V. Marie Jeannerei.

Wir haben die bisher vorgeführten Persönlichkeiten ans verschiedenen Zeiten und Gegenden herbeigeholt, aus Paris, Berlin, Nürnberg und Bremen, ohne damit die Zahl der gewohnheitsmäßigen Giftmischerinnen erschöpft zu haben - denn sie sterben nicht aus, sondern kehren von Zeit zu Zeit immer wieder. Allein ich übergehe geflissentlich die 1836 in Mainz hingerichtete Marg. Jäger, die innerhalb 8 Jahren ihre hochbetagten Ältern, ihren Oheim und ihre 3 Kinder verdachtlos umbringen konnte, und erst bei ihrer 7ten, einen fremden Ehemann treffenden Vergiftung entlarvt wurden ebenso die im März des vorigen Jahres (1873) in Durham aufgeknüpfte Mary Ann Cotton, welche erst 30 Jahre alt, bereits in der 4ten Ehe lebten und wegen welcher 9 Leichen ausgegraben werden mußten, ohne daß damit die Zahl der Opfer ihres Vergiftungsbedürfnisses für geschlossen gegolten hätte - ich übergehe diese und noch Andere ihres Gleichen, um nur kurze Zeit noch bei einer ebenbürtigen Landsmännin zu verweilen, bei Marie Jeanneret aus Locle. Sie wurde im November 1668 vor dem Schwurgericht zu Genf angeklagt, innerhalb 3 1/2 Monaten 6 Menschen durch Gift getötet und einige weitere bloß angegiftet zu haben. Zwar stand auch bei ihr fest, daß noch mehrere Personen ihren Giftkuren erlegen waren, allein die Anklage bekümmerte sich nicht weiter um diese, weil sie an jenen 6 Opfern genug zu haben glaubte. Auch wurde die Giftmörderin verurteilt; weil aber die Jury sich veranlasst gefühlt hatte, ihrem „Schuldig“ mildernde Umstände beizufügen - das bekannte aus der neueren Französischen Gesetzgebung stammende Mysterium, bei welchem Niemand nach dem ,,Warum“ fragen darf, und hinter welches sich daher alles Mögliche verbergen kann - so lautete die Strafe gleichwohl nur auf 20 Jahre Zuchthaus.

Lassen wir die vielen tadelnden Kritiken, welche dieses Urteil als ein zu mildes, Sicherheit und Leben der rechtschaffenen Bürger nicht genügend Schützendes, von der Bevölkerung und von der Presse in Genf selbst erfahren hat, auf sich beruhen, und schenken wir dafür der Persönlichkeit der Verurteilten noch einige Aufmerksamkeit.


Das Schicksal der 1836 geborenen Jeanneret hat insofern einige Ähnlichkeit mit dem der M. Zwanziger, als auch jene schon in früher Jugend Vater und Mutter verlor, und deshalb im Hause eines Onkels heranwuchs, der freilich wenig Dank davon geerntet hat. Auch der Jeanneret also fehlte die elterliche und insbesondere die fast nie zu ersetzende mütterliche Erziehung. Ob sie aber unter der mütterlichen Leitung eine andere, bessere geworden wäre, ist sehr die Frage. Denn schon frühzeitig entwickelte sich bei ihr ein auffallender Hang zur Unbeständigkeit, zum Eigensinn und verschlossenen Trotz, und was das schlimmste war, zum Lügen und Intrigieren, so daß der eigene Oheim erklärte, das Kind scheine ihm mit moralischen Gebrechen zur Weit gekommen zu sein. Auch nahmen jene Eigenschaften mit den Jahren nur zu, und machten aus ihr ein misstrauisches, hässiges und unheimliches Wesen. zu welchem sich Niemand hingezogen fühlen konnte, zumal auch ihr Äußeres des Einnehmenden wenig hatte: eine kleine magere Gestalt mit einem Kopf, dessen Stirn, Nase und eulenartige Augen mit einem lauernden Blick, in einem auffallenden Missverhältnis standen zu der unteren Partie des Gesichts und namentlich zu dem ganz zurücktretenden Kinn. Gleichwohl bot sich ihr eine Gelegenheit zum Heiraten dar, zerschlug sich indessen wieder, weil die Verwandten der nicht unvermögenden Jeanneret die Überzeugung hegten und geltend machten, der junge Bewerber habe dabei weit weniger die Person, als ihr Heiratsgut im Auge. Diese fehlgeschlagene Partie, in Verbindung mit ihrem ohnehin so ruhelosen, unstäten und nervös aufgeregten Wesen wurde die willkommene Veranlassung, daß sie Locle je eher je lieber verließ, und ihren eigenen Weg zu gehen versuchte, der sie freilich am Ende im 30sten Jahre in das Zuchthaus führte, und anderwärts wohl gar auf das Schaffot gebracht hätte.

Aber wie in aller Welt ist sie zur Giftmischerin geworden? - Allerdings auf eine ungewöhnliche, bei ihren Schicksalsgenossinnen nicht vorkommende Veranlassung hin. Schon seit ihrer Mündigkeit nämlich hatte die kleine nervöse und auch malitiöse Person über allerhand wirkliche, eingebildete und zum Theil geradezu erdichtete Übel zu klagen, und ruhte nicht eher, als bis sie sich in den Händen des Arztes, oder richtiger der Ärzte befand; denn sie hat eine ziemliche Menge Doktoren konsultiert, und liebte überhaupt ärztliche Belehrung, Untersuchung und Behandlung so leidenschaftlich, daß sie selbst an schmerzhaften Operationen, namentlich an der Anwendung des glühenden Eisens, und am Gebrauch giftiger Medikamente ein ganz seltsames Wohlgefallen zu haben schien. Ihre Wissbegierde, oder vielmehr eine eher hässlich zu nennende Neugierde nach allem Geheimnisvollen in der menschlichen Natur, ließ sie nicht allein medizinische Schriften lesen, sondern auch von den ihr vorgeschriebenen Rezepten und mehr oder weniger giftigen Medikamenten ein kleines Arsenal zur eigenen Disposition anlegen, nicht ohne die Wirkung der letzteren von Zeit zu Zeit - natürlich mit gehöriger Vorsicht an sich selbst zu erproben, und auf diese Weise wechselnde Zustände der Aufregung und der Abspannung hervorzurufen.

Wie lange sie nun bei diesen einseitigen Versuchen stehen blieb, und wann sie überhaupt zuerst auch andere Personen zum Gegenstand ihrer gefährlichen Experimente gemacht hat, das ist nicht mit Gewissheit zu lagen. Denn in ihren zwanziger Jahren fiel es ihr plötzlich ein, die Schweiz mit Baden zu vertauschen, um sich dort auf mehrere Jahre in einer Herrenhuter Kolonie gleichsam zu vergraben. Und leider haben die Genfer Gerichte auch gar nichts getan, um einigen Aufschluss über ihr dortiges Tun und Treiben zu erhalten. Vielleicht hatte sie schon dort eine Art Vorschule für ihr späteres Métier durchgemacht. Denn als sie nach Locle heimkehrte, erklärte sie, prahlend mit ihren medizinischen Kenntnissen, Krankenwärterin werden zu wollen, besuchte noch schnell eine dafür in Lausanne bestehende Vorbildungsanstalt, und verließ dieselbe bereits nach einigen Monaten wieder, mit einem guten Zeugnis zwar, aber auch mit dem Nachruf einer schwatzhaften, ruhmredigen Person, die noch dazu ein gewisses unheimliches, unbeschreibbares Etwas an sich habe.

Und worin lag nun wohl der Grund des unheimlichen Eindrucks, den Jedermann empfing, der mit ihr in nähere Berührung kam? - Teilweise schon im Ausdruck ihres Gesichtes, welches ja bei leidenschaftlichen Menschen stets mehr oder weniger der Spiegel des Innern ist: hauptsächlich aber in den Geheimnissen, die sie bei sich zu bewahren bemüht war und vor der Welt zu verbergen alle Ursache hatte, um ein anderes, besseres Wesen zu scheinen, als die herz- und lieblose Lügnerin, die boshafte ja grausame, mitleidlose Egoistin, die sie in Wirklichkeit war und als welche sie im Verlauf ihres Dienstes sich erwiesen hat - am Krankenbett eine dreiste und zudringliche, mitunter auch raue und grobe Person, welche schlau genug alle Ärzte für Dummköpfe erklärte und sonst noch schamlos betitelte, sich selbst aber als eine ausgelernte, erfahrungsreiche Schülerin des Aeskulap anpries, und dem gemäß ihren bedauernswerten Opfern die vom Arzt verordneten Mittel entweder verleidete, oder doch nicht ohne Beimischung eines von den in ihrer Hausapotheke stets vorrätigen Giften verabreichte. Lange genug hatte sie diese Mittel in ganz minimen Gaben an sich selbst probiert; jetzt endlich war die erwünschte Zeit gekommen, wo sie ihr liebes Atropin, Morphin, Chloroform u. s. w. auf die bequemste und sicherste Weise auch anderen Personen beibringen, und die Wirkungen stärkerer Gaben - denn es galt ja nur ein fremdes Leben - mit gierigen Augen beobachten konnte, vom Anbeginn des Paroxysmus bis zu seinem Ende d. h. bis zum Tode ihres jeweiligen Opfers. Und selbst dann hatte sie noch keine Ruhe; sie mußte dem Gestorbenen wenigstens noch in die Augen leuchten, um sich von dem erloschenen Glanz derselben, oder bei einer Atropin-Vergiftung von der außerordentlichen Erweiterung der Pupille zu überzeugen. - Übrigens tötete auch die Jeanneret keineswegs immer durch ihre Mittel, sondern ganz gleich wie ihre Vorgängerinnen, amüsierte sie sich zuweilen mit bloßen Angiftungen: sie teilte vergiftete Bonbons aus, oder tat ein Minimum in ein Glas Zuckerwasser, in eine Tasse Tee, worauf dann die Genießenden mit Übelkeit und Erbrechen davonkamen. Diejenigen aber, bei welchen sie es ernster meinte, entgingen selten ihrem Schicksal, und bei diesen war sie sogar so frech, deren unvermeidliches Lebensende schon einige Tage vorher zu weissagen, teils um sich als Prophetin als medizinische Hell-Seherin bei der Umgebung rühmen zu können, teils um auf den Eintritt des baldigen Todes als eines natürlichen Ereignisses vorzubereiten, sich selbst aber, die eigentlich wirkende Ursache, dahinter zu verbergen.

Endlich, nachdem sie wenigstens 6 Personen - in Genf sprach man sogar von 16 - unter die Erde gebracht hatte, sollte es nicht einem Arzte, auch nicht einem Angehörigen der Getöteten. sondern einem Maler, dessen Schwiegermutter mit Atropin angegiftet worden war, gelingen, den geheimen, aller ärztlichen Hilfe spottenden Künsten der Jeanneret auf die Spur zu kommen, und durch eine gerichtliche Anzeige ihren weiteren Giftkuren ein Ziel zu setzen.

Natürlich hatte man auch dei der Jeanneret die Zurechnungsfähigkeit in Frage gestellt, und namentlich hat die Verteidigung hierin, wie gewohnt, Großes geleistet; allein die vom Gericht zur Prüfung des Geistes- und Gemütszustandes der Angeklagten verordneten 3Ärzte haben alle drei erklärt, sie hätten keinen Grund zu der Annahme finden können, daß die Jeanneret nicht im vollen Besitz ihrer geistigen Fähigkeiten gewesen sei: ein vierter uns Allen wohlbekannter Arzt aber, der sie schon früher wiederholt behandelt und der reinen Erdichtung eines Übels, an welchem sie zu leiden vorgab, glänzend überführt hatte, nennt sie selbst ein hysterisch affiziertes, lügenhaftes, bösartiges und zum Krankenwärterdienst ganz ungeeignetes Wesen, bei welchem nur der Umstand einiges Bedenken errege, daß sie durch den öfteren Gebrauch des Atropin in einem nervös aufgeregten, rauschartigen Zustande sich befunden haben möge. Allein wir erlauben uns das Gegenbedenken zu erheben, daß dieser aufgeregte Zustand weder ein hochgradiger, noch ein dauernder, sondern ein nur vorübergehender gewesen sein dürfte, und mehr noch, daß überhaupt die Jeanneret, von der Zeit an, wo es ihr als Krankenwärterin vergönnt war, den Patienten ihr Atropin zu applizieren. gegen sich selbst gewiss um so zurückhaltender damit verfuhr, teils weil ihre Vergiftungssucht, am Krankenbett vollauf befriedigt wurde, teils weil sie alle Ursache hatte, sich selbst dabei die nötige Ruhe und Nüchternheit zu bewahren.

Auf Grund solcher Vorlagen nun kann der Richter an der Zurechnungsfähigkeit auch der Jeanneret nicht zweifeln; vielmehr wird er sie ohne Bedenken jenen herz- und gewissenlosen Übeltäterinnen beigesellen, welche, einmal verfallen dem Zauber ihres geheimnisvollen Mittels, sich um so weniger scheuen, Mord auf Mord zu häufen, als sie in ihrem Selbstsüchtigen für Religion und Moral, für jedes edlere Gefühl abgestorbenen Inneren durchaus keinen Abhaltungsgrund mehr zu finden im Stande sind.

Auch sind wir überzeugt, daß die Genfer Geschworenen, wenn ihnen die hier zusammengestellten Fälle bekannt gewesen, oder von dem Staatsanwalt zur Unterstützung seiner Anklage wären benutzt worden, sich kaum zu der Annahme von mildernden Umständen verstanden, und auf diese Weise eine so unangemessene Verurteilung zu bloß 20 Jahren Zuchthaus würden veranlasst haben. Denn damit war weder der vergeltenden Gerechtigkeit, noch dem in Kraft bestehenden Genfer Gesetz, welches den Mörder am Leben gestraft wissen will, noch auch der allgemeinen Sicherheit ein Genüge geschehen. War man aber schon damals (1868) in Genf - wie die prophetischen Eingangsworte der Verteidigung vermuten lassen - so sehr gegen jede Todesstrafe eingenommen, daß man damit selbst einer achtfachen Giftmörderin Unrecht zu thun wähnte; so konnte man die letzte Entscheidung um so unbedenklicher dem Begnadiger anheimgeben, welcher dann die Todesstrafe doch wenigstens auf lebenslange Einsperrung herabgesetzt und so der fatalen Möglichkeit vorgebeugt haben würde, daß die in ihrem zweiundfünfzigsten Lebensjahre aus der Anstalt zu entlassende Jeanneret nicht wieder in die frühere Leidenschaft zurückfällt und aufs Neue arglose Menschen mit ihren Giftkuren beschleicht.

So weit der am 24. Februar gehaltene Vortrag, bei welchem Mehreres teils aus zeitlichen, teils aus persönlichen Rücksichten übergangen und beziehungsweise verschwiegen wurde, was gleichwohl zur Sache gehört und deshalb hier nachgetragen werden soll.

Übergangen nämlich haben wir das größte und zugleich gemeinste Giftmordungeheuer nicht bloß des neunzehnten Jahrhunderts, sondern vielleicht von allen, welche je existirt haben, die französische Köchin Hélène Jegado aus der Bretagne, enthauptet zu Nennes im Jahre 1852; denn sie lässt, sowohl was die Jahre ihrer verbrecherischen Tätigkeit, als die Anzahl ihrer Opfer betrifft, selbst die Wittwe Gottfried weit hinter sich. Man rechnet ihr nämlich nicht weniger als vierzig und einige Vergiftungen nach, wovon jedoch viele nicht mehr genauer untersucht wurden, weil sie, vom Tage der Verhaftung der Verbrecherin (l. Juni 1851) an gerechnet, bereits vor zehn und mehr Jahren verübt waren und somit nach Französischem Recht durch den Ablauf der Verjährungsfrist als getilgt galten.

Wir haben die Jegado die gemeinste Verbrecherin dieser Art deshalb genannt, weil sie nicht bloß in Ansehung ihrer Bildung weit unter den bisher erwähnten stand - sie konnte nicht einmal lesen -, sondern weil ihr neben dem Vergiften auch das Stehlen, das Wein- und Schnapstrinken und das Tabakschnupfen zum Lebensbedürfnis geworden war, indem namentlich die letztgenannten Reizmittel dazu gedient haben mögen ihrem durch geschlechtliche Liederlichkeit angegriffenen Körper von Zeit zu Zeit frische Lebensgeister zuzuführen. Über ihre Herkunft schweigt die Untersuchung auffallender Weise gänzlich, von ihren Eltern ist nirgends die Rede, und auch auf ihr eigenes Alter lässt sie selbst nur insoweit schließen, als sie im Jahre 1833 noch nicht vierzig Jahre alt gewesen sein, und eben wegen dieses kanonischen Mangels, auf Anordnung des Bischofs 1), den Dienst bei dem Vikar Lorho in Bubry verlassen haben will, während doch der zwingende Grund ihrer Entfernung vielmehr darin lag, daß kurz vorher in der geistlichen Wohnung drei Personen, und darunter ihre eigene Tante an Gift gestorben waren, und auf ihr der dringendste Verdacht der Urheberschaft lastete. Im Übrigen erfährt man auch über ihre Jugendzeit nur soviel, daß sie von ihrem siebenten bis zum fünfundzwanzigsten Lebensjahr mit ihren beiden Tanten (von welchen die eine vielleicht ihre Mutter war) bei dem Pfarrer Riallant in Bubry 2), und sodann weitere elf Jahre bei beim Pfarrer in Seglien gedient, diesen Dienst aber 1833 mit demjenigen bei dem Priester Ledrogo in Guern vertauscht habe. Aus diesen Zahlenangaben erhellt, daß sie 1833 allerdings erst 36 Jahre alt war, und daß ferner ihre Geburt in das Jahr 1797 zu setzen ist.

Selten erfährt man von den gewohnheitsmäßigen Giftmischerinnen, wann sie zum ersten Mal von ihrem Mittel Gebrauch gemacht haben. So auch bei der Jegado. Der Pfarrer von Seglien, ein schwacher schüchterner Mann, mit welchem seine herrschsüchtige Köchin in beständigem Streit lebte, hatte zur Vertilgung der vielen Ratten im Hause eine ganze Quantität Arsenik kommen lassen müssen, 3) aber auch fortwährend gewarnt, ja vorsichtig damit umzugehen. Hier war es also gefährlich, gegen Menschen davon Gebrauch zu machen. und doch kam schon zu jener Zeit die Angiftung eines Schäfermädchens vor: vielleicht die erste Probe, die aber gleich Verdacht erregt, und die Jegado veranlasst haben mag, den bisherigen zu sehr überwachten Dienst aufzugeben und nach Guern zu dem Priester Ledrogo zu ziehen, wo denn auch sehr bald, innerhalb dreier Monate (vom 28. Juni bis 3. Oktober 1833) sieben Personen nacheinander unter den gleichen Vergiftungserscheinungen den Geist aufgaben. Darunter befanden sich eine Schwester der Jegado und auch der geistliche Herr selbst, das letzte unter den sieben Opfern, dessen wie es scheint allein geöffneter Leichnam einen sehr entzündeten Magen aufwies. Allein bei der unbegreiflichen Unentschiedenheit des Arztes kam es zu einer weiteren chemischen Prüfung nicht, und so begnügte man sich mit bloßen Vermutungen zumal die allein am Leben gebliebene Köchin nichts als christlich fromme Redensarten im Munde führte und die Leidenden mit so großer Teilnahme gepflegt hatte - was freilich alle habituelle Giftmörderinnen zu tun pflegen, teils um den Verdacht der Täterschaft von sich abzulenken, teils um die verräterischen Entleerungen aller Art rechtzeitig beseitigen zu können 4) Immerhin war das ganze Pfarrhaus ausgestorben, und der Dienst einer Köchin somit überflüssig geworden; allein durch die Mitvergiftung ihrer Schwester hatte sie zugleich für ihr weiteres Unterkommen gesorgt, denn sie ging nun, an der Vergifteten Stelle, als Köchin zu dem Vikar Lorho in Bubry, und erst nachdem sie auch hier drei Menschenleben durch Arsenik unter die Erde gebracht und als der Tat höchst verdächtig fortgeschickt worden war, mied sie für die Zukunft die Pfarrhäuser gänzlich und diente bloß noch bei weltlichen Herrschaften.

Man sollte es allerdings für kaum glaublich halten, daß in dem einen Hause drei, in einem anderen sogar sieben bisher ganz gesunde Menschen so rasch nacheinander, nach so kurzem Unwohlsein und unter den ganz gleichen so verdachtvollen Krankheitserscheinungen sterben konnten, ohne daß das Gericht von irgend einer Seite her zum Einschreiten veranlasst wurde. Allein solche Beispiele von Mut, Energie und Charakterfestigkeit, wie der Pariser Professor Tardien bei Vergiftungsfällen wiederholt an den Tag gelegt, und wir selbst vor zehn Jahren in Bern an einem Kollegen zu bewundern Gelegenheit hatten, gehören immerhin zu den seltenen Erscheinungen. In der Regel sind nicht blos die Angehörigen der Vergifteten, ja die letzteren selbst 5), wie mit Blindheit geschlagen, sondern auch die Ärzte denken in solchen Fällen nur zu häufig an alles Andere eher, als an Vergiftung, und selbst wenn sie Verdacht schöpfen, wagen sie gar nicht immer, ihn laut werden zu lassen wegen der für Viele unangenehmen und für den noch unbekannten Täter verhängnisvollen Folgen, welche sich daran knüpfen, ohne auf der anderen Seite zu bedenken, wie schwer sie sich durch ein so verzagtes Schweigen an der Gerechtigkeit und an Leben und Gesundheit anderer Menschen versündigen können. Denn hätte z. B. der unglückliche Priester Ledrogo, nachdem bereits sechs Personen seines Hauses in so kurzer Zeit und unter so verdachwollen Erscheinungen den Tod gefunden, den Mut gehabt, auf eine Untersuchung anzutragen; so würde er nicht bloß sein eigenes, sondern auch das Leben der vielen späteren Opfer der Jegado vor dem qualvollen Vergiftungstode bewahrt haben. Der gleiche Vorwurf trifft dann weiterhin nicht bloß den sezierenden Arzt, welcher die im Magen jenes Priesters wahrgenommenen Vergiftungsspuren einfach auf sich beruhen ließ, sondern auch den Vikar Lorho, weil er seine durch die schon erwähnten drei Todesfälle ihm so verdächtig gewordene Köchin kurzweg aus dem Dienst jagte, anstatt eine Anzeige zu machen.

Zehn gelungene Giftmorde hatte die Jegado sonach hinter sich und trat nun die kurze Lehrzeit bei der Weißnäherin (l834) u. im Kloster zu Auray (1835) abgerechnet - an gar manchen Orten und bei sehr verschiedenen Herrschaften in Dienst, ohne irgendwo eine bleibende Stätte zu finden. Denn überall wo sie hinkam, erweckte sie teils Missfallen durch ihr rohes, herrisches und boshaftes Betragen zumal gegen Kinder und Nebendienstboten, teils und mehr noch Misstrauen und Verdacht wegen der plötzlichen Erkrankungen und schmerzhaften Todesfälle, welche sich alsbald im Bereich ihrer Wirksamkeit ereigneten, und gegen deren Wiederholung man sich besser nicht schützen zu können glaubte, als durch schleunige Verabschiedung der unheimlichen Person. Also auch hier, wie früher in den geistlichen Häusern, die gleiche Blindheit, Mutlosigkeit und unverantwortliche Nachsicht gegenüber dem gefürchteten Ungeheuer, welches natürlich in Folge dreier Schonung nur immer dreister in der Ausübung ihres Lieblingsgeschäftes wurde, so daß innerhalb 8 Jahren (vom Juni 1833 bis Mai 1841) die Zahl der von ihr durch Arsenik Getöteten auf 23 angewachsen war, während eine Menge ungezählter Angiftungen und Diebereien zwischen hineinfallen.

Wo sie bloß stahl, wusste sie die Beteiligten durch grobe unverschämte Reden einzuschüchtern, wo sie aber vergiftete, da trug sie eine Viele bestechende Frömmigkeit zur Schau, heuchelte innige Liebe und Teilnahme für ihre armen Patienten, und beklagte sich über ihr eigenes Missgeschick, indem schon in so vielen Familien, wo sie gedient habe, schwere Erkrankungen und Todesfälle vorgekommen seien. (!)

Niemals gab sie Gift bloß um krank zu machen, sondern stets in der Absicht, den einmal Angegifteten durch wiederholte Gaben zu töten; ihre bloßen Angiftungen waren also nur misslungene Giftmorde, indem die Bedrohten sich noch rechtzeitig ihrer weiteren Ginwirkung zu entziehen gewusst hatten. Und wenn sie in diesem Punkte nur in der Ursinus eine Vorgängerin hatte, die gewiss auch ihren Diener töten und nicht bloß krank machen wollte, so bediente sie sich andererseits zweier Mittel, den Verdacht der Täterschaft von sich abzuwenden, welche auch der Jeanneret bei ihren Kuren ganz geläufig waren. Einmal nämlich pflegte Sie den Tod der von ihr nur erst angegifteten Personen als höchstwahrscheinlich oder als gewiss vorherzusagen, 6) denn sie habe schon viele Menschen und namentlich ihre eigene arme Mutter, 7) an der gleichen Krankheit leiden und sterben sehen. Sodann aber pflegte sie, wenn sie die heilsame Wirkung eines vom Arzt verordneten Mittels durch eine Dosis von ihrem Arkanum wieder vernichtet hatte, auf die Doktoren zu schimpfen, „die verdammten Schafsköpfe“, die nichts von der Krankheit verständen, und eher alles Andere, nur nicht die Wahrheit zu treffen wüssten. - Gleichwohl war sie überall in den Geruch einer unheimlichen, unheilbringenden Person gekommen - das abergläubische Volk wollte sogar wissen, sie habe eine weiße Leber und einen vergiftenden Hauch - und dieser schlimme Ruf in Verbindung mit ihren sich immer wiederholenden Diebereien und Angiftungen trieb sie nicht bloß von Haus zu Haus, sondern auch von Ort zu Ort. Zuletzt (1848) versuchte sie ihr Heil in der ehemaligen Hauptstadt Nennes, und fand auch, nachdem sie innerhalb zweier Jahre bereits zum siebenten Male wegen grober Sitten, Diebstahl und Giftmischerei die Herrschaft hatte wechseln müssen, dennoch auf Grund günstiger Zeugnissen 8) eine Anstellung als Köchin bei dem Professor der juristischen Fakultät, Herrn Bidard. Diesem arglosen nüchternen Manne, welchem die durstige Jegado unter der Hand den ganzen Flaschenwein im Keller weggetrunken hatte, war es vorbehalten, die langjährige Missetäterin zu entlarven - freilich erst nach der dritten Vergiftung auch seines dritten Kammermädchens, und nachdem er selbst nur durch einen glücklichen Zufall dem gleichen Schicksal entgangen war. 9)
Das Hauptbestreben der Jegado ging nämlich überall dahin, nicht bloß in der Küche, sondern im ganzen Haushalt das Regiment zu führen u. zu befehlen, denn nur dann konnte sie ihren Lastern und namentlich ihrer Trink- und Stehlsucht ungehinderter fröhnen.

Nebendienstboten, welche sich ihr nicht unbedingt unterordneten, wurden entweder vertrieben, oder wenn dies nicht gelang, für immer unschädlich gemacht. So hatte sie im Sommer 1850 in einem Gasthofe gedient neben Perotte Macé, einer Art Haushälterin, welche ihr auf die Finger sah und sich erlaubte, ihre Unreinlichkeit zu tadeln. Dies genügte für die Getadelte, um sich eine so unbequeme Aufpasserin durch wiederholte Arsenikgaben vom Halse zu schaffen, ohne daß die beiden Ärzte aus der eigentümlichen Krankheit mit ihren wiederholten Rückfällen klug geworden wären. 10) Einen Monat später (den 5. Oktober) wurde sie aber dennoch wegen Zanksucht und unerlaubten Weintrinkens aus dem Gasthof fortgejagt, und trat nun am 19. Oktober ihren allerletzten Dienst an bei dem Professor Bidard. Allein auch hier traf sie mit Nofa Teisier, einem treuen, ihrer Herrschaft ganz ergebenen Kammermädchen zusammen, weichem die Aufsicht über Küche und Keller übertragen war, und deren Anordnungen die neue Köchin unbedingt folgen sollte, aber begreiflich durchaus nicht wollte, und es deshalb vorzog schon am 3. November dem armen Mädchen eine Suppe zu kochen, deren Genuss, mit einiger späteren Nachhilfe, schon am vierten Tage ihrem Leben ein Ende machte, ohne daß man eine Ahnung von der wahren Todesursache hatte. 11) - Einige Wochen führte jetzt die Jegado das alleinige Regiment im Hause und versicherte ihrem Herrn, es gehe ganz vortrefflich, sie könne Alles allein besorgen und bedürfe weiterer Hilfe gar nicht. Allein Herr Bidard war in seinem und seiner Tochter Interesse anderer Meinung, und so trat am 1. Dezember 1850 Tranç Iluriaux in Dienst, eine unansehnliche schüchterne Person, welcher die Köchin allmälig das Leben immer sauerer zu machen wusste. Weil aber ihre Geduld unerschöpflich schien und sie nicht weichen wollte, so wurde sie wiederholt aber nur gelinde angegiftet, 12) und bat dann Krankheitshalber selbst um Entlassung aus dem ungesunden Dienst. Auf diese Weise rettete sie ihr Leben und konnte späterhin als Zeugin abgehört werden. Ersetzt aber wurde diese Lücke sofort (d. 17 Mai 1851) durch Rosalie Sarrazin, ein junges, ebenso selbständiges wie pflichttreues Mädchen, welches gleich in den ersten vierzehn Tagen den Hass der bisher unbeaufsichtigten Köchin auf sich lud, weil sie derselben, befohlenermaßen, Rechnung abforderte über das seit Monaten verbrauchte Wirtschaftsgeld. Dabei gab es Streit und so leidenschaftliche Ausfälle der Jegado, daß ihr bedeutet wurde, wenn sie sich mit der Kammerjungfer nicht vertragen könne, so möge sie sich nach einem anderen Dienst umsehen. Diese Drohung erbitterte das boshafte Geschöpf nur noch mehr; die Streitigkeiten erneuerten sich, und deshalb erfolgte am 10. Juni die vorläufige Dienstaufkündigung, aber zugleich auch als Rückschlag die erste Angiftung der gehassten Kammerzofe, welche am 15., 22., 27. und 29. Juni wiederholt wurde, und am 1. Juli den martervollen Tod dieses Mädchens von seltener Treue und Frömmigkeit herbei führte.13)

In dem Verdacht einer Vergiftung durch die Köchin kamen freilich zuletzt der Dienstherr und die Ärzte einander entgegen, aber leider erst zu einer Zeit, wo an Rettung der Leidenden nicht mehr zu denken war und bloß noch die langjährige Missetäterin endlich festgenommen und der Justiz überliefert werden konnte, um sie für immer unschädlich zu machen.

Die Anklage beschränkte sich, ähnlich wie im Prozess Jeanneret, auf eine Auswahl unter der Masse von Verbrechen, nämlich auf eine Anzahl von Diebstählen aus den Jahren 1843 bis 1850, und auf sieben Vergiftungen aus den letzten anderthalb Jahren (1850/5l), worunter drei mit tödlichem Ausgang. Die vielen gleichartigen Verbrechen aus der früheren Zeit wurden nur zur Information der Geschworenen mit aufgenommen, damit sie erführen, mit welchem Ungeheuer sie es zu tun hatten und was ihm zuzutrauen sei. Denn gestanden hat die Jegado blos einige von den Diebstählen, wo man die entwendeten Sachen in ihrem Besitz gefunden hatte; dagegen hat sie den dringendsten Schuldanzeigen gegenüber mit frecher Stirn fort und fort geleugnet, je einem Menschen Gift (Arsenik) gegeben zu haben. ,,Man hat gut reden von Arsenik“ - fuhr sie am Schluss der Aussage des Professor Bidard auf - mich wird man nicht erröten machen.. Es soll mir einmal Jemand beweisen, daß ich Arsenik gebraucht habe!“

Freilich einen Zuschauer hatte sie bei ihren zahllosen Vergiftungen niemals gehabt, und ebenso wenig einen Mitwisser; auch hatte man wohl Jod und Schwefelsäure, aber keinen Arsenik unter ihren Sachen gefunden, weil man ihr Zeit gelassen, ihn noch schnell zu beseitigen. Allein überall, wo sie längere Zeit gewesen, hatte sie den Ruf einer Giftmischerin zurückgelassen: von überall her strömten daher jetzt Nachrichten herbei von früheren gleichverdächtigen Erkrankungen und Todesfällen, wie die neuesten in Rennes vorgefallenen. und ihre drei letzten Opfer, Perotte Macé, Rosa Tessier und Rosalie Sarrazin, neben welchen sie als Köchin gedient und welche zu hassen sie, die Diebin und Säuferin, hinreichenden Grund hatte - sie alle drei waren in Folge des Genusses von Speisen aus der Küche und den Händen der Jegado plötzlich und unter den bekannten Erscheinungen einer Arsenikvergiftung erkrankt. Niemand als die Köchin hatte sie von da an bis zum Tode gepflegt und überwacht: aus allen drei Leichen endlich war es der Wissenschaft gelungen, den darin enthaltenen Arsenik zu isolieren und dem Gericht vorzuweisen.

Allein auf die Vorhaltung all dieser erdrückenden Schuldbeweise hatte die Angeklagte keine andere Antwort, als: ,,Frei und offen gestanden (ben franchement), ich habe mir nichts vorzuwerfen. Alles was ich den Leidenden gab, kam aus der Apotheke und hatten die Ärzte verordnet.“

Einer so schamlosen Lügnerin gegenüber, welche bei dem Betreten und Verlassen des Gerichtssaales wiederholt gegen die Wutausbrüche des Volkes durch die bewaffnete Macht geschützt werden mußte, hatte die Verteidigung eine schwierige Aufgabe, und nahm desshalb ihre Zuflucht zu zwei Ärzten als Defensionalzeugen, von welchen der eine noch schnell aus Nantes herbei telegraphiert worden war. Allein obschon beide in ihrer Verlegenheit eine Exkursion in das Gebiet der Gall’schen Schädellehre wagten, so wollte doch keiner von beiden von einer Monomanie, einer krankhaften Vergiftungssucht etwas wissen, zumal bei einem so schlauen und rachsüchtigen Geschöpf, wie die Angeklagte, welche zwanzig Jahre lang die raffinierteste Bosheit und Grausamkeit hinter dem erheuchelten Schleier von Liebe, Mitleid und Frömmigkeit zu verbergen gewusst hatte. Personen ihres Schlages gehen stets direkt auf ihr Ziel los - so ungefähr schloss Dr. Guépin aus Nantes seinen Vortrag -; Hindernisse kennen sie nicht, denn Religion und Moral existieren für sie bloß dem Namen nach; folgeweise sind Sie für Gewissensbisse und Reue ganz unempfänglich; mit derselben Gleichgültigkeit, mit welcher sie einen Wurm zertreten, vernichten sie auch ein menschliches Dasein, und nur das Eine mögen sie aufrichtig bereuen, sich nicht auch derjenigen Personen zeitig genug entledigt zu haben, durch welche sie am Ende entlarvt und vor Gericht gestellt wurden.

In dem Prozess Jeanneret hatten die Geschworenen mildernde Umstände angenommen, doch wohl in Folge der vom Verteidiger sehr drastisch geschilderten Abneigung gegen die Todesstrafe sowie seiner weiteren Behauptung, es fehle bei der Angeklagten an der verbrecherischen Absicht, weil - an einem Motiv zum Vergiften. Die Geschworenen in Rennes ließen sich nicht irre machen: sie sprachen das einfache Schuldig aus, obschon ein Sachverständiger erklärt hatte, die Jegado möge wohl nicht grundlos vergiftet haben, allein ihre Motive Ständen gleichwohl in gar keinem Verhältnis zu der Schwere ihrer Verbrechen. Als ob sich die Schwere und Tragweite eines Motivs objektiv abschätzen, gleichsam nach einem für jedermann passenden Normalgewicht bestimmen ließe, und nicht vielmehr Alles von der Individualität der Person und des Falles abhinge! Doch wie es sich hiermit verhält, darüber haben wir uns schon früher bei Beurteilung der Wittwe Gottfried ausgesprochen, und jedenfalls ist es ein voreiliger Schluss, daß, weil ein Verteidiger oder Sachverständiger kein oder doch kein ihm genügendes Motiv gefunden zu haben glaubt, deshalb auch auf Seite des Verbrechers keines vorhanden gewesen, sein könne, mithin eine Geistes- oder Gemütskrankheit angenommen werden müsse. 14) In der Tat, sie sind gar zu mannigfaltig diese Beweggründe: ja sie sind nicht festen unergründlich und unberechenbar zu nennen, wenigstens bei Personen weiblichen Geschlechts, sobald sie in verbrecherischer Absicht zum Gift greifen, indem sie dann nach der ersten glücklich ausgeführten Tat nur zu leicht der zauberartigen Wirkung dieses Mittels auf ihr Inneres erliegen und zu immer wiederholter Anwendung desselben verlockt werden, ohne daß ein tödlicher Hass, eine feindselige Gesinnung oder auch nur ein besonderer Widerwille gegen das jeweilige Opfer ihrer wollustartigen Vergiftungssucht sich nachweisen ließe.

Und hiermit sind wir am Ende unseres Themas und zugleich bei demjenigen Punkte angelangt, dem eigentlich eine Stelle schon im Vorwort gebührt hätte, welche aber der Redner dort verschweigen und schicklicher am Schluss dem Schriftsteller über lassen zu dürfen glaubte - bei der Frage nämlich, warum zur Bewahrheitung des dem Gifte innewohnenden Zaubers einzig Personen weiblichen Geschlechts vorgeführt worden sind. Die Antwort lautet sehr einfach dahin, weil eben nur Giftmörderinnen für jenen Zauber empfänglich sind.

Männer, wenn sie Gift in verbrecherischer Absicht anwenden, handeln stets aus greifbaren Motiven und verfolgen reelle Zwecke. Der Kapitain Ste Croix z. B. gleichwie die Doktoren Palmer und La Ponunerais, sie brauchten Geld in Masse zu ihrem verschwenderischen Leben, und deshalb vergifteten sie eben solche Personen, deren Tod ihnen dazu verhelfen konnte. Vergebens aber würde man sich in den Annalen der Kriminalrechtspflege nach einem Giftmörder umsehen, welcher mit seinem Mittel so frivol und verschwenderisch gewirtschaftet, dasselbe so plan- und ziellos an beliebige Personen jeden Alters und Geschlechts ausgeteilt hätte, wie jene Frauen, welche ihre größte Lust und Befriedigung nicht sowohl aus dem Tode, sondern aus dem Giftgeben, Krankmachen und aus dem Anblick der Leiden ihrer Opfer schöpften.