Die Gifte als bezaubernde Macht in der Hand des Laien.

Akademischer Vortrag gehalten am 24. Februar 1874.
Autor: Pfotenhauer, C. Ed. Prof. Dr., Erscheinungsjahr: 1874
Themenbereiche
Einführung.

Wenn ich von dem Zauber des Giftes in der Hand der Laien - also nicht in der Hand der Ärzte und der Chemiker - sprechen zu wollen angekündigt habe, so ist es mir dabei weit weniger um das allbekannte Gift, als um den eigentümlichen, von Vielen kaum beachteten, und von der Wissenschaft entweder verkannten oder doch nicht nach Verdienst gewürdigten Zauber zu tun, welchen das Gift auf das menschliche Gemüt auszuüben im Stande ist.

In Betreff des Giftes selbst wird es genügen, daran zu erinnern, dass man darunter gemeinhin einen animalischen, vegetabilischen oder mineralischen Stoff versteht, welcher, wenn er auch in ganz kleiner Quantität einem lebenden Wesen beigebracht wird, dessen Gesundheit und Leben zu zerstören geeignet ist, und zwar vermöge seiner nicht mechanisch (sichtbar), sondern chemisch (unsichtbar) wirkenden Eigenschaft, indem er sich dem Blute mitteilt. Wie früh übrigens die Menschen das Gift kennen gelernt, und sich desselben zu erlaubten und unerlaubten Zwecken bedient haben mögen, ist nicht zu sagen. Das älteste mag vielleicht das den Menschen heimsuchende Schlangengift sein, dessen schon im alten Testament gedacht wird, sowie denn auch im Zeitalter der griechischen Heroen Herkules seine Pfeile mit dem Gift der lernäischen Schlange netzte, die schreckliche Medea ihren verderblichen Trank unter Zauberformeln kochte, und die arglose Deianira ihrem Geliebten das vergiftete Nessusgewand sendete, welches vor Untreue bewahren sollte, und seinem Empfänger den Tod brachte. Ebenso holte sich Ulysses ein Pfeilgift aus Ephyra, und bedienten sich die alten Kelten schon vergifteter Waffen. - In Rom aber wurde, wenn nicht der erste, so doch der großartigste Giftmordprozess im Jahre 331 v. Chr. verhandelt gegen eine Menge vornehmer Frauen, welche im Verein mit ihren vertrauetesten Sklavinnen Giftmischerei getrieben hatten. Es starben nämlich plötzlich und kurz nacheinander eine ganze Reihe der angesehensten Männer in Rom an der gleichen rätselhaften Krankheit, welche man für eine Pest zu halten geneigt war - nur daß sie seltsamer Weise bloß Männer befiel und hinwegraffte bis eine Sklavin die Frauenverschwörung und ihre Giftküche verriet, was dann zur Folge hatte, daß nicht weniger als 170 Schuldige verurteilt wurden.

Man fragte schon damals: Wie war es nur möglich und wie ist es zu erklären, daß so viele Frauen, und zum Teil aus den edelsten Geschlechtern, sich zur Verübung so zahlreicher Mordtaten entschließen konnten? Und weil Niemand dieses Rätsel zu lösen vermochte; so nahm man seine Zuflucht zu der alten, auch bei anderen großen Kalamitäten üblichen Zeremonie, einen ehernen Nagel in den Tempel des kapitolinischen Jupiter durch einen besonders dazu erwählten Diktator einschlagen zu lassen, zum Zeichen daß das geschehene Unheil für die Vergangenheit getilgt und abgetan, für die Zukunft aber verhindert, unmöglich gemacht und gleichsam vernagelt sein solle.

Allein der Schlüssel zu jenem damals ungelöst gebliebenen Rätsel liegt eben verborgen in dem Zauber, welcher im Gifte wohnt und sich großenteils erklärt aus der Kleinheit der Quantität, deren es bedarf, aus der dadurch ermöglichten Leichtigkeit seiner heimlichen Anwendung, und aus der an das Wunderbare grenzenden vernichtenden Wirkung, welche dieses Minimum gleichwohl hervorbringt: noch dazu ohne daß auch nur ein Tropfen Blutes dabei vergossen wird. Bloß eine Messerspitze von diesem weißen Pulver - einige Tropfen nur von jener Tinktur, unter Speise oder Trank gemischt - und es ist um ein Menschenleben geschehen. - Wie viel schon des Verlockenden für ein böses verbrecherisches Gemüt, sich gerade dieses Mittels zu bedienen! und doch sind es nicht bloß diese aus der natürlichen Beschaffenheit des Mittels sich ergebende und auf jedes verdorbene Gemüt gleichmäßig wirkende Eigenschaften des Giftes, von welchen ich sprechen will; sondern mein Hauptaugenmerk ist gerichtet auf jenen seltsamen und fast wunderbar zu nennenden Reiz oder Zauber des Giftes, für welchen bisher nicht jeder Mörder, sondern immer bloß der eine Teil der Verbrecherwelt eine ausschließliche Empfänglichkeit an den Tag gelegt hat. Nur vermag ich den genaueren Nachweis hiervon anders nicht wohl zu führen, als an der Hand einer zweihundertjährigen Erfahrung, welche jenen alten Römern vor mehr als 2.000 Jahren noch nicht unterstützend zur Seite stand.

Es sei mir daher gestattet, eine Anzahl meist bekannter, aber doch von dieser Seite noch nicht genügend beleuchteter, Fälle anzuführen. Vielleicht, daß es gelingt, den Leser davon zu überzeugen, daß wir es hierbei mit etwas Realem und nicht mit einem bloßen Hirngespinnst der Stubengelehrsamkeit zu tun haben.

Beginnen wir mit einer Französin, um zu schließen mit einer Schweizerin, oder wenn es die Zeit gestatten sollte wiederum mit einer Französin.