Die Geheimnisse der Königsgräber von Ur - Menschenopfer in der Stadt Abrahams

Aus: Das Buch für Alle. Illustrierte Familienschrift. Zeitbilder. Heft 1. 1929
Autor: Hermann Raillard, Erscheinungsjahr: 1929

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Themenbereiche
Enthaltene Themen: Königsgräber, UR, Kulturvölker, Altertumskunde,
Der Wettstreit der Kulturvölker in der Fortführung wissenschaftlicher Forschungen ist auch auf dem Gebiet der Altertumskunde in den letzten Jahren zu bedeutsamen Ergebnissen gelangt, von denen einzelne, wie zum Beispiel die Aufdeckung der Grabkammer des ägyptischen Pharaos Tut-anch-Amon, auch das Interesse der Laien in breiter Öffentlichkeit beschäftigten. Zu bedauern bleibt nur, dass in dem raschlebigen Geschlecht unserer Tage der Sinn für geschichtliche Forschung geringer als in den früheren Generationen ist, und dass solche Nachrichten von besonders beachtenswerten Funden zu Sensationen aufgebauscht, dann aber bald, von anderen Tagesneuigkeiten verdrängt, vergessen werden. Und doch hat noch immer das Wort des großen Weisen Chinas, Konfuzius, seine Richtigkeit: „Erzähle mir die Vergangenheit, und ich werde die Zukunft entdecken.“

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Nachdem im vorigen Jahrhundert die Altertumswissenschaft durch die erfolgreichen Entzifferungsarbeiten von Franz Champollion den Schlüssel für die Geheimnisse der ägyptischen Hieroglyphen und anderer Bilderschriften erhalten hatte und daraufhin die indoeuropäische Sprachvergleichung die wichtigsten Entdeckungen machen konnte, haben die Ausgrabungen an den Stätten uralter Kulturen, wie zum Beispiel der Babylons, die Kenntnis frühester Vorzeit mehr und mehr erweitert. Die stille, unermüdliche Arbeit der orientalischen Forschung wurde von den Wirren der Kriegsjahre vorübergehend lahmgelegt, dann aber mit verdoppeltem Elser wieder ausgenommen. So hat die Universität Pennsylvania im Verein mit dem Britischen Museum eine Expedition ausgerüstet, die unter Führung von Professor Thompson 1918 und von H. R. Hall 1919 in Mesopotamien, insbesondere im Bereich der Stadt Ur, die allgemein aus den biblischen Erzählungen von Abraham bekannt ist, mit Ausgrabungen begann. Seit 1920 werden die Arbeiten unter der Leitung von C. Leonard Wooley fortgesetzt. Es gelang, den weiten Tempelbezirk der einst bedeutsamen Stadt Ur, die hundert Kilometer von der Mündung des Fruchtbarkeit spendenden Euphrats in den Persischen Golf in kanäledurchzogenem reichem Land lag, freizulegen. Aus uraltem Schutt und Staub erstand der Stufenturm, der Ziggurat, der zu interessanten Vergleichen mit dem babylonischen Turm Anlass gab.



Im Winter 1927/28 stieß man bei den Ausgrabungen auf drei irdische Grabkammern. Eine von ihnen war zwar schon früher entdeckt worden, hatte aber, weil sie vor unbestimmbaren Zeiten ausgeplündert worden war, zunächst weniger Beachtung gefunden. Nun fand man etwa fünf Fuß tiefer eine zweite gemauerte Grabkammer und in ihr allerlei Opfergaben, Edelsteine und Kunstgegenstände aus kostbarem Metall, aber auch Tierknochen und menschliche Gebeine. Dieses Gewölbe, das ebenfalls bis auf die erwähnten wenigen Gegenstände ausgeplündert war, ist die Grabstätte des Königs Mes-Kalam-Dug. Und dicht dabei fand man eine etwas tiefergelegene Grube, in der die Königin Schub-Ad beigesetzt gewesen ist, die später als ihr Gatte starb. Ihre Gebeine lagen auf einer hölzernen Bahre und z u ihren Füßen die Skelette der Dienerinnen, die ihr in den Tod hatten folgen müssen. Noch konnte man erkennen, wie die Hände der unglücklichen Opfer, die vor fünftausend Jahren nach unmenschlichem Brauch beim Tod ihrer Herrin hingeschlachtet worden waren, ihre mit Intarsien geschmückten Harfen umspannen. Auch der Raum um das Königsgrab herum war angefüllt mit den Skeletten von Menschen und Tieren, die bei Bestattung des königlichen Herrn den Tod erlitten haben. Auf einer schrägen Rampe, die von dem oberen ausgeraubten Grab zu der anderen, tiefergelegenen Grabstätte führte, fand man die Körper von sechs Wachsoldaten. Ihre zerschmetterten Schädel bedeckten Kupferhelme, über ihre Schultern gelehnt lagen die Lanzen dieser Torhüter. Am Ende der Kammer waren zwei vierrädrige Wagen aufgestellt. Jeden dieser auf plumpen Achsen befestigten Kasten hatten einst drei Ochsen gezogen. Ihre Skelette lagen noch an der Stelle, wo die Tiere vorgespannt gewesen sind. Silberne Nasenringe und Halsbänder hatten sie geziert, und die Zügel waren mit silbernen Kugeln und solchen aus Lapislazuli besetzt. Neben den Stieren lagen die getöteten Knechte, die Leichen der Wagenlenker noch quer über die Sitze hingestreckt. Die Skelette von mehr als fünfzig Menschen, Männern mit einem kurzen Schwert an der Hüfte und geputzten Frauen aus dem Harem des Herrschers . . . Einige der unglücklichen Gefährtinnen scheinen, ihrem kostbaren Schmuck nach zu schließen, von fürstlichem Rang gewesen zu sein. Ihre Haare waren von Gewinden aus goldenen Maulbeerblättern durchzogen. Am kostbarsten war der Haarschmuck der Königin selbst. Ein ovales Gewinde von großen, goldenen Maulbeerblättern, zwischen die blaue Perlenschnüre und Blüten mit Staubgefäßen aus Lapislazuli und Perlmutter gewunden waren, bedeckte den Kopf der Fürstin über einer Perücke. Das Stirnband bestand aus schweren goldenen Ringen, und in dem Haarschmuck steckte oben ein Haarkamm, eine naturgetreue Wiedergabe des zierlichen Ackergelbsterns. Jetzt ist ein Modell des Hauptes der Königin mit einer Rekonstruktion des beschriebenen Schmuckes im Londoner Museum ausgestellt.

Die Veröffentlichung der Universität Pennsylvania hebt ferner unter den Fundstücken als besonders wertvoll die wohlgelungenen Standbilder von zwei Ochsen hervor, von denen der eine einen Schädel aus Kupfer, der andere gar einen aus Gold hatte mit eingesetzten Augen. In dem Grab des Königs entdeckte man ein 61 Zentimeter langes silbernes Modell eines Ruderbootes, das ganz die gleiche Form hat wie die heut auf dem Euphrat verkehrenden Boote. Die Beigabe eines solchen Bootes im Grab des Fürsten lässt deutlich erkennen, dass die Sumerer wie andere Völker des Altertums geglaubt haben, das Jenseits sei von der diesseitigen Welt durch einen Strom geschieden.

Von Wichtigkeit für die Geschichte der Baukunst ist ferner die Auffindung der Tür, die zum Grab der Königin führte, ihre Rundung erweist, dass die Sumerer schon viertausend Jahre vor Beginn der neuen Zeitrechnung nach Christi Geburt verstanden haben, mit gebrannten Ziegeln Bogenbauten auszuführen, Deckengewölbe zu bauen. Von kunst- und kulturgeschichtlichem Wert ist im Besonderen noch die gefütterte Sturmhaube die sich neben verschiedenen goldenen Waffen im Königsgrab befand, und eine realistische Nachbildung von Lockenhaar, das durch eine Binde zusammengefasst wurde. Die Frauen jener vorgeschichtlichen Zeit haben sich nicht weniger auf Kosmetik, aus Schminken und Pflege der zierlichen Hände verstanden wie die Damen unserer anspruchsvollen Neuzeit. Man fand Schminkschalen und Instrumente zum Glätten, kostbare Behälter für diese Toilettengegenstände und allerlei Ringschmuck. Achtzehn silberne Becher, schöne Schalen, Gefäße aus Stein und andere aus Metall, das Modell eines Scheibenradwagens, kunstvolle Verzierungen an mancherlei Geräten und andere Fundgegenstände geben zusammen ein Bild von der überraschend hohen Kunstfertigkeit jenes aus dem östlichen Bergland stammenden nichtsemitischen Volkes der Sumerer.

So groß aber unsere Bewunderung dieser frühen Technik, dieses geläuterten Geschmackes sein mag, vor den Gräueln und rituellen Grausamkeiten, dem schrecklichen Götzendienst jener Zeit erfasst uns Abscheu, und man versteht, welche Bedeutung die Ausweisung Abrahams aus dem Lande Ur und aus dem Volk hatte, das so tief versunken war in den Kult der Mondgöttin Ningal, der dem der Astarte glich, und den des Stadtgottes Nannar. Wohl zeigt die Anlage des Stufenturms, dessen Bau vom Begründer der dritten Dynastie von Ur um das Jahr 2300, den aufgefundenen Inschriften nach, begonnen wurde, die Verehrung eines höchsten, auf Bergen wohnenden Gottes Ellil — sein Tempel hieß Berghaus, und der Turm sollte in den Himmel ragen —, aber die Masse stand doch vor allem im Bann des Götzendienstes der Mondgöttin, der schreckliche Menschenopfer forderte. In einem im Außenbezirk liegenden Grab fand man eine Menge Kinderleichen, ein Hinweis auf den grausamen, entsetzlichen Molochdienst. Den Semiten, die mit den Sumerern das Land bewohnten, wurde also die hohe Kulturmission, einerseits die hochentwickelte sumerische Kultur weiterzutragen, anderseits aber sich von dem sinnlich gebundenen Götzenkult abzuwenden und zur monotheistischen, geistigen Verehrung Gottes zu erheben. So handelt es sich bei der Aufdeckung der Königsgräber nicht um Gewinn von Gold und Silber und nicht um grabschänderische Neugier, sondern um ernste, der ganzen Menschheit dienende kulturgeschichtliche Forschung.

Die Geheimnisse eines Chaldäischen Königsgrabs, Tier und Menschenopfer vor 5000 Jahren

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