Abschnitt 10

Wenn sich nicht verkennen läßt, daß das Verfahren, wie man es zu Lübek beliebte, im Allgemeinen den Interessen der Betheiligten allseitig entsprach, so können wir Nachkommen, denen es um Erforschung der Wahrheit zu thun ist, doch nur beklagen, daß man nicht durchweg mittelst Schriften verhandelt hat, oder daß nicht wenigstens ein Protokoll über die Verhandlungen zu Wismar erhalten ist, durch welches uns die Möglichkeit gewährt würde, zu einein sicheren Urtheile über das Verhältniß des Thatbestandes zu dem abgelassenen Ausspruche zu gelangen, und aus diesem Grunde, wenn überall die Meinung der Nachwelt von Werth ist, entspricht die Art und Weise, wie man verfuhr, so wenig dem Interesse der Parteien wie dem der Richter. Wenn der Rath angab, daß der älteste Bürgermeister die Versiegelung von Urkunden, also auch der Zuversichtsbriefe, nur nach vorheriger Autorisation des gesammten Rathes habe anordnen dürfen, so verdient diese an sich schon glaubliche Behauptung volles Vertrauen um so mehr, als seit 1370 die Bürgschaften für Zuversichtsbriefe regelmäßig in das Zeugebuch eingetragen sind. Daß Herr Peter Langejohann aber keine Ermächtigung für seinen Brief nachgesucht hat und diesen nicht hat verbürgen lassen, ergiebt das Fehlen einer bezüglichen Inscription am gedachten Orte, und daß er einen falschen Zuversichtsbrief nach Assensen geschickt, kann doch nach dem Atteste der dortigen Rathmannen und der Aussage der angeblichen Nächstzeugen wohl kaum in Zweifel gezogen werden. Bezüglich des Schreibens wegen eines genommenen Schiffes liegt Näheres nicht vor, und was das Geleite für Schonen anlangt, steht dem Wismarschen Rathe wenigstens der gute Glaube zur Seite, da ein Hauptzeuge, der mit als Schiedsrichter fungirende Bürgermeister Kastorp von Lübek, noch am Leben war. Der gute Glaube des Rathes kann überhaupt schwerlich verdächtig sein. Herr Peter sagt selbst, daß die Gesammtheit des Rathes wider ihn gewesen, und unter diescr befand sich auch sein eigener Schwiegersohn, der, wäre er nicht gleichmäßig von der Unrechtfertigkeit des Bürgermeisters überzeugt gewesen, doch jedenfalls wohl dem Rathsstuhle entsagt haben würde. Immerhin verträgt sich mit der Annahme, daß die Rathmannen Herrn Langejohann für schuldig hielten, die eifrige Bewillkommnung des Anlasses sich seiner zu entledigen von Seiten derjenigen unter ihnen, welche jenem vorzugsweise gram waren und durch Zwischenträgerei schon früher das Zerwürfniß zwischen dem Landesherrn und ihm herbeigeführt hatten, während es solcher feindseligen Gesinnung wiederum nicht zuzuschreiben ist, wenn man dem Angeklagten die Rechtfertigung vor der Bürgerschaft abschlug, da der Stapel oder das Gericht der Ort war, wo die Sache von Rechtswegen zum Austrage hätte kommen müssen. Trifft also bis hieher den Rath allem Ansehen nach in keiner Weise ein Vorwurf, so hat derselbe allerdings dadurch dem Rechte zu nahe gethan, daß er noch ein peinliches Verfahren gegen Herrn Peter anstrengte, nachdem dieser bereits resignirt hatte, denn ohne Zweifel hat gegen seinen Verzicht der Rath ihm Schutz und Schirm als Bürger zugelobt, wenn wir auch kein anderes Zeugniß dafür besitzen, als dasjenige Herrn Peter Langejohanns selbst. Der Rath hat das freilich wohl nicht erkannt, denn anders würde er sich kaum geweigert haben, die freundlich angebotene Vermittelung der Lübischen oder der Städte insgesammt anzunehmen, und es ist mehr als glaublich, daß seine in ihren Folgen so verderbliche Weigerung sich darauf einzulassen der Verblendung entsprang, wie sie leidenschaftlicher Widerwille gebiert. Erscheint mithin dasjenige, was vorliegt, zu dem Schlusse berechtigend, daß die Anklagen gegen Herrn Peter thatsächlich begründet waren und daß demselben vom Rathe nur formell Unrecht zugefügt worden ist, so ist es schwer zu verstehen, wie die Schiedsrichter einen Auspruch thun konnten, welcher die Forderungen des klagenden Partes von Anfang bis zu Ende befriedigte. Der Wunsch, die Sache beizulegen, um Unruhen in Wismar vorzubeugen oder den Handel der Stadt wieder frei zu machen oder die Rücksicht auf die Protection, welche Herr Langejohann beim Könige gefunden, scheinen doch kaum zur Erklärung des Widerspruches zu genügen. Ersterer konnte nicht so groß sein, um darum den einen und, wie es doch scheint, wesentlich unschuldigen Theil mit höchster Gefährdung seines Ansehens in der Stadt und nach Außen gradezu niederfällig zu erklären, und den königlichen Schutz anlangend, so waren, heiligte damals auch schon in der Politik die Mittel der Zweck, Macht und Freiheitssinn der Hansischen Republiken in jenen Tagen doch noch nicht so weit heruntergekommen, daß sie schweifwedelnd vor der Gewalt um des Geschäftes willen gekrochen wären. Es bleibt daher kaum etwas übrig als anzunehmen, daß Herr Peter bezüglich der ihm zur Last gelegten Vergehen solche Erklärungen zu geben vermochte und derartige Entschuldigungen vorzubringen im Stande war, welche mit Berücksichtigung des ungehörig gegen ihn verhängten peinlichen Verfahrens eine völlige Wiedereinsetzung in seine vorigen Ehren gestatteten, ohne das Rechtsgefühl der Bürger zu kränken, ohne Beeinträchtigung der Autorität des Rathes, ohne Gefahr für das künftige Verhältniß zwischen dem Bürgermeister und den ihm bisher feindlich gegenüberstehenden Rathmannen, endlich ohne Schaden für die Ehre der Schiedsrichter selbst. Man wird sich um so mehr dazu verstehen können, auf solche Weise die anscheinende Schuld und die völlige Restitution mit einander in Einklang zu bringen, wenn man sich erinnert, daß der Bürgermeister zunächst vor der Gemeinde und hernach vor den Lübischen Herren oder den Städten sich zu rechtfertigen bereit war, denen doch das Iteresse des gesammten Rathes näher lag, als das eines einzelnen seiner Mitglieder, wenn man seinen guten Ruf nicht bezweifeln darf, der ihm so wohlwollende Aufnahme in Lübek und freundschaftlichen Antheil nah und fern verschaffte, und endlich das Urtheil des Lübischen Chronisten, des Zeitgenossen, berücksichtigt, welcher gradezu sagt, Herr Peter sei mit Unrecht vertrieben und habe nachgewiesen, daß er ohne Schuld sei. Die Dänische Unterstützung und die gute Meinung von Herrn Langejohann, welche König Christiern in seinem Schreiben an den Tag gelegt hat, durch welches er die Aufhebung der Feindseligkeiten gegen Wismar notificirte, können freilich kaum für den Angeklagten in Bezug genommen werden, denn wenn jener selbst auch den Schutz, welchen er diesem hat angedeihen lassen, als Pflicht eines christlichen Königs erklärt, und der vorhin gedachte zeitgenössische Chronist Christiern als einen sanftmüthigen, milden, gnädigen Herrn rühmt, so dürfte doch wohl das Bestreben, die Dänische Macht im weitesten Umkreise zur Geltung zu bringen, Hauptmotiv für ihn gewesen sein, als er sich des vertriebenen Bürgermeisters annahm, was eine persönliche Theilnahme an demselben übrigens ja nicht ausschließt.

Nach erlassenem Schiedsspruche ist Herr Langejohann wahrscheinlich alsofort wieder auf seinen alten Platz im Rathsstuhle geführt worden, nachdem er drei und ein halbes Jahr mit zäher Ausdauer um die ihm genommenen Ehren gelitten und gerungen hatte. Von seinen einmaligen Genossen im Bürgermeisterstuhle lebte nur noch Bernd Pegel, während Olrik Malchow, Diderik Wilde und Meinert Amesford hinzugekommen waren, so daß es jetzt fünf Proconsuln gab. Von den Rathmannen hatte er mit sieben noch zusammen gesessen, während zehn andere nach seiner Resignation hinzugewählt waren. Wenn wir zu dem Resultate gelangt sind, daß Herr Peter die gegen ihn erhobenen Anklagen mehr oder minder hat entkräften können, so wird diese Zusammensetzung des Rathes fördernd eingewirkt haben, daß sich sein Verhältniß zu den Amtsgenossen wiederum freundlich gestaltete und Vertrauen zurückkehrte, zumal wenn etwa diejenigen fehlten, welche sein Exil herbeigeführt hatten.