Die städtische Gebilde im Mittelalter

Städtische Gebilde sind es überhaupt gewesen, die im Mittelalter zuerst, ja allein, wirtschaftliche Gesichtspunkte in den Mittelpunkt der Gesetzgebung und Verwaltung stellten. Das ist eins, ja das wesentlichste ihrer historischen Verdienste. Was Deutschland und Italien dann den Weg zu nationaler Staatenbildung versperrte, hat gerade den städtischen Gemeinwesen dieser beiden Länder einen Grad von politischer Selbständigkeit ermöglicht, der im übrigen Europa beispiellos war. Schon über alle Städte jenseits der Grenzen, in denen Papsttum resp. Kaisertum nationale Gewalten waren, gab das den italienischen und deutschen Kommunen einen entschiedenen Vorsprung, wie viel mehr gegenüber fürstlichen Gewalten. Denn deren Politik musste wohl oder übel während des Mittelalters doch immer noch einen mehr oder weniger dynastischen Standpunkt einnehmen: es galt vor allem doch zunächst den Thron zu behaupten, sei es gegen die Ansprüche auswärtiger Potentaten oder gegen den Ehrgeiz einheimischer Familien, galt ferner, die Rechte der Krone zu wahren, zu erweitern gegen die mächtig emporgewachsenen Stände. In diesen Kämpfen konnte es nicht fehlen an Verlegenheiten, die einer klugen und bestimmten Politik außerhalb dieser Differenzen stehender Gemeinwesen bequeme Handhaben boten. Die Zeiten der großen englisch -französischen Kriege, der langen Kämpfe zwischen den beiden Rosen gingen für die Hansen nicht unbenutzt vorüber. Unter Eduard III. waren die Wollzölle in mehreren der wichtigsten englischen Häfen an deutsche Kaufleute verpfändet, ebenso die Zinngruben in Cornwall und andere Regalien; dieselben Kaufleute (Lübecker und Westfalen) hatten die an Kölner Bürger verpfändete Krone der Königin nebst wertvollen Kronjuwelen wieder eingelöst, als sie verfallen war. Zu jenem Zuge, auf dem der schwarze Prinz die Schlacht bei Crecy schlug, rüstete sich England mit hansischem und italienischem Gelde. Der Ertrag der Rosenkriege war für die Hansen der so außerordentlich vorteilhafte Utrechter Friede von 1474. In Däne-mark verdankten sie die vertragsmäßige Begründung ihres Übergewichts selten schweren inneren Wirren, die dem Tode Erich Menveds folgten. Als dann Waldemar Atterdag versuchte, die Stellung der Hansen zu brechen, vernichteten sie ihn mit Hilfe seines eigenen Adels, der hinter diesem stehenden holsteinischen Grafen und der von ihnen begünstigten schwedischen Königsgewalt der Mecklenburger. Die Zeit der sogenannten ,,Union“ der skandinavischen Reiche, die man richtiger als die der Disunion bezeichnen sollte, hat sich dann besonders unfähig gezeigt, der hansischen Politik mit Erfolg zu widerstehen; die Feindschaft zwischen Schweden und Dänen war lebhafter denn je, und damit den hansischen Ansprüchen jederzeit eine Handhabe gegeben. Als Christian II. nach dem Stockholmer Blutbade nahe daran zu sein schien, der Union in Gestalt einer dänischen Vorherrschaft dauernden Halt zu geben, und er jetzt dazu schritt, der hansischen Handelsherrschaft in Skandinavien und der Ostsee ein Ende zu machen, brachte man ihn um Thron und Freiheit durch dieselbe Koalition, vor der 150 Jahre früher die aufstrebende Macht Waldemar Atterdags in den Stand gesunken war. Alls dänischer Gefangenschaft entkam Gustav Wasa nach Lübeck und fand hier die Mittel, neuerdings in sein Vaterland den Aufstand gegen die dänische Herrschaft zu tragen; den Lohn bildeten Privilegien, die den auswärtigst Handel Schwedens ausschließlich in Lübecks und seiner Genossen Hände legten. Dass die Städte Herzog Friedrich von Schleswig -Holstein an Stelle seines vertriebenen Neffen Christian II. zum Könige von Dänemark machten, dankte ihnen der neue Herrscher mit Bestätigung aller hansischen Rechte im weitesten Umfange.

Bis ins Einzelnste könnte man vom Ende des 13. bis zum Anfange des 16. Jahrhunderts diese Hergänge verfolgen und würde immer wieder auf die Tatsache stoßen, dass die Herren in den Städten mit einer für die Zeit staunenswerten Sachkenntnis und Geschicklichkeit die Lage zu beurteilen und auszunutzen verstehen, dass sie ihre Überlegenheit erringen, indem sie in dem mannigfaltigen Wandel der politischen Konstellationen das immer gleiche Interesse unentwegt verfolgen. Der mit der Ausbreitung und Festigung ihres Verkehrs stetig wachsende Wohlstand führte ihnen immer neue Mittel zu und machte den auswärtigen Machthabern die Verbindung mit ihnen immer von neuem wert. Welcher Art, welcher Ausdehnung die Leistungen der Städte waren, ist nur teilweise festzustellen. In vielen Fällen waren es nur Privatleute, nicht die offiziellen Organe, die das Geschäft machten, aber das hat am Ertrage desselben wenig oder nichts geändert: ja in vielen Fällen war es ohne Zweifel vorteilhafter, wenn nicht die Stadt als solche, sondern nur einzelne ihrer Bürger als Kontrahenten den Auswärtigen gegenüberstanden. Die Tatsache bleibt immer dieselbe, dass auswärtige politische Gewalten ihren Vorteil darin fanden, zur Erreichung ihrer mehr oder weniger privaten oder öffentlichen Zwecke mit den deutschen Städten und Kaufleuten in Verbindungen zu treten, deren Ergebnis stets für diese merkantile oder finanzielle Vorteile gegenüber dem Auslande waren.
Dieses Kapitel ist Teil des Buches Die Hanse und ihre Handelspolitik