Die Handelsverhältnisse des Bundes in den Niederlanden und Frankreich

Wir sind gewohnt, den Handel dieser norddeutschen Städte in jener Zeit als einen Speditionshandel, einen zwischen den außerdeutschen Reichen nur vermittelnden Geschäftsbetrieb zu betrachten. Bildete diese Art des Handels auch in der Tat den wesentlichsten und gewinnreichsten Teil des hansischen Gesamtgeschäftes, so dürfen wir doch nicht annehmen, dass diese große Anzahl deutscher Städte nur wenige oder gar keine Eigenerzeugnisse in die Strömung des überseeischen deutschen Handels eingeführt hätte. Wir müssen wieder unterscheiden zwischen den Seestädten, die auf eigenen Schiffen den Seehandel betrieben, und den binnenländischen Handelsplätzen, welche mit Hilfe jener und ihrer Reederei an diesem Handel Anteil nahmen. Für die Seestädte war allerdings der Ein- und Austausch fremdländischer Erzeugnisse das Hauptgeschäft. In Russland und den nordischen Reichen, in Frankreich, England und in den Niederlanden, überallhin brachten sie die dort mangelnden Rohstoffe und Gewerbserzeugnisse und tauschten dagegen des Landes heimische Produkte ein, um diese wieder auf andern Märkten mit Gewinn abgeben zu können. In Russland und den nordischen Reichen erhandelten sie vornehmlich Rohstoffe und Halbrohstoffe, Pelzwerk, Häute, Leder, insbesondere das gröbere Juchtenleder, Hörner und Klauen, Fett- und Fleischwaren, Fische, Metalle, besonders Kupfer aus Schweden, Honig und Wachs. Aus England holten sie vor Allem Wolle, rohe halbfertige Wollentücher, Zinn, aus Frankreich Wein und Salz, aus den flandrischen Städten alle Arten feinerer Gewerbserzeugnisse, die teils dort erzeugt, teils aus dem südlichen Frankreich und Italien mit den Gewürzen eingeführt wurden. Sie gaben dafür jedem einzelnen Lande, dessen es vornehmlich bedurfte, den im Gewerbe noch unentwickelten, von der Natur vernachlässigten Reichen des Nordens die Gewürze, die feinern Getreide- und Gemüsearten, Weizen und Weizenmehl, Bohnen und Erbsen, Obst usw., Wein aus Deutschland und Frankreich, Bier, Meth, Kleidungsstoffe und Kleidungsstücke für das gewöhnliche Bedürfnis wie für den Luxus, Waren jeder Art aus Leder, Holz und Metall, Haus- und Hofgerät, Werkzeuge jeder Gattung, grobe und feinere Metallarbeiten für alle Bedürfnisse und alle Stände. Die meisten dieser Gegenstände führten die Hansen auch nach England, das damals in Gewerbe und Kunst weit hinter Deutschland, den Niederlanden, den südlicheren Ländern zurückstand und fast nur Roh- und Halbrohwaren ausführte. Dagegen erhielten die Niederlande und Flandern, das gewerbereiche innere und südliche Deutschland, Südfrankreich und Italien außer den Fett- und Fischwaren vor Allem die nordischen Rohstoffe für ihre Gewerbe, Häute, Leder, Pelzwaren, Wachs, Kupfer und Zinn. So war der Bund der norddeutschen Seestädte der große Kaufmann, der die Bedürftigkeit des einen Teiles Europas mit dem Reichtum des andern ausglich. Doch waren auch die Seestädte selbsterzeugend. Durch einen großartigen Betrieb des Fischfanges erzeugten sie eine Handelsware, die ihnen einen außerordentlichen und für viele Jahrhunderte sicheren Gewinn brachte. So lange der Hering an der schottischen Küste sich hielt, waren die Hansestädte die hauptsächlichsten Heringsfänger und Händler. Außerdem brauten die Meisten Bier und Met als einen Ausfuhrartikel für den Norden und Nordosten. Auch die Wollenweberei war fast in alten niederdeutschen Städten verbreitet, es wurden jedoch nur gröbere Tücher erzeugt. Schwungvoller noch wurde die Färberei betrieben, indem die aus feinerer Wolle gewebten englischen Tücher in England aufgekauft, dann in den deutschen Städten zubereitet und gefärbt und in die nordischen Reiche und zu großem Teile auch nach England selbst wieder mit großem Gewinn zurückverkauft wurden. Auch Holz- und Metallgewerbe hoben sich zu nicht unbedeutender Ausfuhr, wie z. B. Lübeck sich noch in später Zeit durch kunstreiche Gold- und Silberarbeiten auszeichnete. Die Ostseestädte, vor Allem die preußischen, gaben dazu alle Bedürfnisse des Schiffsbaues, dessen Robbedarf sie aus den russischen, litthauischen und polnischen Hinterländern holten, zubereitetes Schiffsbauholz jeder Art, Pech und Teer, Hanf, Werg und Schiffstaue. Die Schiffswerften von Lübeck und Danzig waren im 14. und 15. Jahrhundert die berühmtesten und lieferten noch später bis nach Portugal und Spanien manches gute Schiff. Die norddeutschen Binnenstädte nahmen an dem Speditionshandel in geringerem Maße Teil, brachten aber umso mehr Eigenwaren in diese Handelsströmung, Getreide, das ihrem Markte aus der Umgebung zufloss, Bier und Met, das sie selbst brauten, Honig und Wachs, rheinische und andere deutsche Weine. Sie vermittelten auch die Verbindung zwischen den Seestädten und den ober- oder süddeutschen Städten, von denen einige am Rhein und Main, in Schwaben und Franken, Mainz, Frankfurt, Ulm, Augsburg, Nürnberg sich zu ganz besonderer Blüte emporhoben, und es zogen belebte Handelsstraßen, die freilich erst in den folgenden Jahrhunderten ihre volle Bedeutung erreichten, von den Häfen der Nord- und Ostsee über Kassel und Frankfurt an den Oberrhein, über Erfurt, Würzburg, Bamberg, Nürnberg nach Augsburg, die Elbe hinauf wie durch Schlesien, Mähren, Böhmen bis nach Wien. Doch die früherwachte Handelseifersucht zwischen den Seestädten und den großen oberdeutschen Handelsplätzen ließ diesen Verkehr nie zu einer recht innigen und mächtigen Gegenseitigkeit kommen, zumal da die süddeutschen Städte mit gleichgemessner Handelsbetriebsamkeit selbsttätig und selbstständig die Vermittelung zwischen dem Norden und Süden Europas mit hauptsächlicher Benutzung der Rheinstraße übernommen hatten und die Seestädte zu einseitig bedacht waren, jene von dein Handel auf den deutschen Meeren ganz fern zu halten.

Solcher Vermittelungshandel der deutschen Seestädte wurde damals auch durch die Schifffahrtsverhältnisse im nördlichen Europa begünstigt und notwendig gemacht. Man scheute immer noch, so vertraut auch die Deutschen mit den benachbarten Meeren geworden waren, lange Fahrten und eine zu weite Entfernung von der Küste und dem Heimatsorte, aus Furcht teils vor dem unbekannten Fahrwasser, teils vor dem Seeraub, der in jenen Zeiten an allen Küsten getrieben wurde. Dazu kam das Strandrecht, das jedes gestrandete Schiff mit allen Gütern als verfallenes Eigentum der Küstenbewohner betrachtete und im Falle eines Schiffbruches, statt zu retten, zu plündern und zu rauben gebot. Die Städte suchten sich gegen dieses „Recht“ durch Verträge mit dem Landesherrn zu schützen, allein deren Macht reichte selten aus, um alle entlegenen Küstenwinkel zu beaufsichtigen und so fehlte stets im Augenblick der Not die sichernde Hilfe. Auch auf dem Lande galt dieses Strandrecht als „Grundruhr“, indem die Landesherren auf den Landstraßen auf jeden Wagen, dessen Achse den Straßenkörper berührte, auf jedes Gut, das vom Wagen oder mit demselben fiel, Anspruch erhoben. — Solche Schwierigkeiten und Hindernisse hielten damals auch die deutsche Schifffahrt von weiteren Seefahrten ab und beschränkten dieselbe, so lebhaft sie war, zwischen der Newa, dem Kanal von Calais und Bergen in Norwegen. Am meisten fürchtete man die Gefahren der Meerengen. Die Städte der Nordsee, die englischen und flamländischen Schiffer scheuten ebenso sehr durch den Sund, wie die Ostseestädte über den Kanal hinaus zu segeln, und es dauerte lange, bis sich im 14ten Jahrhundert die Fahrt bis an die westliche französische Küste und nach Spanien ausdehnte. Dadurch entstanden an den Küsten ähnliche Stapelplätze, wie sie der Handel zu Lande sich gebildet hatte, sichere, günstig gelegene Häfen, wohin von allen Seiten die Schiffe die Erzeugnisse der Hinterländer und der benachbarten Reiche zusammenführten und welche sich, bis die Schifffahrts- und Handelsverhältnisse sich wieder änderten, zu Welthandelsmärkten emporhoben. Als solchen Stapelplatz haben wir schon Wisby auf Gothland kennen gelernt, dessen Bedeutung durch Waldemars IV. Plünderung und durch das Emporkommen der geraden hansischen Fahrt auf Nowgorod vernichtet wurde. Ein ähnlicher Stapelplatz für den äußersten Norden wurde die Stadt Bergen in Norwegen, für den Nordwesten in England London, für die westlichen und südlichen Handelsrichtungen Brügge mit seinem Hafenorte Sluys und seinem Hafen t’Zwin.


Frankreich, Spanien und Portugal, sowie die italienischen Städte brachten hierher zur See und Land ihre Landesprodukte und Handelswaren, Weine und Salz, feinere Gewerbs- und Kunstwaren der südlichen Länder, Woll-, Seide- und Samtwebereien, deren Hauptsitze damals in Südfrankreich, Italien und im Orient waren, feinere Metallarbeiten, italienische und griechische Weine, Südfrüchte aller Art, die morgenländischen Gewürze, die von den italienischen Handelsrepubliken über Kleinasien bezogen und durch die Straße von Gibraltar dem nördlichen Europa zugeführt wurden. Alle diese Waren, die Natur- und Kunsterzeugnisse einer ganz andern Welt und andern Bildung, flossen während des 14. Jahrhunderts nach Brügge, dem Weltmarkte des westlichen Europas, zusammen und ersparten dadurch den deutschen Schiffern die gefahrvolle und unbekannte Fahrt durch das atlantische Meer. Von einer Handelsschifffahrt der Deutschen über die Westküste Frankreichs hinaus haben wir aus diesem Zeitraum noch keine, von einer geraden Fahrt an die Küste Frankreichs nur wenige Nachrichten. Die Fahrt nach den damals englischen Häfen von Calais und Rochelle war den deutschen Seestädten, nach dem Zeugnisse des ältesten hamburgischen Seerechts, schon lange bekannt, doch haben sie im 14. Jahrhundert in Frankreich noch keine bemerkenswerte Rechte erworben. Die fortdauernden heftigen Kriege zwischen England und Frankreich, welche die Meere und die französischen Küsten unsicher machten und Frankreichs innere Entwickelung hemmten, drückten gleichfalls auf den unmittelbaren Verkehr mit diesem Lande. Doch erreichten hier die Deutschen durch Philipp den Schönen (1285 — 1314), Milderung und Feststellung der Zölle, freien Handel gegen Erlegung gesetzlich bestimmter Abgaben, Schutz und Sicherheit für Person und Eigentum. Die in den Urkunden aufgeführten dabei beteiligten Städte sind von den Ostseestädten Lübeck, Wismar, Rostock, Stralsund, Elbingen, die Deutschen auf Gothland, von den Nordseestädten Kampen, Hamburg und Köln, welche mit einander ihren Verkehr schon in das Innere des französischen Reiches erstreckt hatten und an den, berühmten Champagner-Messen teilnahmen.

Bei weitem wichtiger war damals schon der Handel der norddeutschen Städte nach den südwestlichen Niederlanden, dem wallonischen Flandern, das in Sprache und Sitte, in Lebensweise und politischen Einrichtungen sich an Frankreich anschloss, doch dieses Land noch mehr als die deutschen Niederlande in Gewerbe und Handel überragte. Die Stadt Brügge hatte sich hier seit dem Anfang des 13. Jahrhunderts zu einem Markte von großartigstem Umfange ausgebildet. Obwohl in einiger Entfernung vom Meere gelegen, war sie doch durch die Stadt Sinns, dessen Hafen t'Zwin und einen schiffbaren Kanal mit der Nordsee verbunden und vereinte die Vorteile eines Seehafens mit der Sicherheit einer wohlbefestigten Landstadt. Der gewerbliche Aufschwung des wallonischen und des deutschen Hinterlandes, die Nähe der französischen, englischen und deutschen Küsten machten bei den damaligen Schifffahrtsverhältnissen diese Stadt jetzt zu dem Mittelpunkte zwischen dem Südwesten und Nordwesten von Europa und zugleich, da hierher auch die italienischen Städte ihre Seeschiffe sandten, zu dem hauptsächlichsten Träger der Verbindung zwischen dem Morgenlande und dem Nördlichen Abendlande, welche Verbindung durch die Herrschaft Balduins von Flandern in Konstantinopel noch vermehrt wurde. Zwischen Italien und Flandern, Venedig, Genua, Pisa auf der einen und Brügge, Antwerpen, Mecheln, Gent auf der andern Seite entstand mit dem 13. Jahrhundert der innigste und wirkungsvollste Wechselverkehr. Die Fortschritte her Gewerbe und Künste, neue Erfindungen und Einrichtungen des Waren- und Geldhandels wurden von dort zuerst hierher übertragen und von hier dem übrigen Europa und insbesondere den deutschen Städten bekannt. Hier zuerst finden wir um diese Zeit die Anfänge eines kaufmännischen Versicherungs- und Wechselwesens, Handwerke und Kunstgewerbe jeder Art, welche in der Vortrefflichkeit der Erzeugnisse aus Wolle und Seide, aus Gold, Silber und unedleren Metallen mit der Kunstvollendung der Italiener wetteiferten, und so freisinnige, auf gleichberechtigten Verkehr aller Völker berechnete Einrichtungen und Gesetze, dass im Verhältnis zu andern Ländern Flandern als das Freihandelsland des Mittelalters erscheint. Auch die deutschen Seestädte gründeten hier schon früh ihre bald lebhaft und mit schnell wachsender Ausdehnung aufblühenden Niederlassungen, ohne jedoch eine Handelsherrschaft an sich reißen zu können. Unter gleichen Bedingungen standen sie den heimischen und fremden Mitwerbern gegenüber und erwarben mit diesen nur dieselben Freiheiten und Schutzrechte von den Landesherren, der Stadt Brügge und den andern Städten. Solche, nur den allgemeinen Schutz gegen Zollbedrückung und Raub verheißenden Urkunden erwarben Dortmund, Soest, Bremen, Hamburg, Lübeck und andere Städte im Jahre 1243 und 1248 vom Grafen Wilhelm von Holland, dem nachmaligen römischen König, und dem Grafen Florentius, seinem Bruder. Margarethe von Flandern dehnte diese Freiheiten auf alle Kaufleute des römischen Reiches aus, welche Gothland besuchen, gab ihnen Sicherheit und Recht für Person und Eigentum und eine feste Ordnung in Schuldsachen. Auch der Bischof von Utrecht gestand schon im Jahre 1244 den Kaufleuten von Hamburg und Lübeck freien und sichern Handel. Aber schon in diesem Jahrhundert trat auf der Niederlage zu Brügge ein Übel zu Tage, das, so lange der hansische Stapel hier blieb, oft gemildert und gemindert, doch nie geheilt und gehoben werden sollte. Die reich und übermütig gewordenen Bürger von Brügge und die unablässig tätigen und vorwärtsstrebenden norddeutschen Kaufleute vertrugen sich nicht lange; jene suchten diese zu übervorteilen und in ihrem Handelsbetriebe zu eigenem Gewinne zu stören, diese versäumten keine Gelegenheit, ihren Verkehr auszubreiten und die erworbenen Rechte zu mehren. Schon im Jahre 1280 erfolgte dadurch die Verlegung des Stapels von Brügge nach Ardenburg, wo die Hansen von dem Grafen von Flandern (denn nicht dieser, sondern die Stadt Brügge war Ursache des Auszuges) dieselben Handelsfreiheiten erhielten. Da aber diese Stadt jene Vorteile des Zusammenströmens aller Kaufleute und Waren aus den verschiedensten Ländern nicht bieten konnte und Brügge die wichtigsten Beschwerden durch die neue Wagordnung vom Jahre 1282 abstellte, kehrten sie nach wenigen Jahren hierher zurück. Seitdem wechselt ein freundschaftliches und feindseliges Verhältnis zwischen der Stadt und den Kaufleuten in bald kürzeren, bald längeren Zeiträumen, und stets erfolgte, wenn die Bedrückungen von Seiten der Stadt zu unerträglicher Höhe gewachsen waren, eine neue Verlegung des Stapels nach Ardenburg oder Dortrecht, ein erneuertes Handelsverbot für die deutschen Kaufleute nach Brügge und dessen Hafen, dann die Reue von Seiten der schwer getroffenen Bürger von Brügge und endlich die Erneuerung und Mehrung der Schutzrechte und Freiheiten in dieser Stadt. Im Jahre 1309 wurde wegen Streitigkeiten mancherlei Art der Stapel verlegt, 1318 ein neuer Vertrag mit Vermehrung der Rechte, einer Wagordnung u. s. w. aufgerichtet, worauf ein längeres freundschaftliches Einverständnis folgte, bis im Jahre 1353 die Hansa wieder nach Dortrecht, doch nur auf zwei Jahre, zog. Dem im Jahre 1360 aufgerichteten Vertrage, der zuerst mit einer gemeinen deutschen Hansa als einem norddeutschen Städtebunde verhandelt, folgt wieder während mehrerer Jahrzehente ein ruhiges und friedliches Verbleiben in Brügge. Stets aber schlugen diese Streitigkeiten und deren Beilegung zum Vorteil des deutschen Kaufmanns aus und bewiesen, welche Bedeutung ihr Verkehr und ihre Niederlassung für diesen Teil der Niederlande und die Stadt Brügge hatten.

Der Inhalt der flandrischen Freibriefe und Ordnungen gibt uns über die Verhältnisse und Einrichtungen dieser Niederlassung, oder, um einen später allgemeinen Ausdruck zu gebrauchen, dieses Comptors manche Aufschlüsse. Der Graf Robert bestimmte im Jahre 1307, dass die Kaufleute des römischen Reichs frei im Lande weilen und Handel treiben dürfen, wann und wo sie wollen, doch sollen sie sich des Geldhandels und Zinswuchers enthalten. Sie dürfen in den Städten und Häfen der Grafschaft nach Belieben und Bedürfnis Vereine bilden und Zusammenkünfte halten, um die eigenen Streitigkeiten zu schlichten, doch was Hals und Glied betrifft, soll dem Landesherrn verbleiben. Dazu setzt die Urkunde von 1309 fest, dass Niemand in Brügge den deutschen Kaufleuten die Miete für Keller und Haus während der vertragsmäßigen Mietezeit verteuern und keiner von den Kaufleuten, außer es betreffe Hals und Glied, in ein Gefängnis gesetzt werden soll. Wegen einmal beschauter Waren — damals hatte jeder Markt seine beeidigten Warenschauer — darf Niemand verklagt werden; ist die Ware nicht beschaut und es entsteht Streit, so sollen die Schöffen dies bessern, doch nach der Meinung der Kaufleute. Die Warenmäkler sollen nur in Gegenwart der Kaufleute beeidigt werden, und wer von ihnen gegen seinen Eid handelt, gibt in Gegenwart der Kaufleute Genugtuung, sonst soll er nicht wieder vom Kaufmann Maklerlohn gewinnen. Auch für die Träger und Taglöhner, für die Schuytenfahrer und Fuhrleute wurden Ordnungen festgestellt. Macht ein Kaufmann eine Schuldforderung geltend, so soll man ihm oder seinem Diener binnen drei Tagen zu Recht verhelfen, und wird er von einem städtischen Wechsler, dem er Geld gegeben, oder von dem er Geld empfangen hat, übervorteilt, so haftet die Stadt für solchen Schaden. Der Kaufmann und sein Diener dürfen in der Stadt bewaffnet einhergehen und Wein und Lebensmittel zu eigenem Bedarf frei von Abgaben in die Stadt bringen, will er davon verkaufen, so zahlt er von diesem die städtische Accise. Wird ein Kaufmann in der Stadt erschlagen und kein Verwandter ist da, der das Gericht anrufe, so verfolgen Rat und Bürgermeister das Recht und verschaffen den Verwandten sicheres Geleit.

Die deutschen Kaufleute besaßen in Brügge nicht, wie in Bergen und Nowgorod, einen abgeschlossenen Stadtteil mit eigenen Höfen und Häusern oder wie zu London und Antwerpen ein gemeinsames Kaufhaus, sondern sie wohnten, wie die Gelegenheit eingab, bei den Bürgern, mieteten Häuser und Keller und auf gemeinsame Kosten auch besondere Gebäude zu Warenausstellungen. Gerade diese Mietsverhältnisse führten zu mancherlei Verwickelungen mit den Bürgern. Einen zweiten Streitpunkt bildete die Stadtwaage. Alle bedeutenderen Handelsplätze des Mittelsalters hatte eine öffentliche oder Stadtwaage, manche deren zwei, eine große und eine kleine, um die zwischen den Einheimischen und den Fremden oder Gästen abgeschlossenen Geschäfte überwachen und groben Betrug in Bezug auf Maß und Gewicht verhüten zu können. Selten hatte damals ein Kaufmann und am wenigsten in der Fremde seine eigenen Wagschalen und Gewichte, die das Vertrauen des Käufers hatten, da jeder Markt verlangte, dass nach seinem Gewicht verkauft werde. Deshalb wurde bei jedem nicht ganz unbedeutenden Verkauf jeder feilgebotene, wägbare Gegenstand auf die öffentliche Stadtwaage gebracht und durch beeidigte Wagbeamte in Gegenwart der Beteiligten gewogen. Für kleinere Geschäfte hatten die norddeutschen Kaufleute ihre Hand- und Schnellwaage, Punder oder Besemer genannt, den wir noch jetzt in norddeutschen Bürger- und Bauerhäusern gebraucht sehen, doch durften sie auch diesen im öffentlichen Handel nur auf besondere Erlaubnis gebrauchen. Wo die Hansa sich niederließ, strebte sie stets nach dem Recht einer eigenen Waage, doch wollte die Stadt Brügge von ihrer Waage und Waagordnung nicht lassen und rief dadurch eine Menge von Streitigkeiten hervor. Nach jeder Stapelverlegung finden wir erneute und vermehrte Waageordnungen, bis endlich die Hansa zu Ende dieses Zeitraums auch hier das Recht der eigenen Waage und ein eigenes Waaghaus erwarb. Die Wagordnung vom Jahre 1282 bestimmte, dass der Zöllner in Brügge als der erste Wagbeamte nicht mehr mit dem Punder, sondern mit zwei Waagschalen wägen, für ausreichende Waagschalen und Gewichte und bei jeder für einen beeidigten Wäger sorgen und außerdem vier beeidigte Diener halten sollte, die in der Stadt mit jedem, der sie auffordert, gehen mussten, um zu wägen. Er soll die Schalen nicht anfassen, kein Geschenk außer dem gesetzlich festgestellten Lohn nehmen; der Verkäufer legt das Gut in die Schalen, der Käufer hebt es heraus. Die Wagschalen sollen einen Fuß von der Erde hängen und Käufer und Verkäufer dürfen die Gewichte berechnen, bevor sie aus der Schale genommen werden; die Stricke an den beiden Wagschalen sollen gleich lang sein, die Gewichte das gesetzliche Zeichen haben, — um diese beaufsichtigen zu können, erhielten die Hansischen mit dem Stadtzeichen versehene Widergewichte. — Der Waagebalken soll so hoch hängen, dass ein Mann mittlerer Größe die Zunge mit dem Daumen berühren kann u. s. w.

Die hansischen Kaufleute wohnten in Brügge zerstreut in den Bürgerhäusern, hatten aber eine seit 1347 vereinbarte gemeinsame Ordnung und hielten im Refektorium des Karmeliterklosters ihre allgemeinen Zusammenkünfte. Hier entstand die Einteilung der norddeutschen Kaufleute in die drei Drittel, das wendisch-sächsische, das westphälisch-preußische und das gothländisch-livländische. Jedes derselben wählte acht Tage nach Pfingsten zwei Altermänner und Niemand durfte bei hoher Geldstrafe die Wahl ausschlagen. Die sechs Älterleute, welche die Zusammenkünfte zu entbieten und zu leiten hatten, wählten wieder aus jedem Drittel sechs Beistände, die jene innerhalb und außerhalb der Stadt, sobald sie es für notwendig hielten, begleiten und unterstützen mussten. Wer die Wahl ausschlug oder die Begleitung verweigerte, zahlte die Geldstrafe. In der Versammlung durfte bei einer Strafe von 1 — 5 Groten Niemand plaudern, noch ohne Erlaubnis der Älterleute hinausgehen; jeder musste bei seinem Eid, wenn die Älterleute es forderten, die Wahrheit bekennen. Bei 5 Schillingen Strafe durfte Niemand gegen die Freibriefe und gemeinsamen Ordnungen handeln, Niemand den Andern, außer er sei flüchtig geworden, vor fremden Gerichten belangen, noch dessen Gut mit Beschlag belegen lassen oder einem Fremden, der einen Deutschen geschädigt hatte, Geld zu verdienen geben, ebenso wenig jemals mit einem Flamländer in Handelsgesellschaft treten, noch in einer flämischen Stadt als Bürger sich aufnehmen lassen. Wer des Bundes Kaufmannsrecht aus Zorn und Leidenschaft gegen die Deutschen aufgegeben hatte, sollte nie wieder in dasselbe aufgenommen werden. — Die übrigen Ordnungen dieser Niederlage, hauptsächlich durch Abgeordnete der Städte im Jahre 1356 vollendet, enthielten Festsetzungen über die Pflichten und die Stellung der Älterleute, über den Geschäftsbetrieb mit den Fremden, über Beschaffenheit, Verpackung und Bezeichnung der Waren, über die Pflichten und die Stellung der Diener und Lohnarbeiter, über die Zusammenkünfte u. s. w.

Ein anderer Arm des deutschen nordwestlichen Handelsstromes ging auch in gerader Linie, doch nur von einzelnen deutschen Städten zu anderen Handelsplätzen der Niederlande. So war zu Poperingen, damals durch schwunghaft betriebene Tuchweberei ausgezeichnet, ein kaufmännischer Verein, von dessen Verhältnissen zu dem großen Verein in Brügge aber nichts bekannt ist. Auch im Brabantischen erwarben die hansischen Städte vereinzelt oder gemeinsam Handelsfreiheiten, Köln und Hamburg schon in den Jahren 1251 und 1256, in Brüssel Lübeck im Jahre 1297 und sämtliche Kaufleute des deutschen Reiches mit den Fremden gemeinsame im Jahre 1315. Auch Antwerpen, wohin wie nach Mecheln aus der Scheldemündung über Bergen op Zoom eine bedeutende Verkehrsströmung zog, die später Brügges Handelsbedeutung ganz aufsaugen sollte, hatte damals schon besondere Waag- und Kaufordnungen für die deutschen und die fremden Kaufleute.

Geringer als in Flandern und Brabant war der Handelsverkehr der deutschen und der Fremden in den deutschen Niederlanden, deren wirtschaftliche Blütezeit erst mit der Vernichtung der flandrischen Volkswirtschaft beginnen sollte. Doch verkehrten die weiter westlich gelegenen hansischen Städte schon vielfach in Holland, dessen Städte zum größten Teil demselben Bunde angehörten und in diesem Zeitraum auch unter denselben wirtschaftlichen und handelspolitischen Bedingungen standen. In Amsterdam und Stavern gab es deutsche Handelsniederlassungen und in Utrecht hatte der norddeutsche Kaufmann vom Bischof Freibriefe erworben, doch stand diese Handelsrichtung des Bundes zu allen Zeiten hinter dem Verkehre in Flandern und Brügge, dem wichtigsten und ausgiebigsten seiner gesamten älteren Handelsrichtungen, weit zurück.
Dieses Kapitel ist Teil des Buches Die Hansa als deutsche See- und Handelsmacht