Schwedens aufstrebende Macht

Und Schwedens aufstrebende Macht war es nun auch, die dem russischen Handel der Hansen ein jähes Ende bereitete. Trotz der freien Konkurrenz der Holländer hatte derselbe bis in die zweite Hälfte des 16. Jahrhunderts noch immer einen ansehnlichen Umfang; die Schließung des Hofes zu Nowgorod hatte kaum eine weitere Wirkung gehabt, als ihn an die Küste zurückzudrängen. Da kamen die Tage des Unterganges der livländischen Selbständigkeit. Russen und Polen, Schweden und Dänen kämpften um den Besitz des innerlich zerrissenen, eigener Führung unfähigen Landes. Es ist den deutschen Städten zum Vorwurf gemacht worden, das sie nicht helfend eingetreten sind, ihre älteste kolonisatorische Schöpfung nicht geschützt haben. Aber die alten Herren in den Städten wussten besser, wo sie der Schuh drückte, als ihre modernen Tadler; leider nur zu sehr konnten sie sich decken mit dem ultra posse nemo obligatur. Wenigstens den russischen Handel aber suchten sie durch diese Fasslichkeiten hindurch zu retten. Den jedoch zu stören, lag gerade im Interesse der Schweden, die ihren russischen Feinden die Zufuhr abendländischer Artikel abzuschneiden suchten. Im Sommer des Jahres 1562 wurde die hansische Handelsflotte, die gegen 40 Schiffe stark in den Gewässern von Narwa erschienen war, von den Schweden einfach weggenommen. Niederländer, Engländer, Schotten, Ostfriesen, die in derselben Fahrt begriffen waren, wurden ans politischen Gründen rücksichtsvoller behandelt, nur am Verkehr gehindert; die Hansen haben nie eins von ihren Schiffen wieder gesehen. Da hat Lübeck dieses brutalen Übergriffes wegen zum letzten Male das Schwert gezogen, an der Seite Dänemarks den nordischen siebenjährigen Krieg nicht ohne Waffenrum und Erfolge gegen Schweden durchgefochten. Im Stettiner Frieden von 1570 wurde die freie russische Fahrt von Schweden zugesagt, Lübeck eine Entschädigung von 75.000 versprochen. Letztere, kärglich genug in Vergleich zu den großen Verlusten und Opfern, wurde der Stadt vorenthalten; der Genuss der freien Fahrt blieb ihr ein einziges Jahr. 1572 schon wurde von den Schweden einfach genommen, was sie an lübischen Handelsschiffen erwischen konnten; eine Zeit wüster Kaperwillkür begann. Die Dänen lies man unbehelligt. Auch die Niederländer, zu denen seit einigen Jahrzehnten auch die Hansen der Lande Utrecht und Geldern zählten, wurden, als Untertanen König Philipps, rücksichtsvoll behandelt. Die Engländer begannen damals die Archangelfahrt und hielten sie aufrecht trotz alles kriegerischen und diplomatischen Widerstandes, den ihnen Dänemark entgegensetzte. Als dann die Niederländer sich in siegreichem Kampfe der spanischen Herrschaft entledigten, entfalteten sich ihre merkantilen Kräfte erst recht, denn sie wurden setzt gedeckt von einer politischen Macht, deren Streben ausschließlich auf Handelsgröße gerichtet war. Gerade der Ostseehandel wurde ihr eigentliches Herrschaftsgebiet; ihm, nicht Ostindien, nicht dem Heringsfange verdankt Holland in erster Linie seinen Wohlstand; 1666 waren 3/4 von Amsterdams Kapital im Ostseehandel angelegt. Die alten Begründer der Hanse aber fristeten ein kümmerliches Dasein. Sie klagten beim Kaiser, beim Reich, bei den Fürsten über Schwedens Gewalttaten, natürlich ohne Erfolg. Mehr als zu klagen aber vermochten sie nicht. Wie immer so stellten sich auch bei ihnen mit Schwäche und Unvermögen deren vertraute Genossen ein: Kleinlichkeit, Engherzigkeit, Beschränktheit. Es kam die Zeit, wo die alten Häupter der Hanse ihr maritimes Dasein nur noch der Gnade der Seelnächte verdankten und kläglich um diese betteln gingen.
Dieses Kapitel ist Teil des Buches Die Hanse und ihre Handelspolitik