Edmund Wilhelm Braun. Die Gobelins nach Boucher und das „Meuble Rose“ in der Wiener Hofburg

Das ehemalige Audienzzimmer des verstorbenen Kaisers Karl im zweiten Stock der Wiener Hofburg, im sogenannten Alexanderappartement, enthält Schätze an französischer Gobelinkunst von seltener Schönheit und außerordentlich hoher Qualität. Es sind dies vier Gobelins, welche die Wände des mäßig großen Saales bedecken, und außerdem eine Garnitur von Möbeln, die allgemein als das „Meuble rose“ bezeichnet wird. Sie haben sämtlich dieselbe Provenienz, da sie dem Kaiser Josef IL, als er zum Besuche seiner königlichen Schwester Maria Antoinette im Jahre 1777 zu Paris weilte, von seinem Schwager Ludwig XVI. zum Geschenk gemacht wurden. Von den zu einer Serie vereinten vier Wandbehängen bilden je zwei derselben Gegenstücke im Format und in dem Inhalt der figuralen Mittelfelder, und zwar tragen zwei in hochovaler Umrahmung bunte Darstellungen mythologischen Inhaltes, während die übrigen queroval orientiert sind und genreartige Bildszenen einschließen. Die mythologischen Füllungen stellen „Vertumnus und Pomona“ (abgebildet in Farbendruck auf Tafel XXXV) und „Aurora und Cephalus“ dar. Beide Darstellungen sind Wiederholungen der gleichnamigen Gemälde von Francois Boucher im Louvre, die 1763 datiert sind. Die Genreszenen gehen gleichfalls auf Bilder Bouchers zurück, von denen das eine die „Fischerei“ (la peche) darstellt, während das andere eine Wahrsagerin (la diseuse de bonne a venture) zeigt; die Gemälde, die als Vorbilder gedient haben, sind gleichfalls 1763 oder 1764 entstanden und hängen im „Grand Trianon“.

Francois Boucher wurde im Jahre 1755 als Nachfolger von Oudry mit der künstlerischen Leitung der Pariser Gobelinmanufaktur betraut, und diese Berufung dankte er in erster Linie der großen Beliebtheit, der sich die nach seinen Bildern ausgeführten Gobelins der Fabrik zu Beauvais erfreuten (Amours des dieux, Szenen aus den Lustspielen Molieres usw.).


Die Unternehmer der Gobelinmanufaktur Audran, Cazette und der Schotte Jacques Neilson, von denen der letztgenannte der bedeutendste war, versprachen sich sehr viel Erfolg von Bouchers Tätigkeit, denn sie richteten an den Generaldirektor Marigny ein dankerfülltes Schreiben, in dem es heißt: „La satisfaction, que nous ressentons de la nomination de M. Boucher, au lieu et place du feu sieur Oudry, nous est trop agédable, Monsieur, pour ne pas Yous en marquer notre sincère reconnaissance. *)“ Dieses Vertrauen in die Genialität Bouchers sollte nicht enttäuscht werden, denn es erschienen bald nach seiner Berufung zahlreiche Folgen von Gobelins, die zweifellos auf derselben hohen künstlerischen Stufe standen wie die in den früheren Blütezeiten der Pariser Manufaktur herausgegebenen Bildteppiche. Technische Fortschritte, die der Initiative und Begabung Neilsons verdankt waren und sich besonders auf die bessere Färbung der verwendeten Wolle- und Seidenfäden, die reichere und vielfältigere Nuancierung der Farbentöne erstreckten, vereint mit der sorgfältigen und exakten Nachahmung der feinen und duftigen Farbenstimmung auf den Boucherschen Originalen, ließen jetzt diese hochgeschätzten Wunderwerke der Gobelinwirkerei entstehen, zu denen die vier Gobelins der Wiener Hofburg gehören. Schon die figuralen Sujets waren vom Meister überaus glücklich gewählt worden, die Darstellungen aus der Mythologie nach Ovid („Sujets de la fable“ genannt) und die damals so überaus beliebten Genredarstellungen, die uns ja auch sonst im damaligen Kunstgewerbe so oft gegenüber treten. Die „Wahrsagerin“ auf dem einen der Wiener Gobelins finden wir als treffliche Ludwigsburger Porzellangruppe wieder und ein anderes Mal treffen wir sie als bunte Füllung auf einem der kostbaren bleu-royal-Geschirre aus Wiener Porzellan mit dem entzückenden Hochgolddekor.

Die beiden Gobelins mit „Vertumnus und Pomona“ und „Aurora und Cephalus“ tragen die Signatur des Meisters „F. Boucher“, jedes mal im Bilde, daneben findet sich jeweils auch die Tapisseriebezeichnung „Neilson ex“.

Ebenso anziehend an Schönheit und berückendem dekorativen Reiz sind die breiten Umrahmungen der Mittelfelder, aus denen letztere mit der herrlichen suggestiven Kraft ihrer duftigen, vielfach abgetönten Farben herausleuchten. Man hat diese Gobelins **) in der Manufaktur mit drei verschiedenen Typen von solchen Umrahmungen („Alentours“ genannt) angefertigt, deren Entwürfe auf die Maler Jacques und Tessier zurückgehen. Die Wiener Folge repräsentiert den zweiten „Alentour“, zu dem die großen Entwürfe von Jacques noch im Pariser Gardemeuble erhalten sind. In diesen köstlichen Umrahmungen offenbart sich das entzückend feine, liebenswürdige und graziöse Können der damaligen Künstler, die mit dem reizvollen Inventar ihrer Ornamentik wahre Meisterwerke dekorativer Schönheit geschaffen haben.

Die Mittelfelder werden in Nachahmung reich geschnitzter vergoldeter Holzrahmen von breiten ornamentalen goldgelben Leisten eingeschlossen, die oben und unten mit muschelähnlichen Kartuschen belegt sind. Dem oberen Teil dieses Rahmens schmiegen sich beiderseits bunte Blütenranken an, die auch auf der unteren abschließenden Kartusche aufliegen und zu der äußeren Umrahmung sich hinüberschwingen.

*) Lacordaire, „Les Gobelins“ 1855, S. 84.

**) Fénaille, „Etat général. Tapisseries de la manufacture des Gobelins“ II, 1907, S. 225—300.


Den „Hauptteil“ des Grundes füllt ein breites karmoisinrotes Feld mit reicher hellerer Damaszierung, dichte Blüten und Rankenwerk darstellend. Den bereits erwähnten äußeren Rahmenabschluss bildet gleichfalls eine, diesmal noch breitere, goldfarbene Leiste von ähnlicher Form wie in der Mitte, nur weitaus reicher ornamentiert. Von oben herab hängen wiederum Blütenranken vor dem Damastgrund, die vierfach gerafft sind und beiderseits bis zur Mitte des Gobelins herabfallen. Die untere Blütengirlande endet auf den Seiten auf zwei zierlich gebildeten Konsolen, auf denen Vögel sitzen, und am reichsten ist die untere Seite des Außenrahmens geschmückt, auf der ein rundes bauchiges und gebuckeltes Gefäß in der Mitte, flankiert von zwei hohen, schlanken, blütenkelchförmigen Vasen steht, aus denen duftige, volle Blumen herausblühen. Links und rechts davon sind an den Seiten mit blauen graziösen Maschen Blumensträuße an dem Rahmen angebunden. Dieses dekorative Inventar finden wir auf den verschiedenen Folgen dieser Gobelins' in immer neuen entzückenden Varianten wieder. Ein zweites Exemplar unserer Wiener Folge im „Mobilier national“ des Louvre, aus der dieselbe Darstellung mit dem Vertumnus und Pomona von Lady Dilke abgebildet ist, veranschaulicht sehr hübsch die leichte Vielseitigkeit, mit der die Künstler ihren Dekor zu variieren wussten. Die figurale Szene selbst, nach Ovids Metamorphosen, die veranschaulicht, wie der Erntegott Vertumnus in einer Verkleidung sich der Baumnymphe Pomona zugesellt, ist von außerordentlicher Schönheit und wiederholt ein altes beliebtes Gobelinmotiv. In Besitz des Wiener Hofes befindet sich die auch in diesem Buche abgebildete Brüsseler Renaissancefolge mit der Geschichte der beiden selben Gottheiten, die zu den größten Meisterwerken der niederländischen Gobelinkunst gehört.

Als die Rokokoformen den Louis-seize-Ornamenten weichen mussten, hat man den Vertumnus und Pomonagobelin nochmals gewirkt (jetzt Schlossmuseum zu Berlin), und zwar im Jahre 1784, als Geschenk für den Prinzen Heinrich von Preußen, des großen Friedrichs Bruder ***) und da sind das Blumenrankenwerk, die Vasen und Vögel zwar noch beibehalten worden, aber die äußere Umrahmung ist bereits streng klassizistisch gebildet.

Die Möbelgarnitur besteht aus zwei Sofas (Tafel XXXVII), zwölf Fauteuils (Tafel XXXVIII), einem Ofenschirm (einem sogenannten Écran (Tafel XXXVIII) und einem sechsteiligen Paravent (Tafel XXXVI). Die Fassung besteht aus geschnitztem Holz, ist aber leider größtenteils nicht mehr die originale, ebenso wie die Manschetten der Lehne bei dem Sopha und den Fauteuils durch einen neuen, ähnlich gemusterten Damastbezug ersetzt wurden. Die Polsterung der Sitzmöbel mit Gobelinstoff besteht aus Sitzfläche, Rücklehne und den Manschetten auf

*) Man hat davon zwischen den Jahren 1765 und 1791 vierzehn Serien gewirkt, die sich zumeist in englischem Privatbesitz befinden.

**) French Decoration and furniture etc. S. 116.

***) Hermann Schmitz, „Bildteppiche“, S. 305.


den Armlehnen. Der karmoisinrote Grund mit derselben Damaszierung wie auf den Wandbehängen trägt üppige, bunte, wundervoll abgetönte Blumenranken und Blütenbüschel von herrlicher Komposition in immer neuen Variationen. So ist auf dem einen Sofa die Rücklehne (abgebildet auf Tafel XXXVII) mit zwei vom Mittelstück nach den Seiten ausgehenden Ranken geschmückt, die im flachen, nach oben gewölbten Bogen den Raum ausfüllen, während auf dem zweiten Sofa dieser Bogen nach unten gesenkt erscheint.

Die Sofas und Fauteuils haben weiße, geschnitzte und teilvergoldete Holzgestelle in Louis-XV.-Formen erhalten, zu denen sich moderne Pfeilertische in derselben Technik gesellen. Der Paravent ist in derselben Zeit mit einem ebenso behandelten Gestell aus Holz in Louis-XIV.-Formen versehen worden. Allein der Écran, der in alter, ursprünglicher, köstlicher Schönheit prangt, ruht noch im originalen Pariser Gestell von reicher vergoldeter Schnitzerei in den so überaus dekorativen Übergangsformen vom späten Rokoko zum frühen Louis-XVI.-Stil; allerdings ist auch hier die alte Vergoldung, die auf dem Kreidegrund aufliegt, in neuerer Zeit etwas ausgebessert worden. Die erhabenen geschnitzten Teile des Rahmens sind vergoldet, die Vertiefungen braun grundiert. Der eingelassene Gobelinstoff trägt die Tapisseriesignatur „Neilson ex“.

Die Ornamentik des Rahmens setzt sich aus Akanthuswerk und Rocaillen zusammen, an den oberen Teilen der Seitenflächen hängen Lorbeerranken herab und die obere Bekrönung bildet eine von Akanthuszweigen flankierte Muschel, um die sich wiederum eine Lorbeerblattranke legt. Die Schnitzerei ist mit der größten Feinheit ausgeführt und dürfte wohl in der Werkstätte des Hoftischlers G. Jacob entstanden sein, welcher von 1765 bis 1793 in Hofdiensten stand und dessen Zeichen wir u. a. auf den Stühlen der heute im Berliner Schlossmuseum *) befindlichen Boudoireinrichtung der Königin Maria Antoinette aus dem Versailler Schlosse eingebrannt finden, die kurz nach 1780 entstanden sein muss. Möbel in dieser Art, auch Kaminschirme, werden als außerordentlich hochgeschätzte und beliebte Arbeiten Georges Jacobs angeführt, der sich die Entwürfe zu denselben von den berühmtesten Möbelzeichnern seiner Zeit, besonders von dem Architekten Jules Antoine Rousseau, anfertigen ließ.

Ein Vergleich des Écran in der Wiener Hofburg, der wohl kurz vor 1777 geschaffen wurde, mit demjenigen aus dem Boudoir der Königin ist besonders lehrreich, weil wir dabei eindeutig feststellen können, dass im Verlaufe dieser wenigen Jahre der Lois-XVI.-Stil sich in seiner ganzen Reinheit durchgesetzt und sämtliche Elemente der späteren Louis-XV.-Epoche, die an dem erstgenannten Kaminschirm noch vorherrschten, vollkommen ausgeschaltet hat.

*) Jul. Lessing, „Möbel aus der Zeit Louis XVI.“ „Vorbilderhefte des königlichen Kunstgewerbemuseums zu Berlin“, Heft 21, 1898.

**) Graul, „Das 18. Jahrhundert usw.“ 1905, S. 106.
Dieses Kapitel ist Teil des Buches Die Gobelins des Wiener Kaiserlichen Hofes
XXXV. Vertumnus und Pomona. — Paris, 18. Jahrhundert.

XXXV. Vertumnus und Pomona. — Paris, 18. Jahrhundert.

XXVI. König Ludwig auf einem springenden Pferde. — Brüssel, 17. Jahrhundert.

XXVI. König Ludwig auf einem springenden Pferde. — Brüssel, 17. Jahrhundert.

XXVII. Lautenspielender Kavalier mit seiner Dame. — Brüssel, 17. Jahrhundert.

XXVII. Lautenspielender Kavalier mit seiner Dame. — Brüssel, 17. Jahrhundert.

XXVIII. Die Monate November und Dezember. — Brüssel, 17. Jahrhundert.

XXVIII. Die Monate November und Dezember. — Brüssel, 17. Jahrhundert.

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