Die Seeräuberkriege der Hansa

Wir haben schon einige Mal im Lauf unserer Darstellung der Seeräuber oder Vitalienbrüder Erwähnung getan, welche während der letzten Seekriege gleich Plänklern beide Parteien begleiteten. Mit den Seekriegen jener Zeiten waren die Kaperei und der vereinzelte Seeraub unzertrennlich verbunden. Nur die Hansa war mit größter Anstrengung im Stande, alljährlich eine oder sogar mehrere Kriegsflotten in See erscheinen zu lassen, bei allen andern löste sich der Seekrieg bald in Kaperzüge auf; jede Partei suchte der anderen wo und wie nur irgend möglich Abbruch zu tun. Die Holländer, Engländer, Franzosen, Norweger, Dänen und auch die Hansen kämpften auf diese Weise gegen einander zur See und so müssen wir allerdings einen großen Teil des in dieser Zeit als Seeraub bezeichneten Unfugs nur als eine besondere Art des Seekrieges auffassen. Gegen Ende des 14. und in der ersten Hälfte des 15. Jahrhunderts entwickelte sich aber (während der deutschdänischen Kriege) die Seeräuberei in einer ausschweifenden und höchst eigentümlichen Weise. Wir finden zahlreiche, fest zu einander haltende Banden von Seeräubern, die mit geflüchteten, meist adeligen Führern an der Spitze, bald einer Partei allein, bald beiden, je nach Gelegenheit und Vorteil, angehörten, und die Jahrzehnte hindurch die Wege der Ost- und Nordsee dermaßen gefährdeten, dass ganze Flotten gegen sie ausgerüstet und mit ihnen wie mit selbstständigen Machten Friedensverträge aufgerichtet werden mussten.

Wir haben schon früher auf die Kriegszüge aufmerksam gemacht, welche die wendischen Städte gegen den benachbarten Adel zum Schutz ihrer Land- und Handelsstraßen unternahmen. Im Lauenburgischen und Ratzeburgischen, in Mecklenburg, Pommern und der Mark Brandenburg finden wir die Raublust und Fehdesucht des Adels so unermüdlich und unvertilgbar, wie die strafenden Kriegszüge der Bürger blutig und unerbittlich. Schon im Jahre 1283 war durch den Einfluss jener Städte der Rostocker Landfriede geschlossen worden, in Folge dessen durch den kriegerischen Ernst der Lübecker eine große Menge lauenburgischer und ratzeburgischer Raubschlösser gebrochen wurden. Das Übergewicht der vereinigten Städte gegen den vereinzelten Adel war bald so entschieden, dass die bedeutenderen Fürsten sich meistens jenen anschlossen und im engsten Bunde mit ihnen überall den räuberischen Übergriffen des Adels kräftig entgegentraten. Albrecht II. der Große, Herzog von Mecklenburg, einer der bedeutendsten Fürsten des damaligen Nord-Deutschlands, verfolgte während einer langen, glücklichen Regierung im 14. Jahrhundert den Plan, durch den Bund mit der Hansa, durch Förderung des städtischen Wesens und Niederhaltung des fehde- und raublustigen Adels sein Haus und Land zu politischer Größe zu erheben, mit solchem Erfolge, dass er seinen Sohn Albrecht, wie wir gesehen haben, den schwedischen Thron konnte besteigen sehen. Im Januar 1338 schloss er mit den Städten den Landfrieden zu Lübeck, der, von dem Fürsten und den Städten mit gleicher Umsicht und Tatkraft aufrecht erhalten, eine Hauptbedingung zu der Entwickelung des norddeutschen Städtewesens wurde. Was aber die Städte und das herzogliche Haus an Macht gewannen, wurde dem mit blutiger Strenge unterdrückten Adel entzogen. Sogleich nach Albrechts Tode, im Jahre 1379, erhob er sich deshalb von Neuem zu erbitterten Fehden, fand aber an Heinrich dem Hänger einen unerbittlichen Strafrichter. Dieser knüpfte, wie die Sage erzahlt, ritterliche Räuber auf der Landstraße mit eigener Hand auf. Aber auch ihn überlebten, als er im Jahre 1383 starb, Fehde und Raub in allen Wäldern und Straßenengen, bis sich die Städte wieder mit neuer Kraft zu unerbittlichem Rachezuge erhoben, und es gelang ihnen, die gefährlichsten Schlösser dieser Gegend (i. J. 1385) zu zerstören.


Diese Erfolge des Bürgertums in einem flachen, überall offenen Lande ließen dem Adel, der sein Fehderecht nicht aufgeben wollte, kaum einen Fußbreit Landes zur unangefochtenen Zuflucht und trieben ihn dahin, wo der Feind seine größten Reichtümer gewann und seine verwundbarste Seite darbot. Schon lange war der Adel der norddeutschen Küsten mit dem Seeleben vertraut und teilte die Neigung und Befähigung dazu mit dem bürgerlichen Kaufmann. Im Jahre 1187 hatte Graf Adolf von Holstein in der Mündung der Trave einen Turm unter dem Vorgeben gebaut, die Seeräuber von der Trave fern zu halten, in der Tat aber, um selbst Seeraub zu üben. Hamburg und Lübeck schlossen 1239 ihren Bund zur Sicherung der Ost- und Nordsee, und 1241 rüsteten sie gemeinsam eine Anzahl Schiffe aus, um Elbe und Trave gegen den Seeraub zu schützen. Ebenso verband sich im Jahre 1280 die deutsche Gemeinde zu Wisby mit Lübeck zu gemeinsamer Befriedung der Ostsee auf zehn Jahre. Das ganze 14. Jahrhundert hindurch finden wir die Stadt Hamburg in vielfachen! Kampfe mit Seeräubern in der untern Elbe, und die Kammerrechnungen der Stadt weisen nach, wie alljährlich der Vogt mit seinen bewaffneten Gesellen zu Land und See ausgesendet wurde. Häufig unterhielt der Adel auf seinen festen Schlössern am Strande und an den Flussufern Lotsen- und Strandfeuer, um Kauffahrer in gefährliches Fahrwasser zu locken und danach gegen die Schiffbrüchigen ein räuberisches Strandrecht auszuüben. So wuchs mit dem Handel und der Herrschaft der Städte zur See auch die Befehdung derselben, der Seeraub empor, der dann unter der Gunst der großen dänischen Kriege und durch Förderung der einzelnen Parteien, welche denselben als Waffe gegen den Gegner gebrauchten, sich zu solchem Umfange ausdehnte, dass die ordnungs- und heimatlosen Banden als eine politische Macht aufzutreten vermochten und ihre Bewältigung der größten Seemacht des Mittelalters, der deutschen Hansa, schwere Opfer und Anstrengungen auferlegte.

Die Königin Margarethe gebrauchte zuerst diese Art der Kriegführung im Großen gegen die überlegene Macht der Hansa, als sie für ihren Sohn Oluf die Regierung des dänischen Reiches übernommen hatte. Sie gewährte den Seeräubern seit 1381 in ihren festen Küstenschlössern unter der Bedingung sichern Schutz, dass sie mit ihren Räubereien die Städte und deren Handelsschiffe bedrängten. Von den Küsten Seelands aus durchschwärmten ihre Scharen jetzt den ganzen Sund und verheerten hauptsächlich Schonen, den Hauptstapelplatz des hansischen Handels. An ihrer Spitze werden meistens holsteinische Adelige genannt, Henning von der Ost, Schwarzhaupt, Rambow, der zwischen Helsingborg und Seeland von den Hansischen gefangen und mit zehn Gesellen hingerichtet wurde, u. A. Margarethe musste endlich dem Drängen der Hansa nachgeben und ihre kleine Flotte von neun Schiffen zu den hansischen zur Vertilgung der Seeräuber stoßen lassen. Statt zur Vernichtung kam es aber (1382) zu einem Friedensschlusse mit den Seeräubern; wer die Absicht hegte, den Andern feindlich zu bekriegen, der sollte gehalten sein, den Frieden vier Wochen vorher aufzukündigen. Der Rat von Lübeck sollte diese Aufkündigung von Seiten der Seeräuber, der Drost Henning von Putbus von Seiten der Städte in Empfang nehmen. Schon im folgenden Jahre war die Ostsee wieder so unsicher, dass der Hochmeister von Preußen die preußische Schifffahrt ganz einstellen ließ und die Hansen eine Tagfahrt nach der andern hielten, ohne zu einem entscheidenden Entschlusse zu kommen. Nun kam zu Stralsund zwischen dem Orden, den Städten und der Königin ein neues Bündnis gegen die Seeräuber, die Niemand mehr schonten, zu Stande, und es wurden dieselben durch eine vereinte Flotte von 14 Schiffen und 150 Wäppnern in den Jahren 1384 und 1385 mit Erfolg bekämpft.

Um aber für die Dauer auf der Ostsee Frieden zu schaffen, gaben die Städte den Krieg gegen die Seeräuber gleichsam in Accord, indem sie mit Wulveken Wulflam, dem Hauptmann eines von ihren Schlössern auf Schonen, einen Vertrag abschlossen und ihm, außer der Zusicherung eines Jahrgehaltes von 5.000 Mark, ein großes Schiff mit mehreren kleinern Snycken und Schuyten nebst 100 Bewaffneten und aller Ausrüstung und Geschütz gaben, damit er die Fahrt von Ostern bis Martini gegen Seeräuber schütze. Lübeck, Wismar, Rostock, und Stralsund übernahmen die Schiffe und ihre Ausrüstung mit sechs Kanonen und sechs Tonnen Pulver und wurden von der Hansa ermächtigt, die Kosten durch Erhebung eines Pfundzolles zu decken. Wulflam vollzog seinen Auftrag so gut, dass der Vertrag im nächsten Jahre erneuert wurde. Dennoch erzwangen die Seeräuber, die jetzt bei den Grafen von Holstein Schutz fanden, dass auf der Tagfahrt zu Wordingborg 1386 mit ihnen von Seiten Dänemarks, Norwegens und der Hansa ein neuer förmlicher Frieden mit vierwöchentlicher Aufkündigung geschlossen wurde, ihre Hauptleute, Schinkel, Knut, Ranzow, van Osten erhielten eine vierjährige Waffenruhe, mussten aber dänische Edelleute als Bürgen stellen.

Unterdessen wurde der König Albrecht auf Lindholm gefangen gesetzt und Margarethe anerkannte Herrin von Schweden, nur Stockholm und eine Anzahl schwedischer Schlösser blieben in der Gewalt der Deutschen. Albrechts Partei in Mecklenburg, der Herzog Johann und die Städte Rostock und Wismar unternahmen gegen Margarethe den schon geschilderten Krieg und griffen jetzt zu dem selben Mittel, das früher die Königin gegen die Hansa gebraucht hatte, das ihnen selbst aber und der ganzen Hansa zum größten Schaden gereichen sollte. Die beiden Städte erteilten „Stehlbriefe“, Kaperbriefe, durch welche sie Alle, die auf eigene Gefahr, Kosten und Gewinn gegen Dänemark und Norwegen kriegen und zugleich das belagerte Stockholm mit Bedürfnissen versehen wollten, aufforderten, sich in Rostock und Wismar bewaffnet einzufinden, und ihnen freie Aus- und Einfahrt, Bergung und Verkauf ihres Raubes zusicherten. Zu demselben Zwecke öffnete Herzog Johann seine Häfen Ribnitz und Golwitz. „Es lief zusammen,“ sagt Reimer Kock in seiner Chronik, „ein herrenlos Volk aus allen Gegenden: Hofleute, Bürger aus vielen Städten, Amtsknechte, Bauern; sie sprachen, sie wollten ziehn auf die Königin von Dänemark zu Hilfe dem Könige von Schweden und Niemand zu nehmen noch zu rauben; sie bedrohten aber leider die ganze See und alle Kaufleute und raubten beide auf Freund und Feind, dass die schonische Fahrt niedergelegt ward wohl drei Jahr.“ — Der ausgesprochene Zweck, Stockholm mit Victualien und Kriegsbedürfnissen zu versorgen, gab ihnen den berüchtigt gewordenen Namen Victualien- oder Vitalienbrüder, Vitalier, die Räubersitte, die gewonnene Beute unter einander gleich zu verteilen, den Namen Likendeler, Gleichteiler. Die Schutzherren verboten ihnen zwar ausdrücklich, einen Kauffahrer zu schädigen, und erließen zugleich an die Mitglieder der Hansa Briefe, die vor jeder Unterstützung der Dänen warnten, da man sonst für Feindseligkeiten von Seiten der Vitalier nicht einstehen könne. Was half aber der Hansa die Plünderung dänischer Küstenplätze, wenn sie stets für die eigenen Handelsschiffe Raub fürchten und erfahren und mit schweren Kosten bewaffnete Schiffe in See halten musste? Außerdem hatte sie für den König Albrecht jede Parteinahme aufgegeben und Aussicht, von Margarethe denselben Schutz für die alten Handelsfreiheiten zu erhalten. Sie wollte nur eine unbehinderte neutrale Stellung zwischen den Parteien und ungestörten Seehandel, verlangte deshalb die unbedingte Achtung vor jeder neutralen Flagge, nach dem Grundsatz: ,,frei Schiff, frei Gut,“ — doch vergeblich, denn die beiden Städte waren bald selbst der losgelassenen Banden nicht mehr mächtig.

Die Führer der in diesem Kriege raubenden Banden waren fast alle aus angesehenen mecklenburgischen Geschlechtern. Am häufigsten wird als ihr Hauptmann genannt Marquard Preen, aus dem Geschlechte der Preen auf Davermoor. Im Jahre 1357 verpflichtete sich Hennecke Preen mit seinen drei Söhnen Johann, Heinrich -und Gottschalk durch Urkunde, mit ihrem ganzen Geschlechte dem Herzog Albrecht gegen alle seine Feinde zu jeder Zeit zu Diensten bereit zu sein, und so lange der Krieg um Albrechts Befreiung dauerte, finden wir Marquard als einen der tätigsten und kühnsten Seeräuber gegen die Dänen, wobei er freilich auch seinem Hasse gegen das Bürgertum, dem sein Geschlecht vor Güstrow erlegen war, hinlänglich Luft verschaffte. Ein zweiter Führer war Bosse von Kaland, urkundlich als Ritter bezeichnet, Glied eines längst ausgestorbenen alten Geschlechtes; ein dritter Arnd Stük oder Stuck, gleichfalls aus rittermäßigem Geschlecht, desgleichen Heinrich Lüchow, Henning Manteuffel und Moltke. Alle diese adeligen Führer verschwanden vom Schauplatz des Seekrieges mit der Befreiung Albrechts, um dann anderen, weit mehr gefürchteten Männern Platz zu machen, die jetzt aus dem Seeraub gegen Jedermann ein Gewerbe machten und sich dabei von den politischen Parteien, doch ohne alle andere Absicht, als Beute zu machen, in Sold nehmen ließen. Diese zweite gefährlichere Periode der Seeräuberkriege beginnt nach Albrechts Befreiung 1395 und dauert bis zur Unterwerfung Ostfrieslands unter das Haus Cirksena 1434. In der ersten Periode ist der Raub an hansischen Handelsschiffen Nebensache, Folge des Privathasses der adeligen Führer, das Hauptziel ist Albrechts und Stockholms Befreiung und Krieg gegen Margarethe, also eine politische Aufgabe; in der zweiten Periode nach 1395 ist der Raub der einzige Zweck der Piraten.

Aus den Seeräuberkriegen der ersten Periode sind uns Einzelzüge bewahrt, die ebenso sehr für die Schifffahrts- und Kriegskunde der Piraten, wie für die ernstlich gemeinte Bekämpfung derselben von Seiten des erzürnten Bürgertums Zeugnis ablegen. Im Jahre 1391 griff eine Vitalierbande ein großes Stralsunder Kauffahrteischiff auf offener See an, wurde aber von der tüchtigen Bemannung desselben überwältigt und, wer nicht im Kampfe blieb, gefangen genommen. Die Stralsunder wussten, um hundert so gefährliche Gäste auf einem Schiffe in Verwahrsam zu halten, kein besseres Mittel, als dass sie dieselben in leere Fässer so verpackten, dass nur der Kopf mit dem Halse herausragte; in Stralsund wurden sie dann ohne weitere Umstände hingerichtet. Im folgenden Jahre beherrschten die Vitalier von Gothland und Wisby aus, welche mit ihren alten Mauern, Schlössern, Türmen und Häfen die sichersten und günstigsten Zufluchtsorte boten, die ganze Ostsee. Die Hansa musste den Befehl erlassen, dass nie weniger als zehn Handelsschiffe zusammen durch den Sund segeln sollten, und wer dawider handle, erhalte in fünf Jahren in keinem hansischen Hafen Ladung. Lübecks überseeischer Verkehr lag ganz danieder, das Vittenlager auf Schonen war drei Jahre lang verlassen. Bald gab es auf der See nichts mehr zu rauben und die Seeräuber mussten die Küsten plündern, wenn sie Beute erlangen wollten. Sie verbrannten Malmöe und verheerten, 2.000 Mann stark, die Küsten Livlands und Estlands und aufs Grausamste die Umgegend von Reval. Bei Stockholm überfielen Marquard Preen, Arnold Stück u. A. den Bischof Tordo von Strängnäs, führten ihn und sein Gesinde gefesselt zu Herzog Johann von Mecklenburg und entließen ihn nur gegen schweres Lösegeld. Des Papstes Bann, der über sie erging, verlachten sie und erklärten, lieber unter dem Banne bleiben, als gegen Zahlung der geforderten Spenden sich lösen zu wollen.

Daneben vollbrachten sie auch manche tüchtige Tat zur Lösung ihrer politischen Aufgabe. Im Winter 1393—1394 herrschte in dem lange umlagerten Stockholm Hungersnot. Rostock und Wismar rüsteten acht große Schiffe mit allen Lebensbedürfnissen und entsandten sie unter Begleitung der Vitalier nach Stockholm. Die schwedische Küste war aber ganz mit Eis umzogen, so dass sämtliche Schiffe unfern derselben einfroren und in die äußerste Gefahr kamen, von den nahen Danen überfallen zu werden. Da fällten die Vitalier in den benachbarten Wäldern hohe Bäume in gro?er Anzahl, bauten um die eingefrorenen Schiffe einen Wall, den sie mit dem Gezweige der Bäume durchflochten und mit Wasser dermaßen begossen, dass er bald eine unübersteigliche Eismauer bildete. Dann zerschlugen sie in der Nacht um diese Festung das Eis, so dass die Dänen, als sie sich am andern Morgen zum Sturme heranwagten, mit ihren Sturmmaschinen durchbrachen und viel Zeug und Leute verloren. Als Tauwetter eintrat, brachten die Vitalier die reichlichen Vorräte glücklich in die hungernde Stadt. Die unerwartete Rettung aus dem gefahrvollen Abenteuer erweckte auch die abgehärteten Seeräuber, die kaum erst des Papstes Bann verspottet hatten, zur Frömmigkeit. Ihre Führer, Rambo Sanewitz, Bosse Kaland, „Ritter,“ Arnold Stück, Nikolaus Mylges, Marquard Preen u. A., „Knappen“ stifteten zur Erinnerung an die Rettung im Elise „auf der Vörde von Dalerne“ in einer Kirche Stockholms „mit guter Leute Hilfe,“ d. i. ihrer Raubgesellen, eine ewige Messe, Gott zu Lobe, zu Ehren der heil. Magd, des heil. Kreuzes und Blutes und aller Heiligen Gottes, „darumme dat uns de benedygete god met syner gotliken gnade wol beschermede unde bewarede vore unse vygende“ — und bestellten den Priester Johann Ostenburg, dass er Gott bitte „vore unsen lyven Heren den koninge, vor de synen, vor uns altomalen.“

Der Klagen der Hansa gegen so verwegene Seeräuber war kein Ende. Auf der Tagfahrt im Februar 1393 verlangte sie von Rostock und Wismar, da sie solches Unwesen über die deutschen Meere heraufbeschworen hätten, demselben jetzt auch ein schnelles Ende zu machen. Diese aber entschuldigten sich, sie seien dieser Leute nicht mehr Herr. Es blieb bei dem Gebot, nur in Flotten durch den Sund zu segeln und endlich musste man die Fahrt durch den Sund bis auf Weiteres ganz einstellen. Da beschloss die Hansa die Ausrüstung einer ganzen Kriegsflotte gegen die Seeräuber. Lübeck übernahm fünf große Kriegsschiffe „Koggen“, jede mit hundert Wäppnern, und zwei kleinere, die preußischen Städte zehn Koggen mit tausend Wäppnern, Stralsund vier Koggen, selbst die Rhein- und Süderseestädte versprachen eine Anzahl Schiffe zu stellen; welche Stadt die versprochene Hilfe nicht leistete, sollte auf immer vom Bunde ausgeschlossen bleiben. Dennoch trennten sich die preußischen Städte in einseitigem Interesse bald von den übrigen, Lübeck aber erzwang mit den treugebliebenen Bundesgenossen für diesen Sommer wenigstens Sicherheit auf der Ostsee.

Im folgenden Jahre, 1395, kam es mit Hilfe des preußischen Hochmeisters Konrad von Jungingen zu dem fünfjährigen Waffenstillstand mit Dänemark, der dem gefangenen König und der Stadt Stockholm die Freiheit zurückgab. Die Seeräuber verloren jetzt jeden Schutz und Schein der Gesetzlichkeit und behielten keine Wahl, als Kampf auf Leben und Tod oder Verzichtleistung auf ihr gefährliches Handwerk. Die namhaftesten Hauptleute wählten das Letztere und verschwinden fortan aus der Geschichte, andere liefen mit Geleite aus den Häfen von Rostock und Wismar, um sich dann der Insel Gothland zu bemächtigen, wurden aber von Stralsunds Wehrschiffen überwältigt und 200 Gesellen starben im Gefängnis oder auf dem Richtplatz.

Jetzt beginnt die zweite Periode dieser Seeräuberkriege, deren Namen sich den Mitlebenden noch furchtbarer gemacht und der dichterischen Sage unvergesslich eingeprägt haben. Vor Allen sind es die beiden Nikolaus Störtebeker und Godeke Michael, beide nach der Sage aus Verden.

Die Tagfahrt zu Lübeck beschloß im Herbst 1395, Niemand solle den Vitaliern, bei Strafe des Verlustes der hansischen Gemeinschaft, Vorschub leisten. — Dennoch fanden sie nach der Plünderung Bergens in Rostock und Wismar für ihre Beute den Markt; „den Krämer kümmerte es wenig, ob das feilgebotene Gut mit Recht oder mit Unrecht gewonnen sei.“ Endlich auch von hier fortgewiesen, teilten sie sich in drei Haufen. Der eine, vierhundert Mann stark, wandte sich in die Newa und erlebte, in der Irre umherschweifend, die abenteuerlichsten Dinge, welche die Sage weiter ausschmückte; durch Hunger, Krankheit, Kampf gegen die Menschen und Elemente um die Hälfte vermindert, kam er nach einem Jahre zurück. Eine zweite Schar plünderte die spanischen Küsten. Die dritte und größte, unter Nikolaus Störtebeker, Godeke Michael, Wigmann und Wigbold, fand Zuflucht in Ostfriesland und gewann für die Geschichte der Nordsee politische Bedeutung. In Friesland, ostwärts der Ems, waren damals die Verhältnisse für die Räuberscharen äußerst günstig. Kein eingeborener Fürst hatte hier herrschende Gewalt erlangen können und das deutsche Reich nie bis hier einen maßgebenden Einfluss ausgeübt. Eine Anzahl Häuptlingsfamilien standen nebeneinander, wenig unterschieden an Macht, alle gleich in unermüdeter Fehdelust und Hass gegen einander. Gegen Keno ten Broke, den gefürchteten kriegerischen Häuptling des Brockmerlandes, hatte sich damals fast der ganze übrige Adel Ostfrieslands unter Hisko, dem Propste von Emden, erhoben, um das drohende Übergewicht dieses Geschlechts auf immer zu brechen. Aber auch die anderen Adelsgeschlechter waren unter einander in blutigem Kampf; so viele Häuptlinge das kleine Land zählte, so viele Fehden durchstürmten dasselbe. Da erschienen, in der Ostsee von ihren Schutzherren preisgegeben, von der Hansa auf den Tod verfolgt, die Vitalier in diesem Lande der Zerrüttung. Wigold ten Broke nahm sogleich 600 von ihnen in Sold, und die Schlösser des Brockmerlandes wurden ganz von ihnen erfüllt. Zu Marienhave, dessen jetzt verschlemmter Hafen noch Störtebekers Tief heißt, schlossen sie die Einfahrt des Hafens mit einer hohen Mauer und gewölbten Pforten und brachten von hier aus auf kleinen Schiffen ihre Beute in die stets geöffneten Märkte.

Damit war auch die Ostsee keineswegs von den Seeräubern befreit. Arnold Stück und andere Führer, die an der schwedischen Küste und auf Gothland eine Zuflucht gefunden hatten, raubten hier nach allen Richtungen. Die hansische Wehrflotte war unter Lübecks Leitung glücklich im Verfolgen der einzelnen Seeräuberschiffe, doch blieb ein Angriff auf Gothland wegen Zwiespältigkeit des Oberbefehls und der Interessen ohne Erfolg. Die Insel mit dem immer noch festen Wisby und ihrer großen Anzahl Schlösser und Häfen wurde jetzt ein um so sicherer und gefährlicherer Stützpunkt der Seeräuber, da auch Herzog Erich, Königs Albrecht Sohn, von hier seine Ansprüche auf den schwedischen Thron mit Hilfe der Vitalier geltend zu machen suchte. Auch die Engländer, die manche herben Verluste durch die deutschen Seeräuber erlitten, machten die Hansa mit den Städten Rostock und Wismar dafür verantwortlich, kaperten auf offener See und belegten in den englischen Häfen jedes deutsche Schiff mit Beschlag. Dennoch kam es, so sehr Hamburg und Lübeck drängten, im Jahre 1397 zu keinem kräftigen Beschlusse. Die Räuber wurden so keck, dass sie im Angesicht der Stadt Danzig auf der Rhede die Handelsschiffe wegnahmen und im benachbarten Pommern freien Markt und sichere Winterquartiere fanden.

Da machte Konrad von Jungingen, der Meister des deutschen Ordens, nachdem er den Frieden mit Margarethe vermittelt hatte, in entscheidender Weise den preußischen Einfluss auf der Ostsee geltend. Unterstützt von den preußischen Städten, rüstete er eine Flotte von achtzig großen Schiffen und 5.000 Kriegsleuten, die auf Gothland im Hafen Garn, unfern Landskron, dem Hauptschlosse der Vitalier, landeten. Drei Hauptschlösser wurden rasch niedergelegt und Wisby mit dem Hauptmanne Erichs, Sven Sture, dem gefährlichsten Schützer der Seeräuber, genommen, die gefangenen Seeräuber — Sven entfloh — hingerichtet und der Herzog von Mecklenburg gezwungen, die ganze Insel auf ewige Zeiten dem Orden zu übergeben. Die Raubschlösser wurden niedergebrannt, die Insel von allen Seeräubern gesäubert und mit Ordensmannschaft besetzt, alle Seeräuberschiffe von der Ostsee vertrieben, und auch die Herzöge von Pommern mussten schwören, nie wieder einen Seeräuber in Schutz zu nehmen. Den ganzen nächsten Sommer kreuzte, wobei wiederum Rostock und Wismar fehlten, so „härtlich sie auch ermahnt und zur Verantwortung gezogen“ wurden, die hansische Wehrflotte in der Ostsee; jeder gefangene Seeräuber wurde aufgeknüpft und das „vermaledeyte heillose Volk, die Teufelskinder“ von der Ostsee ganz vertilgt. Die letzten Reste retteten sich durch den Sund, um, mit den voraufgegangenen Scharen vereinigt, aus den Häfen Ostfrieslands die Mündungen des Rheins, der Elbe, Weser und Ems zu sperren.

Auf Rhein, Weser und Elbe bezog damals das innere Deutschland seinen Bedarf an englischen, französischen und niederländischen Erzeugnissen, die Waren des europäischen Südens und des Orients, welche alle in Brügge und Antwerpen zum Austausch mit den nordeuropäischen Waren zusammentrafen. Keine andere Handelsströmung war damals so lebhaft und mächtig, so erfüllt mit den kostbarsten Waren der gewerbereichsten und fruchtbarsten Länder der Welt, als die Handelslinien, welche von allen Gegenden in den Städten Flanderns und der Niederlande zusammenliefen. Mitten hinein legten sich die Seeräuber. Geschützt durch die festen Schlösser und Häfen des ostfriesischen Adels, der voll Hass war gegen das reiche, mächtig aufstrebende Bürgertum, griffen sie ohne Rücksicht auf Politik und Nationalität Alles an, was ihnen gute Beute verhieß, und lähmten durch die verwegenste Plünderung und die ausgesuchteste Grausamkeit den hier zusammenströmenden Handel nach allen Seiten. Voll Trotz erwiderten sie den Drohungen Lübecks: ,,sie, Gottes Freunde und aller Welt Feinde, würden fortan keines hansischen Kauffahrers mehr schonen, und nur Hamburg und Bremen hätten nichts zu fürchten, denn dort dürften sie aus- und einfahren, wie sie wollten.“ Vom gemeinen Kaufmann zu Brügge forderten sie freies Geleit, um auch dort sicheren Markt halten zu können, „sie würden sonst den Kaufmann schon müde machen.“

Alle Städte der Nordsee fühlten die schlimmen Wirkungen auf ihren Wohlstand, die reichsten Schiffe wurden unmittelbar vor dem Hafen genommen, die größten Kaufmannshäuser mit einem Schlage in die hilfloseste Lage gebracht. Die Lust am gewinnreichen Seeraub wurde so ansteckend und unwiderstehlich, dass selbst der Herzog von Vorpommern auf Raub in die Nordsee segelte, dafür aber von einer hansischen Wehrflotte mit Verlust seiner ganzen Mannschaft heimgeschickt wurde.

Endlich landete unter Lübecks Leitung eine hansische Flotte auf Ostfriesland, zwang Edo Wimcken, den Häuptling der Rüstringer, die Abenteurer von sich zu tun, konnte aber gegen die übrigen festen und wohlbemannten Schlösser wenig ausrichten. Im August 1398 wurde zu Kopenhagen von der Königin Margarethe und der Hansa, von den beiden größten Seemächten des Nordens, ein gemeinsamer Kriegszug gegen die Seeräuber beschlossen, doch kam es gegen Friesland wieder nur zu Drohungen. Keno von Broke, den Zorn der Städte fürchtend, wies die Vitalier von sich, als eine neue hansische Wehrflotte, wozu auch Rostock und Wismar ihre Schiffe gestellt hatten, in der Nordsee erschien; doch Edo Wimcken, Hisko von Emden und der Graf von Oldenburg nahmen die Vertriebenen in ihre Häfen. Da legte sich die hansische Flotte, nachdem sie eine Seeräuberschar vernichtet hatte, unter Führung des Lübecker Ratsherrn Johann Krispin und der Hamburger Albert Schreie und Johann Manne vor Emden, zwangen Hisko zur Übergabe seiner Schlösser, zerstörten eine Anzahl derselben, töteten 200 Vitalier und errichteten mit 28 Häuptlingen zu Hamburg einen Vertrag, nach welchem diese nie mehr Vitalier dulden und den hansischen Kauffahrern jeden Schutz und Vorschub leisten sollten. Der Erfolg war gut, aber er hatte den Städten und namentlich Lübeck schwere Opfer gekostet, und kaum waren die Schiffe heimgekehrt, so begannen Raub und Plünderung von Neuem und um so erbitterter. Die Vitalier umschwärmten die holländischen, französischen, englischen, norwegischen und deutschen Küsten, und die Hamburgischen Kammerrechnungen berichten aus diesen Jahren, die dem Handelsstand noch als „ruhige“ erschienen, eine Menge Hinrichtungen von Seeräubern, die in der Elbmündung gefangen wurden.

Im Jahre 1402 hatten sich die vier berüchtigtsten Seeräuberhäuptlinge, Nikolaus Störtebeker, Godeke Michael, Wichmann und Wigbold, genannt magister liberarum artium, mit zahlreichen Schiffen in den Schlupfwinkeln Helgolands gesammelt, beherrschten von hier aus die Mündung der Elbe und legten Hamburgs Handel gänzlich nieder. So keck und mächtig, in so starker Einigung, unter so trefflicher, verwegener Führung waren sie noch nie aufgetreten. Hamburg pflog förmliche Verhandlungen mit diesen Banden und empfing ihre Abgeordneten feierlich in der Stadt und im Rat. Endlich aber rüstete die Stadt mit Ernst und errang durch zwei entscheidende Siege gegen diese gefährlichsten aller Feinde glänzenden Kriegsruhm zur See und den Beinamen der „Piratenbezwingerin.“ Unter den Ratsherrn Nikolaus Schocke und Simon Utrecht, einem vielberühmten, seekundigen Kriegshelden, lief die Hamburgische Wehrflotte gegen Helgoland aus und begegnete zuerst den Schiffen Störtebekers und Wichmanns. Diese letzteren griffen sogleich an, denn sie hielten die Wehrschiffe, welche ihr Geschütz maskiert hatten, für Lastschiffe, wurden aber nach verzweiflungsvoller Gegenwehr geentert und ihre Mannschaft teils niedergemacht, teils gefangen. Dann erreichte die Flotte die zweite Schar unter Godeke und Wigbold, und 150 Seeräuber, ihnen voran die vier gefürchteten Hauptleute, wurden auf dem Grasbrook bei Hamburg enthauptet, dass ,,der Scharfrichter mit seinen geschnürten Schuhen tief im Blute stand.“

Dieser ruhm- und erfolgreiche Kampf lebt noch in erhaltenen Liedern und Sagen, welche vor allen den furchtbaren und jovialen Störtebeker und seinen wackern Gegner Simon von Utrecht mit seinem Admiralsschiff, der „brausenden Kuh aus Flandern“, das nach den Kammerrechnungen im Jahre 1401 in Hamburg erbaut wurde, verherrlichen. Jener, dem jedoch Godeke Michael nach den Berichten an See- und Kriegstüchtigkeit voranstand, besaß alle die Eigenschaften, die einen „freien Kriegsgesellen“ trotz der Furcht, die er einflößt, zum Lieblingshelden des Volkes und seiner Sagen machen. Er war so muskelstark, dass er Ketten mit den Händen zerriss, klug und umsichtig, verwegen und rasch wie kein Anderer, ein unverwüstlicher Trinker voll übermütigster Laune und unermesslich reich. Der Mast seines Schiffes, meldet die Sage, war mit reinstem Golde gefüllt, für seine Loslassung bot er dem Senate eine goldene Kette, die den Dom oder gar ganz Hamburg umfassen sollte. Nach der Sage war er der Schwiegersohn des mächtigen Keno von Broke. In seiner Kajüte fand man einen großen silbernen Humpen, bis zum Brande 1842 Eigentum der Hamburger Schiffergesellschaft, den außer ihm nur ein Junker von Groningen auf einen Zug hatte leeren können, und der die Inschrift hatte:

„Ik Jonker Sissinga ...
„Van Gronniga
,,Dronk dees heusa (tränk dies Gefäß)
„In een fleusa (in einem Zug)
,,Door myn kraga (durch meinen Kragen)
„In myn maga (in meinen Magen).“

Auch zeigte man in Hamburg noch des Seeräubers silberne Halskette mit der Befehlshaberpfeife, seine neunzehn Fuß lange Feldschlange und das Schwert, mit dem er gerichtet wurde. Im Jahre 1828 wurde bei Oldenburg eine alte Burg abgetragen, deren unterirdische Gänge nach der Sage unter dem Seearm, der früher Holstein von Oldenburg trennte, hinwegführten und Störtebekers Zufluchtsstätte gewesen sein sollen. Auch an andern Küstenstellen der Nord- und Ostsee, selbst mitten in Holstein in der Ufergegend der Eider, bezeichnet das Volk jetzt noch mächtige Wälle und Turmüberreste als Störtebekers Burgen. „Störtebeker kommt!“ war der Ruf, mit dem man auf Rügen die Kinder zum Schweigen brachte, und in dem Kreidefelsen der Stubbenkammer zeigt man eine tiefe, trichterförmige Höhle als des Räubers Schatzkammer, von einem schwarzen, riesigen Hunde bewacht, der Jedem, der sich hinablässt, das Seil zernagt. Auch seinen Gegner Simon von Utrecht und dessen „brausende Kuh“ verherrlicht die Volkspoesie und lässt ihn Nachts vor der Seeschlacht Störtebekers Steuerruder durch Eingießen von geschmolzenem Blei unbrauchbar machen und sein Schiff am andern Tage in den Grund bohren. Aus Holland nach Hamburg eingewandert, ward er hier um das Jahr 1400 Bürger, erwarb als Kauf- und Schiffsherr großes Vermögen, als Kriegsheld zur See großen Ruhm, wurde im Jahre 1434 Bürgermeister der Stadt und erhielt als ihr tüchtigster Führer in Krieg und Rat in der Nikolaikirche einen (noch erhaltenen) Denkstein.

Aber auch diese gefeierten Siege machten dem Seeräuber-Unwesen kein Ende, denn die Quelle desselben, die Fehden der friesischen Adligen, war damit nicht verstopft und weder die Hansen, noch die Dänen, noch die norddeutschen Fürsten ließen von der Sitte, Seeräuber und Kaper in Dienst zu nehmen. Doch durchschwärmten jetzt nicht mehr so zahlreiche und selbstständige Banden die Meere, vereinzelt und zerstreut gerieten sie immer mehr in Abhängigkeit von den politischen Parteien. Die Städte konnten sich nicht entschließen, Jahr aus Jahr ein eine kostspielige Wehrflotte in See zu halten, und so finden wir in der nächsten Zeit die Seeräuber von Friesland aus wieder in voller räuberischer Tätigkeit. Die Engländer, voll Zorn über die deutschen Seeräuber, halfen dazu und übten gegen alle deutschen Handelsschiffe ohne Unterschied Repressalien. Im Jahre 1407 wussten die Vitalier den Krieg zwischen den Holländern und Friesen so gut zu benutzen, dass der Handel in der Nordsee wieder ganz darnieder lag. Hamburg, Lübeck und Bremen schickten eine neue Flotte gegen Friesland, zerstörten eine Menge der gefährlichsten Raubschlösser, doch entkamen die Räuberscharen und fanden bei friesischen Häuptlingen und beim Grafen von Oldenburg neuen Schutz. Noch in demselben Jahre kamen sie aus ihren Schlupfwinkeln plötzlich wieder hervor und nahmen mit einem Schlage 13 hansische Schiffe mit Wachs.

Im Jahre 1410 und 1411 erhoben sich in Friesland neue Parteikämpfe zwischen den Schieringern und Vetkopern, und Keno von Broke, der bis dahin zu den Städten gehalten hatte, nahm Vitalierscharen in Sold, die sogleich über hansische Schiffe herfielen. Ganz Friesland war voll von den verwegensten Seeräubern, und die Städte suchten nur durch Friedekoggen und bewaffnete Geleitsschiffe so gut wie möglich die Mündungen ihrer Ströme zu schützen. Auch der langjährige Krieg zwischen dem holsteinischen Grafenhause und Dänemark um das Herzogtum Schleswig vermehrte das Übel. Die Holsteiner erließen den Aufruf, dass alles lose und ledige Volk zu Abenteuer auf die drei Reiche in ihren Häfen freie Aus- und Einfahrt fände. „Nach dieser Einladung,“ sagt die Chronik, „lief den Fürsten soviel Volk zu, dass durch dieses nicht allein die drei Reiche, sondern auch alle Kaufleute, welche die See besuchten, sehr beschädigt wurden.“ Die Städte Flanderns klagten, dass überall, und namentlich in Hamburg, Münster, Osnabrück, Groningen, die angesehensten Kaufleute, trotz aller Verbote, von den Land- und Seeräubern jeden Raub ohne Scheu kauften und ohne Strafe behielten. Stralsund sandte um diese Zeit ein Schiff aus, auf die Seeräuber zu kreuzen; der Hauptmann aber, Linstow, und die gesamte Mannschaft waren so einig in der Raublust, dass sie selbst über die ersten Kauffahrteischiffe, die ihnen begegneten, herfielen. Sie wurden aber von den Stralsundern ereilt und enthauptet, der Hauptmann aufs Rad geflochten und dann gehängt. Die Städte wandten sich in ihrer Ratlosigkeit, doch vergeblich, an den Kaiser, der ihnen mit dem Reiche noch niemals Hilfe und Abwehr geschafft hatte.

Im Jahre 1418 plünderten die Seeräuber sogar innerhalb der Weserufer, wurden aber von den erzürnten Bremern blutig hinausgewiesen. In demselben Jahre nahmen sie die Schiffe der Bischöfe von Lund und Roschild, die, mit sämtlichem Hofstaat und Kostbarkeiten beladen, zu den königlichen Festen geschickt waren, und die Bischöfe sahen von ihren Reichtümern nie etwas wieder. Im Jahre 1420 nahmen sie in der Elbe, fast im Angesicht des gefürchteten Hamburgs, Hamburgische Lastschiffe. Jm Jahre 1422 sandten Hamburg und Lübeck wieder eine gemeinsame Wehrflotte mit 1.000 Wäppnern nach Westfriesland, erstürmten ein mit Wällen, Gräben und Türmen stark und kunstgerecht befestigtes Lager der Seeräuber bei Esumersyl, zwangen Dokkum zur Übergabe, rissen hier alle Häuser nieder, wo sie Räuber und Raubgut fanden, machten alle verdächtigen Bürger zu Gefangenen und kehrten, nach Aufrichtung neuer Verträge, nach Hause zurück. Und noch in demselben Jahre geschahen wieder die großartigsten Seeräubereien auf der Ostsee. Fünfhundert Vitalier nahmen dem König von Dänemark 16 schwer befrachtete Schiffe und fanden dann gegen den Zorn desselben Zuflucht bei den Holländern, doch zwang die Hansa diese durch die Drohung der ewigen Ausschließung, die Seeräuber fortzuschaffen und mit Krieg zu verfolgen. Aber auch die Hansa nahm die schweifenden Banden der „freien Kriegsgesellen“ gegen König Erich in Arbeit. Sie eroberten Femarn, plünderten und zerstörten Bergen unter Barrel Voet, der dabei mit 17 Schiffen einen glänzenden Sieg über die weit zahlreichere norwegische Flotte errang. Die Vitalier erwarben in diesem Kriege unter Bartel Voet, Heine von Schouwen, Hans Klockener und Swens wieder großen Kriegsruhm und bildeten zu den größeren hansischen Flotten die Plänkler, das leichte Geschwader, konnte aber dabei vom Seeraub an allen Parteien nicht lassen. Vor Allem erwarb sich der Hauptmann Swens einen gefürchteten Namen, bis er von den Wehrschiffen der Lübecker mit 240 Gesellen aufgebracht wurde. In langen Zügen wanderte ihm das Volk von Lübeck entgegen und ließ ihn bald darauf gegen Lösegeld wieder los. Der Friede mit Erich machte dem Seeräuber-Unwesen auf der Ostsee ein Ende.

Auch in Friesland rüstete man sich endlich ernstlich, die Quelle dieses Unheils zu zerstören. Unter Edzard Cirksena von Gretsyl verband sich der bessere Teil des friesischen Adels als „Bundesgenossen der Freiheit“ und schloss mit Hamburg ein Bündnis, um die endlosen Häuptlingsfehden beizulegen. Die Hamburger bemächtigten sich der Stadt Emden, hielten den Propst derselben, Imelo, den vornehmsten Schützer der Seeräuber, vier Jahre gefangen, rüsteten mit Bremen und Oldenburg unter Simon von Utrecht eine große Flotte, bezwangen den mächtigen Häuptling Sibeth Papinga 1433 in der Schlacht bei Bargerbur, zerbrachen seine Burgen, vertrieben seine Anhänger und brachten Edzard und den Bund der Freiheit zur Herrschaft. Der im Jahre 1434 aufgerichtete Friede wurde von der Hansa als das entscheidende Ende der Seeräuberkriege erachtet. Das Geschlecht Cirksena, mit Hamburgs Einfluss in Ostfriesland herrschend, brachte andere Zeiten und Sitten über das zerrüttete Land.
Dieses Kapitel ist Teil des Buches Die Hansa als deutsche See- und Handelsmacht