Abschnitt 1

Es war bekanntlich keine schöne Zeit für Meklenburg das fünfzehnte Jahrhundert. Landesherr im heutigen Schwerinschen war seit 1442 Herzog Heinrich, der Dicke zubenannt, allein. Seine Lust an Streit und Krieg ist landkundig, aber er wird auch beschuldigt, in verdächtiger Weise seiner guten Mannen geschont zu haben, wenn sie Frachtwagen geplündert, Vieh weggetrieben und sonstige Annexionen fremden Eigenthums auf kecker Streiferei ausgeführt hatten. Dergleichen Ueberfälle führten zu Wiedervergeltung oder zu in der Regel weitläufigen, meist unfruchtbaren Ausgleichs-Verhandlungen: kurz Unsicherheit und Unordnung regierten aller Orten und kosteten Bürger und Bauer nicht allein Habe und Gut, sondern oft genug auch Haut und Haar obenein, während doch die Anstifter solchen Unfugs ihren Gewinn eben so schnell wieder verloren, wie sie ihn eingezogen hatten.

In welcher Weise es jener Tage im Lande herging, kann man aus folgendem Vorfalle entnehmen, der sich im Jahre 1455 zutrug. Die Kirche U. L. Frauen zu Wismar hatte von den v. Plessen zu Barnekow Renten in Gressow und Weitendorf gekauft. Da die Bauern fünf Wochen nach Martini, wo jene fällig waren, nicht gezahlt hatten, so wurden am 19. December drei reitende Diener ausgeschickt, um zu pfänden, wie es derzeit in den Kaufbriefen für solchen Fall ausbedungen zu werden pflegte. Die Junker von Barnekow aber, als sie von der Pfändung Kunde erhielten, ritten zwölf Mann hoch den Dienern nach, ereilten sie bei Vorder-Wendorf und jagten ihnen das Vieh, welches sie mitgenommen, wieder ab, wobei es nicht ohne scharfe Hiebe herging. Als die Diener nun zerschlagen und blutig von ihrer Expedition in die Stadt zurückkamen und klagten, wie ihnen begegnet sei, beschlossen die Wismarschen auf der Stelle, sofortige Genugthuung für die Gewaltthat sich zu verschaffen; angeblich 600 zu Fuß und 100 zu Pferde stark rückten sie mit Geschütz und mit Böten zum Uebersetzen über den Graben versehen noch in derselben Nacht vor Barnekow und erstürmten beim Anbruche des Morgens das feste Haus, welches nur durch Vermittelung Hinrichs v. Bülow von Plüschow vor gänzlicher Demolirung bewahrt blieb. Der Abzug wurde dadurch erlangt, daß die v. Plessen sich verpflichteten zu leisten, was der Landesherr für recht oder billig erklären würde. Sie konnten nichts Besseres thun, denn selbiger hat offenbar das Vorgehen der Stadt äußerst übel aufgenommen und so übel, daß solches nicht allein zu Verhandlungen in dem großen Style jener Tage führte, an denen sich einerseits Herzog Adolf zu Schleswig und Herzog Bernd zu Lauenburg und andererseits Lübek und Hamburg, ohne Erfolg freilich, betheiligten, sondern daß auch diese Angelegenheit in einer langen Reihe von Beschwerden, welche der Herzog anscheinend im Jahre 1462 gegen seine Stadt vorbrachte, allen übrigen vorangeht. Denn damals erst fand die Sache einen Abschluß, nachdem im Sommer desselben Jahres der Fürst von dem ältesten Bürgermeister zu Wismar, Herrn Peter Langejohann, persönlicher Beschwerde wegen, deren Erledigung kaum minder lange Zeit dauerte, zufrieden gestellt worden war.


Peter Langejohann, auch hin und wieder blos Lange genannt, gehörte keinem namhaften Wismarschen Geschlechte an. Früher, 1394 und 1396, kommt ein Bürger desselben Namens in gleichgültigen Verhältnissen vor, der sein Vater gewesen sein mag, und er selbst hat sich in den Documententrümmern Wismars auch nur ein einiges Mal gefunden, ehe er, 1437, in den Rathsstuhl gewählt wurde, zu welchem ihm, wie unten zu erzählende Vorgänge schließen lassen, vermuthlich die Heirath mit einer Tochter des 1420 oder 1421 verstorbenen Bürgermeisters Hermen Meiger den Weg bahnte.

Mit sammt Hinrich Spek wurde er dann 1451 zu dem alten Hinrich Dargetzow als Bürgermeister erwählt, zu denen weiter, um die Zahl voll zu machen, 1453 Berthold Knorreke kam. Als Herr Dargetzow im Jahre darauf gestorben war, wurde der vierte Platz, freilich nicht sofort, sondern erst 1458, mit Bernd Pegel besetzt. Herr Peter Langejohann erreichte also sehr bald die Würde des ältesten Bürgermeisters, und da bei diesem in jener Zeit die Leitung der Geschäfte, „das Wort“, beständig geblieben zu sein scheint, so war er von hervorragendem und entscheidendem Einflusse, der ihm aber freilich auch schon vermöge seiner Persönlichkeit allem Ansehen nach zugefallen ist. Nahe liegt es daher, in ihm denjenigen zu erblicken, welcher den oben erzählten Sturm auf Barnekow ins Werk richtete, und solches wird auch wohl die Meinung Herzog Heinrichs gewesen sein, der, da ihm ohnehin Verschiedenes von jenem hinterbracht war, wodurch er sich in seinen Ehren und Rechten verletzt fühlte, in seinem Streben deswegen Genugthuung zu erlangen, zu Mitteln vorschritt, welche ungewöhnlich genug waren.

Zunächst trat der Herzog am 4. November 1458 in Person und von einigen seiner Räthe begleitet, vor den sitzenden Rath und ließ Klageartikel wider den Bürgermeister verlesen. Dieser erbat sich Abschrift und Frist zur Beantwortung, welche ihm gewährt wurden, während man den Herzog ersuchte anzuzeigen, wann es ihm genehm sei, die Vertheidigung des Angeklagten zu hören. So ein regelmäßiger Rechtsgang scheint aber nicht den Absichten des Herzogs entsprochen zu haben, die vielmehr auf ein summarisches Verfahren gerichtet gewesen sein werden. In Unwillen ist er von dannen gegangen und hat auf Wege gesonnen, dem Bürgermeister beizukommen. Von einem Processe wollte er eben nichts wissen, Vermittelungen der nächsten Nachbaren mochten weitläufig und ungeeignet erscheinen, aber der Niftelmann der Herzogin, der König Christiern von Dänemark, der konnte ihm wirksamen Beistand leisten, und an diesen wendete er sich, um solchen zu erlangen. Derselbe wurde ihm denn auch zugesagt und es ist demgemäß Anfangs Juli 1459 ein königlicher Bote in Wismar erschienen, welcher eine Aufforderung, den Landesherrn zufrieden zu stellen, überbracht haben wird. Der Rath hat darauf den Sachverhalt auseinandergesetzt und seine Bereitwilligkeit, dem Herzoge zu Recht wider den Bürgermeister zu verhelfen, zugesichert. An solcher Genugthuung war jenem ja aber nicht gelegen und ohne Zweifel ist es auf sein Andringen geschehen, daß der König unter dem 20. August von Stockholm aus neue Briefe abfertigte mit dem Verlangen, der Rath möge Herrn Peter anhalten, den Landesherrn wegen der ihm zugefügten Schmach und üblen Nachrede zufrieden zu stellen, und der Drohung, wo dem nicht so geschehe, den Wismarschen den Verkehr in seinen Reichen und insonderheit auf Schonen zu legen; ein gleichlautendes Schreiben war an „die Gilden, Aelterleute und erbgesessenen Bürger“ gerichtet. Dem gegenüber konnte der Rath aber nichts weiter thun, als daß er auf frühere Beantwortung desselben Ansinnens sich beziehend, unter erneuerter Darlegung des Sachverhältnisses sein voriges Erbieten wiederholte. Das schien gewirkt zu haben, denn die Stadt hatte den folgenden Winter Ruhe vor solchen Zumuthungen, aber es war der Winter gewesen, der ihr diese verschaffte, denn Ende März oder Anfangs April 1460 überbrachte ein gewisser Tile eine dritte Aufforderung des Königs aus Ripen, man möge Herzog Heinrich bis Pfingsten Genugthuung verschaffen oder gewärtig sein, daß er, der König, die Wismarschen in seinen Landen nicht ferner dulde. Der Rath sah nunmehr ein, daß die schriftlichen Auseinandersetzungen seinerseits nicht beachtet wurden und die Betheuerung seiner Bereitwilligkeit zur Rechtshülfe am Dänischen Hofe keinen Glauben finden wollte, und fertigte daher den Stadtschreiber M. Jürgen Below über Lübek, wo man ihm den dortigen Protonotarius M. Wunstorp zum Beistande mitgab, an den damals in Holstein weilenden König ab, welchen die Boten am 1. Mai zu Segeberg trafen. Hier wurde denn nun ausgemacht, der Rath solle Herrn Peter dazu bestimmen, daß er seine Einwilligung zur Entscheidung der Sache durch den König und die Ehrbaren von Lübek gebe, und solche Einwilligung gab Herr Peter auch, jedoch unter der Bedingung, daß der Herzog bei diesen Schiedsrichtern bleibe und ihm und den Seinen eine gelegene Stätte mit genügendem Geleite zur Verantwortung gewiesen werde.