Das Sinken hansischer Macht

Denn nicht ein wirtschaftliches Unterliegen war das Sinken hansischer Macht; diese ist gestürzt worden durch dasselbe Mittel, durch das sie groß geworden, durch politische Überlegenheit. Alle anderen Ursachen des Sinkens der Hanse kommen neben dieser nur nebenher in Betracht.

Gar manche Behauptungen sind in dieser Frage aufgestellt worden. Die Entdeckung Amerikas, die Auffindung des Seeweges nach Ostindien sollen eine vollständige Umwälzung des bisherigen Handels herbeigeführt haben, die Hansen nicht rasch und energisch genug in die neueren Handelsbeziehungen eingetreten sein. Uneinigkeit soll den hansischen Bund untergraben, das Aufkommen des Reichskammergerichts ihn gelockert, die Reformation ihn gespalten haben, dann endlich die Schließung des Hofes zu Nowgorod, die Auflösung besonders der flandrischen Kontore, das Lockern der Kontorordnungen und eine Reihe anderer einzelner Vorgänge ihm die Lebensquellen unterbunden haben. Man bedenkt nicht, dass die Entdeckung Amerikas auf die Entwicklung des europäischen Handels erst einen nennenswerten Einfluss gewann, als die Hanse bereits zu den Toten zählte, dass speziell die Erben des hansischen Handels aus dieser Entdeckung merkbaren Vorteil nicht vor dem 18. Jahrhundert zogen. Man übersieht, dass gerade die Hansen die ersten auf dem Platze waren, als es galt, die Waren Indiens nicht mehr in Brügge aus der Hand der Italiener, sondern in Lissabon aus der der Portugiesen in Empfang zu nehmen, dass sie in der Tat zunächst den Vertrieb dieser Waren für den Norden und Nordosten Europas in der Hand behielten wie bisher, dass die ersten, übrigens mehr Raub- und Beutezügen als Handelsunternehmungen gleichenden und zunächst wesentlichen Ertrag nicht gewährenden Versuche der anderen europäischen Nationen, aus dem asiatischen Handel an der Quelle zu schöpfen, in eine Zeit fallen, in der ebenfalls die Niederlage der Hansen schon entschieden war. Auch ihrer Uneinigkeit misst man eine zu große Bedeutung bei, besonders wenn man auf Landfrieden, Kammergericht und Glaubenstrennung Gewicht legt; man vergisst, dass die Hanse eigentlich nie vollständig einig war, dass sie z. B. nie einen gemeinsamen Krieg geführt hat, dass überhaupt die moderne Vorstellung von Einheit und Einigkeit ein Begriff ist, der in der mittelalterlichen deutschen Geschichte eine Stätte nicht hat. Was sonst noch angeführt wird, ist nebensächlich, von lokaler Bedeutung, einzeln auch geradezu unrichtig. Der Kern der Frage lässt sich mit einem einzigen Satze beantworten: es gebrach der Hanse an politischer Macht, ihre Stellung aufrecht zu erhalten.


Der Schlüssel dieser Stellung lag im Ostseehandel, dem ,,Brunnquell“ hansischen Verkehrs; auf diesem Boden war der hansische Baum gewachsen, hier musste er gefällt werden. Alte Konkurrenten in diesem Verkehr waren die Niederländer, d. h. eigentlich die Friesen, die Bewohner der jetzigen Provinzen Holland, Seeland und Westfriesland, der äußeren Küsten von der Schelde bis zum Louwers, in specie die eigentlichen Holländer, denn die übrigen Angehörigen der gegenwärtigen Niederlande, besonders die Bewohner der Binnenküsten der Südersee, waren rechte Hansen. In dieser Konkurrenz wurden die Holländer im Laufe des 15. Jahrhunderts von Jahrzehnt zu Jahrzehnt unbequemer. Sie konnten durch ihre Lage die Vorteile des Stapelplatzes Brügge zu ihrer Konkurrenzfähigkeit in die Wagschale werfen, sie genossen durch ihre, gleich der hansischen auf wirtschaftliche Zwecke gerichtete Gesetzgebung und Verwaltung desselben Vorteils, der das Übergewicht dieser begründet hatte. An ihnen fanden die skandinavischen Reiche, sobald ihr natürlicher Gegensatz zur Hause in offene Feindschaft auszuarten drohte, einen stets bereiten Ersatzmann, der fähig und willig war, an die Stelle der Hanse zu treten und um billigere Bedingungen alles das zu leisten, was diese zunächst unentbehrlich machte. Die Hanse hat oft daran gedacht, einzeln auch mit vorübergehendem Erfolge versucht, diesen Rivalen mit Gewalt zu verdrängen. Als sie 1523 mit der Vertreibung Christian II., der Einsetzung Friedrichs I. in Dänemark, der Erhebung Gustav Wasas zum Könige von Schweden den Höhepunkt ihrer Macht im skandinavischen Norden erstieg, glaubte Lübeck den Zeitpunkt gekommen, das Ziel zu erreichen. In Schweden erlangte es den vertragsmäßigen Ausschluss der fremden Konkurrenz, in Dänemark erstrebte es mit Nachdruck die Sperrung der Ostsee für die Holländer. Aber obgleich die nordischen Könige der Hanse ihre Throne verdankten, obgleich die Lübecker noch einmal das Schwert zogen, um König Friedrich zu schützen vor dem gerade von den Niederlanden aus und mit niederländischer Hilfe unternommenen Versuche Christians II., sein Reich wieder zu erobern, konnte sich doch die Dankbarkeit der Verpflichteten nicht soweit erstrecken, dass sie bis zu diesem Grade ihre Lande dem Interesse hansischer Handelspolitik dienstbar machten. Gustav Wasa, stets rücksichtslos nur das eigene Interesse, alte Verpflichtungen überhaupt nicht keimend, setzte sich schon in den ersten Jahren über den geschlossenen Vertrag hinweg, Friedrich I., schonender, sonst den Hansen gern gefällig, mochte und konnte ihnen doch in diesem Punkte nicht zuwillen sein. Da fasste Jürgen Wullenwever, der revolutionäre Bürgermeister von Lübeck, als völlig Friedrich 1533 starb, den kecken Plan, den Sund selbst unter die städtische Herrschaft zu bringen und so die Schlüssel der Ostsee in die Hand zu nehmen, ein Gedanke, der dem Lübecker Rate auch in den Tagen heimischer Ruhe und herkömmlicher Ordnung stets nahe geling gelegen hatte, dessen Durchführung aber seit den Tagen Waldemar Atterdags nicht wieder verflicht worden war, in richtiger Erkenntnis der Tatsache, dass einem derartigen Beginnen die fräste der Städte nicht gewachsen seien. Auch Wullenwever musste die Erfahrung machen, dass Kraft und Mut nicht immer gleichen Schritt halten; Lübeck und seine Genossen unterlagen im Kampfe gegen die vereinigte Macht der nordischen Kronen und des schleswig-holsteinischen Herzogs, Dänemarks Thronerben. Zwar wurden dann im Hamburger Frieden noch einmal für Dänemark und Norwegen die hansischen Handelsprivilegien bestätigt, aber ihre Handhabung erfolgte nicht in dem Sinne, den man früher zu sichern gewusst hatte und setzt durch klagen und Beschwerden vergeblich zur Anerkennung zu bringen suchte. Für Schweden hat Gustav Wasa allen hansischen Rechten einfach ein Ende gemacht.
Dieses Kapitel ist Teil des Buches Die Hanse und ihre Handelspolitik