihre Handelspolitik