Hansen und Ostseehandel

So ist es gekommen, dass die Hansen in den fast ausschließlichen Besitz des Ostseehandels gelangten, jenes west- östlichen Austausches auf der großen Linie Flandern-Russland, aus dem nach der eigenen Erklärung der Hansen ,,wie aus einem Brunnenquell“ aller hansischer Verkehr geflossen; dass sie wesentlich die Vermittler des Handels in Wolle und Tuch, Salz und Wein waren, der zwischen England einerseits, Flandern und Westfrankreich andererseits unterhalten wurde; dass ihre Schiffe die Hauptrolle spielten an den Salzgestaden südlich der Loire, in Browasien und der Baie; dass sie ans dem lebhaften Holz- und Getreidehandel, der seit alter Zeit her Preußen mit England in besondere Verbindung setzte, im Laufe des 15. Jahrhunderts die Engländer mehr und mehr verdrängten; dass sie den einträglichen Heringsfang im südlichen Sunde vor Skanör und Falsterbo und den damit in Verbindung stehenden gewinnbringenden Austausch aller Arten von Rohprodukten und gewerblichen Erzeugnissen mit dem Ablauf des 14. Jahrhunderts ausschließlich in ihre Hand brachten; dass die gesamten Erzeugnisse der reichem norwegischen Fischerei ausschließlich an sie übergingen; dass so der Handel mit Hering und Stockfisch, der massenhaft verbrauchten Fastennahrung der großen Menge, wesentlich ihren Beutel füllte; dass sie in zahlreichen Verkehrszweigen von geringerer Bedeutung den nordeuropäischen Markt beherrschten oder wesentlich beeinflussten.

Das lebhafte Bedürfnis des Deutschen, fremden Nationen nach Kräften gerecht zu werden, an der eigenen Größe aber gewissenhaft zu mäkeln und zu kritteln, hat in den letzten Jahren eines lebhafteren Interesses für hansische Geschichte auch einer Anschauung Ausdruck und Verbreitung verschafft, die betonen zu sollen glaubt, dass es doch manchmal recht gewaltsame Mittel waren, mit denen die Hansen ihre Zwecke erreichten. Man hat besonders auf Norwegen hingewiesen (Beispiele aus nicht skandinavischen Gebieten dürften, aus dem ganz einfachen Grunde mangelnder Stärke der Hansen, nicht leicht zu finden sein), wo die Deutschen sich wiederholt der lästigen englischen und schottischen Konkurrenten mit Gewalt entledigten, wo 1443 den königlichen Vogt Olaf Nielsen, der sich lebhaft bemüht hatte, dem deutschen Kaufmanne Schwierigkeiten zu bereiten, nicht die ihn umschließenden Arme seines Bruders, des Bischofs von Bergen, und nicht das vorgehaltene Kruzifix schützten. Man hat in übereifriger Gerechtigkeit vergessen, dass man jede Zeit nur an sich selber messen soll, das 15. Jahrhundert nicht an der Humanität des neunzehnten. Derartige Ausschreitungen sind in jener Zeit wahrlich nicht allein von den Hansen geübt worden, sondern von allen, die dazu -die Macht hatten; das haben die Hansen ihrerseits auch als Opfer der herrschenden Sitte empfunden: in Nowgorod, auf den Straßen Londons, auf Island, an den friesischen und nordfranzösischen Küsten und an manchem andern Orte. Ihr Konto stellt sich aber verhältnismäßig günstig, da sie doch im allgemeinen die überlegenen waren. Aber spätere Jahrhunderte haben auch das ausgeglichen, und von den Skandinaviern, die einst am meisten von ihnen gelitten hatten, ist ihnen in Brutalitäten reichlich heimgezahlt worden. Es galt eben in jener Zeit, Hammer oder Ambos zu sein; und wer wollte den Hansen verdenken, dass sie das erstere vorzogen?


Und ebenso verhält es sich mit dem oft wiederholten Vorwurf der hansischen engherzigen Ausschließlichkeit, die den Fremden daheim nicht habe gönnen wollen, was sie selbst draußen beanspruchte und genoss. In der Tat war die Ausschließlichkeit groß; das wirtschaftliche Gedeihen der engsten Heimat war recht eigentlich die Richtschnur aller handelspolitischen Maßnahmen; dem Fremden gegenüber, mochte er Deutscher oder Nichtdeutscher, Hanse oder Nichthanse sein, war der Einheimische durchaus bevorzugt. Nur an bestimmten Tagen des Jahres, zu den Zeiten der freien Märkte, durfte der Fremde mit dem Fremden direkten Verkehr treiben; sonst mussten alle ihre Beziehungen durch die Hand der Bürger gehen. Aber war denn diese Ausschließlichkeit etwas spezifisch Hansisches? Übten sie nicht alle, die sie durchzusetzen und aufrecht zu erhalten vermochten? Eben auf das letztere kam es an. Am Willen fehlte es auch den Engländern und Skandinaviern nicht; aber ihnen gelang nicht, was die Hansen vermochten. Wie oft hat das englische Volk vor König und Parlament geklagt über die drückenden Vorrechte der Hansen. 1486 schließen die Kaufleute, Schiffer und Bewohner der Hafenstädte von England eine derartige mit den lebhaftesten Farben malende Beschwerde mit den Worten: ,,Darum wäre es besser für das ganze englische Reich, Besserung zu versuchen durch offenen Krieg und Streit, was es auch kosten möge, als so das eigene Verderben ruhig und verzagt mit anzusehen“. Aber ihre Klagen bleiben im wesentlichen wirkungslos. Ganz einfach, weil die maßgebenden politischen Gewalten des Landes immer noch ihren Vorteil darin sahen, den Hansen nicht zu scharf auf den Leib zu rücken, und die Hansen ihrerseits diese Situation ebenso klug wie zäh auszunutzen verstanden. Und wie schwer hat man erst in den skandinavischen Landen den Druck empfunden, der in Gestalt der hansischen Handelsübermacht auf der Entwickelung der heimischen Volkswohlfahrt lastete! Aber das Joch abschütteln, ja das vermochte man, wie die Dinge nun einmal lagen, nicht, obgleich bald die Könige, bald Adel oder Geistlichkeit, bald Städte oder Bauern an den Ketten rüttelten, und obgleich helle Köpfe im Norden recht gut einsahen, dass die kriegerische Macht der Hansen eigentlich gar nicht so groß war, und dass das seetüchtige Volk der Dänen keineswegs so ohne weiteres die Meere vor ihr zu räumen brauchte. Als dann aber die Zeit gekommen war, als die Verhältnisse sich wandten, da hat man sich in England und Skandinavien keineswegs bemüht, nun Luft und Licht gleich zu verteilen, nein, aus den bevorrechteten Hansen wurden schwer benachteiligte und oft hart bedrückte Deutsche, während die fremden Nationen, im Besitze der Macht, die Rechte ihrer Angehörigen in den deutschen Häfen, wie sie sie auslegten, gar wohl zu wahren wussten.
Dieses Kapitel ist Teil des Buches Die Hanse und ihre Handelspolitik