Abschnitt 4

Man suchte dieser Gefahr zunächst dadurch zu begegnen, daß man jenen in aller Form wegen Verraths und Meineides anklagte und aufforderte, sich dem Gerichte zu stellen. Dann setzte man am 17. Januar 1464 durch eine außerordentliche Küre von vier Personen, unter denen sich der bisherige Stadtschreiber M. Jürgen Below und der von Herrn Langejohann namentlich als sein Feind bezeichnete Odbrecht Gantzkow befanden, den Rathsstuhl so voll, wie es nach Lübischem Rechte sein sollte, und endlich, als der Entflohene den Stichrechtstag sich nicht gestellt hatte, ließ man denselben durch den Frohnen an allen Ecken in der ganzen schimpflichen Weise des Verfahrens als einen Verfesteten und friedlos gelegten beschreien. So glaubte man sich gegen das Wiedereindringen des vormaligen Bürgermeisters gesichert und wird in Betreff der Landesherrschaft ohne Sorgen gewesen sein und gemeint haben, daß die von dieser seitens des Flüchtlings früher wirklich oder vermeintlich erlittenen Unbilden in zu frischem Gedächtnisse stünden, als daß ernsthafte und nicht zu hintertreibende Anstalten zu dessen Restitution dorther zu befürchten wären. Sehr wahrscheinlich hat über Beistand von Herzog Heinrich Peter Langejohann sich ziemlich ähnliche Gedanken gemacht, denn wenn er sich schon bei jenem alsbald um freies Geleite und seine Protection bewarb, welche ihm auch zugesagt worden sind, so wollte er zunächst doch eine solche Hülfe nicht in Anspruch nehmen und erklärte sich vielmehr bereit, vor der ganzen Gemeinde zu Wismar sich zu verantworten oder, wolle man das nicht, vor dem Rathe zu Lübek; erst als dritten Weg schlug er Entscheidung durch den Landesherrn vor. Der Rath wollte aber überhaupt von einem neuen Spruche nichts hören und eine herzogliche Einmischung sagte Peter Langejohann nicht zu; somit wendete dieser sich an die Herren von Lübek mit der Bitte, die von der Wismar aufzufordern, daß sie ein paar Rathsmitglieder hinübersendeten, damit der Streit zwischen ihnen, ihm und dem Wismarschen Rathe, beigelegt werden möge, indem er nebenbei, freilich vergebens, auf eine Bewegung in der Stadt zu seinen Gunsten hoffte. Die Wismarschen lehnten aber dies vom 9. März datirte Ansinnen wegen der näheren Umstände der Sache und der Schwere des Falles durchaus ab, während sie doch gleichzeitig aus eigener Bewegung anzeigten, daß sie behufs einer lange geplanten Sendung nach Preußen Unterredung zu pflegen bald einige ihres Mittels abordnen würden. Als man diesen in Lübek vorschlug, die Langejohannsche Angelegenheit einer gemeinsamen Vermittelung oder Entscheidung der Städte Lübek, Hamburg, Rostock und Stralsund anheimzugeben, verstanden sie sich nur dazu, diese Proposition zu Hause zu berichten, doch erfolgte weder eine Erklärung nach Lübek, noch an das freundnachbarlich bemühte Rostock. Peter Langejohann bat daher den Lübischen Rath um eine neue Anmahnung, indem er hinzufügte, daß, wo die Wismarschen die Städte nicht hören wollten, er, wenn auch ungerne, weiter klagen müsse, wo es „sich gebühre“; doch blieben alle und wiederholte Aufforderungen, sowohl Lübeks wie der übrigen Städte, ohne jegliche Erwiderung und erst Mitte Juni ließ der Rath sich herbei zu einer Entschuldigung: einer der Bürgermeister und mehrere Rathmannen seien abwesend, doch wolle man gleich nach deren Heimkehr eine Erklärung bereden. Aus solcher Erklärung ist aber nichts geworden, sei es, daß man überall keine ablassen wollte, sei es, daß man selbige über die Schrecken der Pest, welche Ende Mai bis zur Seekante vorgedrungen war und in Wismar die Bürgermeister Spek und Knorreke sammt fünf Rathmannen wegraffte, wirklich vergaß.

Unter dem 24. August fragten aber Rostock und Stralsund auf Herrn Peters Anhalten von Neuem an, Hamburg unter dem 7. September, wie es mit der Sache stehe, während Lübek, vielleicht verletzt durch das abweisende Verhalten des Raths gegen die angebotene Vermittelung, sich weiteren Zuredens enthalten zu haben scheint. Aber grade das mag dann letzteren, der sich zu isoliren fürchten mochte, endlich bewogen haben, sich zu erklären, und zwar dahin, daß er die an ihn gerichteten Klagen und Zumuthungen durchaus zurückweisen müsse, Peter Langejohann sei vor den Stapel geladen, weil er seiner Missethaten wegen aus der Stadt gewichen, und, da er ausgeblieben, verfestet, so daß man glaube, ihm keinesweges noch etwas schuldig zu sein. Um aber übeler Nachrede zu entgehen, erbiete man sich zu einer Zusammenkunft in Grevesmühlen, wo den Städten der Sachverhalt eingehend auseinander gesetzt werden solle; dieselben möchten nur einen Tag bestimmen. So beschied man Hamburg am 13. September, die übrigen Städte gleichmäßig und beeilte sich, weiteren Drängens gewärtig, die Zahl der Rathsmitglieder durch eine am 28. September angestellte Wahl von sieben Personen wieder auf den normalen Bestand von 24 zu bringen; insonderheit wurde auch ein neuer Bürgermeister in Meinert Amesford gekoren. Dazu erhielt der Rath auch noch ihm bereits am 13. April zugesicherten Succurs von außen. Aus Meklenburg vom 21. October datirt, ging nämlich ein Schreiben des Landesherrn ein, worin dieser sagte, wie er erfahren, daß Peter Langejohann, welcher ihn früherhin in seiner Sache wider den Rath angesprochen habe und dem er, sei ihm auch hernach glaubwürdig berichtet, daß jener nicht vergewaltigt, sondern wegen seiner Missethaten ausgetreten sei, gerne Rechtes beholfen haben würde, ungehöriger Weise bei fremden Städten Klage führe und theils Wismarschen Bürgern, die in Lübek zu thun hätten, sich als mißhandelt darzustellen suche theils in Wismar selbst von den Seinen gleiche Reden führen lasse, um etwa auf solche Weise wieder in die Stadt zu gelangen. Dadurch würde aber nur Zwietracht erregt und, was diese für die bürgerliche Nahrung bedeute, sei bekannt genug. Er fordere daher Rath und Gemeinde auf, die Stadt gut zu bewahren und den Hetzereien zu steuern und werde, wofern jemand Aufläufe oder Tumult errege, ihnen mit aller Macht in deren Unterdrückung zu Hülfe kommen. Uebrigens war dieser Brief nicht allein an Bürgermeister und Rathmannen, sondern auch an die Bürger, Aelterleute und Aemter der Stadt gerichtet, wie es nur bei ganz außerordentlichen Gelegenheiten und hier natürlich aus dem Grunde geschah, um der Gemeinde ihr Interesse bei dieser Sache als identisch mit dem des Rathes darzustellen. Es gab aber besagte Zuschrift den ersten Anlaß zu einer weiteren und folgenreichen Verwickelung, denn, als man dieselbe in einer öffentlichen Versammlung der Gemeinde mittheilte, erhub sich M. Johann der Sohn des Verfesteten, und rief mit lauter Stimme: „Lieben Bürger und liebe ehrliche Aemter, diesen Brief haben sie sich mit großer Mühe und um schweres Geld zuwege gebracht und laßt Euch doch, lieben Bürger und liebe ehrliche Aemter, auch diejenigen Briefe lesen, welche die ehrlichen Städte Lübek und Hamburg geschrieben haben.“ Es ist nicht überliefert, welche Wirkung diese Apostrophe unmittelbar hervorbrachte, doch läßt sich annehmen, daß sie eine große Verwirrung zur Folge hatte, aber es passirte damals dem kühnen Kleriker nichts weiter, als daß der Bischof auf die Beschwerde des Raths ihn zur Ruhe verwies und, als jener trotzdem sich nicht stille verhielt, ihn im December nach Schönberg forderte. Von den Briefen der Städte hat M. Johann natürlich durch seinen Vater gewußt, daß aber der Rath den herzoglichen auf Bestellung erhalten, verrieth sich deutlich genug, wie es sich auch schon von selbst verstand, daß derselbe nicht umsonst abgelassen war, so daß nicht etwa an geheime Verbindungen der Langejohanns mit Rathsmitgliedern, z. B. Hans Krevet, der sich solches nicht hat zu Schulden kommen lassen, zu denken ist, wenn auch einzelne Mittheilungen, etwa von Dienern oder dergleichen Personen, allerdings der Familie heimlich zugingen.


Wie oben erzählt, erklärten sich also die Wismarschen bereit, mit Sendeboten der Städte in Grevesmühlen zusammenzutreten. Das faßten diese, wie Peter Langejohann, wenn nicht als einen ersten einlenkenden Schritt, so doch als eine Gelegenheit auf, die nicht vorbeizulassen, woferne es zu einer Verständigung kommen sollte, und jener bat Erstere daher noch einmal inständig, wenn ein Tag von Lübek ausgeschrieben würde, solchen doch nicht zu verabsäumen, während die Städte sich über Ort und Zeit in Correspondenz setzten. Rostock und Stralsund wünschten in Wismar zusammenzutreten und dazu waren auch die Hamburger bereit, falls gehöriges Geleite besorgt würde, indem ihnen vom Herzoge und dessen Söhnen „etliche Warnung geschehen sei“, obschon sie lieber den Tag in Lübek abgehalten haben wollten. Einig aber war man durchaus, daß Grevesmühlen sich nicht als Versammlungsort eigene, und Lübek schlug daher den Wismarschen vor, daß, wenn sie sich doch mit den Städten einlassen wollten, man den Tag in Wismar selbst abhalten möge. Solches erklärte man aber Wismarscher Seits für weder gelegen noch zweckmäßig, während die Städte auf abermalige Empfehlung
Grevesmühlens gewiß mit vollem Rechte diesen Ort entschieden verwarfen und nunmehr Lübek für die Conferenz proponirten. Damit aber scheinen die Bemühungen der Nachbaren vor der Hand ihre Endschaft erreicht zu haben. Die Wismarschen haben entweder gar nicht geantwortet oder gesagt, daß ihre Bereitwilligkeit durch das Erbieten zu einer Zusammenkunft in Grevesmühlcn hinreichend documentirt sei; offenbar verließen sie sich auf die ihnen vom Landesherrn zugesagte Unterstützung.