Die Geheimnisse der Juden

Autor: Reckendorf, Hermann (1825-1875) Orientalist. Professor an der Universität Heidelberg, Erscheinungsjahr: 1856

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Themenbereiche
Enthaltene Themen: Juden, Judentum, Judenheit, Antisemitismus, Nationalismus, Fremdenhass, Judenverfolgung, Menschenrechte, Gleichstellung, Bürgerrechte, Gleichberechtigung
Einleitung

Es war im Juni 1839, als Abd-el-Kadr während seines verzweifelten Kampfes gegen die Franzosen den Sultan von Marokko, Mulei Abd-el-Rahman zum heiligen Kampf gegen die immer weiter um sich greifende Giaurenherrschaft bewog. Der Sultan sah den Krieg sowohl für Religionssache, als für Pflicht der Selbsterhaltung an. Was konnte er wohl Anderes erwarten, als dass die Franzosen nach völliger Besitznahme Algeriens nach seinem ihnen benachbarten Lande die Hände gierig ausstrecken würden? — Wenn des Nachbars Haus brennt, erwacht die Nächstenliebe am stärksten.

Der Zustand des Landes aber war einer glücklichen Kriegsführung nichts weniger als günstig. Es herrschte gerade die drückendste Hitze; die Sonne schoss senkrecht
ihre glühenden Strahlen herab; der Regen war schon lange ausgeblieben; die Brunnen und Zisternen waren alle vertrocknet; zudem hatte ein Heuschreckenschwarm erst kurz vorher die schönsten Saaten vernichtet; das Volk war höchst entmutigt; die Staatskasse war leer; — und nun noch eine Truppenaushebung! — Der Sultan griff zum gewöhnlichen Mittel der marokkanischen Kaiser, wenn sie ihren erschöpften Schatz wieder füllen wollen; er ließ nämlich die Judenstadt einschließen.

Die marokkanischen Juden haben unter allen ihren Glaubensgenossen auf Erden das kläglichste Los. Genießen auch die Juden anderer Länder nicht volle bürgerliche Rechte, so werden sie doch wenigstens vom Gesetze als Menschen und Staatsbürger anerkannt, und erfreuen sich mehr oder weniger humaner Duldung. Nicht so in Marokko. Auf den Mord eines Juden ist daselbst eine Strafe von bloß zehn Zechinen festgesetzt; erwähnt Jemand vor einem vornehmen Herrn den Namen eines Juden, so spuckt er aus und sagt: „Ich bitt' um Vergebung, dass ich ihn melde!" In ihrer Kleidung müssen sich die Juden durch einen gelben Turban auszeichnen; von Staatsämtern und Militärdienst sind sie ausgeschlossen; jeder Jude muss jährlich eine Kopfsteuer, Charadj genannt, entrichten; begegnet ein Jude einem Muselmann, so muss er so lange stehen bleiben, bis dieser vorübergegangen ist, sonst ist er den größten Beschimpfungen ausgesetzt; kein Jude darf einen Muselmann beherbergen, oder bei einem Muselmann übernachten; kein jüdischer Arzt darf einen mohamedanischen Kranken behandeln. Kein Jude darf durch die Stadt reiten*) usw.

*) In Algerien unterlagen die Juden vor der Franzosenherrschaft demselben Gesetz. Als im Jahre 1831, nach der Eroberung Algeriens, ein Jude daselbst vor dem Stadttore von seinem Maultier abstieg, sprach zu ihm ein französischer Offizier: „Reite nur weiter; du bist gegenwärtig französischer Bürger!"

Am empörendsten ist es aber, dass die marokkanischen Kaiser, wenn sie in Geldverlegenheit sind, das Judenviertel einschließen, keine Nahrungsmittel zuführen, keine Person aus- oder einlassen, bis die Juden sich zur Entrichtung einer Geldsumme verstehen, welche der Kaiser nach Willkür ihnen auflegt. Die marokkanischen Juden sind nämlich trotz des Druckes, unter dem sie seufzen, im Besitze ungeheurer Reichtümer. Der ganze Handel des Landes ist in ihren Händen; während der Mohamedaner seine Zeit untätig auf seinem Divan zubringt und seine Habe durch Schwelgereien verprasst, arbeitet, erwirbt und spart der Jude. Da aber Sklavensinn und Niederträchtigkeit die natürlichen Folgen eines langjährigen Druckes sind, so zeichnen sich die marokkanischen Juden leider auch durch Geiz, Habsucht und Hang zum Betrug besonders aus.

Die gegenwärtigen Juden zu Marokko sind größtenteils Nachkommen der im Jahre 1492 aus Spanien vertriebenen Juden; aber keine Spur des Seelenadels und der geistigen Bildung ihrer Vorfahren ist bei ihnen anzutreffen; Handel und Wucher sind ihre Lieblingsneigungen. Wie tief doch der Mensch durch unwürdige Behandlung sinken kann! —

Ehe wir zu unserer Geschichte wieder zurückkehren, wollen wir noch einen Blick auf das Äußere des Judenviertels zu Marokko werfen. Es bildet ein unregelmäßiges Viereck; die Gassen sind eng, düster, schmutzig und schlecht gepflastert. Es ist ein immerwährendes Bergauf und Bergab; Till Eulenspiegel könnte keinen Augenblick zu lachen und zu weinen aufhören, wenn er durch die Judengassen daselbst ginge. Die Häuser sind fast sämtlich aus Holz und einstöckig; je reicher ein Jude dort ist, desto armseliger lässt er die Außenseite seines Hauses erscheinen, um der Habgier des Sultans so sehr als möglich zu entgehen. Die innere Einrichtung mancher Häuser hingegen könnte manchem fürstlichen Palast Ehre machen.

Bei Beginn unserer Erzählung war das Judenviertel daselbst bereits zwei Tage eingeschlossen. Der Kaiser verlangte hunderttausend Zechinen; die Judengemeinde versicherte hoch und teuer, nicht mehr als zwanzigtausend geben zu können. Die ganze Belagerungszeit verstrich bei den Juden mit Debatten auf dem Gemeindehause über die Beiträge der einzelnen Gemeindemitglieder; Jeder war so bescheiden, seinem Nächsten einen größeren Reichtum zuzuerkennen; Zank und Schlägereien blieben natürlich nicht aus. Die Mütter und die Kinder jammerten vor Furcht und Hunger, denn die Belagerung kam unvorbereitet, und noch dazu stand der heilige Sabbat vor der Tür; welcher Jammer für einen orthodoxen Israeliten, den heiligen Sabbat ohne Fleisch, Wein und Fische begehen zu müssen! —

Freitag Abends, am zweiten Belagerungstag, kam Juda Abarbanel, der reichste, angesehenste und gelehrteste Jude Marokkos, aus der Synagoge traurig nach Hause. Er war ein ehrwürdiger Greis von 75 Jahren; seine hohe Statur, sein majestätisches Antlitz, sein schneeweißer, bis an den Gürtel herabhängender Bart, seine weißen gekräuselten Haarlocken und endlich sein flammensprühendes afrikanisches Auge flößten Jedermann Achtung für seine Person ein. Er war ein Nachkomme des berühmten Don Isaak Abarbanel, welcher im Jahre 1492 es vorzog, die Leiden seiner auswandernden Glaubensgenossen zu teilen, als in Spanien seine Tage in Wohlleben zu verbringen. Juda machte seinem würdigen Ahnherrn keine Schande; er war sowohl an Reichtum als an Gelehrsamkeit, wie auch an Biederkeit seines Charakters eine Zierde seiner Nation. Jeder Unglückliche hatte an ihm einen Tröster und einen Helfer, jeder Unerfahrene einen Ratgeber. Er besaß zwar Ahnenstolz: er tat sich nicht wenig zu gut darauf, von Isaak Abarbanel und sogar vom Könige David abzustammen; — dieser Ahnenstolz aber bewog ihn zu edlen Handlungen, und trieb ihn an, sich als Sprössling eines königlichen Hauses würdig zu bezeigen.

Seine Familie bestand aus vier Söhnen und zwei Töchtern, welche sämtlich die Freude seines Alters waren. Seine Frau wurde ihm einige Jahre vorher durch den Tod entrissen. Seine Söhne waren alle im Orte verheiratet und befanden sich in den günstigsten Verhältnissen; seine ältere Tochter war an einen reichen Juden in Algier verheiratet, und seine jüngere wurde eine Woche vor Beginn dieser Begebenheit an einen wohlhabenden Jüngling zu Marokko verlobt; an diesem Sabbate sollte eben das Verlobungsfest gefeiert werden.

Als Juda ins Zimmer trat, drängten sich seine Söhne, Schwiegertöchter und seine Tochter zu ihm heran, küssten ihm ehrfurchtsvoll die Hände, und hielten ihre Häupter hin, um seinen Segen zu empfangen. Nachdem er ihnen den Segen erteilt hatte, trat der junge Bräutigam, der sich bisher in einiger Entfernung gehalten hatte, zu ihm hin und sprach:

„Don Juda! erlaubt Ihr mir wohl, Euch schon Vater zu nennen und Euren väterlichen Segen zu erbitten?"

„Recht gern, mein lieber Benjamin," versetzte Juda. „Es ist vielleicht der erste und zugleich der letzte Segen, den Du von mir empfängst. Ach, trübe Ahnungen erfüllen meine Seele!"

„Vater! welcher Gram nagt in Dir?" fragten ihn seine Kinder.

„Meine Teuren," versetzte Juda, „das Ende meines gottseligen Vaters schwebt mir vor Augen. Auch er war reich, wohltätig und allgemein geliebt. Als aber Kriegsnot ausbrach, beschuldigte ihn der vorige Sultan eines Vergehens, ließ ihn martervoll hinrichten und konfiszierte sein Vermögen. Steht mir wohl etwas Besseres bevor? Gibt es in Marokko ein größeres Verbrechen für einen Juden, als reich zu sein? — Zwar beugte ich schon so gut als möglich vor; ich legte den größten Teil meines Vermögens in fremden Ländern bei zuverlässigen Geschäftsfreunden an, und behielt mir nur das Notwendigste zu meinem Bedarf zurück; aus meinem Testamente, welches ich diese Woche dem Chacham*) übergab, werdet ihr Alles genau erfahren. Ich war sogar gesonnen, mich in einem anderen Lande niederzulassen; aber sowohl mein Mitgefühl für meine hiesigen Glaubensgenossen, als auch der Wunsch, mit meinen Vätern in einer Erde zu ruhen, hielten mich zurück. Ja, ich bleibe hier, und will gleich meinem erlauchten Ahn Isaak Abarbanel alles Ungemach mit meinen Brüdern teilen; bin ich doch überall in Gottes Hand!"

*) Ortsrabbiner

Die ganze Familie brach bei diesen Werten in lautes Schluchzen aus. Juda wandte sich dann zum Bräutigam und sprach:

„Mein Sohn! gelobe mir, dass Du meiner Tochter Gatte und Vater zugleich sein wirst! Sei ihr Trost und ihre Stütze! Versprich mir, dass Du dieses Land des Despotismus und der Knechtschaft verlassen wirst! die Welt ist groß genug; es gibt Weltteile, wo weise, tugendhafte Regenten ihre Untertanen nicht als Schlachtopfer, sondern als ein teures anvertrautes Gut ansehen, für dessen Wohl sie einst vor Gott Rede zu stehen haben; es gibt Länder, wo ein Recht, ein Gesetz, eine väterliche Liebe alle Staatsangehörigen mit gleicher Zärtlichkeit umschlingen. Gelobet mir, alle meine Söhne, dass ihr nach meinem Tode sobald als möglich diesen vom Blut eurer Vorfahren triefenden Boden verlasset!"

„Wir geloben es!" riefen Alle einstimmig.

„Nun ist genug hierüber gesprochen worden," sagte Juda. „Meine Bemerkungen waren keineswegs ein Unterhaltungsstoff für den Eingang des Sabbats; dem heiligen Ruhetage soll jedes Herz mit Freude und Heiterkeit entgegenkommen. Beseitigen wir daher unfern Kummer, und empfangen wir den Sabbat würdig!"

Die ganze Familie setzte sich zu Tische. Die ehrwürdige Gestalt Judas, das blühende Aussehen seiner im Kreise herumsitzenden Angehörigen, das reich möblierte Zimmer, der zwanzigarmige Lustre, welcher durch das Licht seiner Kerzen im Zimmer eine Tageshelle verbreitete, endlich der von massivem Silbergeschirr schwer beladene Tisch, — dies gewährte einen Anblick, würdig, von dem Pinsel eines Raphael verherrlicht zu werden. Juda erhob den mit Wein gefüllten Pokal, sprach laut und feierlich den Segen darüber, und die ganze Familie betete ihm leise nach. Tränen träufelten ihm von den Wangen, aber kein Schluchzen erstickte seine Stimme; sein Gesicht sprach einen stillen Schmerz, aber zugleich ernste Resignation aus.

Als er den Pokal herumreichte, erhob sich ein Tumult auf der Gasse, welcher seinem Hause immer näher kam. Juda erhob sich von seinem Sitze und sprach:

„Meine Lieben! es ahnt mir, dass meine Prüfungsstunde naht; mein Vater winkt mir. ich folge gern; Ihr aber möget beherzigen, was ich Euch sagte!"

An der Haustür wurde mit Ungestüm geklopft. Juda stieg beherzt die Treppe hinab, und fragte mit männlicher Stimme: „Wer da?"

„Im Namen des Sultans öffne!" rief eine raue Stimme.

Juda öffnete. Der Aga der Verschnittenen trat in Begleitung von zehn bewaffneten Männern herein.

„Was begehrt der Beherrscher der Gläubigen von mir?" sprach Juda.

„Das sollst Du erfahren," erwiderte der Aga höhnisch. „In Deinem Zimmer wollen wir Dir Alles genau mitteilen."

Juda trat, von den Dienern des Sultans begleitet, ins Zimmer. Seine Angehörigen stellten sich ängstlich im Kreise um ihn herum. Darauf begann der Aga: „Wir haben Auftrag, Dich sogleich zum Sultan zu führen, und Dein Haus zu durchsuchen. Lies diesen Ferman!"

Juda las den Ferman und sprach: „Ich war darauf gefasst!"

Er begab sich darauf zum Kleiderschrank, holte seinen gelbseidenen Kaftan heraus, zog ihn an und sprach: „Ich folge Euch!"

„Nein, Vater, Du verlässt uns nicht!" sprachen seine Kinder. „Eher soll man über unsere Leichname hinwegschreiten!"

„Verhaltet Euch ruhig, meine Kinder," sprach Juda. „Es ist der Wille Gottes, dass ich den Kelch meines Vaters teile; gelobt sei der wahrhafte Richter!"*)

Der Aga wandte sich dann zu seinen Leuten und sprach: „Ihr drei, Hassan, Jesid und Ali, begleitet den Juden zum Sultan und haftet mir für ihn; wir übrigen bleiben hier zurück, das Haus zu durchsuchen!"

Juda wurde abgeführt, und indem er sich zu den Seinigen wandte, erhob er seine Hände zum Himmel und sprach: „Gott segne Euch; da oben sehen wir uns wieder!"

Als er durch die Gasse geführt wurde, sprachen alle Gesichter das größte Entsetzen aus; eine Schaar mutiger Männer sammelte sich um ihn und machte Miene, ihn mit Gewalt zu befreien. Er aber sprach: „Lasset es gut sein, meine Lieben! ich ertrage willig mein Schicksal; Gott gebe, dass mein Tod eine Sühne für alle meine Sünden und für die meines Volkes sei! harret auf die göttliche Hilfe; es werden schon bessere Zeiten kommen!"

Alle Augen folgten ihm mit Tränen nach, und allgemein erscholl der Schmerzensruf: „Gefallen ist die Krone unseres Hauptes; wehe uns, dass wir dieses verschuldet haben!"**)

*) Gewöhnliche Redensart der Juden, wenn ihnen ein Unglück widerfährt.
**) Klagen Jeremiae 5, 16.


So wurde Juda fortgeschleppt und in ein unterirdisches Gewölbe des Serail geworfen, wo er verbleiben sollte, bis es der Laune des Sultans belieben würde, ihn von da zum Leben oder zum Tode heraufzuholen.

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In derselben Nacht floh den König der Schlaf. Diese Schlaflosigkeit aber führte nicht, wie zur Zeit des Achasverus, das Heil des Judentums, sondern die Folterqualen eines einzigen Juden und den Jammer einer ganzen Gemeinde herbei. Nachdem der Sultan lange sich auf seinem Divan unruhig herumgeworfen hatte, klingelte er; ein Türsteher trat herein.

„Der Aga soll augenblicklich herkommen," sprach der Sultan.

Einige Augenblicke darauf erschien der Aga.

„Nun, Jussuf," sprach der Sultan, „ist mein Befehl vollzogen worden?"

„Beherrscher der Gläubigen, wir handelten ganz nach Deinem Auftrage. Während drei meiner Diener den Juden in den Turm führten, durchsuchten wir andere das Haus. Wir fanden viel Silber- und Goldgeschirr, kostbare Kleidungsstücke und Tapeten, aber des Geldes kaum der Rede wert. Wir erbrachen alle Schränke; selbst Dielen blieben nicht verschont; aber unsere Mühe war vergebens. Beim Durchsuchen gelangten wir an eine stark verriegelte Tür. Hier, dachte ich, werden wohl die Schätze verborgen sein. Ich ließ sie öffnen, fand aber nichts als einen langen Tisch, worauf eine Menge Pergamentrollen nebst anderen Kleinigkeiten aufgeschichtet waren. Ich ließ den Plunder liegen und ging weiter. Run höre noch, mein gnädiger Monarch, ein sonderbares Ereignis an. Als ich das Zimmer des Juden betrat, fiel mir die Schönheit seiner Tochter besonders auf. Beim Barte des Propheten, dachte ich, dieses Mädchen ist würdig, den Harem meines gnädigen Monarchen zu zieren; er wird es mir Dank wissen, wenn ich ihm eine so kostbare Beute zuführe! — Bevor wir das Haus verließen, gab ich meinen Dienern den Auftrag, das Mädchen wegzuführen; da hättest Du aber einen Widerstand sehen sollen! so gleichgültig sich die Familie des Juden bei Beschlagnahme seines Vermögens benahm, eben so verzweifelt widersetzte sie sich uns, als wir das Mädchen ergreifen wollten. Einer besonders, welcher sich Bräutigam des Mädchens nannte, wütete wie ein Löwe. Als wir alle Anderen überwältigt hatten, und er die Fruchtlosigkeit des Widerstandes erkannte, entriss er einem meiner Diener dessen Yatagan*) und durchbohrte das Mädchen mit den Worten: „Enkelin des Königs David, fahre unschuldig und Deiner Ahnen würdig zum Himmel!" dann durchbohrte er sich selbst. Wir verließen mit Grausen die Leichenstätte."

„Verflucht!" sprach der Sultan, welcher das tragische Ende des Brautpaares kaum beachtete; „gewiss hat dieser Jude sein Vermögen anderwärts in Sicherheit gebracht; doch ich will ihm die Zunge lösen!"

Nach einigem Nachsinnen sagte er: „Hole mir den Juden, und sage zugleich dem Henker, dass er sich augenblicklich mit seinen Marterwerkzeugen hinter diesen Vorhang begebe!"

„Dein Wille soll geschehen!" sprach der Aga, indem er die Hände auf die Brust senkte, und entfernte sich mit einer tiefen Verbeugung.

*) Ein kurzer Dolch, den die Morgenländer in ihrem Gürtel stecken haben.

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Juda hatte eben einen angenehmen Traum. Sein Vater erschien ihm in Engelsgestalt, umschwebte ihn und sprach die Worte des Propheten: *) „Ziehst du durchs Wasser, so bin ich mit dir; durch Ströme, sie schwemmen dich nicht weg; gehst du durchs Feuer, so wirst du nicht versengt; keine Flamme soll dich verzehren!"

*) Jesaias 42, 2.

Ein himmlisches Lächeln spielte um Judas Lippen; er schlief sanfter auf seinem harten Pflaster als der Sultan auf seinen weichen Polstern; er dachte sich schon als Bewohner der künftigen Welt; sein Geist schwebte schon unter den Frommen des Paradieses, und nur seine sterbliche Hülle gehörte noch diesem Leben an.

Der Aga trat ein und rüttelte ihn unsanft mit den Worten: „Folge mir, Jude!"

Juda erwachte; es war ihm, als befinde er sich im Grabe, und werde vom Engel der Auferstehung geweckt. Doch schnell ermannte er sich und folgte beherzt dem Aga; er wusste, was seiner wartete, und sah seinen Gang für einen Schritt zur ewigen Freiheit an.

Fest und unerschrocken trat er in das Gemach des Sultans; er sah Diesen mehr mit Verachtung als mit Furcht an.

Nach einer kleinen Pause begann der Sultan: „Juda! ich kenne Dich, dass Du vernünftig bist; Du hast gewiss Lust, so manches Jahr noch im Kreise Deiner Angehörigen zu verleben; reize daher meinen Zorn nicht, und gib mir aufs genaueste Deinen Vermögenszustand an!"

Juda erwiderte: „Beherrscher der Gläubigen! meine Schätze bestehen in einem unbefleckten Gewissen, einem frommen, gottergebenen Sinne und sechs blühenden, wohlgeratenen Kindern; verliere ich diese, so bin ich bemitleidenswerter als der geringste Bettler!"

„Von diesem Allen soll Dir nichts genommen werden," erwiderte der Sultan ironisch. „Ich will wissen, wo Du Dein Geld hast; ich weiß zuverlässig, dass Du der reichste Jude in Marokko bist."

„Wenn ein guter Name und Ansehen unter den Gemeindemitgliedern Reichtum genannt zu werden verdienen, so bin ich vielleicht der reichste Jude Marokkos; macht aber der Besitz des Geldes reich, so gibt es hier wohl viel reichere Juden als ich bin!"

„Und wer sind Diese?" fragte der Sultan begierig.

„Ich kenne sie nicht."

„Du kennst sie nicht?" sprach der Sultan aufgebracht. „Warte! ich kenne ein Mittel, Dir das Geständnis Deines Reichtums und die Angabe anderer reicher Juden zu erpressen."

Der Sultan klingelte, und ein Vorhang ging im Hintergrunde des Gemaches auf.

„Kennst Du diesen Mann und diese Instrumente?" fragte der Sultan den Juda boshaft, indem er auf den Henker und seine Folterwerkzeuge deutete.

„Sobald er Vollstrecker Deines Willens ist, kann ich mir seinen Beruf leicht denken," erwiderte Juda verächtlich. „Übrigens bin ich auf Alles gefasst; mein Körper steht in Deiner Gewalt; meine Seele aber steht in der Hand meines Schöpfers, und spricht Deinen Drohungen Hohn. Du kannst nur meinen Körper, aber nicht meine Seele töten!"

Der Sultan winkte dem Henker; Dieser ließ den Juda von seinen Knechten knebeln und auf die Folter spannen. Juda benahm sich ruhig und gelassen, wie ein Lamm, das zur Schlachtbank geführt wird; sein Geist war bereits der Erde entrückt.

Die Schilderung von Judas Qualen wird mir der geehrte Leser gern erlassen. Nach wenigen Minuten richtete Juda seinen letzten Blick zum Himmel und verschied.

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Die Nachricht von Judas Tode brachte in ganz Marokko die größte Bestürzung hervor, denn er war unter allen Religionsgenossenschaften wegen seiner Biederkeit und Wohltätigkeit beliebt und geschätzt.

Die Judenstadt beeilte sich am vierten Belagerungstage zu kapitulieren, um Judas Leiche ausgefolgt zu erhalten. Sie erlegte die vom Sultan verlangte Summe, musste aber für Judas Leiche nebenbei ein Lösegeld entrichten.
Die Leichenbestattung Judas, seiner Tochter und ihres Verlobten ging am anderen Morgen vor sich. Eine bunte Volksmenge aus allen Religionsgenossenschaften umstand Judas Haus. Alle Gesichter drückten die tiefste Betrübnis aus. Die Leiche wurde vor dem Hause niedergelassen, und der Chacham hielt eine Trauerrede, zu deren Text er die Klage Davids um Abner wählte: „Wisset, dass ein Vornehmer und ein Angesehener heute in Israel gefallen ist!"*) Das laute Schluchzen der Zuhörer unterbrach ihn oft in der Rede. Nachdem er den tugendhaften Lebenswandel und das wohltätige Wirken Judas hinlänglich gepriesen hatte, verlas er, dem ausdrücklichen Willen des Verstorbenen gemäß, dessen Testament. Dasselbe enthielt, nebst Angabe des Vermögens und dessen Verwendung, sowohl zu Gunsten der Zurückgebliebenen als zu wohltätigen Zwecken, wobei keine Religionsgenossenschaft unbedacht blieb, noch folgende höchst merkwürdige Stelle:

*) 2. B. Samuel 3, 38.

„Seit der Zerstörung des ersten jüdischen Tempels herrscht in meiner Familie die Sitte, dass jeder Familienvater seine Lebensgeschichte niederschreibt, dieselbe seinem würdigsten Sohne hinterlässt und diesen zugleich beschwört, desgleichen zu tun. Glücklicher Weise hat sich diese Familienchronik bis auf meine Zeit erhalten. Sie ist durchgängig in hebräischer Sprache abgefasst und besteht aus Pergamentrollen, welche ich in meinem Hause in einem verschlossenen Zimmer aufbewahrte. Da diese Rollen keine materiellen Schätze bieten, so hoffe ich, dass sie von der Habgier des Sultans verschont bleiben werden. Meine Vorfahren sorgten ängstlich dafür, dass diese Chronik ein Familienschatz bleibe; mein Wunsch hingegen ist, dass sie Gemeingut werde, indem sie nicht nur die Schicksale meiner Familie enthält, sondern auch einen nicht unerheblichen Beitrag zur Geschichte der jüdischen Nation liefert. Ich ersuche daher unfern würdigen Herrn Chacham, dass er besagte Rollen gleich nach meinem Tode zu sich holen lasse und an jedem Sabbate und Feiertage nach vollendetem Gottesdienste einen Abschnitt daraus der versammelten Gemeinde vorlese und übersetze. Endlich beschwöre ich meinen ältesten Sohn Joël, dass Derselbe die Sitte seiner Väter achte, und die Chronik fortsetze."

Ausgefertigt am 16ten des Monats Siwan im Jahre 5599 der Weltschöpfung.

Juda Sohn Levi Sohn Meïr Abarbanel,
Nachkomme des Isaak Abarbanel, aus dem
Königlichen Geschlechte des David Sohn
Jischai aus Bethlechem.

Der Chacham ließ nach würdig begangener Leichenfeier die Rollen sogleich zu sich holen, und setzte den nächsten Sabbat zum Beginne der Vorlesungen fest.

01. Scherif von Wasan, Hadsch Abd es-Salem

01. Scherif von Wasan, Hadsch Abd es-Salem

02. Lastenkamel

02. Lastenkamel

03. Rifiot aus der Umgebung von Tetuan

03. Rifiot aus der Umgebung von Tetuan

04. Frau aus der Umgebung von Tetuan

04. Frau aus der Umgebung von Tetuan

05. Marokkanische Frauen (Landbevölkerung)

05. Marokkanische Frauen (Landbevölkerung)

06. Junge marokkanische Jüdin

06. Junge marokkanische Jüdin

07. Marokkanischer Musiker

07. Marokkanischer Musiker

08. Araber der Sekte Es-Senusi

08. Araber der Sekte Es-Senusi

09. Marokkanische Tänzerin

09. Marokkanische Tänzerin

10. Marokkanerin mit Kind

10. Marokkanerin mit Kind

11. Bambaraneger

11. Bambaraneger

11. Kostüm einer reichen Marokkanerin

11. Kostüm einer reichen Marokkanerin

12. Bambaranegerin mit Kind

12. Bambaranegerin mit Kind

12. Marokkanische Frau im Straßenanzug

12. Marokkanische Frau im Straßenanzug

13. Fulani (Fulbe, Peul)

13. Fulani (Fulbe, Peul)

13. Marokkanerin im Hauskostüm

13. Marokkanerin im Hauskostüm

14. Frauen vom Senegal

14. Frauen vom Senegal

14. Junger Marokkaner aus Wad Sus.

14. Junger Marokkaner aus Wad Sus.

15. Hauskostüm einer maurischen Frau

15. Hauskostüm einer maurischen Frau

15. Wolof vom Senegal

15. Wolof vom Senegal

16. Marokkanische Jüdin im Prachtgewand

16. Marokkanische Jüdin im Prachtgewand