Die Handelsverhältnisse des Bundes in Gothland, Russland und Livland

Der erste deutsche Handelsverkehr mit den Russen geschah über Gothland. Als die Germanisierung der südlichen Ostseeküste kaum begonnen hatte, besaßen deutsche Handelsleute schon in Wisby Niederlage und Heimatrechte. Es lassen sich in diesem Verkehr der Deutschen auf Gothland zwei Perioden unterscheiden: Die älteste umfasst die Zeit, da an der Ostseeküste das deutsche Leben noch mit allen Schwierigkeiten des ersten Beginnens rang und die deutschen westlicher gelegenen Binnenstädte Stendal, Salzwedel, Lüneburg, Soest, Hamm u. s. w. mit Hilfe der schon deutschen Hafenplätze der Ostsee, Schleswig, Aldenburg, Lübeck, die Hauptträger dieses Verkehrs und die maßgebenden Handelsleute in Wisby waren. Mit dem Aufblühen Lübecks, mit der Germanisierung der mecklenburgischen, pommerschen und preußischen Küstenstriche wandelten sich allmählich die Verhältnisse auf Gothland und die deutschen Ostseestädte, vornehmlich die wendischen mit Lübeck an der Spitze, nahmen diesen Verkehr immer selbstständiger in die Hand, drängten die Binnenstädte in die zweite Stelle zurück und begründeten in Gothland wie in der ganzen Ostsee ihre Handelsherrschaft. Wisby trat jetzt mit ihnen in den unmittelbarsten und ununterbrochensten Wechselverkehr, und darauf gestützt, schwang sich die deutsche Gemeinde in Wisby zeitweilig zu der im Ostseeverkehr maßgebenden Stellung empor. Der Handel mit Russland war aber bis dahin immer noch indirekt; die deutschen Kaufleute suchten die russischen Waren und Käufer nicht im eigenen Lande, sondern erwarteten sie zum Austausch auf Gothland. Nicht nur war Russland zu unbekannt, sondern es waren auch seine inneren Verhältnisse zu unsicher, seine Rechtszustände zu roh und unausgebildet, als dass der fremde Kaufmann auf Glück und Vertrauen seine kostbaren Waren in das Innere dieses Reiches hätte hineinführen können.

Aber schon während der ersten Periode trat ein Ereignis ein, dass den direkten russischen Verkehr anbahnen sollte. Auch die deutschen Nordseestädte hatten mit eigenen Schiffen bereits im 12. Jahrhundert Gothland besucht. Ein Bremer Schiff wagte zuerst, von hier aus dem russischen Verkehr entgegen zu fahren und entdeckte dabei die Küste von Livland, d. h. er eröffnete jetzt die Fahrt dorthin für die deutsche Schifffahrt. Seitdem drang der gerade deutsche Verkehr immer tiefer und mächtiger in das innere Russland, so dass während des 13. Jahrhunderts Gothland zur Seite gelassen wurde und der Insel nur die Handelsbedeutung in Russland blieb, welche die Stadt Wisby und die deutsche Gemeinde daselbst mit eigenen Kräften und Mitteln behaupten konnten. Auch der Eigenhandel der Russen trat jetzt in den Hintergrund. Im 12. Jahrhundert besuchten russische Kaufleute mit ihren Schiffen selbst die Travemündung und in den deutsch-russischen Verträgen des 13. Jahrhunderts wird immer noch auf Gegenseitigkeit der Handelsbedingungen gedrungen, ebenso auch war auf Gothland ein russischer Eigenhandel den Deutschen unentbehrlich. Seitdem diese aber der Fahrten die Dünar aufwärts nach Polotzk, Witepsk und Smolensk, über den Peipussee und die Newa hinauf nach Nowgorod kundig wurden, und in allen diesen Städten ihre Niederlagen errichteten und lateinische Kirchen erbauten, drang der deutsche Handel so mächtig und unwiderstehlich in Russland ein, dass der selbstständige russische Ausfuhrhandel ganz niedergelegt wurde und die Russen sich begnügen mussten, ihre Erzeugnisse in jene Städte und besonders nach Nowgorod den Deutschen zuzuführen. Je mehr Wisby und Gothland in den Hintergrund traten und Lübeck und die wendischen Städte sich des geraden russischen Handels bemächtigten, um so maßgebender wurde auch das Ansehen dieser in Russland, bis nach voller Ausbildung der hansische Bund den russischen Verkehr mit seinen Niederlagen ganz und gar in seine Handelspolitik hineingezogen hatte. Der Vertrag des Fürsten Mistislav Davidowitsch von Smolensk mit allen Kaufleuten auf Gothland, welche die Ostsee besuchen, vom Jahre 1229, stellte zuerst hier rechtliche Verhältnisse fest, bestimmte für alle Verbrechen gegen Leib und Leben die Strafen und gestand den Kaufleuten in dem fremden Lande einen befreiten Gerichtsstand und ein unter beiden Parteien vereinbartes Verfahren. Hatte ein Fremder einem Einheimischen geborgt und dieser war zugleich anderen Einheimischen schuldig, so sollte des Fremden Forderung vorgehen, selbst wenn der Landesherr des Schuldners Eigentum eingezogen hatte oder dieser gestorben war. Half der Schultheiß binnen acht Tagen nach der Klage dem fremden Gläubiger nicht zu seinem Guthaben, so sollte er ihm selbst die Bürgen stellen, und verweigerte man solches zu Smolensk, Riga oder einer andern Stadt, so hatten diese Orte selbst für die Zahlung zu haften. Alle Fuhrleute, welche die Güter der Kaufleute zwischen Düna und Dniepr führen, bürgen für dieselben, und eine einmal gekaufte Ware darf nicht zurückgegeben werden. Kein Fremder soll zu Kriegsdiensten verpflichtet sein. Scheitert ein Schiff, so kann der Kaufmann überall, wo diese Freiheiten gelten, frei ausladen, die untergegangenen Güter retten und sich fremder Hilfe dabei gegen einen vereinbarten Lohn bedienen. Sobald ein Lateiner seine Ankunft mit Waren dem Schultheißen anzeigt, soll dieser die nötigen Wagen absenden und ist für jeden Schaden, der aus Säumnis entsteht, haftbar, dagegen zahlen die ankommenden Gäste zu Smolensk der Fürstin als festgesetzte Abgabe ein Stück Tuch oder Leinen und dem Schultheißen ein Paar Fausthandschuhe. Für alle Kaufleute, Lateiner und Russen, ist die Düna frei von oben bis zum Meere auf dem Wasser und an den Ufern.“ — Dieser Vertrag wurde von deutschen Kaufleuten aus Gothland, Lübeck, Soest, Münster, Gröningen, Dortmund, Bremen und Riga unterzeichnet. Gothland ist also hier noch Mittelpunkt des deutsch-russischen Verkehrs und die Hauptträger desselben von den Ostseestädten nur Lübeck, außerdem deutsche Binnen- und Nordseestädte. Livland erscheint nur für die Durchfuhr wichtig, und Riga allein etwas selbstständiger, doch auch nur mit vermittelnder Tätigkeit. Über den Handel auf Nowgorod vernehmen wir zuerst etwas in einer Urkunde vom Jahre 1260, der zu Folge der Großfürst Jaroslaw Jaroslawitsch im Einverständnis mit der Stadt Nowgorod einen Vertrag mit Lübeck und Gothland schloss, nach welchem allen Lateinern auf der Newa der schon früher verheißene Schutz von der Insel Kettlingen (Kronstadt) bis Nowgorod und zurück zugesagt wurde. Für die Sommergäste übernahmen der Fürst und Nowgorod jeden Schaden und auch die Wintergäste sollten unter des Königs und der Stadt Schutz und Bürgschaft dem alten Frieden gemäß ungehindert in das Land kommen. Der Gast darf in der Newa, so oft es dessen bedarf, an beiden Ufern Holz und Mastbaum fällen; bei den Wasserfällen der Wolchow sollen die „Vorschkerle“ ohne Verzug die Überfahrt gegen den üblichen Lohn fördern, dagegen der Gast zu Gästefeld die feststehenden Abgaben entrichten. Den Lichterfahrern auf der Newa und allen Fuhrleuten- wird eine Fahrtaxe festgesetzt, und alle Streitigkeiten zwischen ihnen und den Kaufleuten sollen vor dem Herzog und den Nowgorodern in St. Johannishof entschieden werden. Wer auf der Newa ankommt, kehrt auf der Newa, wer zu Lande kommt, kehrt zu Lande zurück. — Jeder Rechtsstreit zwischen den Gästen und den Bürgern von Nowgorod wird auf dem Johannishofe vor dem Burggrafen, dem Herzoge und den Kaufleuten entschieden, kein Gast wegen Schulden ins Gefängnis gesetzt und nur dem besonderen Boten des Herzogs erlaubt, sie wegen Verbrechen zu verhaften. Niemand haftet für das Vergehen eines Anderen, bei Klagen entscheidet die Übereinstimmung zweier Zeugen und fehlt diese, so entscheidet das Los. Auf den Todschlag eines Boten, Aldermanns, Priesters und Kaufmanns, auf jede tödliche Verletzung, auf jeden feindlichen Angriff der Russen gegen die Gäste und deren Besitztum wurden Geldstrafen festgesetzt. Vertut ein Russe, der mit einem Deutschen in Handelsverbindung steht, dessen Gut, so soll er die Gäste zuerst, dann die übrigen Gläubiger befriedigen; hat sich eine Frau für ihren Mann verbürgt, so haftet sie für seine Schuld. Auch in Bezug auf Waage und Gewicht wurden allgemeine Bestimmungen festgestellt.


An Streitigkeiten fehlte es in diesen russischen Niederlagen nicht. Die unsicheren Rechtsverhältnisse, die rohen Bildungszustände in Russland, das eigentümliche Verhältnis der von errungener Selbstständigkeit zu glücklichen Eroberungskriegen übergehenden Stadt Nowgorod zu den russischen Großfürsten, gaben zu mancherlei Händeln und Kriegen Veranlassung, deren Wechselfälle auch die fremden Kaufleute durchzumachen hatten. Sie mussten bald mit dem Fürsten gegen Nowgorod, bald mit der Stadt gegen den Fürsten sich vereinigen, um einen möglichst vorteilhaften Frieden zu gewinnen, der von den Russen zwar mit öffentlicher Kreuzküssung bekräftigt, jedoch regelmäßig gebrochen wurde. Als ein Vertrag dieser Art zu Stande gekommen war, entstand ein neuer Streit in Folge des Umstandes, dass deutschen Kaufleuten auf der Landfahrt zwischen Nowgorod und Pleskow wie auch in Polotzk viele Güter geraubt worden waren und es traten diesmal die Bürger von Nowgorod auf die feindliche Seite. Nach jahrelangen Verhandlungen kam mit Hilfe des Großfürsten Andrei Alexandrowitsch eine neue Kreuzküssung und die Bestätigung des alten Schutzbriefes zu Stande, doch schon im Jahre 1338 wiederholten sich jene Vorgänge. So ging es das ganze Jahrhundert unter wechselnden Kriegs- und Friedenszuständen, ohne dass die Kaufleute von Deutschland und Gothland das Ziel ihrer Handelspolitik, die Beherrschung des russischen Verkehrs von Gothland und Nowgorod, aus den Augen verloren. Deutsche und Gothen behaupteten nebeneinander in Nowgorod in wohlgeschützter und geordneter Niederlassung, trotz vielfacher Beraubung und Misshandlung, die einmal gewonnene Handelsstellung und kamen in der Erwerbung der Handelsherrschaft, auch in dem unsicheren und unruhevollen 14. Jahrhundert, ihrem Ziele immer näher. Auch in den Verträgen mit andern nordischen Mächten gedachten sie ihres russischen Handels. Mit Dänemark, das damals noch über Estland und Kurland herrschte, schlossen sie verschiedene Verträge wegen freier Fahrt durch jene Länder bis zur Narowa und ebenso mit den Königen von Schweden, denen, es in Finnland und Karelien nicht an Gelegenheit fehlte, dem deutsch-russischen Handelsverkehr lästig zu fallen.

Am wichtigsten für diese Handelsrichtungen war Livland, das mit seinem schiffbaren Strome, der Düna, die nächste und sicherste Durchfuhrstraße in die inneren und am meisten ausgebildeten Gebiete Russlands bot. Diese günstige Lage hatte die Bremer zu dem ersten „Auffahren“ der livländischen Küste veranlasst, zur Gründung und zum raschen Aufblühen der Städte Riga, Reval, Dorpat, Pernau am meisten beigetragen und die Lübecker angeregt, für eine besondere lübische Handelskolonie in Livland im Jahre 1242 einen Freibrief zu erwerben, doch kam die Gründung derselben nie zu Stande. Dieselbe Bedeutung Livlands und seines Stromes sowohl für den über Gothland, wie für den direkt nach Russland gehenden deutschen Handel war das hauptsächlichste Mittel zur Förderung einer raschen und erfolgreichen Germanisierung und Kolonisierung dieses Landes, woran die deutschen Städte und vor allen Lübeck den kräftigsten Anteil nahmen. So verdankt Livland den Bedürfnissen und Forderungen des deutschen Ostseehandels seine deutsche Kultur. In den preußischen Küstengebieten sehen wir die Bewohner der wendischen Städte hilfreich und tätig; bei der Gründung von Elbing, Memel, Riga, Reval waren vor allen die Lübecker beteiligt. „Das Blut eurer Väter und Brüder“, schrieb der deutsche Orden im Jahre 1261 an die Stadt Lübeck, „hat das Feld des Glaubens in diesen Landen wie einen auserwählten Garten oft benetzt,“ und ebenso bekannten der Erzbischof von Riga wie der Bischof von Dorpat bei mannigfachen Gelegenheiten, dass durch die Opfer, die Mühen und das Blut der Kaufleute die junge Kirche in Livland und Estland zuerst zur Erkenntnis des Schöpfers geführt sei. Riga fordert zu Ende des 13. Jahrhunderts Hilfe von Lübeck gegen den deutschen Orden, denn auch „die Kaufleute hätten mit Rittern und Knappen ihr Blut um dieses Land vergossen“, und ebenso erhebt die livländische Reimchronik, welche diese Eroberung des Christentums besingt, neben den Rittern stets die kühnen Bürger und Kaufleute. Es darf daher nicht Wunder nehmen, dass diese Kaufleute hier mit den Ansprüchen unbedingter Heimatberechtigung, mit den Absichten einer ungestörten Handelsherrschaft auftraten, und es gelang ihnen, seitdem Wisby aus der Reihe der hervorragenden Handelsstädte ausgeschieden war, Livland mit seinen Städten und Handelsstraßen in die wendischhansische Handelspolitik so hereinzuziehen, dass im Laufe der Zeit dieses Land ganz und gar in die Stellung einer abhängigen Handelskolonie herabgedrückt wurde. Zunächst gelang es den deutschen Kaufleuten, sich sowohl in den neuangelegten Städten Preußens, wie in den Städten Livlands, durch Verträge eine bevorrechtete Stellung zu sichern. Im Jahre 1253 erteilte ihnen Erzbischof Albrecht von Livland Schutz gegen Strandrecht und Beraubungen an den Ufern der Düna und überall in Liv- und Estland, forderte alle christlichen Strandbewohner zur Hilfe bei Schiffbrüchen auf, und befreite die christlichen Seefahrer von allen Abgaben und Zöllen. Auch der Bischof Heinrich von Kurland erließ (im Jahre 1254) eine ähnliche Urkunde. Urkundliche Zusicherungen gleicher Art erwarben die Kaufleute zu Ende dieses Jahrhunderts von dem Erzbischof und dem Heermeister in Livland, dem Bischof von Oesel.

Der wichtigste Mittelpunkt für den deutsch-russischen Handel war Nowgorod mit dem hansischen Komptorhofe. Nowgorod zeichnete sich unter den russischen Städten durch hervorragende Bildung und Energie der Bürgerschaft, durch einen verständigen und weitgreifenden Handelsgeist aus; es gelang ihr nicht nur, sich ein nicht unbedeutendes Gebiet zu erwerben, sondern sie wusste sich auch, dem Großfürsten von Russland gegenüber, eine selbstständige Stellung zu sichern und sich ein nicht unbedeutendes Gebiet zu erwerben, während sie im Verkehr die Vermittelung des russisch-asiatischen mit dem nord-europäisch-deutschen Handel übernehmen konnte. Auch waren die Rechtszustände dieser Stadt sicherer, als an andern Orten Russlands. Dennoch blieb die Stellung der Kaufleute immer noch gefahrbedroht genug, indem sie mit den kostbaren und vielbegehrten Erzeugnissen vorgeschrittener Bildung einem begehrungsvollen, raublustigen Volke gegenüberstanden. Dagegen bot aber das weite produktenreiche russische Hinterland mit seinen handelslustigen und nach den Schätzen der west-europäischen Bildung begehrlichen Bewohnern ein höchst ergiebiges Feld für den hansischen Handelsgeist, ein ungesättigtes Absatzgebiet für die eigenen Erzeugnisse, für alle aus dem Süden und Westen herbeigeholten Waren, eine unerschöpfliche Quelle von den überall begehrten Roh- und Halbrohwaren, von dem zum Schiffsbau unentbehrlichen Mast-, Stangen- und anderem Nutzholz, von Hanf, Teer und Pottasche, den Erzeugnissen der russischen, polnischen und litthauischen Wälder, von Rindshäuten und trefflichem Juchtenleder, Hörnern und Klauen, Fleisch- und Fettwaren, Flachs und Getreide, Wachs und Honig. In den ältesten Zeiten kamen auch morgenländische Gewürze und andere Kostbarkeiten die uralte Straße durch Russland herauf an die Ostsee, doch versiegte dieser Warenstrom, seit die italienischen Städte sich des Gewürzhandels bemächtigten, und in Russland die Mongolenschwärme immer weiter vordrangen.

Am wichtigsten für das Alter und die Größe dieses Marktes zu Nowgorod ist die älteste „Skra“ des Hofes, welche etwa ums Jahr 1225 schriftlich aufgesetzt wurde und uns ein schon vollständig organisiertes Komptor darstellt. Ein Aldermann stand der ganzen Niederlassung als Richter, als Leiter der inneren Verwaltung und als Vertreter nach außen vor, unterstützt von einem zweiten Aldermann, der, nach der Kirche St. Peters genannt, die Verwaltung im Einzelnen führte und die von jenem richterlich erkannten Abgaben und Strafgefälle einzuziehen hatte. Das geringste Gewicht auf dem Hofe hatten die Landfahrer, die mit Karren und Lastwagen ihre Waren zu Lande durch Preußen und Livland hereinführten, deshalb nur mit geringer Warenmenge und kürzerem Aufenthalte den Handel betreiben konnten. Angesehener waren die Sommerfahrer, welche mit der Eröffnung der Fahrt in vereinter zahlreicher Flotte die Newa heraufkamen und mit großer Warenfülle und Volksmenge den Markt belebten; aber auch sie segelten wieder vor Beendigung der Fahrzeit nach Hause. Die eigentlichen Herren des Hofes waren die Winterfahrer, die mit dem Schlusse des Herbstes flottenweise erschienen, während des Winters im Komptor sich, so gut es ging, heimisch einrichteten und unter allen den Gefahren, welche diese Handelsstellung mit sich brachte, ihre eigenen und die von den Sommerfahrern hinterlassenen Geschäfte besorgten, um dann mit Eröffnung der Fahrzeit nach Hause zurückzukehren. Jede Gruppe wählte bei der Ankunft, die Seefahrer nach dem Einlaufen in die Newa ihren besonderen Aldermann. Der Aldermann der Winterfahrer durfte sogleich nach seiner Ankunft auf dem Hofe nach Belieben ein Haus wählen und in dieses Haus aufnehmen, wen er wollte; dasselbe Recht hatte er in Bezug auf die Sitze in der gemeinsamen Winterstube, die als Gesellschafts- und Speisesaal allen Kaufleuten offen stand, und auf Küchen- und Kellerräume. Diese Winterstube hatte wieder eine besondere Ordnung; Niemand durfte bei Strafe von einer Mark Silbers sich zum Trinken setzen, sobald sich die Gesellschaft vom Esstisch erhoben hatte, Niemand auch dies Zimmer zur Wohn- und Schlafstube benutzen. Von diesem Saale ausgeschlossen waren die Knappen, Gesellen und Lehrlinge, die ihr besonderes Esszimmer und ihren besonderen Aldermann hatten und, so lange eine Fahrt dauerte, von ihrem Mietsherrn bei Strafe von 10 Mark Silbers nicht entlassen werden durften.

Der Grundbesitz des Hofes bestand aus einer großen Anzahl von Wohngebäuden und Lagerräumen, mit der steinernen Kirche St. Peters in der Mitte, und wurde mit ängstlicher Sorgfalt bei Tag und Nacht gegen die Raublust und Gewalttätigkeit der Russen geschlossen gehalten und bewacht. Die Hofwarte waren verpflichtet, zu jeder Zeit auf die äußere Ordnung im Hofe zu achten und durften sich nicht niederlegen, bevor nicht wenigstens drei von den Kaufherren oder Meistern, d. h. von denen, die auf eigene Kosten im Hofe wohnten, zu Bette gegangen waren. Sie hatten die Wache über die großen Hunde, welche losgelassen wurden, sobald die Kaufherren zur Ruhe gegangen, und waren verantwortlich für jeden durch dieselben angerichteten Schaden.

Die neuere „Skra“, zu Ende des 13. Jahrhunderts verfasst, brachte zu der alten manche Erweiterungen. Sie ist schon ein entschiedenes Zeugnis von der beginnenden Vorherrschaft der Stadt Lübeck, denn sie stellt in allen Streitpunkten dieser Stadt die letzte Entscheidung anheim und behandelt das lübische Recht durchaus als ihre Quelle. „Kein Kaufmann soll von einem Russen Waren auf Kredit nehmen, bei Strafe von 10 Prozent des Kaufwertes und ebensowenig mit einem Russen, wie mit einem Fläminger oder Engländer eine Handelsgesellschaft eingehen. Alles Gut, das auf den Hof gebracht wird, soll von den Aldermännern und den Beigeordneten beschaut, kein schlechtes oder verfälschtes Wachs bei Strafe von 50 Mark Silbers von den Russen gekauft und in das Komptor eingeführt und alles Wachs mit dem Siegel St. Peters durch die Aldermänner selbst gestempelt werden.“ Mit großer Mühe und großen Kosten hatte man von dem Fürsten von Nowgorod erreicht, dass das von den Russen benutzte falsche Wachszeichen gegen das echte und richtige wieder vertauscht wurde; alles mit dem falschen Stempel versehene Wachs wurde im Hofe verbrannt. Auch den Russen wurde, den Deutschen gegenüber, Sicherung in Betreff der Güte der von diesen eingeführten Waren gegeben.

Als Meister im Hofe galt, wer auf eigene Rechnung dort wohnte; hatte er Knappen mitgebracht, so war er gehalten, dieselben bei Strafe von 5 Mark wieder nach Hause zurückzuführen und abreisen musste er, sobald er die mitgebrachten Waren verkauft und seine Angelegenheiten bereinigt hatte, die Winterfahrer bis zum ersten, die Sommerfahrer bis zum letzten offenen Wasser. Der Kleinverkehr wurde nur in einzelnen Fällen erlaubt, Leinwand sollte nur in ganzen Stücken verkauft, Tuch zu einzelnen Kleidungsstücken nicht verschnitten und unter keiner Bedingung mit den Russen auf Kredit gehandelt werden. Kein deutscher Kaufmann sollte über 1.000 Mark Waren auf den Hof zum Handel führen, der Überschuss verfiel an St. Peter. — Auch hatte der Hof seinen besonderen Priester, der im 14. Jahrhundert von Lübeck und Wisby gemeinschaftlich auf ein Jahr gewählt wurde und zu den Winterfahrern in engeren Verhältnissen stand als zu den Sommerfahrern. Diese wie Jene aber mußten demselben jährlich 4 Mark Silbers zahlen. Die Wahl des dem ganzen Hofe vorstehenden Aldermannes fiel im Laufe des 14. Jahrhunderts den Abgeordneten der Städte zu, während früher die Kaufleute unabhängig von diesen gewählt hatten. Die Ablehnung der Wahl zum Aldermann wurde bei dritter Weigerung mit 50 Mark und dem Verlust des Hofrechtes bestraft. Die Wahl selbst wurde einmal von Lübeck, ein andermal von den Deutschen in Wisby ausgeübt. Dem Aldermann wurden sogleich nach der Wahl von den beiden Älterleuten St. Peters die Schlüssel übergeben und alle Ämter hörten auf, bis jener sie bestätigt oder zu Auftrag übergeben hatte. Sogar das Recht über Leben und Tod, das an allen andern Komptoren dem Landesherrn vorbehalten war, gehörte hier zu den Befugnissen des Aldermanns.

Nach der Mitte des 14. Jahrhunderts wurde wegen des großen Zuflusses von Handelsleuten die Komptor-Ordnung noch dahin erweitert, dass jeder, sobald er den Landungsplatz erreichte, wählen durfte, ob er innerhalb oder außerhalb des Hofes seine Waren niederlegen wollte. Die Warenhäuser auf dem Hofe, deren drei größere „Kleten“ genannt werden, hatten nur beschränkten Raum, weshalb in jedem nur 24 Meistermänner und dazu auf des Dollmetschers Haus noch sechs ausstehen durften.

Jede Haushaltung des Hofes hatte wieder eine besondere Ordnung, einen selbstgewählten Vogt mit einem Meister und Knappen, als Gehilfen und Aufseher über jeden Zweig der Haushaltung. Der Vogt war für die Ordnung des Hofes verantwortlich, hatte jeden Sonnabend Gericht zu halten und durfte für alle Vergehen gegen die Ordnung Geldstrafen erkennen. Jedes Spiel, wobei über einen halben Vierding verloren werden konnte, war bei 10 Mark Strafe verboten, spielte aber Jemand in einem russischen Hofe, so zahlte er 50 Mark und verlor das Hofrecht. Wer den Andern erstach, hatte sein Leben verwirkt, wer ihn vorsätzlich verwundete, verlor die Hand, wer ihn schlug und ohne Grund schimpfte, zahlte eine Geldstrafe. Der Dieb wurde in gemeiner Versammlung gerichtet und kam an den Galgen.

Dies sind die wesentlichsten Grundzüge des hansischen Komptors zu Nowgorod.
Dieses Kapitel ist Teil des Buches Die Hansa als deutsche See- und Handelsmacht