I. Marquise v. Brinvillier.

Mar. Margar. v. Aubray war seit 1651 verheiratet an den Marquis v. Brinvillier, Obristen des Regiments Normandie, einen verschwenderischen Lebemann und Wüstling, der mehr Interesse für die reiche Mitgift, als für die liebenswürdige Persönlichkeit seiner jungen Frau empfand. Sehr bald eignete er sich auch die sogen. Ehemannsphilosophie an, ohne welche an dem Sittenlosen Hofe Ludwigs XIV. Niemand auf guten Ton Anspruch machen konnte, und demgemäss war er so billig, seiner Frau Alles das im Hause zu gestatten, was er sich selbst außer dem Haufe erlaubte. Um indessen seine häufigen Abwesenheiten weniger empfinden zu lassen, führte er einen jüngeren Freund, den galanten Kavalleriekapitän Ste Croix als Gesellschafter bei sich ein, der sich dann bald zum Hausfreund, zum Vertrauten und zum Anbeter der von ihrem Gemahl vernachlässigten Marquise zu erheben wusste, und mit einer solchen Leidenschaft und Rücksichtslosigkeit wieder geliebt wurde, daß das unsittliche Verhältnis zwischen beiden zu einem öffentlichen Geheimnis wurde. Wenn der Gemahl zu Allem Schwieg, nichts zu wissen oder wissen zu wollen schien, weil er desto ungenierter seinen Vergnügungen nachgehen konntet So war dies keineswegs auch der Fall bei dem Herrn v. Aubray, dem Vater der Marquise. Er war noch ein Edelmann im wahren Sinne des Wortes, und wollte nicht dulden, daß seine verführte Tochter durch ihren nur zu dreist gewordenen Umgang mit Ste Croix den guten Ruf der ehrenwerten Familie, welcher Sie durch Geburt angehörte, noch länger beflecken solle. Er bekleidete eine höhere Richterstelle, und griff zu dem äußersten damals zu Gebote stehenden Mittel, indem er bei dem Justizminister einen Verhaftungsbefehl auswirkte, auf Grund dessen der freche Kapitain auf offener Straße, von der Seite seiner Geliebten hinweg, arretiert und in die Bastille gesperrt wurde - ein Verfahren, welches freilich nicht verfehlen konnte, das öffentliche Ärgernis nur zu vermehren, und zugleich in dem tief gekränkten Ste Croix das Gefühl einer unauslöschlichen Rache hervorrief. Kaum angelangt in dem finsteren Kerker brach er daher in eine an Raserei grenzende Wut aus gegen die Menschen, die ihn um seine Freiheit und somit um Alles gebracht, und selbst gegen Gott, der dieß zugelassen habe - bis ihn eine lange, hagere, im Halbdunkel kaum wahrnehmbare Gestalt wieder zu einiger Besinnung brachte durch die nüchterne Vorstellung, wie töricht und nutzlos sein jetziges Gebaren und überhaupt die Sitte der stets zu hitzigen Franzosen sei, ihre Feinde offen anzugreifen und niederzustoßen und sich dadurch den Händen der Justiz gleichsam selbst auszuliefern, nährend man in Italien es verstehe, mit seinen, versteckten Mitteln seinem Gegner beizukommen, mit Giften, welche sich dem Auge und der Kunst des geschicktesten Arztes entzögen.

Der so Redende war nämlich der berüchtigte Italienische Alchimist Grili, ein Schüler der Neapolitanischen Giftmischerin Trufania, deren geheimen Greueltaten man endlich auf die Spur gekommen war, was dann ihren Jünger bewog, das Weite zu suchen und nach Paris zu gehen, wo er jedoch schon wieder mit der Justiz in Konflikt geraten sein mußte, wie aus seinem dermaligen Aufenthaltsorte zu schließen war.


Ein ganzes Jahr lang nun hatte Ste Croix den Unterricht des Italieners begierig in sich aufgenommen; da öffnete sich für ihn der Kerker wieder, um der Welt einen vollendeten Giftmischer zurückzugeben, der an nichts, als an seine Liebe und an seine Rache dachte. Auch fand er die ob des Wiedersehens entzückte Brinvillier so ganz sein eigen geblieben, ja so zur Sklavin all seines Begehrens herabgesunken, daß sie sich bereit erklärte, das erste und nochwendigste Opfer, welches er verlangte, selbst zu bringen, indem sie ihrem arglosen Vater, mit heuchlerischer Kindesliebe in Wort und Blick die vergifteten Tassen Bouillon eigenhändig darreichte, deren Genuss in wenigen Tagen sein schmerzvolles Ende herbeiführte.

Somit war das eine und das Hauptmotiv Ste Croix’s zu dieser ersten Missetat, sich zu rächen nämlich an dem Räuber seiner Freiheit, allerdings befriedigt, nicht aber das zweite, das bei allen seinen übrigen Vergiftungen die Hauptrolle spielte, nämlich sein Verlangen nach Reichtum - denn man führte ein verschwenderisches üppiges Leben, und brauchte des Geldes viel, sehr viel, und weit mehr, als sich auf ehrlichem Wege erwerben ließ. - Noch lebten aber zwei Brüder und eine Schwester der Brinvillier, mit welchen diese den väterlichen Nachlas teilen musste, und so kam es daß ihr eigener Erbteil - zumal der ältere Bruder sehr bevorzugt war - weit hinter den Erwartungen Ste Croix’s zurückblieb.

Wer indessen einmal das heiligste Sittengesetz mit Füßen getreten, wer es über sich vermocht hat, den eigenen Vater seinen Lüsten zu opfern, und wem es dabei gelingt, so ganz schuldlos zu scheinen und verdachtlos fortzuleben: dem kostet ein zweiter und weiterer Mord nicht nur keine Überwindung mehr - denn Gift macht mit Gift, wie Blut mit Blut vertrauet - im Gegenteil: die Unscheinbarkeit des Mittels, die Heimlichkeit und Leichtigkeit seiner Anwendung, und die Schwierigkeit seiner Entdeckung: sie üben einen förmlichen Zauber auch auf den bereits Eingeweihten aus und reizen zur Wiederholung der unblutigen Tat zumal eine weibliche Hand, die ja zu schwach ist für den Aufwand physischer Kräfte, für den Gebrauch von Waffengewalt, und deshalb, wenn sie einmal zu töten entschlossen ist, sich gleichsam von der Natur auf die Anwendung nicht gewaltsamer, heimlicher Mittel angewiesen sieht.

Die beiden Herrn v. Aubray, der Parlamentsrat und der Zivilrichter, hatten nämlich durch ihre unverheiratete Schwester Therese der Brinvillier eine schonende Warnung zukommen lassen vor dem ferneren Umgang mit dem durch allerhand unsaubere Händel verdächtig gewordenen Ste Croix; aber schon dieser entfernte Versuch, ihren lasterhaften Lebenswandel zu beeinflussen, war für beide Schuldige Grund genug, um auch den Tod jener unwillkommenen Mahner zu beschließen: für die Marquise, weil ihr der Gedanke, von ihrem Buhlen lassen zu sollen, ganz unerträglich war: für Ste Croix aber, weil sich ihm dadurch eine neue Aussicht auf reiche Erbschaften eröffnete. Doch beteiligte man sich diesmal nicht unmittelbar an der Tat, sondern La Chaussée, ein früherer Bedienter und Helfershelfer Ste Croix’s, den die Brinvillier selbst ihren Brüdern als sehr brauchbar empfohlen hatte, wurde mit der Ausführung beauftragt, und wusste, um den Lohn von 300 Pistolen, das von der Marquise ihm eingehändigte Gift Ste Croix’s so geschickt unter die beiden Bender zu verteilen, daß der eine 3, der andere 4 Monate nach dem erstmaligen Genuss desselben den Geist aufgaben. Zwar schöpfte man diesmal Verdacht wegen der auffallender Weise ganz gleichen Krankheitserscheinungen, unter welchen sie gestorben waren. Beide Leichen wurden geöffnet, und zeigten auch deutliche Spuren einer Vergiftung, allein es fehlte durchaus an einem Täter, den man hätte zur Rechenschaft ziehen können; denn der nichtswürdige La Chaussée hatte sich so teilnehmend und liebreich während der Krankheit seines Herrn bewiesen, daß der ältere Bruder ihn in seinem Testamente sogar mit einem Legat bedacht hatte.

Noch war die Schwester, Therese v. Aubray übrig, und auch ihrem Leben wurde mit Gift nachgestellt; allein sie war misstrauisch und vorsichtig geworden seit dem rätselhaften Tode ihrer Brüder, und schwebte fortwährend in einer solchen Angst vor einem gleichen Schicksale, daß sie, um allen Gefahren zu entgehen, sich in ein Kloster zurückzog.

Es liegt außerhalb des Zweckes, den ich vor Augen habe, die weiteren Giftmorde und das endliche Schicksal des verbrecherischen Kleeblattes genauer zu verfolgen. Die rächende Nemesis erreichte alle Drei: zuerst den Anstifter und Rädelsführer Ste Croix, den ein unverdient plötzlicher, aber immerhin unfreiwilliger Tod ereilte beim Giftkochen in seinem geheimen Laboratorium, indem ihm die gläserne Maske, die er zum Schutz gegen das Einatmen von Giftdämpfen zu tragen pflegte, unerwartet vom Gesicht fiel und zerbrach. So fand man ihn entseelt am Boden liegen, umgeben von unzähligen Tiegeln, Töpfen, Violen und Büchsen, angefüllt mit Giftstoffen aller Art, aber auch eine verschlossene an die Marquise adressierte Kassette, in welcher die unzweideutigsten Beweise der Mitschuld sowohl der Brinvillier als La Chaussée’s enthalten waren. Demgemäß wurde der letztere, nachdem ihm der Prozess gemacht, auf dem Grêveplatze zu Tode gerädert, die Marquise aber, die nach Belgien entwichen war, erst drei Jahre später einfach enthauptet, nachdem sie freilich vorher im Hemd, barfuß, einen Strick um den Hals und eine 2 Pfund schwere Kerze in der Hand, vor dem Hauptportal der Notre-Dame-Kirche auf den Knien liegend, feierlich Buße getan und Abbitte geleistet hatte. Auch wurde ihr Leichnam nicht beerdigt, sondern verbrannt, und die Asche den Winden preisgegeben, so daß - wie Frau v. Sevigné in ihren Briefen erzählt – ganz Paris Gefahr lief. Atome der kleinen Frau einzuatmen, und dadurch von einem gleichen Vergiftungstrieb infiziert zu werden.

An diesem Scherz ist so viel wahr, daß die Brinvillier, seitdem sie Ste Croix mit einer Auswahl seiner Gifte ausgestattet hatte, in der Tat eine Begierde, eine förmliche Lust empfand, die Kraft jener Mittel nicht bloß an Tieren und an ihren Verwandten zu erproben. sondern auch an anderen ganz unschuldigen Personen, aus deren Tod ihr kein Vorteil erwachsen konnte. So namentlich an ihrer eigenen Kammerfrau, und sogar an armen Leuten im Hôtel Dien, an welche Sie, unter dem Schein der Wohltätigkeit, vergifteten Zwieback austeilte, den sie selbst zubereitet hatte - nicht ohne sich einige Tage später nach dem Befinden ihrer erkrankten Schützlinge zu erkundigen.

Dieses Spielen eines von der Sinnenlust beherrschten, gemüt- und gewissenlosen Weibes mit giftigen Stoffen, dieses fast launenhaft zu nennende Experimentieren mit dem Bewusstsein der Lebensgefährlichkeit des angewendeten Mittels, zu keinem anderen Zwecke, als um dessen verderbliche Wirkung immer aufs Neue zu erproben, und Befriedigung zu schöpfen aus dem Gelingen der Besuche und aus dem Anblick der Leiden ihrer Opfer - es hat etwas so Unmenschliches, ja Teuflisches, dass man sich versucht fühlen könnte, bei der Urheberin eine Manie, eine krankhafte die Zurechnung in Frage stellende Vergiftungssucht anzunehmen. Und doch lag in Betrachtung des ganzen übrigen Thuns und Lassens der Brinvillier so wenig Grund zu einer solchen Annahme vor, daß Niemand, weder sie selbst, noch der Gerichtshof, ja nicht einmal die Verteidigung die doch sonst ihren Zuhörern viel Unglaubliches zuzumuten pflegt, es gewagt hat, eine solche Vermutung auszusprechen. Hierzu kommt nun aber, daß die Brinvillier in dieser Beziehung durchaus nicht einzig dasteht, sondern in vielen späteren Fällen die ganz gleichen Erscheinungen sich wiederholen.

Stellen wir jetzt zur Bestätigung des soeben Gesagten der
Pariserin eine Berlinerin gegenüber.