Der Verfall der Hansa im 16. Jahrhundert

Zu Ende des 15. Jahrhunderts sehen wir die Hansa fast überall in misslicher und gefährlicher Lage. In Deutschland ist sie aus ihrer bisherigen Handelsstellung verdrängt, Schweden und Dänemark machen eine selbstständige und gegnerische Handelspolitik geltend und drohen, die politische und Handelsherrschaft der norddeutschen Städte in ihr Gegenteil umzuwandeln, in England und Holland behauptet zwar noch der Bund die althergebrachten Privilegien, doch unter wachsenden Schwierigkeiten, unter immer wirkungsvollerem Widerspruche beider kräftig aufstrebenden Nationen, und im Innern des Bundes treten die widerstreitenden Einzelinteressen immer offener und schroffer, nicht selten zu leidenschaftsvollem Kampfe gesteigert, einander gegenüber. Da vollzog sich zu Ende des Jahrhunderts ein Weltereignis, das die Verhältnisse des gesamten europäischen Handels gänzlich umgestalten und den Bund der deutschen Städte aus der ersten Stelle in eine weit zurückliegende drängen sollte. Die Spanier und noch mehr die Portugiesen begannen im 15. Jahrhundert in dem Maße seetüchtig zu werden, wie es bis dahin noch kein Volk der Erde gewesen war, und sie ruhten nicht, bis sie in ununterbrochenen Entdeckungsfahrten Seewege nach Indien und dem neuen Weltteil Amerika gefunden hatten. Bis dahin war Asien, die eine Hauptquelle des Welthandels, mit Europa durch das Mittelmeer verbunden gewesen. Der mächtige Strom morgenländischer kostbarer Natur- und Arbeitsprodukte hatte über Kleinasien das Mittel- und das schwarze Meer erreicht, war von hier durch die italienischen Handelsstädte an die europäischen Südküsten, durch die Verbindung mit den süddeutschen Städten in das Herz Europas, oder durch Italiener und Spanier zur See nach Brügge getragen worden, wo die Hansa mit selbstständiger Schifffahrt den Strom als eine Hauptnährquelle des eigenen Handels aufnahm und weiterführte. Jetzt versiegte der Handelsstrom des Mittelmeeres. In ununterbrochener Seefahrt traf die mächtigste aller Warenströmungen die portugiesische Küste und bildete sich in Lissabon einen Stapelplatz und Mittelpunkt. Auf die Küsten der Nordsee fiel der Schwerpunkt des europäischen Welthandels und brachte die holländischen Seestädte, als den westlichsten Flügel der Hansa, in die günstigere und vorwiegende Stellung gegen die zurückgedrängten Ostseestädte. Um so besser und wirkungsvoller konnten sie solche Vorteile benutzen, da auch sie in Schifffahrt und Handel mächtig aufblühten und durch die politischen Verhältnisse in nächste Verbindung mit Spanien und Portugal, den neuen Pforten der überseeischen Welt, getreten waren. So traten sie jetzt in den Vordergrund des europäischen Verkehrlebens und wurden die nächsten Erben der See- und Handelsherrschaft, welche die Hansa nicht mehr zu behaupten vermochte. Aber auch England, zu großer volkswirtschaftlichen Zukunft berufen, lagerte zwischen dem aus Asien ziehenden Handelsstrom und den deutschen Seestädten und zeigte bald die Wirkung der glücklichen Lage und Verhältnisse in einem selbstständigen wirtschaftlichen Abschluss und in der gänzlichen Abschüttelung der letzten Reste deutscher Handelsvorrechte.

Dänemark, Schweden und Norwegen bewährten ebensobald die Folgen einer veränderten Weltstellung in einem wirkungsvolleren Vorgehen gegen die sonst so gefürchteten deutschen Seestädte. Unter diesen selbst mussten auch die Nordseestädte einen Teil des Gewinnes aus der neuen Welthandelsströmung an sich ziehen, aber was ihnen Vorteil war, wurde dem Bunde schlimmer Nachteil. Mehr und mehr traten sie jetzt in eine gegnerische Stellung zu den Städten der Ostsee, deren Haupt, Lübeck, ihre Jahrhunderte alte Handelspolitik mit allen Kräften festhielt, und folgerichtig in eine immer mehr annähernde an Holland und England, die natürlichen Feinde und Verderber der Hansa. Der Bund, auf ganz andere Handelsbedingungen begründet und berechnet, musste diesen großartigen und allgemeinen Handelsveränderungen gegenüber aus der früheren Stellung weichen und Schritt um Schritt bis zu seiner auch durch innere Gründe und Verhältnisse beschleunigten Auflösung rückwärts gehen.


In den Niederlanden blieb Brügge in der ersten Hälfte des 16. Jahrhunderts der Stapelplatz der Hansa, obwohl der große Welthandelsstrom lange schon an dem verödeten und verschlammten Hafen vorbei in gerader Linie von Lissabon auf Antwerpen zog. Lübeck und, mit Ausnahme Hamburgs, das ganze wendische Viertel, verdankten die Größe ihres Handels und ihrer Seemacht einer jetzt zu Grabe gehenden Zeit und mussten fühlen, dass mit den Einrichtungen derselben auch sie selbst bei Seite geschoben würden. Ihnen blieb nichts übrig, als ein Widerkämpfen auf Leben und Tod, aber je hartnäckiger sie der Strömung der Zeit entgegentraten, um so gefährlicher und vernichtender wandte sich diese gegen sie. Das Komptor in Brügge verödete, die hansischen Schiffe selbst wandten sich nach Antwerpen, das den ganzen nord-europäischen Seeverkehr mit unwiderstehlicher Gewalt an sich zog und wo zugleich die oberdeutschen Städte mit ihrer außerordentlichen Rührigkeit und Kapitalkraft den hansischen Kaufleuten den Vorrang abgewannen. Die Einnahmen des Komptors schwanden so sehr, dass zu den notdürftigsten Bauten kaum wenige hundert Gulden aus eigenen Mitteln aufgebracht werden konnten. Um die Mitte des 16. Jahrhunderts siedelte endlich der Rest des hansischen Komptors nach Antwerpen über, erhielt hier vom König Philipp die Bestätigung der alten Privilegien, schloss einen vorteilhaften Vertrag mit der Stadt, laut welchem diese einen großen Platz zwischen zwei Kanälen als Bauplatz und 30.000 Fl. als Beitrag zum Bau hergab, erhielt eine eigene Waage, Accisefreiheit für Alles, was die Kaufleute zu eigenem Verbrauch einführten, und einen eigenen Kai. Aber die Handelsverhältnisse waren unterdes längst andere geworden, der hansische Handel war siech und die Stapeleinrichtungen einer veralteten Zeit mehrten nur das Siechtum. Durch die rastlose Tätigkeit des hansischen Syndicus Sudermann wurden zwar großartige Komptorgebäude begonnen, aber schon die ersten Baukosten mussten zum Teil entlehnt werden, und obwohl die Einnahmen noch um 1560 im jährlichen Durchschnitt etwa 3.000 Rthlr. betrugen und um 1 Million Thaler Waren hier umgesetzt wurden, wuchsen doch die Schulden des Komptors bis zum Jahre 1578 auf fast 150.000 Fl. Von der Stadt Antwerpen, vom Londoner Komptor und von den hansischen Städten mussten Summen auf Summen aufgenommen werden. Von den deutschen Städten, welche noch hierher verkehrten und zu dem schon stark zusammengeschmolzenen Bund hielten, Köln, Bremen, Hamburg, Braunschweig, Danzig, Lübeck, nahm sich die letztere Stadt allein des Komptors mit Kraft und Aufopferung an. Köln und Danzig, deren Kaufleute in Antwerpen eigene Häuser und Factoreien besaßen, widerstrebten den Komptorordnungen immer schroffer, riefen die Gerichte von Antwerpen gegen dieselben an und duldeten sogar von ihren Bürgern tätliche Misshandlungen des hansischen Aldermannes. Dazu kam die Unsicherheit zur See während der holländisch-spanischen-Kriege, die Geusen kaperten die Schiffe, die Spanier plünderten 1576 Antwerpen und das hansische Komptor und erzwangen von diesem eine Brandschatzung von 20.000 Fl. Holländer und Seeländer erpressten Licenzgelder und willkürliche Zölle vom hansischen Handel, und so viel auch unterhandelt wurde, nichts konnte dem hier schon von den Gegnern abhängig gewordenen hansischen Verkehr aufhelfen; der Bund war ohne Einigung und politische Macht, ohne alle Unterstützung von Seiten des Reichs. Das Oesterlingische Haus in Antwerpen blieb bis in die neuste Zeit Eigentum der Hansa, aber von einem Gesamtverkehr des Bundes, von einer Handelspolitik desselben war schon zu Anfang des 17. Jahrhunderts nicht mehr die Rede. Jede Stadt trieb ihren Handel für sich, unbekümmert um den Vorteil des Bundes, und nur in fruchtlosen Verhandlungen, in B?ndnissen ohne alle politische Folge und Wirkung äußerten sich die letzten Lebenszeichen der sonst ersten Seemacht der Nordsee.

Auch in England sollten die Streitigkeiten zwischen der deutschen Hansa und dem englischen Handelsstande in diesem Jahrhundert mit der Niederlage der Deutschen endigen. Während England seit Beilegung des Krieges der beiden Rosen durch Heinrich VII. Schritt um Schritt in der innern Entwickelung vorwärts drängte, an innerer Einigung und Festigung an der Ausbreitung und Mehrung volkswirtschaftlicher Kräfte und Bildung, an politischem Einfluss und weitreichenden Handelsverbindungen unaufgehalten zunahm, wurden die Verhältnisse im deutschen Reich schwieriger und zerrütteter, die alten Ordnungen lösten sich, der politische Einfluss schritt am meisten im Norden und Nordwesten zurück und mit dem Reiche ging der Bund der Hansa, der Träger einer deutschen Seemacht, der inneren Auflösung unrettbar entgegen. Unter Heinrich VII. und VIII. erstarkte in England die königliche Regierung zu neuem maßgebenden Einfluss, brach die Stütze der Bürgerkriege, das überwiegende Ansehen der Großen, gewann dem Lande Frieden und dem Bürgertum die Möglichkeit, auf der einmal eingeschlagenen Bahn der Entwickelung weiter und weiter zuschreiten. Unter der Königin Maria öffneten sich die Engländer durch die Ausbeutung des Seeweges nach Archangel, mit Umgehung der immer noch von den Hansen behinderten Fahrt auf der Ostsee, die grade Handelsstraße nach Russland und drangen in siegreicher Mitwerbung mit den zurückweichenden Deutschen in das Innere des Reiches und durch dasselbe bis nach Asien. Unter Elisabeth begann das Aufblühen der englischen Gewerbe mit Hilfe der aus den spanischen Niederlanden eingewanderten Bürger, fünf große Handelsgesellschaften entstanden, und Handel und Schifffahrt blühten bald in einer Ausdehnung, mit welcher die Hansa keinen Vergleich mehr auszuhalten vermochte. Als Elisabeth die hansischen Privilegien vernichtete, hatten die Engländer Anteil an der Weltschifffahrt im ausgedehntesten Umfange, umsegelten die Erde, hatten Kolonien im neuentdeckten Weltteil, unternahmen Handelsfahrten nach Ostindien, während an alles Dieses keine deutsche Stadt damals denken konnte.

Heinrich VII. hatte noch zu Anfang des 16. Jahrhunderts die hansischen Privilegien durch eine Parlamentsakte bestätigt, desgleichen Heinrich VIII. zu Anfang seiner Regierung im Jahre 1510. Als aber seine Untertanen die heftigsten Klagen gegen die Hansa erhoben, weil ihnen diese weder die freie Fahrt nach Bergen und Island noch auch im Sunde und in der Ostsee gestatteten, verbot der König 1535 den Hansen ihren vorteilhaftesten Handelszweig, die Ausfuhr der ungeschorenen Tücher. Sein Nachfolger Eduard VI. bestätigte dies Verbot, untersagte den Hansen den Verkehr mit den ihm feindlichen Schotten und verlangte für alle seine Untertanen dieselbe Freiheit des Handels in den deutschen Städten, welche diese bisher in England genossen hatten. Die englischen Gemeinden rechneten in ihren Beschwerden nach, dass noch im Jahre 1551 in Folge der Zollbegünstigung bei der Ausfuhr die Hansa 44.000 Stücke ungeschorenen Tuches hätte ausführen können, sie selbst nur 1.100 Stück. Der Beschluss des geheimen Rats in England vom Jahre 1552, dass die Hansen denselben Abgaben wie die eingebornen Handelsleute unterworfen werden sollten, neigte sogleich den Vorteil dieses Handels auf die Seite der Engländer. Auch zu anderen Zugeständnissen musste sich die Hansa bequemen, ein genaues Verzeichnis sämtlicher Hansestädte übergeben, jeder Handelsverbindung mit Fremden entsagen, ihre Schiffe nicht in England von Fremden nach anderen Ländern befrachten lassen, Zertifikate für die eigenen Waren führen u. s. w.

Unter der Königin Maria, der Gemahlin Philipps von Spanien, erreichten die Hansen noch einmal, aber nur auf kurze Zeit, die Erneuerung ihrer Privilegien. Gegen einen bedeutend ermäßigten Zoll erhielten sie freie Ein- und Ausfuhr aller einheimischen und fremden Waren und ganz besonders der ungefärbten und ungeschorenen Tücher; statt 15 Pfg. zahlten sie jetzt nur 5 Pfg. als Zoll. Das Parlament, schon ganz auf die Seite des englischen Gewerbs- und Handelsstandes getreten, beschränkte jedoch die letzte Erlaubnis auf die Dauer von drei Jahren. Da die Hansa auch noch andere Vergünstigungen erwarb, fing ihr Verkehr in London und England von Neuem an aufzuleben. Im Jahre 1554 führte sie wieder 36.000 Stücke Tuchs aus und hatte überhaupt durch die Zollbegünstigung in einem Jahre gegen die Einheimischen und Fremden einen Handelsvorteil von mehr als 300.000 Fl. Auch der Stahlhof in London hatte zu mannigfachen Klagen der Engländer nur zu vielen Grund gegeben. Seine Bewohner waren ausschweifend und üppig geworden, achteten nicht mehr die alte Zucht, sondern zeichneten sich durch Üppigkeit jeder Art aus, in Folge deren sich der Hass der Bevölkerung Londons vielfach in gewaltsamen Angriffen auf den Stahlhof Luft machte. Dennoch war das Komptor immer noch das reichste der Hansa, so dass es z. B. noch im Jahre 1547 dem Rat von Hamburg eine Summe von etwa 60.000 Fl. vorschießen konnte. Als nun durch die Königin Maria die Hansa zu neuem Einfluss gekommen war, dachte sie mit Ernst auch an eine Verbesserung der Komptorordnung, erneuerte und schärfte die alten Gesetze, entwarf ein genaues Verzeichnis aller an den hansischen Privilegien teilnehmenden Städte, deren Zahl zwar noch 66 betrug, von denen aber nur die wenigsten an den Bundespflichten tragen halfen, und tat jetzt Alles, um die besseren Verkehrsverhältnisse nach Möglichkeit auszubeuten und zu sichern. Doch um so heftiger regte sich auch der Widerstand der englischen Gemeinden und insbesondere der Gesellschaft der Aventurers, welche klagten, dass die Hansen die Schifffahrt, das Tuchgewerbe und den Tuchhandel der Engländer zu Grunde richteten, jeden selbstständigen englischen Ausfuhrhandel niederlegten, zu Antwerpen, Bergen und überall in die Ostsee die englischen Kaufleute vertrieben und mit allen möglichen Abgaben bedrückten. Diesen Klagen folgte eine Beschränkung der Tuchausfuhr für die Hansa.

Die Königin Elisabeth ließ zwar den Hansen noch einige Vergünstigungen im Zoll, beschränkte jedoch im Jahre 1564 die Ausfuhr ungefärbter Tücher auf 5.000 Stück und verlangte für ihre Untertanen in den hansischen Städten gleiche Rechte. Die Hansa wandte sich jetzt an Kaiser und Reich und klagte eben sosehr über die Aufhebung ihrer Privilegien und über Zollbedrückungen in England, in Folge deren sie für die gleiche Warenmenge statt der früheren 2.500 Pfd. jetzt 2.800 Pfd. zahlen müsste, wie über das Eindringen des englischen Handels in Deutschland. Im Jahre 1569 hatten die englischen Kaufleute ihren Stapel wieder nach Hamburg verlegt und drangen von hier aus mit englischem Tuch- und Wollhandel schon in das Innere des deutschen Reiches bis nach Nürnberg und Augsburg, während sie von Elbing her im russisch-deutschen Handel gefährlich mitwarben. Die Kaiser Max II. und Rudolf II. waren nicht abgeneigt, sich des hansischen Handels gegen England anzunehmen, und es folgten kaiserliche Schreiben und Gebote genug, doch dem deutschen Reiche fehlte mit der Einheit jede Fähigkeit, dem geschlossenen, gutgeleiteten England tatkräftig die Spitze zu bieten. Hamburg musste freilich dem Drängen der wendischen Städte nachgeben und die Engländer ausweisen, doch diese gingen in das benachbarte Stade, dann nach Emden und breiteten unter dem Schutz des Grafen Edzard trotz aller kaiserlicher Mahn- und Drohbriefe ihren Handel in Deutschland immer erfolgreicher aus.

Die Unterhandlungen Elisabeths mit dem Kaiser und- der Hansa schwankten unterdes hin und her, keine Partei wollte das Opfer bringen, durch das sie sich selbst vernichten musste, eine jede verlangte von der andern, was sie als unentbehrlichste Lebensbedingung für sich erkannt hatte. Elisabeth, von der Unfähigkeit des deutschen Reiches zu einer ernstlichen und kriegerischen Unterstützung der norddeutschen Handelsstädte überzeugt, welche statt früherer seekriegerischer Schlagfertigkeit jetzt nur noch Gewandtheit in langen Unterhandlungen und weitgesponnenen Beschwerdeschriften zeigten, wusste jetzt durch dieselbe Politik, welche die Hansa früher in England so meisterhaft geübt hatte, dem Einflusse dieser im deutschen Reiche die Spitze zu brechen. Nach langen Verhandlungen und Kämpfen, nach mannigfachen Maßregeln und Gegenmaßregeln von beiden Seiten, wodurch aber Elisabeth in ihrer eingeschlagenen Handelspolitik kein Haar breit wankend gemacht wurde, erreichte endlich im Jahre 1582 die Hansa vom Reichstag zu Regensburg das Verbot der englischen Waren im deutschen Reiche. Alsbald aber wusste der englische Gesandte Gilpin durch neue Unterhandlungen diesen Reichsschluss außer Vollzug zu setzen und den Engländern in Stade Aufenthalt, Komptorgebäude, freie Kirche und Gottesdienst, Zollbegünstigungen und privilegierten Gerichtsstand zu sichern. Auch die Häupter der Hansa konnten sich nicht einigen, Hamburg neigte zu den Engländern, und die preußischen Städte, besonders Thorn und Elbing, begünstigten diese in jeder Weise. Elisabeth schritt endlich zu offenen Feindseligkeiten und nahm im Jahre 1589 sieben nach Spanien segelnde hansische Schiffe, unter dem Vorgeben, dieselben hätten die Absicht gehabt, den Spaniern Kriegsbedarf zuzuführen. Als die Hansen, sich stützend auf ihre Neutralität, den spanischen Handel fortsetzten, nahm ihnen die Königin auf einmal 60 Schiffe im Tajo. Die englische Flotte beherrschte nach der Vernichtung der spanischen Armada die Meere, und die Hansen waren eines kräftigen und einigen Entschlusses gegen den mächtigen Feind unfähig. Zehn Jahre vergingen von Neuem mit halben Maßregeln und fruchtlosen Unterhandlungen. Von Seiten des Reiches erfolgte im Jahre 1597 eine neue Ausweisung der Engländer vom deutschen Reichsboden; auch diesmal ohne Erfolg. Die Aventurer ließen sich in Middelburg nieder und von hier und von anderen Orten drang der englische Handel auf offenen und heimlichen Wegen immer tiefer und breiter ins Reich. Zugleich beantwortete Elisabeth das Reichsmandat dadurch, dass sie den Stahlhof schloss, die Kaufleute von dort teils vertrieb, teils als Geißeln zurückbehielt und alle Beschwerden und Fürbitten, woher sie auch kommen mochten, streng und entschieden zurückwies. Die letzten Überbleibsel einer deutschen Handelsherrschaft in England waren damit vernichtet, und es begann jetzt unwiderstehlich die umgekehrte Handelsströmung, welche im 17. und 18. Jahrhundert vermittelst der Weser und der Elbe und deren Hafenplätze den Sieg und die Herrschaft des englischen Handels in Deutschland entscheiden sollte.

Das Verhältnis der Hansa zu dem nahen Dänemark haben wir stets als das politisch wichtigste hervorgehoben und wollen jetzt verfolgen, wie der Bund auch hier allmählich und unrettbar Herrschaft und Ansehen verlor. Dänemark hatte mit dem Haus der Oldenburger den Weg einer friedlicheren Entwickelung eingeschlagen, und wenn es auch unter dem unruhigen König Hans und unter Chistian II. an schweren und unglücklichen Kriegen nicht fehlte, so schritt doch dieses Reich zugleich mit Schweden in innerer Ausbildung und politischer Machtgewinnung nur zu erfolgreich für die Stellung der Hansa vor. Der Anfang dieses Jahrhunderts war noch außerordentlich günstig für den Bund und zeigte noch einmal sein ganzes weitgreifendes politisches Ansehen. Christian II. suchte den hansischen Handel insbesondere dadurch zu beengen, dass er Kopenhagen zu dem Mittelpunkt des Ostseehandels zu machen strebte. Deswegen sollten nur hier die Deutschen mit den Dänen verkehren und wurde hierher der Sundzoll von Helsingör verlegt. Durch die siegreiche Schlacht am Brunkeberge 1517 und das an den schwedischen Adligen und Geistlichen in Stockholm verübte Blutbad bemächtigte er sich Schwedens. Seitdem aber wandte sich sein Glück. Gustav Wasa, aus Schweden entkommen, fand in Lübeck sichere Zuflucht und kehrte mit Lübischer Hilfe zurück, um Stockholm zu belagern. Lübeck mit Danzig, Wismar und Rostock rüsteten für ihn und verbanden sich mit dem Herzog von Holstein. Der jütländische Adel erhob diesen als Friedrich I. zum König, und Christian verließ flüchtig sein Reich. Als Friedrich mit Hilfe Lübecks Dänemark und Kopenhagen genommen, und mit Gustav Frieden geschlossen hatte, bestätigte er den Lübeckern alle Handelsprivilegien, verpfändete ihnen die Einkünfte von Gothland auf zwei und die Insel Bornholm auf dreißig Jahre. Dann vereitelte er auch mit Lübecks Hilfe Christians II. neuen Kriegszug und brachte diesen gefangen nach Sonderburg, doch was er den Lübeckern als Dank vor Allem hatte versprechen müssen, das war er jetzt am wenigsten geneigt zu halten. Er nahm sogleich die Politik seiner Vorgänger auf, begünstigte die Holländer vor den Ostseehansen, statt ihnen nach dem Versprechen die Ostsee zu sperren, und tat Alles, um Kopenhagen auf Kosten Lübecks und der Hansa zu heben. Obwohl die Holländer seinem Gegner Christian fast allein Hülfe geleistet hatten, gab er ihnen alle genommenen Schiffe zurück, schloss mit ihnen günstigen Frieden und weigerte entschieden die Vollziehung des mit Lübeck aufgerichteten Erbvergleiches, nach welchem die Holländer in der Ostsee nicht zugelassen werden sollten. Denselben Undank erfuhren die Lübecker von Gustav Wasa. Auch dieser hatte versprochen, die Holländer von der Ostsee fern und die alte Ordnung des hansischen Handels aufrecht zu halten, aber auch er änderte, kaum auf dem Thron sicher, seine Politik und suchte Schweden durch den Anschluss an die Handelsvölker des Westens und besonders an die Holländer von dem Einflusse Lübecks und der Hansa zu befreien und zu selbstständiger Handelsbedeutung emporzuheben.

Doch in Lübecks unmittelbarer Nähe sollte die Niederlage des Bundes nicht ohne einen letzten kräftigen Widerkampf, ohne ein Wagnis auf Tod und Leben geschehen. In die wendischen Städten war unterdessen die Reformation eingedrungen und hatte andere Ideen, andere Formen und andere Stände zur Herrschaft gebracht. In Lübeck wurde die aristokratische Partei von der demokratischen, der Trägerin der neuen Ideen, gestürzt. Die siegende Partei setzte im Jahre 1530 einen neuen Rat ein, zwang die Führer der Gegenpartei, Nikolaus Brömser und Hermann Plönnies, zur Flucht und bemächtigte sich unter Führung Jürgen Wullenwevers, des neuen Bürgermeisters, vollständig der Herrschaft in der Stadt. Auch in Stralsund war die aristokratische Partei im heftigen Volksaufruhr gestürzt und zwei Bürger der neuen Partei zu Bürgermeistern erhoben worden. In Rostock und Wismar hatten die demokratischen Zünfte wenigstens gleichen Anteil am Stadtregimente gewonnen. Diese demokratische, gewaltsam nach Besserung der gegenwärtigen Verhältnisse ringende Partei in den wendischen Städten hatte in Jürgen Wullenwever einen Führer gewonnen, der sie zu den großartigsten Plänen anzuregen wusste.

Lübeck, das kaum erst wieder durch die Unterstützung Friedrichs I. und Gustav Wasas den alten maßgebenden Einfluss in den nordischen Angelegenheiten hatte ausüben können, war aufs Äußerste erbittert, als es sich von beiden so schlimm getäuscht und den gehassten Nebenbuhlern, den Holländern, den Vorzug gegeben sah.

Nach Friedrichs I. bald erfolgtem Tode erhob sich diese Erbitterung durch die jetzt herrschende Partei in Lübeck und deren männlichen Führer zur energievollen Tatkraft. Lübeck rüstete eine Flotte gegen Dänemark, an deren Spitze Wullenwever seinen Freund, Marx Meier, brachte, einen kühnen, verschlagenen, auch für den Krieg nicht unbegabten Mann, der als Hamburger Hufschmied in Lübische Kriegsdienste getreten war und, durch männliche Schönheit und Klugheit hervorragend, eine reiche Bürgermeisterswitwe Lübecks zur Frau und mit ihr hohes Ansehen gewonnen hatte. Doch war sein Kriegszug, der zunächst den Holländern galt, unglücklich, er wurde zwar nicht geschlagen, fiel aber, da er unvorsichtig von seinen Schiffen sich entfernte, in die Gefangenschaft des englischen Königs Heinrich VIII., der damals gleichfalls der Hansa Feind war. Jürgen Wullenwever ließ sich dadurch in seinen Plänen nicht irre machen. Nachdem von Dänemark und Schweden seine Forderungen, mit den Holländern zu brechen, abgewiesen worden waren, nahm er die alte wendisch-hansische Politik in ihrem ganzen großartigen Umfange wieder auf und rüstete mit allen ihm zu Gebote stehenden Mitteln zum Kriege gegen die beiden nordischen Reiche. In Dänemark fand er eine große Partei zu seiner Unterstützung bereit. Das Bürgertum und die Landbewohner, den reformatorischen Ideen und Bewegungen ergeben, waren gegen Adel, Geistlichkeit und Regierung wegen mancher Unterdrückungen und Anfeindungen in Aufstand und wollten, nach Friedrichs I. Tode, Christian II. wieder zum Könige erheben. Ein Hauptführer dieser Partei war der einflussreiche Bürgermeister von Kopenhagen, Ambrosius Bockbinder, ein Deutscher, mit dem Wullenwever in das engste Bündnis trat. Ebenso gewann er den Bürgermeister von Malmöe, Jürgen Koch, genannt Münter. Beide, Männer von großer Kraft und Einsicht, strebten danach, die Selbstständigkeit ihrer Städte und des Bürgertums gegen König und Adel und zugleich die Ideen der Reformation gegen die herrschende Kirche zur Geltung zu bringen. Dagegen verband sich der bedrohte dänische Reichsrat mit den holsteinischen Herzogen und diese wieder mit den Niederländern und Schweden, welches letztere Reich die Feindseligkeiten gegen Lübeck sogleich begann. Aber auch Wullenwever war nicht weniger tätig und umsichtig, gewann die Bürger von Stockholm und die schwedischen Bauern gegen König und Adel, versuchte, doch vergeblich, in Svante Sture, der alle Lockungen und Verheißungen standhaft zurückwies, einen Kronprätendenten dem König Gustav Wasa entgegenzustellen, und schloss mit Heinrich VIII. von England, dessen Vertrauen der aus der Gefangenschaft entlassene Marx Meier zu gewinnen gewusst hatte, ein Schutzbündnis wonach dieser in der Hoffnung auf die dänische Thronfolge 10.000 Pfund Sterling Hilfsgelder zahlte. Dann warb Wullenwever als Führer in dem zu beginnenden Kriege den Grafen Christoph von Oldenburg, einen der begabtesten und gebildetsten Kriegshelden jener Zeit, der auch alsbald im Bunde mit dem Grafen von Hoya und anderen Adligen und mit 4.000 wohlgerüsteten Landsknechten und Reitern den Krieg in Holstein eröffnete, bald aber vom Herzog Christian von Holstein und dessen ebenfalls genialem Feldherrn Ranzau nach Travemünde zurückgedrängt und hier belagert wurde. Zugleich nahmen die beiden letzteren eine drohende Stellung gegen Lübeck ein. Von hier lief setzt eine Kriegsflotte von 21 Schiffen unter Christoph von Oldenburg, Wullenwever und Marx Meier gegen Kopenhagen aus, mit welcher auch Rostock, Stralsund und Wismar, nachdem sie die Reste ihrer aristokratischen Verfassung aufgehoben hatten, ihre Schiffe vereinigten, während in Malmöe und Kopenhagen unter Leitung der beiden Bürgermeister ein erfolgreicher Aufstand ausbrach. Kopenhagen fiel in die Gewalt des hansischen Heeres, das mit Hilfe der aufständischen Partei in Schonen, Seeland und auf den kleinen dänischen Inseln überall schnell und entschieden die Oberhand gewann. Da erwählte der dänische Adel den holsteinischen Herzog als Christiern III. zum König, der damals mit Ranzau die Stadt Lübeck aufs Heftigste bedrängte, die Trave versperrte, eine Anzahl Kriegsschiffe erobert, die Lübischen Dörfer verbrannt hatte und vor den Toren der Stadt lagerte. Die Nachricht der Königswahl machte ihn zum Frieden so geneigt, wie den Bürgermeister Wullenwever die Bedrängnis und Angst der Lübecker; beide schlossen, doch nur für Holstein, Frieden und ließen einander in Bezug auf die dänischen Angelegenheiten durchaus freie Hand. Christiern III. eilte sogleich nach Jütland. Wullenwever gewann über die beginnende Parteiung in Lübeck die Oberhand, zwang alle ihm gegnerisch Gesinnten zur Abdankung, ergänzte aus seinen Anhängern den Rat und führte dann mit Marx Meier eine neue Kriegsmacht nach Seeland.

Hier und in Jütland, ebenso in Fühnen und auf Schonen, standen die Parteien in blutigen Kämpfen gegen einander. Ranzau und die jütländische Adelspartei gewann beim Berg Farenskow über die Scharen des Oldenburgers und das aufständische Volk einen entscheidenden Sieg, während der Schiffer Clemint mit den Freibauern von Vendsyssel bei Alborg eine Heerschar der Adelspartei fast vernichtete. Gegen ihn zog jetzt der König, nahm ihn im erstürmten Alborg gefangen, ließ ihn hinrichten und zwang den besiegten freien Bauernstand gewaltsam in die Leibeigenschaft. Unterdes gewann auch Gustav Wasa auf Schonen die Oberhand, schlug Mynter und Meier mit der Lübischen Kriegsmacht und führte den letzteren als Gefangenen auf das Vardbierg-Schloss, wo sich derselbe aber durch List und Kühnheit zu befreien, zum Herrn zu machen und 15 Monate lang als unumschränkter Herrscher der Umgegend zu verteidigen wusste. Christiern III. und Gustav Wasa schlossen jetzt einen noch engeren Bund und beherrschten bald, da der Graf von Oldenburg in schwelgerischer Untätigkeit in Kopenhagen lag, entschieden das Feld. Im Jahre 1535 rüsteten die Städte unter Wullenwevers unermüdlicher Leitung von Neuem, brachten mit großer Aufopferung eine Flotte auf, an deren Spitze sie den Herzog Heinrich VII. von Mecklenburg und den Grafen von Oldenburg stellten, und schlugen sich mit Ruhm, doch mit unentschiedenem Glücke gegen die vereinte dänische und schwedische Flotte, zu welcher auch preußische Schiffe sich gesellt hatten. Zu Lande gewann Ranzau mit der Adelspartei vor Asiens einen entscheidenden Sieg über die hansische Kriegsmacht und stellte das dänische Übergewicht vollständig her. Kopenhagen wurde belagert, Schloss Vardbierg genommen und Marx Meier hingerichtet. Die Lübische Flotte vermochte gegen den schwedischen Admiral Peder Skramm keine Erfolge zu gewinnen und wich immer weiter vom Kriegsschauplatze zurück.

Bei diesem entschiedenen Sieg der nordischen Reiche erhob sich in Lübeck die Gegenpartei Wullenwevers wieder. Lübeck hatte mit dem außerordentlichsten Kostenaufwande, der überlegenen Persönlichkeit des Bürgermeisters folgend, die Hauptlast des Krieges getragen und sehnte sich jetzt, da das Kriegsglück gegen die Stadt schwankte, ermattet und entmutigt nach Frieden um jeden Preis. Auch die übrigen noch zur Hansa haltenden Städte, besonders Hamburg, verlangten Ruhe und Sicherheit zur See und hielten eine Tagfahrt zu Lüneburg, die freilich den erwünschten Erfolg noch nicht hatte. Während Wullenwever sich auf einer Gesandtschaftsreise befand, kam nach Lübeck im Juni 1535 ein kaiserliches Mandat, das bei Strafe der Acht die Wiedereinführung der alten Verfassung und die Einsetzung der alten und vertriebenen Ratsmitglieder befahl. In Abwesenheit des Führers unterwarf sich die bedrängte Bürgerschaft diesen Forderungen, und als Wullenwever zurückkehrte, fand er die alten Ordnungen hergestellt, seine Gegner, unter ihnen Brömser, im Regiment und musste, von allen Seiten geschmäht und bedroht, seinen erzwungenen Rücktritt nehmen. In Lübeck selbst wagte Niemand gegen den immer noch gefürchteten Mann mit Gewalttat vorzugehen. Bald darauf begab er sich nach Hadeln, um hier mit Willen des Rates zur Fortsetzung des Krieges 6.000 Knechte zu werben. Dort fiel er, auf trügerisches Anstiften des Rates, in die Hände des Herzogs Heinrich von Braunschweig, der ihn gefangen setzte und ihn dann unter grausamen Martern am 24. September 1537 in Wolfenbüttel hinrichten ließ. Schon vor seinem Tode hatten auf Vermittelung der Fürsten des schmalkaldischen Bundes Lübeck und Stralsund mit Dänemark auf dem Tage zu Hamburg am 15. Februar 1536 Frieden geschlossen, wozu dann auch Wismar und Rostock gezogen wurden. Lübeck erhielt eine Bestätigung der Handelsfreiheiten, hatte aber auf immer seine Stellung als maßgebendes Haupt der Hansa und diese ihren leitenden Einfluss auf die inneren Angelegenheiten des nordischen Reiches verloren.

Mit Recht wird Jürgen Wullenwever (1488-1537) noch heute als der letzte große Mann der Hansa gepriesen. Auf Lübeck, seine Stadt, bis dahin die Königin in den nordischen Meeren, fiel die großartige Neugestaltung des Welthandels mit der ganzen vernichtenden Wucht ihrer Folgen. Noch im unbehinderten Besitze seines politischen, im ganzen Norden maßgebenden Einflusses, seiner nach damaliger Kunst aufs Trefflichste ausgestatteten, überall gefürchteten Kriegsflotte, seiner lange angesammelten außerordentlichen Kapitalien, ohne nur ein einziges der erfahrungs- und verbindungsreichen Handelshäuser verloren zu haben, welche überall, wohin der Lübische Handel drang, als die hervorragenden und maßgebenden zu erscheinen und geachtet zu werden gewohnt waren, im vollen, ungeschmälerten Besitz also aller Mittel, welche die Handelsherrschaft gewonnen und erhalten hatten, sollte Lübeck jetzt von einer Welthandelsstadt des deutschen Nordens zu einer Ostseehandelsstadt, von einem Weltmarkte zu einem Lokalmarkte, von einer Herrscherin der Meere zu einem beherrschten, von einem gehassten, ränkevollen Nachbar abhängigen Hafenplatze niedergedrückt werden. Und dazu herrschte in dieser Stadt damals eine von neuen, mächtigen Ideen aufgeregte, von leidenschaftsvollem Reformtriebe ganz erfüllte Partei, die kaum erst die Fesseln einer veralteten hemmenden Verfassung siegreich zerbrochen hatte und nun mit dem vollen Feuer neuerungssüchtigen Tatendurstes nach dem großartigsten Ziel am meisten begierig sein musste. Unter solchen Verhältnissen kam Jürgen Wullenwever an die Spitze der Stadt, und er war der Mann, dieser Verhältnisse Herr zu werden. Er wird uns geschildert von fester männlicher Gestalt; sein Bildnis zeigt ein Antlitz voll Entschiedenheit und Feuer, mit breiter hoher Stirn, mit einem Auge voll Denkkraft und von sicherem, durchdringendem Blick, mit starker Nase und energisch vorgeschobenem Unterkiefer, mit vollem Haupt- und Barthaar. Voll lebendiger, unmittelbarer Auffassungskraft, voll unwiderstehlicher, die nächsten und wichtigsten Interessen unverrückt ins Auge fassender Beredsamkeit, voll stolzer Liebe für seine bedrohte Stadt, von rasch entschlossener, auch zum Äußersten fähiger Schnellkraft des Willens, dabei nicht unabhängig von der Eitelkeit, zu pomphaftem Auftreten und großartigem Scheine geneigt, wusste er sich der bewegten Volksmenge weit über die Grenzen seiner Stadt zu bemächtigen und sie auf das Ziel, das ihm als das höchste, als das für seine Stadt unentbehrlichste vorschwebte, gerichtet zu halten.

Als Haupt der demokratischen und reformatorischen Partei trat er im Innern der Stadt an die Spitze der Revolution, der Neubildung auf politischem und kirchlichem Gebiet, und als dasselbe Haupt, als der Bürgermeister der ersten Hansestadt, vertrat er, erfüllt von der alten Größe und der seit Jahrhunderten überlieferten Politik des Bundes, mit allen seinen und seiner Stadt Mitteln auf dem Gebiete der Handelspolitik eine Zeit, die dem gewaltsamen Sturze unaufhaltsam entgegeneilte, Richtungen, die ringsumher bekämpft wurden, Formen, an deren Zertrümmerung die begonnene Neugestaltung des Welthandels mächtig und unwiderstehlich arbeitete. Dem Charakter des Mannes gemäß, war dieser letzte Kampf der alten Hansa kühn in Anbetracht der Mittel, denn die eine Stadt fast allein wagte ihn gegen die mächtig aufstrebenden Nachbarliche und die mächtiger andringenden Weltverhältnisse, rasch und plötzlich im Ausbruch, doch klug und weithin berechnet in den politischen Verbindungen, großartig und überraschend im Ziel, aber gewaltsam, heftig und pomphaft in der Ausführung, vollständig vernichtend im Ausgange. Nicht des Führers Unfähigkeit verschuldete diesen, seine Kraft brachte vor unvermeidlicher Niederlage die Größe der deutschen Hansa noch einmal im vollen, doch rasch entschwundenen Lichte zur Erscheinung.
Dieses Kapitel ist Teil des Buches Die Hansa als deutsche See- und Handelsmacht