IV. Die Witwe Marg. Gottfried in Bremen

Die Witwe Marg. Gottfried in Bremen durch ihre Taten und Geständnisse den vollen Beweis geliefert hätte, daß es, zum Hohn aller Religion und Sittlichkeit, Menschen gibt, welchen es zur Gewohnheit, ja zum Lebensbedürfnis werden kann, mit der freundlichsten Miene Jahre lang Tod und Verderben um sich her zu verbreiten, ohne die geringste Anwandlung von Mitleid oder Reue, und ohne daß sie irgend einen oder doch einen solchen äußeren Zweck dabei verfolgten, welcher in einigem Verhältnis stände zu der Schwere ihrer Missetaten, so daß in vielen Fällen als erklärendes Motiv nichts übrig bleibt, als die leidenschaftliche Liebe zu ihrem so unscheinbaren und doch so vernichtend wirkenden Geheimmittel, in Verbindung mit der teuflischen Lust zur Anwendung desselben. - Die Wittwe Gottfried, die Tochter rechtschaffener Eltern, des Schneidermeisters Timm in Bremen und seiner vielleicht zu nachsichtigen Ehefrau, wurde geboren 1788 und hingerichtet in ihrer Vaterstadt 1831. In der Verbrecherstatistik steht sie als Riesin da, neben welcher die drei vorher besprochenen sich wie Pygmäen ausnehmen. Die Brinvillier, die Ursinus und die Zwanziger haben Jede 3 oder 4 Menschenleben auf ihrem Gewissen, welche sie in 1, 2 Jahren hinopferten. Die Gottfried durfte 15 Jahre lang (v. 1813-28) ihrer Vergiftungslust fröhnen, und binnen dieser Frist wenigstens 15 Menschen dem schmerzvollsten Tode überliefern, während eine noch größere Zahl von Personen von ihr bloß angegiftet wurde. Unter den Getöteten aber befanden sich. ihre bejahrten Eltern, ihr Zwillings-Bruder, wenigstens 3 von ihren 6 Kindern (wenn nicht alle, denn keines hat das 12te Jahr erreicht): ferner ihre beiden Ehegatten, ihr zweiter und ihr vierter Verlobter, eine treue edle Seele, bei dessen Beerdigung ihr die unüberlegte Äußerung entfuhr: ,,Das ist nun schon die 21ste oder 22ste Leiche, die ich beerdigen lasse; es kommt mir gerade vor, wie eine Hochzeit“! - Diese, während der Grabrede, mit der kältesten Gleichgültigkeit, zu einer neben ihr stehenden Frau gesprochenen Worte genügen allein schon, um einen Blick in den bodenlosen Abgrund ihres herzlosen Inneren zu tun. Liebe war ihr gleichbedeutend mit Sinnlichkeit. Die reine, uneigennützige Liebe hat sie nie gekannt - sie hat überhaupt keinen Menschen auf Erden wahrhaft geliebt, einen einzigen ausgenommen: ihr eigenes Selbst. Diesem egoistischen Götzen aber, dem Eitelkeit und Gefallsucht zur Folie dienten, und die erheuchelte Empfindsamkeit einer schönen Seele verschleiern musste - diesem Götzen hat sie Hekatomben dargebracht, und ist darüber zu jenem menschlichen Scheusal geworden, dessen abgeschlagenes Haupt in einem Alkoholglas, und dessen kopfloses Skelett in einem besonderen Glasschrank, noch heute im Museum zu Bremen aufbewahrt werden. zum ewigen Gedächtnis an dieses gottvergessene Weib ohne Gleichen.

Für unseren Zweck heben wir zwei psychologisch interessante Eigenheiten dieser Verbrecherin hervor. Einmal daß sie das Wort Gift oder vergiften auszusprechen möglichst vermied, und sodann, daß sie in sichtbare Verlegenheit geriet, wenn sie über die Beweggründe zu ihren vielen Untaten Rechenschaft geben sollte.


Sie hat nämlich ihre Opfer nicht vergiftet, sondern sie hat ihnen bloß etwas gegeben, was die Betreffenden freilich entweder aus der Welt schaffen oder doch krank machen mußte; worin aber dieses Etwas bestand, dessen Wirkung sie so gut kannte und zu berechnen gelernt hatte, welches ihr so lieb und unentbehrlich geworden war, daß sie eine Büchse davon sogar in ihrem Bettüberzug versteckt mit ins Gefängnis zu praktizieren gewusst hatte - das Wort Gift -. sie bringt es kaum über die Lippen: es klingt gar zu fürchterlich und ist zu nahe verwandt mit Mord. - Sodann aber will sie das Gift nicht, oder wenigstens nicht jedes mal, aus eigenem freien Willen gegeben haben, sondern sie hat einen inneren Drang dazu verspürt, ein Trieb hat sie dazu bewogen, wenn nicht gar genötigt, und in der Tat hat der Verteidiger, gestützt hierauf, einen Entschuldigungsbeweis versucht, wobei er der angebliche Entdeckung Esquirol’s, eines französischen Seelenarztes, zu Hülfe nimmt von der Möglichkeit einer Einseitigen Störung blos der Willenskraft bei übrigens ungetrübter Intelligenz (die sogenannte manie sans délire, mania sine delirio). „Der gewöhnliche Verbrecher“, raisonniert ungefähr Esquirol, ,,handelt zwar niemals vernünftig d.h. der Idee der Sittlichkeit gemäß, aber er handelt doch wenigstens verständig bei seinem strafbaren Vorhaben. d. h. er hat es auf irgend einen reellen Zweck, auf Erreichung eines sinnlichen Gutes abgesehen, und richtet seine ganze Handlungsweise danach ein. Sehen wir nun einen Menschen ohne einen solchen erkennbaren Zweck handeln, so muss der Grund notwendig in einer Seelen-Störung liegen, und insofern dieses Menschen ganze übrige Handlungsweise keine Spur von Verstandesschwäche oder Verrücktheit darbietet, so wird man genötigt, eine isolierte Hemmung seiner Willenskraft anzunehmen, ein willenloses Sichhingeben an einen blinden Trieb, welcher den Menschen, seiner besseren Einsicht entgegen, tyrannisch beherrscht.“

Allein abgesehen davon, daß es um eine gerechte Würdigung gerade der Schwersten Verbrechen sehr schlimm stehen würde, wenn man von dem Missverhältnis zwischen Mittel und Zweck auf ihr Nichtdasein schließen dürfte; so gibt man der ganzen Untersuchung eine falsche Richtung, Sobald man die möglichen Motive zu strafbaren Handlungen durchaus nur in einer von den gewöhnlichen scharf ausgeprägten und Jedermann einleuchtenden Leidenschaften wie Rachsucht, Geldgier, Eifersucht und dergl. finden zu können glaubt, und dabei nicht genug beachtet, daß es auch entferntere, tiefer liegende, aber (zumal bei dem weiblichen Geschlecht) nicht minder ergiebige Quellen von Verbrechen gibt - wie ein hoher Grad von Eitelkeit und Gefallsucht, von Stolz und Eigenliebe, von Neid und Missgunst und dergl., welche im Menschen alle edleren Gefühle zu töten vermögen, und dann ebenfalls kein Opfer scheuen, wenn es ihre Befriedigung gilt: ohne daß man deshalb zu der höchstbedenklichen Annahme eines sogenannten unwiderstehlichen Triebes greifen dürfte. Denn das heißt im Grunde doch nur, den Menschen zum Tier herabwürdigen. Einen Trieb zur bösen Tat hat freilich jeder Verbrecher gehabt, denn sonst würde er nicht zum Verbrecher geworden sein allein ist er deshalb dazu getrieben worden, oder hat er sich nicht vielmehr mit seinem Wissen und Willen dazu treiben lassen? - Das Tier nur wird getrieben durch seinen Instinkt; der Mensch aber besitzt in der Vernunft das Vermögen, seine Triebe zu beherrschen. Macht er davon keinen Gebrauch, überhört oder unterdrückt er die warnende Stimme des Gewissens, der Religion und Sittlichkeit - nun so wird er nicht getrieben, sondern er treibt sich selbst zu der bösen Tat, die er vorher bedacht und durch den Willen zu der seinigen gemacht hatte.

Am wenigsten aber kann von einem unwiderstehlichen Triebe bei der Gottfried die Rede sein, denn sie gesteht selbst, bloß ihre allererste Vergiftung, nämlich die ihres ersten allerdings liederlichen Mannes, habe ihr Mühe gemacht, sie habe sich mehrere Tage mit dem Gedanken gequält, ob sie es tun solle oder nicht, bis der Entschluss zur Tat die Oberhand behalten habe. Nur sei sie besorgt gewesen, welchen Ausgang die Sache nehmen werde, und habe befürchtet, er könne zu schnell sterben, und dadurch ein Verdacht auf sie selbst fallen. Also Furcht, nicht bar der Schuld und der nachfolgenden Reue, sondern vor der möglichen Entdeckung ließ sie einige Tage schwanken. Als dann aber dieser erste Mord so glücklich ablief, gemahnte sie sich, auch alle folgenden, die ihr immer weniger und am Ende gar keine Überwindung mehr kosteten, bloß aus dem Gesichtspunkt der eigenen Sicherheit aufzufassen und auszuführen. „Ich hatte gewissermaßen Wohlgefallen am Giftgeben; ich schlief ruhig, und alle diese unrechten Handlungen drückten mich nicht. Man schaudert doch sonst vor dem Bösen; allein dies war bei mir nicht der Fall. Ich konnte mit Lust Böses tun“!

Erst nachdem sie alle ihre Angehörigen, 8 oder 9 an der Zahl, unter die Erde gebracht hatte, vergriff sie sich auch an Leben und Gesundheit von Freunden und Bekannten, und nun erst empfand sie auch zeitweilig einen Trieb oder Drang, sagen wir richtiger einen frivolen Reiz oder Kitzel, Arsenik auch in geringeren bloß krank machenden Gaben an beliebige Personen auszuteilen, verfuhr aber gerade dabei mit einer so beispiellosen Frechheit, daß sie endlich ertappt und, zufällig an ihrem 40sten Geburtstage (6. März l828) gefänglich eingezogen wurde.

Bis hierher hatte ihre Lüge, Heuchelei und Scheinheiligkeit über allen Verdacht hinweggeholfen; daß sie aber auch mit ihrer äußeren Erscheinung alle Weit belogen hatte, sollte erst jetzt an den Tag kommen. Als ihr nämlich in der Gefangenschaft die Züchtlingskleidung angelegt wurde, ergab sich, daß sie nicht bloß gewohnt war, sich zu schminken, sondern sie mußte auch aus 13 Corsetts herausgewickelt werben, welche sie übereinander zu tragen pflegte, um ihre Magerkeit zu verhüllen.