Fortsetzung

In den nordischen Kriegen erlitt der deutsche Handel vielfältige Einbuße: die Sicherheit der See ward durch die kriegführenden Parteien und mehr noch durch die überhand nehmende Seeräuberei gestört. Vor allem waren die sogenannten Vitalienbrüder seit 1390 ein Schrecken der Kauffahrer. Es wäre ein leichtes gewesen, das Unwesen auszurotten, wenn man mit gesamter Macht eingeschritten wäre. Aber nicht allein in Krieg begriffene Fürsten schützten die Räuber, sondern selbst Hansestädte öffneten ihnen Häfen und Märkte oder versagten den Dienst zu ihrer Bekämpfung. So focht man mit den Köpfen der Hydra: trotz einzelner Niederlagen erhoben die wilden Gesellen immer frecher ihr Haupt. Als man endlich in der Ostsee ihnen schärfer zusetzte, fuhren sie nach der Nordsee und nisteten sich in Ostfriesland ein; Häuptlinge dieses von Fehden zerrissenen Landes traten mit ihren Führern in Bund. Wiederum wurden sie von einem Teile der Hansen bekämpft, namentlich den Lübeckern, Hamburgern und Bremern. Im Jahre 1400 wurden von den in der Ems gefangenen Seeräubern 80 ersäuft, 30 mit dem Schwerte gerichtet; 1402 gewannen bei Helgoland die Hamburger einen vielgepriesenen Sieg und steckten die Köpfe von 150 Gefangenen, unter ihnen der gefürchteten Hauptleute Nicolaus Störtebeker und Magister Wigbold, am Ufer der Elbe aus. Aber gründlich geholfen ward nicht eher, als bis im Jahre 1433 die Hamburger, Bremer und Oldenburger Emden eroberten, mehrere Burgen brachen und in Ostfriesland Frieden geboten. Seitdem bildeten die Seeräuber wenigstens keine organisierte Macht mehr. Aber wie schwer hatten es in diesen Zeiten die Städte zu büßen, dass Kaiser und Reich für ihre Beschwerden kein Ohr oder zu ihrem Schutze keine Waffen hatten.

Unter solchen Drangsalen verengerte sich der Gesichtskreis der leitenden Städte. Der Bund war geschlossen aus Grund der Gleichstellung aller deutschen Kaufleute. Allmählich jedoch legten es die wendischen Städte, Lübeck an ihrer Spitze, darauf an, den Ostseehandel ausschließlich zu beherrschen, mindestens ein Stapelrecht zu behaupten, und zwar nicht allein gegen die Flamländer und Engländer, sondern ebenso gegen die westlichen Hansestädte, namentlich die holländischen. Darüber kam es zu offenen Feindseligkeiten, welche zwar zu Zeiten verglichen, aber doch nicht völlig gehoben wurden.


Das Band war zerrissen: zumal seit im Jahre 1433 die mächtigen Herzoge von Burgund ihre Landesherren wurden, fühlten sich die Holländer stark genug, für sich allein den Seehandel zu beherrschen und sonderten sich immer mehr von Deutschland ab.

In der Tat schien alles sich zu vereinigen, um die deutschen Ostseestädte herunterzubringen. Für sie war eine Haupterwerbsquelle der Heringsfang an der Küste von Schonen. Diese versiegte mit dem Jahre 1425; der Hering nahm für längere Zeit fast ausschließlich seinen Zug in die Nordsee, und bald erfüllten die Holländer mit der reichen Ausbeute, die ihnen zufiel, die binnenländischen Märkte.

Die preußischen Lande wurden, seitdem einmal in der Schlacht bei Tannenberg 1410 die Qrdensmacht dem Heere des Polenkönigs Wladislav Jagiello unterlegen war, durch innere Streitigkeiten zerrüttet, welche endlich dahin führten, dass durch den Thorner Frieden von 1466 das ganze untere Weichselland, das heutige Westpreußen, dem Polenreiche einverleibt und der Nest des Ordensgebietes der polnischen Krone lehnspflichtig wurde. Die preußischen Städte selbst hatten durch ihre Auflehnung den Fall der Ordensherrschaft gefördert, unbekümmert darum, welchen Schaden die polnische Obergewalt dem Lande bringen werde.

Die Schattenseiten polnischer Freiheit und polnischer Wirtschaft wurden nicht sobald in ihrem ganzen Umfange wahrgenommen: Danzig zumal behauptete auf lange hinaus eine hervorragende Stellung. Aber mit roher Hand zerstörte ein russischer Gewalthaber die Schöpfungen deutschen Fleißes. Großfürst Iwan III von Moskau hatte den Freistaat Nowgorod unterjocht. Die Bürger von Reval reizten seinen Zorn und er nahm dafür Rache an den Deutschen zu Nowgorod. Im Jahre 1494 ließ er den Hof von St. Peter schließen, die Glocken und Kleinodien und die Waren, deren Wert man auf 96.000 Mark schätzte, nach Moskau abführen und die anwesenden Kaufleute, 49 an der Zahl, in Ketten legen, unter ihnen Bürger von Lübeck und Hamburg, von Münster, Bielefeld, Marburg, Unna, Dortmund, Duisburg. Das war ein vernichtender Schlag für diesen Zentralplatz des deutschen Handels in Russland. Zwar wurden nach Jahresfrist die Gefangenen, so viele ihrer die Haft überstanden, aus dem Kerker entlassen, nach zwanzig Jahren auch der Hof von St. Peter den Deutschen zurückgestellt, aber er blieb verödet; der Handel hatte inzwischen andere Wege eingeschlagen.

Länger bot ein Teil der Hansestädte unter Lübecks Führung den Dänenkönigen die Spitze. Ich erinnere daran, dass der Schwede Gustav Wasa als Flüchtling zu Lübeck Schutz fand: von den Lübeckern geleitet kehrte er heim und befreite sein Vaterland von der Gewalt der Dänen. Aber viel Gewinn hatte die Hanse von dem Emporkommen der schwedischen Macht nicht, denn bald trat diese den Deutschen feindlich entgegen. Noch einmal unternahm Jürgen Wullenweber als Bürgermeister von Lübeck im Jahre 1534 bei Gelegenheit einer streitigen dänischen Königswahl die Macht im Norden wieder an die Städte zu bringen. Noch einmal schien die Hanse sich zu ermannen: ein Herzog von Mecklenburg, ein Graf von Oldenburg trat in ihren Dienst, mit glänzendem Erfolge ward der Krieg begonnen. Aber nicht lange so fiel Wullenweber, von seinen Mitbürgern verstoßen, den Feinden in die Hände und starb zu Wolfenbüttel am Rabensteine. Lübeck schloss Frieden mit dem neuen König Dänemarks.

Dies war der letzte Kampf der Hanse um die Herrschaft aus der Ostsee. Im Bunde mit Dänemark nahmen die Lübecker später noch Teil an einem Kriege gegen Schweden, der in den Jahren 1563—1570 geführt wurde, aber sie konnten nichts ausrichten. Von dem letzten Kriegsschiff, welches sie damals ausgerüstet, bewahrten sie das Modell in der Kaufleute-Compagnie, aus Planken desselben ward ein Tisch für den Ratskeller gezimmert, zu schmerzlichem Gedächtnis an den Verfall deutscher Seemacht im baltischen Meere.

Indessen war in Deutschland mit dem Augsburger Religionsfrieden von 1555 ein Landfriede von einer nie zuvor erhörten Dauer eingetreten und erzeugte einen Wohlstand, wie ihn so allgemein durch alle Stände verbreitet unser Vaterland nicht wiedergesehen hat. Ackerbau und Bergbau, Gewerbe und Kunstfleiß gab gesegneten Ertrag, im Handel und in der Schifffahrt wetteiferten die Deutschen nach wie vor mit den andern Nationen. Zwar der direkte Verkehr mit Indien und der neuen Welt war ihnen verschlossen, aber der Zwischenhandel zwischen den Seehafen von Portugal und Spanien und dem Norden war zum großen Teile in ihrer Hand. Denn wenn auch die früheren Vorrechte ihnen fast überall entzogen waren, so standen sie doch hinter den übrigen Kauffahrern nicht zurück. In Antwerpen errichteten sie sogar auf Grund der 1545 und 1563 geschlossenen Verträge ein neues Komtor und bauten 1564—1568 das großartige Hansehaus, „das Haus der Osterlinge", wie es die Flamländer nannten, aus dem ihnen überwiesenen Platze zwischen den beiden Hafenbassins. Noch genossen sie in England erhebliche Vorzüge, zu vielfältiger Beschwerde der einheimischen Kaufleute. Man versicherte, dass im Jahre 1551 die Hansen 44.000 Stück Tuch aus England verschifft hätten, alle übrigen zusammen nur 1.100 Stück. Man rechnete ihnen nach, dass sie allein bei diesem Artikel durch ihre Zollprivilegien jährlich im Durchschnitt einen Vorteil von 50.000 £. St. voraushatten: es sei schimpflich, hieß es in den Berichten, dass ein paar Städte das ganze Königreich England unter dem Daumen halten. Dies Verhältnis konnte nicht fortbestehen: im Jahre 1579 hob die Königin Elisabeth die hansischen Freiheiten auf und stellte die Hanseaten in Ansehung des Zolles den andern Fremden gleich.

Aber noch blieb ihnen ihr Emporium, der Stahlhof zu London, bis die habsburgische Hauspolitik zum Bruche führte. Die Tage des Friedens in Deutschland gingen zur Neige: geschürt von den Spaniern und den Jesuiten bereitete sich ein furchtbares Kriegsfeuer vor, dessen Herd Deutschland sein sollte. Kaiser Rudolf II diente den Zwecken seines Oheims Philipps II von Spanien, als er am 1. August 1597 die englischen Kaufleute aus Deutschland auswies. Darauf antwortete Elisabeth mit dem Befehle, dass die deutschen Kaufleute des Stahlhofs England verlassen sollten. Sie machten Vorstellungen und erhielten Frist bis zum 4. August 1598: dann aber, lautet ihr Bericht, „seind wir entlichen, weil es immer anders nit sein mügen, mit betrübniß unsers gemüts zur Pforte hinausgegangen vnd ist die Psorte nach uns zugeschlossen worden; haben auch die Nacht nicht darin wohnen mügen. Gott erbarm es!" Wohl hatten sie Ursache zu klagen. Zwar die Gebäude des Stahlhofs gab Jacob I ihnen wieder zurück, aber die Geschäftsverbindungen waren zerrissen, die frühere Bedeutung des Hansecomtors zu London war unwiederbringlich dahin.

Es kamen die unseligen Zeiten des dreißigjährigen Krieges, welcher der Wohlfahrt des deutschen Volkes tiefere Wunden schlug als je ein anderer Krieg. Im Vertrauen auf ihre Übermacht legten es damals die Habsburger von Spanien und Österreich darauf an, auch die nördlichen Meere zu beherrschen; zur Basis ihrer Unternehmungen gegen die freien Niederländer, die Engländer, die Dänen, eventuell auch gegen die Schweden waren die hansischen Seestädte ausersehen. Diese flehten Kaiser Ferdinand an ihnen Frieden zu gönnen: sie wahrten nach Möglichkeit ihre Neutralität, um ihre Schifffahrt vor gänzlichem Untergange zu retten, aber dennoch erlitten sie vielfältigen Schaden. Engländer und Holländer störten die Fahrt nach Spanien: Dänemark steigerte willkürlich den Sundzoll: kam es doch dahin, dass die Lübecker Schiffe ihn doppelt zahlen mussten, während die Schweden davon zu Zeiten ganz oder doch teilweise befreit waren. Bei solcher Unbill verkümmerte Lübeck und sank auf ein Drittel der ehemaligen Einwohnerzahl herab. Die rheinischen Städte verkamen, da die Holländer den Rhein sperrten. Noch ein leuchtendes Beispiel des Heldenmutes deutscher Bürger gab die Stadt Stralsund 1628 durch ihre standhafte Verteidigung gegen den kaiserlichen Feldherrn Wallenstein. Drei Jahre später erfuhr Magdeburg in schrecklicher Weise die Unmenschlichkeit der kaiserlichen Soldateska. Das war ein Schlag für das deutsche Bürgertum überhaupt.

Damals wurden die auswärtigen Comtore, einst die Quelle des Reichtums, den verarmenden Städten zu einer Last: nur das eine und das andere unterhielten sie noch in Hoffnung einer besseren Zukunft. In dem Hansa-Hause zu Antwerpen waren seit 1624 spanische Soldaten einquartiert und verwüsteten es dermaßen, dass, als sie es endlich 1647 räumten, von den 170 Kammern nicht eine bewohnbar war und der Regen vom Dache bis in den Keller drang. Die für die Herstellung veranschlagten 20.000 fl. waren nicht zu erschwingen, nur ein kleiner Teil der einst so prächtigen Residenz ward wieder in wohnlichen Stand gebracht.

Der Städte, welche sich zu irgend einer Geldbeisteuer bereit finden ließen, waren immer weniger geworden. Zu Anfang des siebzehnten Jahrhunderts zählte man nur noch vierzehn stimmfähige Hansestädte, welche zu den gemeinsamen Bedürfnissen nach einem bestimmten Verhältnis beitrugen: Lübeck, Köln, Braunschweig, Bremen, Hamburg, Rostock, Stralsund, Wismar, Danzig, Lüneburg, Stettin, Greifswald, Magdeburg, Hildesheim. Auch von diesen zog sich eine nach der andern zurück oder geriet in fremde Gewalt: nur Lübeck, Hamburg und Bremen schlossen von neuem 1630 ein engeres Schutzbündnis. Im Jahre 1669 versuchten sie auch andere Mitglieder des alten Bundes wieder heranzuziehen. Lübeck lud noch einen Hansetag in seine Mauern. Diesen beschickten außer jenen drei Städten nur Köln, Braunschweig und Danzig; Rostock, Minden und Osnabrück ließen sich durch Lübecker Ratsherrn vertreten. Unter andern handelte es sich um den Wiederausbau des im großen Londoner Brande von 1666 zerstörten Stahlhofs. Aber man konnte sich über die erforderlichen Beiträge so wenig wie über andere gemeinsame Maßregeln verständigen: es kam kein Beschluss zu Stande. Achtzehn Sitzungen wurden abgehalten, dann ging man unverrichteter Dinge auseinander. Das war vor nunmehr 200 Jahren der letzte Hansetag.

Die drei Städte haben bis zu unseren Tagen treu zu einander gehalten als die letzten ehrenwerten Vertreter des einst so mächtigen Bundes. Sie bauten auch den Stahlhof wieder aus; erst im Jahre 1853 haben sie für 73.500 £. St. dieses hansische Besitztum veräußert.

Die Hanse ist gesunken mit dem alten Reiche deutscher Nation, aber, Gott sei Dank, der Geist, der in ihr lebte, ist nicht untergegangen. Aus der Unterdrückung, Zersplitterung und Verwahrlosung hat unser Volk sich emporgerungen zu jugendfrischem Leben, und unsere Seestädte sind mit rühmlicher Tatkraft vorangegangen. Ihre Bürger haben beharrlich neue Wege des Handels und Verkehrs ausgesucht und dem Binnenlande Absatz in die Ferne eröffnet. Es ist kein Meer, an dessen Gestaden nicht deutsche Schiffe willkommen waren und wo nicht deutsche Kaufleute geachtete Häuser begründet hätten. Wiederum wie vor Alters fördern sich wechselseitig unser Handel und Gewerbefleiß. Und den Schutz, welchen der Hansebund seinen Angehörigen nicht ausreichend zu gewähren vermochte, bietet jetzt das unter Preußens Königen geeinigte Deutschland. Ihnen verdankt das deutsche Volk die Herstellung eines durch keine Zollgrenzen durchschnittenen einheitlichen Handelsgebiets, die Grundlage für Vertrage, welche uns in den Stand setzen, in freiem Verkehr mit allen Völkern der Erde zu wetteifern. Mit der Stiftung des norddeutschen Bundes sind die Sonderinteressen, welche die Hanse zu Falle brachten, dem Gemeinwohle Aller untergeordnet: unter einer Flagge, in der mit dem schwarzweißen Banner der Hohenzollern das Rot und Weiß der Hanseaten sich vermählt, durchkreuzen jetzt unsere reichbeladenen Schiffe die Meere von einem Ende der Erde zum andern, und unsere junge Marine wacht über die Sicherheit unserer Küsten und unserer Schifffahrt. So ist, was unsere hochherzigen Vorfahren in der Hanse erstrebten, nach langer Schmach und harten Prüfungen unseres Volkes mit Gottes Hilfe zu einem höheren Ziele hinausgeführt worden.