Die Kaufmännischen deutschen Vereine auf Gothland und in London

Schifffahrt und Handel hatten in jenen Zeiten in den nördlichen Meeren Europas Gefahren und Schwierigkeiten zu bestehen, die wir jetzt kaum noch in den entlegensten Weltmeeren kennen. Die Schiffe, teils lang und schmal, teils kurz und tiefbauchig, waren bis zum 12. Jahrhundert gewöhnlich ohne Deck, mit einem Mast, der mit dem einzigen, an rechtwinklig einsitzender Raae befestigten Segel erst nach der Abfahrt aufgerichtet und vor der Landung eingelegt wurde, mit einem Steuer, das als breites bewegliches Ruder zur Seite Herabfiel und nach Belieben rechts oder links eingesetzt werden konnte, und wurden, wenn der Wind ungünstig war, durch lange Ruder und Stangen bewegt. Die Kunst des Kalfaterns war sehr unvollkommen, ein Teil der Mannschaft musste ununterbrochen das eindringende Wasser mit Eimern ausschöpfen. Im 12. Jahrhundert erhielten die Schiffe ein Verdeck, das während des Winters abgenommen wurde; der Mast wurde fester gestellt, das Steuerruder mit der schräg aufsteigenden Verlängerung des Kielbalkens verbunden, Vorder- und Hinterteil oder Steven zum Angriff und Verteidigung kastellartig erhöht und mit sicheren Planken umgeben. Auch, das Verdeck zwischen den Steven wurde mit Planken umzogen, die in der Mitte einen beweglichen Durchlass zum Aus- und Einsteigen und Laden hatten. Der kurze starke Mastbaum trug auf der Spitze eine „Keibe“, Mastkorb, aus biegsamen Weiden geflochten, später meistens aus stärkerem Holz gezimmert. Da man den Kompass nicht kannte, noch von den Sternen und Meeresuntiefen genügende Kenntnis besaß, bewegte sich in diesen unvollkommenen und wenig ladungsfähigen Schiffen der Handel längs der Küste in kurzen Tagereisen von Station zu Station. Zwar die Friesen und die übrigen Anwohner der Nordsee wagten sich in ganz offenen Fahrzeugen freiwillig oder von den Winden verschlagen auf das offene Meer hinaus und machten Fahrten bis nach Island und Nordamerika, doch waren solche nur Ausnahmen und geschahen mehr in abenteuernder Lust als zu regelmäßigen kaufmännischen Unternehmungen.

Auch in der Ostsee blieb die Schifffahrt in dieser Zeit wesentlich Küstenfahrt, wie wir im ersten Abschnitt gesehen haben. Mit der Germanisierung der Küsten nahm aber der Handel eine veränderte Gestalt an. Die wendischen Handelsplätze verschwanden und deutsche Handelsseestädte, Lübeck, Wismar, Rostock, Stettin, Greifswald, Stralsund, Danzig u. s. w. blühten rasch empor und schufen auf der Ostsee einen direkten deutschen Seehandel. Die Schifffahrt löste sich mehr und mehr von der Küste und zog in gerader Fahrt auf die Insel Gothland.


Durch die äußerst vorteilhafte Lage, welche den Eingang in den finnischen und botnischen Meerbusen in gleicher Weise beherrschte und ebenso den Handel nach den finnischen und russischen wie nach den deutschen, schwedischen und dänischen Küstengebieten möglich machte, durch ihre glücklichen politischen Verhältnisse, welche die Insel und ihre einzige Stadt Wisby zwar unter den Schutz des schwedischen Reiches stellte, aber doch ihnen fast unbedingte innere Freiheit gewährte, wurde Gothland während des 13. und noch im 14. Jahrhundert Mittelpunkt und Sammelplatz des gesammten Ostseehandels. Die Rechts- und Handelsverhältnisse jener Zeiten machten notwendig, dass der Kaufmann seine über Land oder Meer entsendeten Waren selbst begleitete oder von einem Verwandten und Vertrauten geleiten ließ. Er verschickte sie nicht auf vorhergegangene sichere Bestellung, um sie vom Besteller gegen bare Zahlung in Empfang nehmen zu lassen, sondern musste mit ihnen auf gut Glück einen allgemeinen und bekannten Handelssammelplatz aufsuchen und hier herbergen, bis eine günstige Gelegenheit den willigen Käufer und die meistens nur in den Erzeugnissen anderer Länder bestehende Rückzahlung herbeiführte. Ein solcher allgemeiner Sammelplatz ward jetzt die Insel Gothland, und es strömten hierher während der Fahrzeit Griechen und Russen, Finnen und Schweden, Norweger und Dänen, sowie Deutsche aus allen Küstengebieten der Ost- und Nordsee zusammen, die alle nach abgewickeltem Geschäfte zur Herbstzeit in die Heimat zurückkehrten.

Es war eine natürliche Folge der Rechtsverhältnisse jener Zeit, dass Kaufleute aus einen und demselben Volke, wenn sie in fernen und fremden Ländern zu Handelszwecken zusammentrafen, sich zum Schutze ihres Eigentums, zur gegenseitigen Unterstützung wegen Forderungen und Schulden der Fremden, zur Erleichterung des gesammten Handelsbetriebes nah aneinander schlossen, um mit vereinten Kräften den rechtlichen Schutz zu gewinnen, welcher beim gänzlichen Mangel diplomatischer Verbindungen zwischen den einzelnen Reichen und Fürsten auf politischem Wege weder erreicht noch beansprucht werden konnte. Je mehr die deutschen Ansiedlungen im Ostseegebiete aufblühten und der deutsche Handel in stärkeren Strömungen an die nördlichen und östlichen Küsten dieses Meeres sich ergoss, um so zahlreicher und regelmäßiger strömten auch die deutschen Kauffahrer auf Gothland zusammen, und mit der Regelmäßigkeit dieses Verkehrs mehrte sich auch die Notwendigkeit einer- ununterbrochenen, auch während des Winters wirksamen Verbindung zwischen der Insel und den deutschen Städten. In Folge dessen verweilten auch zur Winterszeit immer mehr Deutsche in der Stadt Wisby und ließen sich endlich ganz nieder, so dass hier neben der gothischen Stadtgemeinde eine besondere deutsche Gemeinde mit selbstständiger Verfassung, besonderem Stadtteile und eigenem Siegel sich bildete. Zur Zeit Heinrichs des Löwen finden wir die erste urkundliche Spur dieser deutschen Gemeinde in Wisby. Im Jahre 1163 schlichtete Heinrich einen schon länger dauernden Streit zwischen den Deutschen und den Eingeborenen auf Gothland und bestätigte den letzteren in seinem Lande denselben Schutz und dieselben Rechte, welche ihnen schon der Kaiser Lothar zugestanden hatte: die Zollfreiheit, das Erbrecht beim Tode von Angehörigen in fremdem Lande, freien Handel und Wandel, wie seine eigenen Bürger auf Gothland genossen, doch mit der Bedingung, dass die Gothländer Lübecks neubegünstigten und gesicherten Hafen fleißig besuchen sollten.

Diese deutsche Gemeinde umfasste aber keineswegs - alle Deutschen, die des Handels wegen Gothland besuchten, sondern „nur die, welche mit beständigem Aufenthalte Bürger von Wisby geworden waren. Außerdem kamen noch von den meisten norddeutschen Handelsstädten zu Kauf und Verkauf während des Sommers eine Menge von Kaufleuten hier zusammen, die gleichfalls in die Friedensurkunde des Herzogs eingeschlossen waren. Nach Heinrichs des Löwen Sturz waren diese deutschen Kaufleute, da der Einfluss des deutschen Reiches sich soweit noch nicht erstreckte, sich selbst überlassen und mussten nun durch ein vereintes Zusammenstehen die Sicherheit ihrer Stellung zu gewinnen suchen. Das Jahr 1229 gibt uns den ersten Beweis eines solchen gemeinsamen Handelns. Der Fürst Mistislav Davidewitsch von Smolensk, welche Stadt gleichfalls den russisch-deutschen Handel in hervorragender Weise vermitteln half, hatte Gesandte nach Riga und Gothland geschickt, um die zwischen Smolensk und den auf Gothland weilenden Kaufleuten obwaltenden Zwistigkeiten beizulegen. Den daraus hervorgegangenen Vertrag haben im Namen der Kaufleute drei Bürger aus Gothland, einer aus Lübeck, einer aus Soest, zwei aus Münster, zwei aus Gröningen, zwei aus Dortmund, einer aus Bremen und drei aus Riga unterschrieben. Unter den Vertretern der hier weilenden deutschen Kaufmannschaft ist also, außer von Riga, nur einer aus der einen deutschen Ostseestadt Lübeck, alle übrigen aus deutschen Binnenstädten; es ruhte somit der selbstständige deutsche Ostseehandel noch damals fast allein in den Händen der binnenländischen Handelsstädte, welches Verhältnis sich bald gänzlich umgestalten sollte.

Weitere Aufschlüsse über diese Gesellschaft der Kaufleute gibt uns die älteste Skra (Gesetzbuch) des deutschen Hofes zu Nowgorod, von der wir sogleich ausführlicher reden. Diese Skra stellt nämlich fest, dass der jährliche Überschuss der Einnahmen dieses Hofes in der Marienkirche der Deutschen auf Gothland im Kasten St. Peters, ihres Schutzheiligen, niedergelegt werde. Die vier Schlüssel des Kastens sollen der Oldermann der deutschen Gemeinde zu Wisby und die Oldermänner von Lübeck, Soest und Dortmund aufbewahren. Daran schließt sich die Nachricht, dass im Jahre 1263 die Lübecker den Kaufleuten von Soltwedel in ihrem Verein auf Gothland gleiche Rechte mit den eigenen Bürgern und einen Sitz auf der Lübecker Bank zugestehen. Also sehen wir um die Mitte des 13. Jahrhunderts, neben der vollständig ausgebildeten deutschen Gemeinde der Stadt Wisby, auch die Kaufleute der hierher handelnden deutschen Städte, jede für sich zu besonderen Gemeinen mit eigenem Oldermann und eigener Bank zusammengeschlossen, welche nach Belieben kleinere Städte, die zu einem besonderen Verein zu schwach waren, aufnehmen konnten. Diese Einzelvereine bildeten zusammen einen alle umfassenden, in dessen Versammlungsgebäude jeder seine besondere Bank und Stimme behauptete.

Das Jahr 1287 gibt uns auch schon ein Zeugnis für das gemeinsame Handeln des Gesamtvereins der deutschen Kaufleute auf Gothland. Alle diese Kaufleute nämlich aus den Städten und Orten, welche die Insel besuchten, stellten die Regeln und Gesetze schriftlich fest, welche sich aus Gebrauch und Gewohnheit ergaben und zum Schutz von Person und Eigentum vereinbart waren. „Bei Schiffbruch oder Raub sollen alle benachbarten Städte in ihren Bürgerversammlungen das Verbot erlassen, dass Niemand von solchem Gute kaufe noch verkaufe, sondern Jeder soll dem Verunglückten zu Schutz und Wiedergewinnung von Person und Eigentum helfen. Wer solches Gut an sich bringt und wird dessen überwiesen, gibt es ohne Entschädigung dem Eigentümer zurück und zahlt 20 Mark Silbers als Strafe an seine Stadt oder, beweist sich auch diese säumig, an die Gesellschaft der Kaufleute. Welche Stadt diesen Vorschriften nachzukommen verweigert, ist aus der Gemeinschaft der Kaufleute an allen Orten und auf allen Straßen ausgestoßen, bis sie ihre Pflicht erfüllt. Also ausgestoßen ist die Stadt Reval, wenn sie sich nicht bis übers Jahr diesem Beschlusse gefügt hat. Am Leben aber wird gestraft, wer bei einer Anschuldigung einen falschen Eid geschworen hat.“ Diese Urkunde wurde mit dem Siegel aller sich in Gothland aufhaltenden Kaufleute bekräftigt.

So bildeten also die Gothland besuchenden deutschen Kauffahrer schon eine bestimmt ausgeprägte Gesellschaft, welche für den Verkehr unter einander Formen und Gesetze von bindender und zwingender Kraft auch für die deutschen Städte, deren Bürger auf Gothland des Handels wegen zu verweilen pflegten, feststellen, die Nichtbefolgung mit Ausstoßung, den Meineid mit dem Tode bedrohen konnte. Auch hatte die Gesellschaft schon ihr eigenes Wappen, dessen Führung im Mittelalter stets ein Beweis großer politischer Selbstständigkeit war, mit einem aufrecht stehenden Lilienbusch und der Umschrift: „Siegel der deutschen Kaufleute auf Gothland weilend.“ Die deutsche Gemeinde zu Wisby hatte einen kleineren Lilienbusch ohne Umschrift. Das also ist klar, dass nicht die deutschen Städte die kaufmännische Gesellschaft stifteten und beherrschten, sondern dass diese unabhängig von jenen durch die Kaufleute selbst, wie sie sich hier zusammenfanden, den augenblicklichen Verkehrsbedürfnissen gemäß gegründet und zu solchem auch für die Städte Gesetze gebenden Ansehen ausgebildet wurde.

Seit durch solche Verbrüderung die deutschen Kauffahrer auf der Insel Gothland einen gesicherten Aufenthalt gewonnen hatten, wurde auch der deutsche Handel nach Russland regelmäßiger und ausgiebiger. Die Stadt Nowgorod, in diesen früheren Jahrhunderten ein glänzender Handelsplatz und eine mächtige Republik, wurde der Stapelort, wo die Kaufleute und Waren des russischen Inlandes bis nach Asien hinein mit denen der deutschen Städte zum Austausch zusammentrafen. Zu Anfang des 13. Jahrhunderts finden wir die deutschen Kaufleute hier wie auf Gothland als Gesellschaft eingerichtet. Sie haben Häuser und Besitztümer erworben, dieselben zu einem großen allgemeinen deutschen Hofe, dessen Skra wir schon erwähnt haben, vereinigt, werden von selbsterwählten Oldermännern geleitet, halten gemeinsame Versammlungen und haben in jener Skra die von ihnen selbst festgestellten, für Alle bindenden Ordnungen. Dieser Hof erscheint von den Deutschen auf Gothland in entschiedener Abhängigkeit. Seine Gründung und Bildung war wohl in der zweiten Hälfte des 12. Jahrhunderts von denselben ausgegangen und ihnen deshalb auch die Oberleitung geblieben, bis später durch die veränderte Stellung der deutschen Ostseestädte auch hier eine wesentliche Änderung eintrat.

Nach Norwegen und Schweden, insbesondere nach der Insel Schonen, sowie nach den dänischen Inseln und Jütland, fanden schon früher Handelsbeziehungen von den deutscheu Städten der Nord- und Ostsee statt, doch werden in keinem dieser Reiche in dieser Periode deutsche kaufmännische Gesellschaften erwähnt. Die Deutschen erwarben hier gleichfalls Handels- und Schutzrechte, Zollbegünstigungen und Befreiungen vom Strandrechte, aber nicht durch Vereine, sondern die Städte erlangten jede für sich nach Gunst und Gelegenheit die Freiheiten, die später vereinigt auf den ausgebildeten hansischen Städtebund übergingen. Die Gesellschaft der vereinigten Kaufleute auf Gothland, socuetas seu consodalitas mercantorum, consorcium mercatorum, hatte im 12. und 13. Jahrhundert nur Bedeutung und Geltung für den Handel dieser Insel und an den russischen und livischen Küsten, und war nichts mehr und nichts weniger, als ein für sich abgeschlossener kaufmännischer Verein des Ostseehandels. Ebensowenig, wie von einer weiter greifenden Verbindung dieser Gesellschaft mit den Städten, finden wir von einem Namen der deutschen Hansa in der Ostsee eine Spur: „gemeiner Kaufmann, communis mercator, universi oder omnes mercatores,“ mit dem Zusatze, „auf Gothland weilend,“ sind die einzigen urkundlich neben den oben genannten vorkommenden Bezeichnungen.

Ausgebildeter war um diese Zeit schon der Handel der norddeutschen Kaufleute in der Nordsee. Sachsen und Friesen blieben mit den in frühen Jahrhunderten nach England übergesiedelten Angelsachsen in fortdauernden Handelsverbindungen, Karl der Große mit den angelsächsischen Königen in diplomatischem Verkehr. Schon die Gesetze des Königs Ethelred, der 978 — 1016 in England herrschte, bewilligen den Kaufleuten des römischen Kaisers wichtige Verkehrsfreiheiten, und die Stadt Köln behauptete später, dass ihre Kaufleute unter Wilhelm dem Eroberer, 1066 — 1087, Handels- und Schutzrechte in England besessen hätten. Die von König Heinrich II. im folgenden Jahrhundert (1151 — 1189) dieser Stadt erteilten Freibriefe erwähnen schon ein Haus als Eigentum der Kölner in London mit besonderem Schutzversprechen. Derselbe Heinrich II. und Kaiser Friedrich I. versprechen im Jahre 1157 gegenseitigen Schutz des Verkehrs zwischen ihren Untertanen, und König Richard (1189 — 1199) befreit wieder das Haus der Kölner, „Gildhalle“ genannt, von seiner Abgabe, welche Befreiung auch die späteren Könige bestätigten.

Zu derselben Zeit haben auch schon andere deutsche Städte Handelsverbindungen und Rechte in England. Lübeck erhält im Jahre 1176 von Heinrich II. die Befreiung vom Strandrechte, d. i. von dem Rechte, nach welchem das schiffbrüchige Gut den Bewohnern und Beherrschern der Küste rechtlos verfallen war. Dieselbe Urkunde bestätigt den Lübeckern und „allen Kauffahrern aus anderen deutschen Städten,“ welche England des Handels wegen besuchen, alle Rechte und Freiheiten, welche sie schon zur Zeit der Vorfahren Heinrichs II. innegehabt hatten.

Neben Lübeck wird zu Anfang des 13. Jahrhunderts noch besonders der niederländischen Stadt Tiel, als im Besitze von verbrieften Handelsvorrechten in England, gedacht, und von London rühmen die damals lebenden Schriftsteller, dass diese Stadt von vielen Fremden und ganz insbesondere von Deutschen mit Waren besucht werde. Um das Jahr 1130 erhielten auch die Untertanen des Herzogs Otto von Braunschweig von König Heinrich III. für Person und Waren in England ein besonderes Schutzversprechen, die Kaufleute von Gothland im Jahre 1237 Befreiung vom Ein- und Ausfuhrzoll, die Kaufleute von Hamburg im Jahre 1266 und die von Lübeck im folgenden Jahre das Recht, ihre „Hansa“, d. i. ihre kaufmännische Gesellschaft, gleich den Kölnern gegen Entrichtung der feststehenden Abgaben halten zu dürfen. In demselben Jahr bestätigt Heinrich III. „allen deutschen Kaufleuten, welche in London ein Haus, Gildhalle genannt, besitzen,“ alle von seinen Vorfahren zugestandenen Freiheiten, und nach anderen Urkunden wird diese Gildhalle wieder von den vereinten deutschen Kaufleuten erweitert und durch königliche Zugeständnisse von Abgaben befreit. Im Jahre 1282 sehen wir einen Streit der Stadt London mit den Kaufleuten „der deutschen Hansa“ daselbst von den königlichen Richtern beigelegt. In London also und England haben wir die ältesten Handelsrechte und Freiheiten, welche deutsche Städte für ihre Kaufmannschaft erwarben, und zugleich den Beweis, dass dieser Städte Kaufleute, die von Köln zuerst und dann auch die übrigen, jede für sich, abgeschlossene Vereine bildeten, welche dann wieder mit gemeinsamem Besitz einer ursprünglich nur den Kölnern zugehörigen, immer mehr erweiterten und bevorrechteten Gildhalle sich zu einem Gesamtverein zusammenschlossen, unabhängig, wie auf Gothland, vom Rat und der Bürgerschaft der Städte. Der Verein für sich stellt Gesetze und Verträge fest, wie im Jahre 1282 mit der Stadt London, ohne Mitwirkung und Bevollmächtigung von Seiten deutscher Städte.

Ferner haben wir hier zuerst und mit unzweifelhafter Bedeutung den Namen „deutsche Hansa“, der aber nicht einen Bund von Städten, sondern den freiwillig zusammengetretenen Verein von Kauffahrern der einzelnen Städte und den aus diesen Einzelvereinen gebildeten Gesamtverein bezeichnet. Hansa bedeutet also ursprünglich eine kaufmännische Gesellschaft, die Gilde einzelner Kaufleute, die, zu kaufmännischen und rechtlichen Zwecken gebildet, mit einer Gesellschaftsverfassung und dem Besitz einer Gildhalle ausgerüstet ist. Von einer weiter greifenden Verbindung, mit den Städten oder mit der Gesellschaft auf Gothland finden wir auch in England bis zu Ende des 13. Jahrhunderts keine Spur.

Eine ebenso alte Richtung des norddeutschen Seeverkehrs zog sich längs der deutschen Nordseeküste über die Niederlande nach Flandern und Brabant, wo schon früh reger Handels- und Gewerbsfleiß und die günstige Küstenbeschaffenheit bedeutende Handelspunkte, unter denen Brügge eine Weltstellung gewann, herausgebildet hatten. Die aus der Mitte des 13. Jahrhunderts erhaltenen Urkunden deuten unzweifelhaft darauf hin, dass deutsche Städte, wie Köln, Soest, Dortmund, Bremen und Hamburg, Braunschweig und Magdeburg, Lübeck und auch noch weiter östlich gelegene Städte, in den holländischen und flandrischen Hafen- und Handelsplätzen Befreiungen vom Strandrecht, Zollbegünstigungen und Schutzrechte schon ein Jahrhundert vorher erworben hatten. In der ältesten Urkunde vom Jahre 1252 sichert die Gräfin Margarethe von Flandern mit ihrem Sohn Guido „auf die Bitte aller Kaufleute des römischen Reiches, die Gothland besuchen, und namentlich des Lübeckers Hermann, genannt Hoyer, und des Hamburgers Jordan,“ diesen Kaufleuten eine Anzahl Freiheiten und stellt die Zollabgaben fest, welche sie den Grafen von Flandern und ihren Lehensmannen, den Herren von Ghistelle, Formezele und Wahtina entrichten sollen. Die beiden Deutschen heißen die Abgeordneten, nuntii, aller deutschen Kaufleute. Auch bestätigt eine flandrische Zollrolle aus dieser Zeit die schon früher mit den Kaufleuten des römischen Reiches zu Brügge vereinbarten Zollbestimmungen, und andere Urkunden gestatten wieder den Flamländern in den deutschen Städten, insbesondere in Bremen und Münster, dieselben Freiheiten, welche diese in Flandern genießen. Im Jahre 1280 verlegten, wegen unerträglicher Bedrückungen von Seiten der Stadtgemeinde, die Deutschen den Stapel von Brügge nach Ardenburg, mit Bewilligung und Vergünstigung der Grafen von Flandern, Ein gemeinsamer Beschluss von Seiten der Gesellschaft des gemeinen deutschen Kaufmanns auf Gothland war voraufgegangen, zu welchem unter andern die Städte Wisby, Stendal und Halle, unter Vorbehalt ihrer besonderen Freiheiten, ihre Zustimmung erklärten.

So hatte also im Laufe des 13. Jahrhunderts die Gesellschaft sämtlicher norddeutschen Kauffahrer auf Gothland auch in Flandern eine vorwiegende einflussreiche Stellung erworben und erließ gemeinsame Beschlüsse, denen sich auch in diesen entfernteren Gegenden die einzelnen Städte und deren besondere kaufmännische Vereine willig und gern unterwarfen. Wir haben hier Beweise eines gemeinsamen politischen Handelns von Seiten dieser Vereinigung, das schon weit über deren ursprüngliche Grenzen und Zwecke hinausreicht, doch sehen wir auch hier immer noch den Verein der Kaufleute Beschluss fassend im Vordergrund und die Städte nur zustimmend und bestätigend.

Das Hamburgische Seerecht, im Jahre 1270 aus schon bestehenden älteren Rechten und Gewohnheiten aufgezeichnet, bestimmt: wie viel jeder Kauffahrer aus Hamburg, der Flandern besucht, zu Utrecht und zu Osterkerken, wo die Hansa gehalten wird, „to hense“ geben soll als Abgabe, womit er das Recht der Mitgliedschaft in der Gesellschaft bezahlte. Nach den weiteren Bestimmungen dieses Seerechts stand den einzelnen Hansen oder Vereinen ein Oldermann vor, der den Sitz des Vereins mit Zustimmung der übrigen Hansabrüder auch an einen andern Ort verlegen durfte. Ohne die besondere Erlaubnis dieses Oldermanns durfte kein Hamburgischer Bürger bei Geldstrafe „die Morgensprache der Hansa am Sonntag versäumen, oder einen Mitbürger vor des Grafen Richter verklagen.“ Auch das lübische Seerecht, 1299 setzt fest, was die lübischen Kauffahrer in Flandern oder im T'Zwin, dem Seehafen Brügges, to hense zahlen und wie die Gelder nach dem Beschluss des Oldermanns und der Hansabrüder verwendet werden sollen; auch sie sollen am Sonntage, oder so oft der Oldermann für nötig hält, bei Geldstrafe „die Bank der Herren von Lübeck zur Ehre ihrer Stadt“ besuchen. —

Wir sehen also in Flandern bis jetzt Vereine der norddeutschen Kaufleute nach den Städten mit gesetzlicher Abhängigkeit von diesen gebildet und zugleich alle unter einander wieder zu einem Gesamtverein zusammengeschlossen, jedoch von einem Gesamtverein der deutschen Städte, von einer „Hansa“ als Städtebund und dessen Oberleitung noch keine Spur. Die große kaufmännische Gesellschaft auf Gothland hatte auch hierher ihren gewichtigen Einfluss erstreckt und schloss als solche Verträge, für alle bindend mit der Grafschaft Flandern.

Im folgenden Abschnitte sehen wir die norddeutschen Städte unter einander in Einzelbündnisse, dann in immer umfassendere Einigungen und zugleich in ein immer engeres Verhältnis zu den kaufmännischen Vereinen treten, bis endlich ein Jahrhundert später der Städteverein der Hansa über die kaufmännischen Gesellschaften die unbedingte Oberleitung gewonnen hatte.
Dieses Kapitel ist Teil des Buches Die Hansa als deutsche See- und Handelsmacht