Die Geschichte der Juden in Erfurt

nebst Noten, Urkunden und Inschriften aufgefundener Leichensteine. Größtenteils nach primären Quellen bearbeitet
Autor: Jaraczewsky, Adolph Dr. (1839-1911) Rabbiner in Erfurt, Mitglied in der Akademie Gemeinnütziger Wissenschaften zu Erfurt, Erscheinungsjahr: 1868

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Themenbereiche
Enthaltene Themen: Juden, Judentum, Geschichte der Juden in Erfurt, Mittelalter, Thüringen, Schutzjuden, Schutzherren, Judenverfolgung, Judenhass, Gräuelszenen, Unrecht, Gleichberechtigung, Bürgerrechte, Freiheit, Gleichheit
Mit einer Abbildung der Erfurter Synagoge im Jahre 1357.

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Vorwort

Die Geschichte der Juden von ihren frühesten Anfängen bis auf die heutige Zeit schreiben, heißt wohl nichts anderes, als dem hell leuchtenden Edelstein der Jetztzeit eine dunkle Fassung geben, um sein Licht desto heller hervortreten zu lassen. Denn wenn das Mittelalter schon überhaupt eine an Tränen, Blut und dunklen Schatten reiche Zeit war, so war sie dieses für die Juden gewiss ganz besonders. Sie waren es, die dem Kaiser „ohne Mittel" unterworfen waren und die daher den Namen „Kaiserliche Fiscal- oder Kammerknechte" führten. So nennt sie Kaiser Karl IV. in den Privilegien, welche er 1346 den Burggrafen von Nürnberg Johann und Albert erteilte und diesen Namen führen sie noch in den Privilegien, welche ihnen Kaiser Maximilian II. 1656 gab. In diesen Privilegien nennt sich der Kaiser „der Juden einiger Herr und Beschirmer auf Erden, item Obrister Herr und Richter, dem die gemeine Jüdischheit ohne Mittel Angehörig, item welcher gemeiner Jüdischheit oberste Obrigkeit ist". Dieses Hoheitsrecht ließ Kaiser Karl IV. in der im Jahre 1356 publizierten Goldenen Bulle als Regal an die Kurfürsten übergehen. Etwas später wurden die Erzherzöge von Österreich mit diesem Rechte belehnt, das 1360 auch auf die freie Reichsstadt Nürnberg überging. Endlich dehnte Kaiser Karl V. 1548 dieses Recht auf Alle aus, welche von ihm und dem Reiche Regalia haben, oder welche deretwegen besondere Privilegien besitzen. Also waren jetzt im Besitze dieses Rechtes alle Fürsten und Stände des Reiches, sowie die freien Reichs Städte vigore superioritatis territorialis , also kraft landesherrlicher Oberhoheit.

Weil nun aber die Juden unter dem Schutze der Landeshoheit standen, so wurden sie „Schutzjuden“ genannt, die einen Schutzbrief erhielten und dafür ein jährliches Schutzgeld an den Landesherrn (pro receptione et securitate) entrichten mussten.

So war das Oberhoheitsrecht des Kaisers über die Juden nach und nach auf Andere übergegangen, nicht aber der Anspruch des Kaisers auf Erhebung der Kronensteuer und des jährlichen Opferpfennigs von den Juden. Vielmehr wurden diese mit der größten Strenge eingetrieben.

Außer diesen Lasten mussten die Juden auch städtische Steuer zahlen, den Zehnten, „Gült und Frohne“ von ihren Gütern entrichten und der Einquartierungslast sich unterwerfen. So drückte eine dreifache Last die Bedauernswürdigen. Aber ihre Lage wurde noch mehr getrübt durch den wahrhaft unmenschliche Behandlung, die sie erfuhren. Handel und Gewerbe waren ihnen verschlossen; ein Handwerk zu betreiben war ihnen untersagt und die Hallen der Kunst und Wissenschaft ihnen unzugänglich. Ja man gab ihnen, mit falscher Auslegung der Worte 4. Buch Mose 15, 38 den Befehl, Abzeichen zu trugen, die je nach den verschiedenen Landeshoheiten, unter denen sie lebten, verschieden waren. So materiell und moralisch vernichtet, sollten sie dennoch unerschwingliche Summen für ihre dreifachen Schutzherren aufbringen, und da ihnen das Geld nur noch als einzige Ware gelassen wurde, so mussten sie zu einem möglichst hohen Zinsfuß ihre Zuflucht nehmen. Die Schutzherren widersetzten sich aber keineswegs diesem Treiben, ja sie privilegierten sogar dasselbe. Vorzugsweise musste der arme Mann, der gezwungen war, sein Anlehen allzu hoch zu verzinsen, die Situation empfinden. Diese Stimmung steigerte sich bald zu bitterer Unzufriedenheit, die endlich zu Gräuelszenen führte, welche ein ewiger Schandfleck in der Geschichte der Menschheit sein werden. Die Juden waren, weil hilflos dastehend, ein Opfer wahrhaft zynischer Wut. Man untersuchte nicht erst die Schuld oder Unschuld des Opfers, sondern es musste einfach der Kreditor fallen. Vor diesem furchtbaren Beginnen schreckte das Volk um so weniger zurück, als es in jener Zeit durch Übung gelernt hatte, die Faust an die Stelle des Rechtes zu setzen. Von dieser Seite müssen wir die wiederholten Angriffe auch der Erfurter auf die Juden betrachten, um, wenn auch nicht ihre Handlungsweise zu rechtfertigen, so doch zum richtigen Verständnis der Verhältnisse zu gelangen.

*) Kaiser Karl V. 1544, Ferdinand I. 1562. Etat nach dem Recess. Imper. 1600 war den Juden untersagt, mehr als 5 pro cento zu nehmen. Diesem standen aber die Local-Statuten entgegen, welche jene Verordnung nichtig machten. So hatten z. B. dieser Verordnung entgegen die Juden in Dessau das Recht, von einem Thaler wöchentlich drei Heller zu nehmen u. s. w. — Die Reichs-Polizei-Ordnung von 1577, welche in §. 6 derselben den Juden verbietet, mehr als 5 pro cento zu nehmen, macht in dem darauf folgenden §. 7 diese Verordnung dadurch illusorisch, dass es dort wörtlich heißt: doch soll hierdurch denen Churfürsten, Fürsten und Ständen an ihren von uns habenden Regalien, Privilegien und Gerechtigkeiten, Ordnungen zu machen nichts präjudiziert oder genommen, sondern ihnen vorbehalten sein. Ja selbst dieses Gebot fand hernach nicht Anwendung, wenn der Kreditor nachweisen konnte, dass er sein Geld anderweitig mit einem größeren Nutzen als 5 pro cento hatte anbringen können. (Vid. Recess. Imp. Deput. de anno 1600, 139.)

Noch manches andere Trübe aus jener Zeit decken wir mit dem Schleier der Liebe zu und scheiden von ihr mit dem Wunsche, dass sie nie wiederkehren möge, und dass die Humanität, welche unsere Zeit charakterisiert, immer heller und heller erglänze! Möge bald der Himmelsdom sich über uns wölben, in den wir Alle eingehen werden als gleiche Brüder, verschieden zwar im Glauben, aber eins in der Liebe, die um uns Alle das Rosenband schlingt!

Zum Schluss sei noch bemerkt, dass die ersten Anfänge dieser Arbeit zweien Vorträgen ihre Entstehung verdanken, welche ich im hiesigen Altertums-Verein und auszugsweise in der hiesigen Akademie der Wissenschaften gehalten und die ich, von Freunden ermuntert, weiter ausgearbeitet, mit den entsprechenden Urkunden aus den Archiven zu Dresden, Erfurt, Weimar, Sondershausen und Rudolstadt versehen, und der ich, zum besseren Verständnis des Ganzen, noch andere Anhänge beigefügt habe. Möge meine Arbeit eine freundliche Aufnahme finden, dann werde ich für meine Mühe reichlich belohnt sein!

        Erfurt, im April 1868.
                        Der Verfasser.


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Erstes Kapitel. Erste Anfänge der Gemeinde.
Zweites Kapitel. Conrad I. Judeneid. Verfolgung unter des Erzbischof Siegfried II. Regierung. Elasar Rokeach. Streit der Juden mit dem Pleban zu St. Benedict.
Drittes Kapitel. Die Juden unter Erzbischof Werner. Der erste Schutzbrief. Judenbezirk. Die Familie Kalonymos. Das Rabbinats-Kollegium und dessen Autorität. Justizverfahren des Rates gegen die Juden.
Viertes Kapitel. Erzbischof Werner nimmt sich der verfolgten Juden an. Heinrich von Basel und sein Gnaden-Erlass an die Erfurter. Gerhard II. verpfändet die Einkünfte von den Juden an den Rat zu Erfurt.
Fünftes Kapitel. Die Juden leisten den Erfurtern Beistand in der Not. Die Pest im Jahre 1315. Conrad’s von Weissensee Tod. Vertreibung der Juden aus Thüringen und ihre baldige Rückkehr. Friedrich II. Schutzherr über die Juden.
Sechstes Kapitel. Der Judensturm und seine letzten Gründe.
Siebentes Kapitel. Die Nachwehen des Judensturms. Rückkehr der Juden nach Erfuhrt. Synagoge von 1351. Friedrich III. und seine Brüder lassen sich von Kaiser Karl IV. die Oberhoheit über die Juden in Thüringen bestätigen. Sie geben den Juden Schutzbriefe. Folgen des Judensturmes in Nordhausen.
Achtes Kapitel. Himmelspforte an die Juden verkauft. Verordnung des Rates über die Tracht der Juden, sowie über die Verwaltung der inneren Angelegenheiten. Erweiterung des Kirchhofes durch Ankauf des Bliedenhofes. Judenmeister Elias. Besteuerung der Juden. Der Rat borgt sich bei einem Juden 1.000 Goldgülden und verpflichtet sich, wenn er nicht pünktlich bezahlt, zum Einlager mit vier Pferden. Erneuerte Verordnung des Rates über Kleidertracht und innere Angelegenheiten der Juden. Steuern.
Neuntes Kapitel. Wenzels Schuldentilgungs-Erklärung. Der Rat schützt die Juden gegen die Ansprüche des Grafen Berthold von Henneberg. Judensteuer. Heller, Judenmeister. Johann von Allenblumen kauft die Einkünfte von den Juden. Sigismund und sein Schutzbrief. Schuldner an die Juden.
Zehntes Kapitel. Innere Verhältnisse und Gelehrte.
Elftes Kapitel. Der Rat verkauft mehrere Häuser an die Juden. Kellin von Ulm. Urfehde. König Albrecht II. schützt die Juden. Kaiser Friedrich III. erhebt den sogenannten goldenen Pfennig von den Juden. Vertreibung derselben aus Erfurt.
Zwölftes Kapitel. Leibzollwesen.
Dreizehntes Kapitel. Neueste Geschichte.
Nachtrag. Noten. Urkunden. Aktenstücke, die neueste Geschichte betreffend. Verzeichnis der in der hiesigen Ministerial-Bibliothek aufbewahrten hebräischen Codices. Abschrift der aufgefundenen Leichensteine.
Nachschrift.

Erfurter Synagoge von 1357

Erfurter Synagoge von 1357

Erfurt, Augustiner-Kloster

Erfurt, Augustiner-Kloster

Erfurt, Anger mit Brunnen

Erfurt, Anger mit Brunnen

Erfurt, Dämmchen

Erfurt, Dämmchen

Erfurt, Fischmarkt mit Rathaus

Erfurt, Fischmarkt mit Rathaus

ERfurt, Hinter der Krämerbrücke

ERfurt, Hinter der Krämerbrücke

Erfurt, Lutherdenkmal

Erfurt, Lutherdenkmal

Erfurt, Rathaus

Erfurt, Rathaus

Erfurt, Rathausbrücke

Erfurt, Rathausbrücke

Erfurt, Stadtansicht

Erfurt, Stadtansicht