Das Heilige Blut. 1201.

So ist das Kloster nach Doberan gekommen und hier zum zweiten Male gegründet worden. Unter dem Schutze Gewappneter gehen alsbald die frommen Väter an ihre Arbeit, und schöner als zuvor entstehen die neuen Klostergebäude. Jetzt kommt der Ziegelstein zur Verwendung; der Ziegelstein, der hier in der Tiefebene bodenständig war und nach und nach zum hervorragendsten Rohstoff für die gewaltigen Bau- und Kirchendenkmäler Norddeutschlands und der Zisterzienser hervorwuchs. Die Mönche kennen seine Herstellung und Bedeutung. Die neuen Gebäude sind zum Teil schon Backsteinbauten. Auch die Kirche wird in ihren Ringmauern aus Ziegelsteinen aufgeführt, wenn auch noch ohne Gewölbe und vielleicht mit einer hölzernen Decke. An der Kirche bauen sie über vierzig Jahre. Am 3. Oktober 1232 konnte sie durch den Bischof Brunwald von Schwerin geweiht werden.
Aber schon viel früher war Doberan zum berühmten Wallfahrtsort geworden. Und wodurch? Durch das heilige Blut, das hier als kostbarste Reliquie verehrt wurde. Die Sage vom heiligen Blut ist fast ebenso schön und wundersam wie jene vom Hirsch und Schwan. Sie lautet nach Kirchbergs Reimchronik etwa folgendermaßen: Ein Hirte aus Steffenshagen ging am ersten Ostertage des Jahres 1189 in Doberan zum Abendmahl. Er behielt die heilige Hostie während der Feier im Munde, ohne sie zu essen, und brachte sie mit nach Hause. Dort nahm er seinen Hirtenstab, machte eine Höhlung in den Knopf desselben und tat die Hostie hinein. Die Öffnung wurde fein säuberlich wieder verschlossen. Die Hostie verlieh dem Stabe Wunderkraft, und jeden Morgen umkreiste der Hirte damit seine Herde, um sie vor Wölfen zu schützen. Das half auch, denn von Stund an ließ sich kein Wolf mehr sehen. Nach der Verrichtung übergab der Hirt seinem Weibe den Stab zur heimlichen Verwahrung, und diese verbarg ihn im Bettstroh.
Die Sache blieb mehrere Jahre geheim, bis endlich ein fremdes Weib ins Haus kam. Die neue Hausgenossin bemerkte nun um Mitternacht, dass neben dem Bette des Hirten ständig zwei kleine Lichtlein glühten, ohne zu zünden. Sie teilte ihre Wahrnehmung der Hirtenfrau mit, und da die Erscheinung fortdauerte, entlockte sie ihr nach und nach das ganze Geheimnis. Als der Hirte das erfuhr, wollte er seinen Wunderstab anderswo verstecken und in eine verborgene Kiste schließen. Allein die Kiste war für den Stab zu klein. Er wollte denselben kürzer machen. Aber der Stab wurde immer wieder länger.
So musste er denn an seine alte Stelle im Bettstroh zurückgebracht werden und leuchtete wie zuvor.
Da plagte eines Tages der böse Geist die beiden Weiber, dass sie sich erzürnten. Die fremde Frau lief zum Dorfschulzen und zeigte das Wunder an. Dieser ließ den Hirten und seine Frau festnehmen und sandte sogleich Botschaft von dem Vorfall ins nahe Kloster Doberan. Dort weilte gerade der schon erwähnte Bischof Brunwald von Schwerin. Derselbe kam sofort mit dem Abt zusammen nach Steffenshagen. Aus Furcht vor Strafe gestand der Hirte seine Tat ein. Der Stab wurde aufgetan, und sie sahen, dass die geweihte Hostie zu wahrem Blut geworden war. Das so geschehene Wunder befreite den Hirten von seiner Strafe. Alle Mönche wurden herbeigerufen und das Blut im Triumphe nach Doberan gebracht. Dort geschahen Zeichen und Wunder. Es wurde in der Kirche aufbewahrt und alljährlich einmal dem Volke gezeigt. Jedenfalls wird der achteckige Altar, der hinter dem Hochaltar steht, der Aufbewahrungsort für das heilige Blut gewesen sein und nicht die Kapelle, die am nördlichen Eingange der Kirche steht und fälschlicherweise den Namen Blutskapelle trägt. Dolberg erklärt diese im Gegensatz zu Lisch für eine Friedhofskapelle, die dem Erzengel Michael geweiht war. Das heilige Blut wird sicher im Allerheiligsten, in unmittelbarster Nähe des Hochaltars und des Sakramentshäuschens, untergebracht gewesen sein.
Um die Anbetung des heiligen Blutes auch den Frauen möglich zu machen, die das Klostergebiet nicht betreten durften, musste noch eine Kapelle nahe dem Klostertore errichtet werden, die jetzt nicht mehr vorhanden ist. Das heilige Blut aber soll bis zum Jahre 1520 in Doberan verblieben und erst im Reformationszeitalter mit den anderen Reliquien verschwunden sein.
Dieses Kapitel ist Teil des Buches Die Geschichte von Doberan-Heiligendamm.